18 Juni 2008

Ferndiagnosen

M. Night S. hat Alzheimer. Bin ich ganz sicher. Der Mann hat gute Ideen. Und er kann auch irgendwie Filme machen. Nur in letzter Zeit scheint's, dass er im Lauf der Geschichte vergisst, wo er damit eigentlich hin will. Und den ganzen Witz dann trotzdem erzählt, aber ohne Pointe. Sein neuestes Werk hat wirklich schöne Horrorelemente. Aber keine nennenswerte Verbindung dazwischen. Vielleicht ist es auch BSE?
Ebenso überzeugt bin ich, dass Mike Oldfield unter ADS (ehemals Hyperaktivität genannt) leidet. Der Mann schäumt über vor Ideen, aber keine seiner neueren CDs (so ab 1985?) schafft es, auch nur über 3 Takte bei einem Thema zu bleiben. Mitunter bin ich versucht, die Stücke auf meinen Computer zu laden, und mit Hilfe der passenden Software einfach ein paar Loops einzubauen.
Nicht missverstehen: Ich liebe beide.
Aber seit ich selber zu den Psychos gehöre, liebe ich es, solche Ferndiagnosen zu stellen. Nicht zuletzt, um eine Ausrede zu finden, warum der Betroffene gar kein schlechter Künstler, sondern nur gerade etwas aus dem Takt mit mir/der Welt ist. Und ich weiter ungeniert ihre Werke genießen kann. :)

13 Juni 2008

Urlaubsfotos

So, zur Abwechslung mal kein langer Text, sondern viele schöne Bilder:

Nordirland Mai 2008

Danke, ihr Lieben, dass wir bei euch so eine schöne Zeit hatten!

12 Juni 2008

Romanfledderer

So schön das selbständige Arbeiten von zu Hause auch ist - man hat keine Kollegen, mit denen man mal eben über die Arbeit lästern kann. Also müsst ihr diesen Part übernehmen.
Mittlerweile bin ich mit Übersetzen fertig. Jetzt muss ich den Roman kürzen. Dummerweise um fast ein Drittel, weil die Heftchen einfach nicht mehr als 360.000 Zeichen haben dürfen. Nachdem ich einmal mit dem Seziermesser und einmal mit der Säge über alle Formulierungen drübergegangen bin, jede auch nur andeutungsweise Wiederholung und viele viele Adjektive gestrichen und zwei unwichtige Charaktere komplett gestrichen habe, liege ich immer noch bei 420.000 Zeichen. Die bisherigen Kürzungen konnte man gerade noch so als stilistische Korrektur und notwendige Straffung durchgehen lassen. Was jetzt kommt, ist die brutale Verstümmelung des Originals. Die Heldin hat ein Buch veröffentlicht. Raus damit. Der missgünstige Cousin des Helden versucht mehrfach, sie öffentlich zu demütigen. Er wird zum höflichen Überbringer einer einzelnen Nachricht zusammengestrichen. Auf einem Ball darf die Heldin ausführlich ihre Zeichenkünste demonstrieren und verwickelt sich dadurch in einen Skandal, der Auswirkungen auf das ganze Buch hat. Die ganze Szene fällt komplett dem Rotstift zum Opfer. Dazu muss ich weiter hinten einiges an Dialogen und Beschreibungen ändern oder selbst neu schreiben.
Ich weiß ja, es ist keine große Literatur, die ich hier bearbeite. Aber eine derartige Verstümmelung hat kein Buch verdient. Und kein Übersetzer eine derartige Arbeit! Vom Grammar-Nazi zum Buchstabenverbrenner. :(
Insofern kann ich nur sagen: ihr habt sicher recht, alles, was Kinder zum Lesen bringt, ist gut. Allerdings bitte ich Naiko und alle anderen Lehrer, davon abzusehen, mein Buch und ähnliche zu Unterrichtszwecken zu verwenden. Dann lieber MTV und RTL.
Zum Thema Twilight habe ich es gemacht, wie jeder gute Akademiker: ich habe mich anhand von Sekundärliteratur ausführlich informiert (anstatt das Werk einfach selbst zu lesen und mir ein eigenes Urteil zu bilden - kommt aber noch). Die Autorin ist Mormonin, Mitte dreissig, sieht auf Fotos aus wie 19, und hat nach eigenen Angaben noch nie ein grusliges Buch gelesen oder einen Horrorfilm gesehen. Die Bücher sind ähnliche Bestseller wie Harry Potter, über den ja auch viel geschimpft wurde. Bei beiden ist die Zielgruppe deutlich jünger als der Großteil der Leser dieses Blogs (soweit ich weiß), trotzdem scheinen Unmengen von Erwachsenen die Bücher ebenfalls zu lesen. Sind wir also selber schuld? Vielleicht sagt das einiges über unser Verhältnis zu Teenagern aus - ich zumindest möchte diese Zeit in meinem Leben liebend gern aus meinem Gedächtnis streichen, was mir nicht wirklich dabei hilft, mich in den Durchschnittsteenager hineinzuversetzen. Andererseits kann ich mich der Aussage meines Bruders nur immer wieder anschließen: wir trauen unseren Kindern oft viel zu wenig zu. Vielleicht ist das der Weg: Trivialliteratur to get them hooked on reading, und dann mit anspruchsvolleren Sachen weiterarbeiten. Und für uns selbst: Trivialliteratur ähnlich verwenden wie McDoof, als etwas, dass es gelegentlich mal braucht. Ohne Reue genießen, und dann ebenso genüsslich drüber lästern, den Stoff gnadenlos auseinandernehmen und zerfleddern. Wie gewisse Übersetzer es mit ihren Büchern tun...

10 Juni 2008

You can't unthink it

Man, vielmehr frau, lernt nie aus. Gerade liege ich in den letzten Zügen einer speziellen Übersetzung. Dabei handelt es sich um einen sog. Schundroman, die Sorte, die man nur am Bahnhof kaufen kann. Im Prinzip ist das eine lustige Sache, die Arbeit ist nicht besonders anstrengend und geringfügig weniger langweilig als irgendwelche Patentschriften. Nur sind da dummerweise auch Sexszenen drin. Und da muss ich immer wieder feststellen, dass mir offenbar das Vokabular fehlt. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich kenne die anatomisch korrekten Bezeichnungen für die wichtigsten beteiligten Körperteile, und bin auch mit zahlreichen mehr oder weniger lustig-obszönen Bezeichnungen vertraut, die dafür so kursieren. Beides ist aber dummerweise für die Zielgruppe des Buches nicht passend. Also muss ich mir so furchtbar verklemmt-peinliche Halbzweideutigkeiten wie 'Liebesstab' oder 'Wölbung' oder andere Grässlichkeiten einfallen lassen, um die schönste Nebensache der Welt zu beschreiben. Danach wünsche ich mir regelmäßig eine Dusche. Keine kalte, sondern eine mit viel Desinfektionsmittel, am besten inklusive Hirnspülung.
Von zweifelhaftem Vokabular abgesehen lerne ich aber beim Übersetzen auch wirklich interessante Dinge. Z.B., dass auch in Frauenromanen Frauen sofort willenlos werden, wenn ein Mann sie küsst. (Dachte, dieser raffinierte Plottwist wäre Männerfilmen vorbehalten.) Was ich aber viel beängstigender finde: offenbar zerspringen Männer beim Höhepunkt in Tausend Stücke. Und schlimmer noch, danach schwingt sich die Seele auf in himmlische Höhen des Friedens. So steht's da. Da fragt man sich unwillkürlich, was man falsch macht, denn bisher scheine ich noch auf niemanden diesen Effekt gehabt zu haben. Oder verheimlicht ihr Männer uns das irgendwie? Pflückt eure Seele vom Himmel, klaubt die Scherben auf und klebt euch in mühevoller Kleinstarbeit wieder zusammen?
Das alles wäre noch irgendwie zu ertragen, wenn nicht am Ende neben dem zu erwartenden Heiratsantrag auch noch der Bösewicht auf einmal geläutert, jede im Roman auch nur einmal erwähnten Personen zugegen und die Karriere des Helden auf wundersame, völlig unerwartete Weise gerettet wären. Und auch das würde ich noch aushalten. Wenn nicht jeder dann auch noch mit Blumen werfen würde. Was sag ich, Blumen! Flieder! Yuk!
Uh. Ich glaub, ich brauch noch 'ne Dusche.

07 Juni 2008

Nachtrag

Mann, ich habe noch so viele Posts im Kopf, die ich eigentlich dringend schreiben müsste, aber irgendwie komm ich weder dazu, euch richtig von unserem Urlaub oder von der Einlaufparade zum Hafengeburtstag zu berichten, noch meine philosophischen Gedanken zur Kunst im Allgemeinen und Verbrechen im Besonderen mitzuteilen oder meine lang geplante Rubrik 'Tanja erklärt die Welt' einzuführen. (Praktisch, dieser Post ist gleichzeitig ein Memo an mich selbst.) Ich verspreche, ich werde das nachholen.
Momentan aber nur ein kleiner Nachtrag zum letzten Post: Ich habe ein neues Idol, nämlich Dub die depressive Schildkröte auf Paraplüsch. Sehr geniales Spielkonzept, mit Sachverstand und viel Gefühl gemacht, finde ich. Dub zu helfen, braucht sehr viel Geduld und Taschentücher, und ist ebenso rührend wie herzzerreissend, genauso wie bei allen anderen Patienten. Jedes Mal, wenn ich spiele, schwöre ich mir, ein Heim für misshandelte Stofftiere aufzumachen. Dieser Vorsatz ist allerdings ein bisschen ins Wanken geraten, als ich heute Nacht geträumt habe, ich hätte ein Baby bekommen, und das dann zwei Wochen in einer Schublade vergessen. Keine Ahnung, was mir mein Unterbewusstsein damit sagen will. Hinweise und Theorien werden gerne angenommen, ich bitte nur von der Anwendung von Eletroschocktherapie abzusehen (im Spiel unterm Bett zu finden). ;-)

04 Juni 2008

1 Monat ohne

Ok, eine Quelle für Badewannen und Herde hab ich jetzt - dankeschön! - fehlt nur noch das Haus und die S-Bahn. Denn Naiko hat recht, am wichtigsten am Wohnen ist, dass man nah an den Leuten wohnt, die man gerne und oft sieht. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber seit ich mit Leo zusammen bin, weiß ich, dass Wunder möglich sind, und dass man sich in den wichtigen Dingen im Leben auf keinen Fall mit einem mäßigen Kompromiss zufrieden geben darf. :)
So, aber jetzt zum eigentlichen Thema: Gestern vor einem Monat habe ich meine letzte Egal-Tablette genommen. Seither bin ich clean. Der Schwindel hat sich mit der Zeit gelegt, ganz ganz selten glaube ich noch, einen Anflug zu spüren, aber das kann auch Einbildung sein. Ein Phänomen aus der Anfangszeit meiner Antidepressiva-Phase hatte ich schon wieder verdrängt, jetzt ist's leider wieder da: das Friteusen-Gefühl. D.h. ich fühle mich oft, als hätte ich einen kräftigen Schluck aus der Friteuse bei McDo zu vor-Wallraff-Zeiten genommen (sprich, als das Fett in den Dingern noch alle 6 Monate statt jeden Tag gewechselt wurde). Bisschen ekliges Gefühl, aber wenn man nicht bewusst drüber nachdenkt, kann man's aushalten. Außerdem weckt das tatsächlich gelegentlich den Wunsch, nicht mehr so fett zu essen, und das ist ja nicht schlecht.
Was aber ist mit dem Egal-Gefühl? Das ist so ziemlich verschwunden. Vielen Dingen kann ich immer noch recht gelassen gegenüber stehen, vermutlich aber nicht wesentlich mehr als vor der Depression. Dem 'Druck' der Arbeit kann ich ganz gut standhalten, hauptsächlich, weil es mir gelingt, selbigen gering zu halten - toi, toi, toi.
Manchmal fühle ich mich unbeschwert und froh und durchwegs positiv - fast so wie früher.
Aber manchmal, wenn ich nicht aufpasse, steht auf einmal ein Gespenst in der Ecke, sieht mich an und flüstert "Ich bin tot, aber ich bin noch hier." Dann spüre ich wieder, wie es war, und die Angst, die das auslöst, fühlt sich so verdammt nach Depression an, dass ich überzeugt bin, alles fängt wieder von vorne an...
Aber es ist tatsächlich nur ein Gespenst, denn es hält sich an Geisterstunden und lässt mich den größten Teil des Tages in Ruhe. Wahrscheinlich muss ich einfach noch eine Weile durchhalten, bis ich überzeugt bin, dass das Gespenst mir nichts tun kann, mich dann mit ihm anfreunden und dann einen Weg finden, es zu erlösen...
Und da sag noch einer, aus Gruselgeschichten lernt man nix fürs Leben. ;)

20 Mai 2008

The end of life as we know it

Eigentlich wollte ich diesen Eintrag mit 'Ich kann so nicht mehr leben' betiteln. Aber das erschien mir dann doch unnötig erschreckend-dramatisch.
Denn tatsächlich geht's nur um Äußerlichkeiten.
Vielleicht sollte ich von vorne anfangen: Momentan sind wir im Urlaub (!) in Irland. Dort besuchen wir meinen Bruder, seine Freundin und deren Kinder (eins davon noch in Arbeit befindlich). Die dreieinhalb wohnen zusammen mit noch einer kleinen Familie etwa eine Stunde nördlich von Belfast, und jetzt kommt's, in einem Herrenhaus, das wohl einige hundert Jahre alt und einfach der Gipfel ist. Es liegt auf einem Hügel inmitten von Schafweiden und typisch englischen Steinmäuerchen, drumherum nur sanft geschwungene Natur und ganz vereinzelt mal ein Haus. Der Garten ist riesig, mit uralten Buchen und Obstbäumen bestanden, es gibt einen kleinen versteckten Teich, ein Baumhaus, ein paar romantische Schaukeln und einen Gemüsegarten mit allem, was das Herz begehrt. Morgens beim Zähneputzen kann ich beobachten, wie sich Eichhörnchen und Rotkehlchen begleitet von einem Krähenorchester um den besten Platz an der Sonne streiten. D.h., wenn ich nicht grade damit beschäftigt bin, mir zu überlegen, wie ich am geschicktesten die Armaturen im Bad klaue, ohne dass es jemand merkt. Es gibt eine Badewanne mit Löwen-/Adlerfüßen, jedes Zimmer hat einen Kamin und eine Dienstbotenklingel, und in der Küche gibt es einen herrlichen alten Ölherd, der das ganze Haus mit heizt. Von den zahlreichen Stallungen, Schuppen und Werkstatt-Räumen und dem Gewölbekeller will ich gar nicht reden. Kurz: dieses Haus ist einfach genial. Jeder Raum atmet Geschichte, und trotzdem ist das ganze urgemütlich.
Und wir müssen am Ende des Urlaubs wieder in unsere ganz normale moderne Hamburger Zweizimmerwohnung zurück. Wie, bitteschön, soll ich das aushalten? Wie ohne diesen Garten auskommen? Ohne die Möglichkeit, in jedem Zimmer ein Feuer anzuzünden, oder in einem alten Stall rumzustöbern und mir zu überlegen, was für Viechzeugs da wohl gehalten wurde und was für coole Rollenspielevents man hier veranstalten könnte? Was sag ich - was für ein cooles Leben man hier veranstalten könnte!
Wenn ihr euch fragt, was ich in nächster Zeit zu Hause so treiben werde: ich werde mich auf die Suche nach einem ebensolchen Anwesen machen.
Manche Dinge kann man sich einfach nicht mehr abgewöhnen, und dieses Haus gehört definitiv dazu.

11 Mai 2008

Unheilbar zynisch?

Heute auf dem Weg zum Frühstück. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, Frühling überall, gute Laune. Leos Telefon klingelt, die Arbeit. Jemand ist schwer verletzt, muss gleich operiert werden, man fragt nach Maßnahmen, die ihm hinterher die Arbeit erleichtern sollen, bzw. sicherstellen, dass keine Information verloren geht.
Eine Weile nach dem Anruf. Wir setzen uns in die Sonne, Italiener, Luxusfrühstück, eine sanfte Brise in den Bäumen, vereinzelte Sonnenstrahlen treffen unseren Tisch, Entspannung.
Leo: Na, dann hoffen wir mal, dass der Mann nicht stirbt.
Tanja: Weil du sonst gleich los musst?
Leo: Hauptsächlich, weil er sonst tot ist...
Tanja: ...

Laut Wikipedia ist ein Zyniker jemand, der in (manchmal absichtlich) verletzender Weise die Wertvorstellungen anderer herabsetzt oder missachtet, oder moralische Werte grundsätzlich in Frage stellt (und manchmal sich obendrein über sie lustig macht).
Das, was ich da geliefert habe, geht meiner Meinung nach noch ein gutes Stück darüber hinaus, denn es geschah weder absichtlich noch aus dem Wunsch zu verletzen oder auch nur einen coolen Spruch zu machen. Es war einfach eine ganz unschuldige und gedankenlose Äußerung, die das Ausmaß meiner Gewöhnung an Sachen zeigt, von denen ich nicht sicher bin, ob ich an sie gewöhnt sein will.
Ich habe ein Monster erschaffen - mich selbst!?

Bitte, lieber Mann auf dem OP-Tisch, stirb nicht, denk daran wie schön die Sonne scheint, und dass hier draußen jemand an dich denkt, und halte durch!

25 April 2008

A dot connected

Und schon wieder muss ich euch mit Youtube zudröhnen. Diesmal sind es sogar über 14 Minuten. Aber das Zuhören lohnt sich, wie ich finde. Kein Wunder, der Mann redet über mein Leben.



Und wie ich fürchte auch über das unzähliger anderer. Ich kann mir nicht helfen - ich sehe die Gesichter der zuhörenden Studenten, und weiß, dass sie alle trotzdem BWL studieren und Karriere machen (somebody elses live leben) werden. Weil das genau das ist, was sie wollen, the kind of work they love. Oder weil sie denken, dass es das ist.
Was hätte ich getan, wenn jemand zu meinem Studienbeginn so eine Rede gehalten hätte? Wahrscheinlich hätte es nicht viel geändert. Weil ich damals nicht wusste, was ich will. Weil das, was ich zu wollen glaubte, von so vielen anderen beeinflusst war, von dem Wunsch, anderen zu gefallen, so zu sein, wie alle anderen, zu machen, was 'man' eben macht, wenn man ein gutes Abi hat und die Welt einem offen steht.
Weil es ungemein schwer war, zu wissen, was ich will.
Das finde ich oft immer noch ziemlich schwierig. Und ich scheine nicht allein zu sein. Nicht nur in beruflichen Fragen.
Woher weiß man eigentlich, was man will? Woher kommt die innere Stimme, die einem sagt, wenn heute der letzte Tag meines Lebens wäre, müsste ich unbedingt noch dies, das und jenes tun? Und wie zum Teufel kann es sein, dass sie so leise wird, dass man sie nicht mehr hört?
Wie könnte es anders sein, Tori Amos hat ein Lied dazu geschrieben. Dazu gibt's jetzt aber nur noch den Link, sonst kann ich diesen Blog bald komplett nach youtube verlegen.
Sometimes, I said sometimes I hear my voice, and it's been here, silent all these years...

23 April 2008

Risiken und Nebenwirkungen

Sicher kennt ihr das vielstrapazierte Klischee des Verrückten, der sich für normal, und die ganze Welt um sich herum für verrückt hält. Momentan, da ich mich eigentlich als von meiner 'Verrücktheit' halbwegs geheilt (oder wenigstens stark in Heilung begriffen) betrachte, muss ich gestehen, dass mich dieses Gefühl des öfteren beschleicht. Zum Beispiel neulich, im Taxi. Selbiges bestellte ich wie immer bei meiner Lieblings-Taxinummer (man wählt einfach so oft hintereinander die 'number of the beast', bis sich am anderen Ende der Leitung ein Taxiunternehmen meldet), und diesmal schickten sie mir endlich mal einen zur Nummer passenden Fahrer. Der redete nicht nur ununterbrochen, sondern hatte auch seine ganz eigene Theorie zu allen möglichen weltanschaulichen Dingen, die Dittsche harmlos erscheinen lassen. Es gelang mir ganz gut, mich mental (nicht verbal, dazu waren zu wenig Gesprächslücken) abzugrenzen, bis er mich auf einen viel zu wenig beachteten, katastrophalen Nebeneffekt der Erderwärmung aufmerksam machte: beim Schmelzen der Pole werde ja so viel Kälte freigesetzt, dass es bestimmt bald zu einer neuen Eiszeit kommen würde. Seither komme ich nicht mehr von diesem Gedankengang los, so sehr ich mich auch dagegen zu wehren versuche. Ist das etwa die Erklärung für das viele schlechte Wetter hier im Norden im letzten Sommer?
Überhaupt scheint mir eine gesunde Portion Paranoia spätestens seit meinem Initiationsbesuch beim Steuerberater angebracht: Wenn man selbständig aber verheiratet ist, wird zwar das zu versteuernde Einkommen in einen gemeinsamenen Topf geworfen, aber der Bemessungsbetrag für den Steuersatz wird nicht erhöht. D.h. wir verdienen zwar zu zweit, zahlen aber soviel wie eine Person mit doppeltem Einkommen. Liegt's an mir, dass ich mir da irgendwie diskriminiert vorkomme? Gemäß oben erwähnter Theorie ist die Welt dann wohl gerecht, und ich übersensibel. Deswegen stört es mich wahrscheinlich auch, wenn ich an einem Bestattungsinstitut vorbeilaufe, auf dessen Firmenschild unter dem Namen groß 'Bestatterinnen' steht. Wen interessiert's bitteschön, ob er von einem männlichen oder einem weiblichen Bestatter in den Sarg gepackt wird? Der Tod macht uns alle... äh... unterschiedlich?
Zum Glück hatte mein Versicherungsberater gleich das passende Produkt für solche Fälle parat: für Firmen gibt es tatsächlich eine Anti-Diskriminierungs-Versicherung. Na dann is ja gut. Sobald jeder diese Versicherung hat, kann man dann nach Herzenslust diskriminieren, sich als Diskriminierter dafür entschädigen lassen, und ich kann endlich den dämlichen Autor von Warum Frauen gern Mars essen und Männer nur ohne Schuhe einparken können verklagen (von dem mein Taxifahrer übrigens in höchsten Tönen schwärmte).
Zum Glück habe ich am Ende dieser letzten zwei Tage, innerhalb derer sich dieses ganze verwirrende Kuddelmuddel abspielte, noch einen Laden gefunden, der mich wieder etwas mit der Welt versöhnt hat. Laut Firmenschild kann man dort 'Endzeitmöbel' kaufen. Leider (?) steht der Laden schon lange leer. Was nur drei Dinge bedeuten kann:
a) In einer wie auch immer gearteten Endzeit braucht man keine Möbel.
b) Die Endzeit ist längst da, allerdings nur in dem räumlich sehr beschränkten Universums 'Möbelladen'.
c) Die Endzeit ist schon vorbei, deswegen ist der Laden ausverkauft/nicht mehr nötig.
Ich finde, das klingt alles irgendwie positiv. Und das, obwohl ich schon seit drei Tagen keine Tablette mehr genommen habe. Was mich zu der Vermutung verleitet, dass
a) ich trotz anhaltendem Schwindel keine Tabletten mehr brauche
b) die Genesung längst stattgefunden hat,
c) die Depression schon vorbei ist.
Ich finde, das klingt alles irgendwie positiv.
Und wem das alles etwas wirr vorkommt, der rufe mich unter der bekannten Nummer an, ich besorg mir ein Taxischild, hole euch ab und quatsche euch so lange zu, bis ihr mir glaubt: die Welt ist verrückt, ich bin normal.

20 April 2008

Kulturförderung

Heute ist Sonntag.
Einer der wenigen dienstfreien Tage im April.
Mein Mann telefoniert gerade zum vierten Mal mit seinem Arbeitgeber. Weil die Arbeit für morgen organisiert werden muss - ein Auswärtstermin steht an, ein Assistent fehlt, welches Auto nimmt man denn, und wann trifft man sich wo zur gemeinsamen Abfahrt.
Eigentlich nicht weiter schlimm. Muss ja irgendwann und von irgendwem organisiert werden. Oder?
Sollte die Planung der Arbeit nicht eigentlich während der Arbeitszeit erfolgen? Weil sie ein Teil der Arbeit, nicht der Freizeit ist.
Mein Mann sagt, er schreibt sich Überstunden dafür auf. Die er irgendwann abfeiern darf. Evtl. Wenn nicht wieder mal grade jemand fehlt. Weil er keine Vertretung für sich finden konnte. Was eigentlich Aufgabe seines Arbeitgebers wäre.
Mein Mann meint, das sei halt die 'Kultur 'an seiner Arbeitsstätte.
Kultur, nach der Definition, die ich gelernt habe, ist (stark verkürzt und vereinfacht) ein Satz von Werten, Normen, Regeln zum Umgang mit Situationen, die sich eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe selbst gibt.
Nicht zwingend explizit. Häufig gar nicht bewusst. Stabilität und Dauerhaftigkeit gewinnt das ganze hauptsächlich dadurch, dass man sich dran hält und danach lebt. Weil das eben so ist. Weil's alle machen.
Kultur - ist das nicht was schönes? Förderungswürdiges?

17 April 2008

Bilder- und Worteklau

Heute bin ich traurig.
So hingeschrieben klingt das irgendwie sehr nach Schulaufsatz.
Aber mir wurde glaubhaft versichtert, dass es wichtig ist, meine Gefühle auszudrücken. Also werde ich die unsinnige Angst, dass sich jetzt alle bemüßigt fühlen, mich retten zu wollen, einfach beiseite schieben, und versuchen, ein Bild von meinem Innenleben zu zeichnen. (Unsinnig, weil mich das ja eigentlich freuen sollte; tatsächlich ist es mir aber eher unangenehm - es könnt sich ja jemand Sorgen machen, und das will ich doch nicht. Warum eigentlich?)
Ein Bild ist gar nicht so einfach; ich habe zwar irgendwo begabte Malergene in der Familie, aber sehr wenig Übung. Was meine Stimmung immer sehr schön ausdrückt, ist Musik. Und das ist auch gleich eine gute Gelegenheit, euch von meinen fantastischen Neuentdeckungen bei lastfm zu berichten. Unter meinen Favoriten sind zur Zeit Imogen Heap (nein, ich weiß auch nicht genau, wie man das ausspricht, und ja, die Musik ist genau so wie der Name klingt), Sarah Slean (ich steh einfach auf die girl-and-her-piano-Sache), Kate Havnevnik, Natalie Merchant und Sia. Kate Nash ist auch klasse, passt aber nicht so ganz in meine momentane Gefühlslage.
Seht ihr, wie geschickt ich jetzt abgelenkt habe? Eigentlich sollte die Musik ja dazu dienen, meine Stimmung zu verdeutlichen. Also:


Das trifft's schon ziemlich genau. Oder auch das hier:


Oder am besten das hier (bis zum Ende angucken, das wird am Schluss richtig stark):


Jetzt habe ich euch dazu gebracht, stundenlang Videos zu gucken, und mich elegant um Worte gedrückt. Dabei sollten doch Worte meine Spezialität sein. Und eigentlich kann ich ja auch ziemlich genau sagen, wie's mir geht: ich bin traurig.
Der Schwindel hat ziemlich nachgelassen und kommt nur noch ganz selten kurz durch. Eigentlich fühle ich mich emotional recht stabil, mit der Tendenz, mir etwas mehr Sorgen zu machen als zu den besten Alles-Egal-Zeiten, aber nicht annähernd so wie zu Depressionszeiten. Vielleicht fällt's mir nur mehr auf, weil ich eben jetzt beim Medizin-Absetzen besonders drauf achte.
Und heute bin ich eben traurig. Melancholisch. Ein bisschen unglücklich. Über nichts bestimmtes, einfach nur so. Angefüllt von einem Gefühl. Und wieder mal trifft jemand anders genau das, was ich sagen will, am besten mit einem Songtext:
I need the darkness
The sweetness
The sadness
The weakness
Oh, I need this...

07 April 2008

Whuuiiiiiiiiiiiiiiieeeeee - Halbtagsschwindel

Die Überschrift sagt eigentlich schon alles darüber, wie's mir grade geht. Sprachverwirrt (Mischung aus dt. hui und engl. whee), leicht überdreht, völlig rational und klar, und vor allem schwindelig. Genauer gesagt ist mir meistens einen halben Tag lang schwindelig - so richtig scheußlich, als ob man gleich umfällt, nicht so lustig, wie wenn man was getrunken hat - bevor die halbe Dosis der Tabletten, die ich noch nehme, wieder wirkt und mich rein gleichgewichtstechnisch stabilisiert. Das ganze fühlt sich an, als stünde ich unter einer großen Glocke, auf die jemand in unregelmäßigen schwungvoll mit einem großen Hammer draufhaut.
Emotional spüre ich bis jetzt nicht viele Auswirkungen, und wenn dann eher positive: meine Stimmung euphorisch zu nennen, wäre zu viel, aber manchmal - häufig - ist sie durchwegs positiv. Besser als durchschnittlich. (Ihr seht, ich habe in der Klinik brav meine Lektion gelernt: Nicht einfach sagen 'Es geht mir gut', weil das jeder immer sagt, und es alles von super bis bescheiden heißen kann. ;))
Außerdem bin ich sehr motiviert was zu arbeiten. Da kam mir letzte Woche der Anruf von einer Übersetzungsagentur ganz recht, die eine furchtbar dringende Übersetzung Japanisch - Deutsch zu vergeben hatten. Voller Begeisterung nannte ich einen hohen Preis (gestiegenes unternehmerisches Selbstbewusstsein + schlecht lesbarer Text), und versprach, dass der Termin kein Problem war. Dummerweise wollten die einen Preis für den Quelltext (nicht wie in D üblich den Zieltext). D.h. ich musste meine Preise irgendwie umrechnen. Und das schnell, sie hatten's ja eilig. Jetzt hoffe ich ganz stark, dass ich die Herstellerfirma der Tabletten dazu bringen kann, mir die Differenz zu zahlen, um die ich mich zu meinen Ungunsten verrechnet habe (ca. Faktor 3).
Nachdem mir das bewusst geworden war, war ich einigermaßen missgestimmt. Was mir allerdings wirklich die Laune verdarb, war die Erkenntnis, dass ich mich auch um einen Tag vertan hatte. D.h. ich hatte nicht zwei, sondern nur einen Tag Zeit.
Ich erinnere mich, dass ich in der Grundschule Schwierigkeiten mit den Wochentagen hatte, aber das ist ungefähr 50 Jahre her. (Hab ich mich jetzt wieder verrechnet?).
Trotzdem, ich habe die Übersetzung überpünktlich abgeliefert, großes Lob (und wenig Geld) von der Agentur kassiert, Folgeaufträge in Aussicht, und übers Wochenende auch noch so ziemlich jeden Kampf gegen unseren neuen Computer gewonnen.
Also, erste Zwischenbilanz: positiv!
Weitere Berichte aus der Schwindel-Käseglocke folgen.

02 April 2008

Auf Entzug

Heute beginnt der Rest meines Lebens - ohne Medikamente. Sprich, ich habe angefangen, meine Alles-Egal-Pillen abzusetzen, natürlich wie immer in Absprache mit meinem Arzt. Das ganze geht ganz sanft und langsam vor sich. Also erwartet mich wohl kein cold turkey. Sondern?
Neulich hab ich mal eine Tablette vergessen. Abends hatte ich prompt das Gefühl, dass es mir wieder schlechter ging. Ich lag im Bett und grübelte vor mich hin - und hörte ganz von selbst wieder auf. Das war neu. Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, dass das geht, wenn's soweit ist.
Ohnehin habe ich das Gefühl, dass die Wirkung des Antidepressivums in letzter Zeit nicht mehr so stark ist. Ich träume zwar immer noch wild, aber lang nicht mehr so intensiv wie am Anfang. Meine Bettlaken muss ich auch nicht mehr so oft wechseln. Und egal... ist mir schon noch vieles, aber nicht ausschließlich immer. Also wird das vielleicht tatsächlich ein sanfter Abschied.
Halten Sie das aus?, hat mich mein Psychiater gefragt. Eigentlich fühle ich mich stabil genug dafür. Nur Leos Arbeit macht mir Sorgen. Die ist zur Zeit so extrem belastend (ja, noch mehr als sonst, ich hätt's auch nicht für möglich gehalten), dass es schon mit Tabletten unerträglich ist.
Also werde ich einfach mein bestes geben, alle Tricks und Strategien anwenden, die ich in der Klinik so gelernt habe, vielleicht grübeln, aber auch wieder damit aufhören, und wenn ich's gar nicht mehr aushalte, viele viele wirre Blogeinträge schreiben. :)
Goodbye Trevilor!

29 März 2008

Friedliche Träume?

Neulich habe ich vom Dalai Lama geträumt. (Vielleicht sollte ich nochmal erwähnen, dass ich seeeehr abstrus träume, seit ich meine lieben Tabletten nehme; manchmal gruselt mich das ein bisschen, aber alles in allem werde ich diesen Teil der Nebenwirkungen sicherlich vermissen.) Jednefalls habe ich geträumt, der Dalai Lama sei in einem Keller gefangen, und kam bekam mehr oder weniger zufällig die Gelegenheit, ihm bei der Flucht zu helfen.
Sicherlich spielen da die aktuellen Nachrichten eine große Rolle. Aber vielleicht ist das auch wieder so ein Wink mit dem Zaunpfahl meines Unterbewusstseins. Eine Auseinandersetzung damit, was eigentlich gut und was böse ist? Vielleicht damit, was es für mich, für mein Verhalten bedeutet?
Eigentlich bin ich kein Schwarz-Weiß-Denker. Ich kann (manchmal, einigermaßen) mit Schuld umgehen, kann Leuten verzeihen, wenn sie Mist gebaut haben, finde sehr wenige Leute einfach nur ausschließlich verabscheuungswürdig (und auch sehr wenige nur ausschließlich makellos), und warte immer ab, bis mir jemand persönlich was böses tut, bevor ich beginne, ihm zu misstrauen (sprich, mich vor jemandem zu 'warnen' ist relativ hoffnungslos - seufz). Aber auf einer sehr fundamentalen Ebene glaube ich schon, dass es Dinge gibt, die einfach nur gut oder böse sind.
Die Einhaltung der Menschenrechte zum Beispiel (gut). Frauenzeitschriften (böse). Gewaltverzicht (gut). Oder?
Der Dalai Lama, so wenig ich schändlicherweise über ihn weiß, ist ein Mensch, den ich grenzenlos bewundere, weil er (wenn man den Medien glauben darf) für Werte steht, die ich für gut und erstrebenswert und dringend für die ganze Menschheit notwendig halte, und diese so unheimlich konsequent lebt, obwohl sein ganzes Volk darunter leiden muss.
Moment.
Hat man mir nicht grade in monatelanger intensiver Therapie eingebläut, dass es gut ist, Grenzen zu ziehen, für sich einzustehen, sich zur Wehr zu setzen? Dass zumindest zur Selbstverteidigung ein gewisses Maß an Gewaltausübung nicht nur gut, sondern unabdingbar ist? Wären die Tibeter nicht besser dran, wenn der Dalai Lama mal auf den Tisch hauen würde, und sagen, so liebe Chinesen, jetzt reicht's, wir schmeißen euch raus? Klar würden dann erstmal viele Leute ihr Leben lassen, aber vielleich, vielleicht würde ja jemand helfend auf Tibets Seite eingreifen...? Zumindest hätten sie dann alles versucht.
Allerdings wäre das dann auch der ernüchternde Beweis, dass wir (die Menschheit) uns wohl nie von unserer Tendenz, andere zu verletzen, auszubeuten und ihnen Gewalt anzutun, wenn wir es können, lösen können. Dass diese höhere Evolutions- oder Erleuchtungsstufe vielleicht einzelnen zugänglich ist, dass der Traum von einer gänzlich friedfertigen Menschheit aber nicht realisierbar ist.
Die Frage ist, ist dieses Streben nach einem höheren Ideal es wert, das ganze Leid und die Unfreiheit und die Unterdrückung auszuhalten? Die meisten Tibeter scheinen das trotz allem zu denken. Eine Frage der Abwägung, vor die ich nicht gestellt sein möchte. Auch dafür ist der Dalai Lama (und sein Volk) zu bewundern. Ob er manchmal zweifelt?
Vor einer Frage der Abwägung steht wohl zur Zeit auch jeder Sportler und jeder Funktionär des IOC. Was ist mir wichtiger? Meine Karriere, auf deren Höhepunkt ich lange Jahre hingearbeitet habe... oder mein Gewissen, dass ich durch meine Teilnahme damit belaste, einem Staat, der von Menschenrechten nicht viel hält, eine Propagandaplattform und internationale Bestätigung zu bieten.
Wem diese Frage noch nicht zynisch genug ist, hier noch ein paar kleine Informationshappen zum Selberzusammenbasteln:
China baut grade ganz viele grandiose Sportstadien.
In China gibt es die Todesstrafe.
Hinrichtungen sind in China öffentliche Großereignisse, die auf Massenwirkung abzielen.
Massenveranstaltungen werden gerne in Sportstadien abgehalten.
Hat jemand Lust, Olympia zu gucken?

26 März 2008

Osterschmausgraus

Ostern scheint komische Dinge mit den Ernährungsgewohnheiten durchschnittlicher Mitteleuropäer (wo kam dieser Ausdruck denn jetzt her?) zu machen. Und damit meine ich nicht nur Leo und mich, die wir uns am Ostermontag spontan mit Carsten beim All-you-can-eat-Sushi fast zu Tode gegessen haben. Fisch ist ja irgendwie noch vage österlich. Schokohasen passen allerdings viel besser. Die haben nur den Nachteil (und da haben sie wieder was mit japanisch zubereitetem Fisch zu tun, zumindest mit den Baby-Garnelen), dass sie einen so niedlich angucken, dass man's gar nicht mehr übers Herz bringt, sie zu essen. Oder noch schlimmer, der Schokolade nicht widerstehen kann, und dann Gewissensbisse (no pun intended) bekommt. Wie mein Neffe Marlin, der sich durch so viel Mitgefühl definitiv eine Zillionen Karmapunkte (reicht für die Senator Lounge zwischen den Wiedergeburten) verdient hat.
Und dann ist da noch meine Nichte Lisa, 10 Jahre alt und Vegetarierin aus Überzeugung (sogar die Fische tun ihr leid, was mindestens genauso viele Karmapunkte gibt - die Senator Lounge wird voll!). So widerstand sie bei ihrem Besuch in HH allen lokalen Spezialitäten wie Krabbenbrötchen, Fischsuppe, und was wir ihr sonst noch so aufschwatzen wollten. Bis die Currywurst kam. Die wurde bekanntermaßen in Hamburg (nicht Berlin) erfunden, und gehört somit in die Kategorie Kulturgut (nicht Schweinefleisch). Außerdem kann sie nicht niedlich gucken. Offenbar verfügt aber auch die Currywurst über hohe ethische Standards und lehnt es ab, sich im Magen eines Vegetariers aufzuhalten. Ich spekuliere jetzt mal nicht weiter darüber, ob auch die Wurst in der Senator Lounge landet, weil sie noch nicht ganz aus dem Teppich raus ist. Statt dessen taue ich lieber das Hackfleisch fürs Abendessen auf, gewöhne mich an den Gedanken, in der Holzklasse zu sitzen und wünsche nachträglich frohe Ostern gehabt zu haben!

11 März 2008

Mehr Musical

Und weil wir in den letzten Einträgen schon wieder so schön musikalisch waren, hab ich gleich noch einen: Meine Mutter, der Held (was wiederum die Anspielung auf einen Filmtitel ist), hat es geschafft, die Videoaufnahme von unserer legendären Hair-Aufführung aufzutreiben. Damals war ich 18, eigentlich hauptberuflich Mauerblümchen, und selber völlig überrascht, wie sehr ich im Schulchor auf einmal aus mir herausgehen konnte. Die Aufführung war ein voller Erfolg, der Chor und die Solosänger sind über sich hinausgewachsen, und das Publikum war begeistert. Dachte ich. Also, ok, das Publikum wirkte wirklich einigermaßen enthusiastisch. Aber wir waren... naja, wie soll ich sagen... bestes Material für DSDS und co. Für die, die gleich am Anfang mit viel Schimpf und Schande rausfliegen, zur Belustigung des blutgierigen Mobs und der schadenfroh-hämisch zu Hause wartenden Klassenkameraden aber immer und immer wieder gesendet werden, um sicherzustellen, dass die Blamage eine totale und endgültige ist. Inclusive der inspirierenden Kommentare des Dieter B., für den Fall, dass den mobbinglustigen keine eigenen einfallen. Nun gut, zum Glück passiert das mit unserem Video nicht. Die Aufführung werde ich trotzdem immer in guter Erinnerung behalten. Ich hatte Spaß, keiner hat mit wegen Körperverletzung verklagt, und hinterher war ich ein paar Wochen lang ein ganz kleines bisschen berühmt (innerhalb der Schule). Was allerdings vielleicht nicht an meiner Gesangeskunst lag.
Viele von euch erinnern sich sicher, dass ich ihnen die Geschichte von meinem unfreiwilligen Striptease erzählt habe, die damit endete, dass ich praktisch nackt vor 800 Leuten auf der Bühne stand. "Praktisch nackt. Schon klar", habt ihr euch wahrscheinlich gedacht, während ihr pflichtschuldigst gelacht und mich bemitleidet habt. "Die übertreibt doch maßlos." Ganz ehrlich: Ich dachte selbst, ich übertreibe. Schließlich hab ich's ja nicht gesehen. Zwar glaube ich mich deutlich an ein wahres Blitzlichgewitter zu erinnern, während ich endlose Sekundenbruchteile mit den Armen über dem Kopf und dem kleinen Finger im BH verhakt dastand, aber irgendwie hat mir nie jemand Fotos davon gezeigt. Also hat meine Erinnerung das ganze wohl mit der Zeit (evtl. aus Selbstschutz?) ins Reich der suburban legends verbannt, und nur meine Liebe zum Geschichtenerzählen hat mir eine Rechtfertigung geboten, das ganze als die reine Wahrheit zu verkaufen (sonst wär's ja nur halb so lustig). Tja, und jetzt hab ich den Beweis: es ist tatsächlich so passiert, und ich war tatsächlich fast nackt! Das Leben imitiert die Fiktion. Oder umgekehrt. Eine nur zu gerechte Strafe für meine vermeintliche schamlose Übertreibung? Bzw. poetische Gerechtigkeit: jetzt darf ich mir raussuchen, für was ich mich mehr schämen darf.
Aber alles in allem war's doch eine geniale Aufführung. :-)

10 März 2008

Lucy in der Luft

Dialoge, die nur sonntags um 5h morgens geführt werden können, wenn Leo grade von der Arbeit heimkommt.
L: Ich kann noch nicht einschlafen.
T: (im Halbkoma) Wie war's denn?
L: Spannend, aber der Mordverdacht hat sich nicht bestätigt.
T: Mmfmffmmschnarch.
L: Auf der Rückfahrt hab ich eine interessante Dokumentation über LSD im Radio gehört.
T: (deren Gehirn sich verselbständigt und vom Schlafzentrum abkuppelt): Wofür steht eigentlich LSD nochmal genau?
L: Irgendeine Säure. In der Dokumentation haben sie gesagt -
T: Lysergsäure... irgendwas. Oder?
L: Ja, glaub schon.
T: Und warum heißt das dann auf Englisch auch so?
L: Das kam in dem Bericht, das hat ein Schweizer erfunden.
T: Ah, gut, sonst würde ja das Lied nicht mehr stimmen.
L: Lied...?
T: Na, Lucy in the Sky with Diamonds. Da müsste doch dann ein A kommen, für Acid.
L: Ach so. Naja, dann eben Lucy in the Air with Diamonds. Ganz einfach.
T: Weißt du, dass ich dich anbete?

06 März 2008

Mr. Todd + Mrs. Lovett

Ich weiß, es ist nicht ganz legal, aber diesen Clip aus Sweeny Todd kann ich euch einfach nicht vorenthalten.
NACHTRAG: Ich seh schon, so geht das nicht. Die nehmen die Clips schneller wieder vom Netz, als ich sie hier einbinden kann. Also, nochmal ein Versuch, in zwei Teilen, es fehlt auch was wesentliches, aber wie Britta schon sagt: Film angucken!
Teil 1:


Teil 2:


Darin geht es nämlich um Leo und mich: den Mann, der ständig mit scharfen Messern Leute aufschneidet, und die Frau, die nicht nur aus Liebe zu ihm mitmacht, sondern auch noch selber kreativ und aktiv mitarbeitet.
Ist das nicht zum Verlieben? ;)

04 März 2008

Hunger!

Es ist echt aufregend, sich selbständig zu machen. Vor allem, wenn man von Anfang an Kunden hat, kleine wie große. Mittlerweile hab ich schon die dritte Rechnung geschrieben, was neben dem Übersetzen selbst der größte Spaß an der Sache ist. Noch spaßiger wär's, wenn ich die Rechnungen tatsächlich wegschicken könnte. Damit die Kunden auch wissen, dass sie mir Geld geben sollen. Theoretisch ist denen das natürlich klar, aber ohne Rechnung können sie's natürlich nicht machen. Ich bin mir relativ sicher, dass diese Tatsache auch dem Finanzamt bewusst ist. Bei dem ich vor ca. 3 Wochen eine Steuernummer beantragt habe. Die laut Gesetz auf jeder Rechnung stehen muss. Was sonst so im Hirn des Finanzamts (ist das jetzt ein Oxymoron?) vorgeht, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen. Gestern habe ich da angerufen. Was denn meine Steuernummer macht, das sollte doch nur ein paar Tage dauern, wurde mir gesagt. Nach einer halben Stunde wurde ich zurückgerufen.
Finanzamt: Ja, Ihr Antrag liegt bei der Kollegin ganz oben auf dem Stapel.
Tanja: (Das ist ja schön.)
F: Es gibt da nur eine Unstimmigkeit.
T: (Ach?)
F: Sie wollen von der Kleinunternehmer-Regelung Gebrauch machen, d.h. Sie führen keine Umsatzsteuer ab. Aber Sie haben angekreuzt, dass Sie eine Umsatzsteuer-ID brauchen.
T: Ja, hab ich. Nachdem ich zweimal bei Ihren Kollegen nachgefragt habe. Ich will nämlich Rechnungen ins Ausland stellen. Dazu brauch ich die Umsatzsteuer-ID, wurde mir zweimal gesagt.
F: Ah. Ok. Dann... kümmere ich mich drum.
Das ist also eine Unstimmigkeit? Man fragt nach, was man in dem äußerst seltenen Sondernfall, dass man Kunden im EU-Ausland hat, tun soll. Und wenn man seine Kreuzchen auf dem Formular dann wie angewiesen macht, ist das eine Unstimmigkeit, die dazu führt, dass man den Antrag (auf dem ungefähr viermal meine Telefonnr., Handynr. und Email-Adresse stehen) erstmal, zugegebenermaßen ganz oben, liegen lässt, weil man nix damit anzufangen weiß?
T: Äh. Kann ich denn in der Zwischenzeit trotzdem schon mal Rechnungen ausstellen? Und die Steuernummer nachreichen? Oder ein Provisorium verwenden?
F: Nein, das geht nicht. (Pause)
T: Ah. Gut, dann freue ich mich auf Ihren Rückruf, und hoffe, dass ich dann noch nicht verhungert bin.

29 Februar 2008

London: It all falls into place

Sorry, eigentlich sollte ich als Super-Profi-Übersetzer diese Überschrift auf Deutsch liefern können, aber nachdem ich grade einen monströsen Übersetzungstest für eine große Firma gemacht habe, für die ich gerne arbeiten würde, ist mein Hirn bereit fürs Wochenende.
Wochenende. Letztes. Da waren wir spontan in London. Anke besuchen. Und Matthias. OK. Telegrammstil Ende. Es war ein geniales Wochenende, wir hatten so viel Spaß, und ein bisschen von allem: Sehenswürdigkeiten, Pubs, Musical, Pubs, altehrwürdige Gebäude (viele davon Pubs), Ausstellungen, Rollenspiel, Pubs, und außerdem mehr Ale/Stout/Lager/Cider, als ich aufzählen kann. Ohnehin ist es ein Wunder, dass ich diese Woche überhaupt in der Lage war, irgendwas zu übersetzen. Eigentlich sollten meine Wort-Ressourcen völlig aufgebraucht sein, so viel wie ich die ganze Zeit geredet habe.
Es gab aber auch so viel zu kommentieren. Allein der ca. 500 Jahre alte Pub, in dem wir am ersten Abend gegessen haben, hat mindestens 20 verschiedene Geschichten inspiriert, natürlich komplett mit Mord, Totschlag, Ehebruch und Kreuzzug. Wer Details wissen will, muss sich gedulden, bis ich es schaffe, ein entsprechendes Buch zu schreiben.
Generell hatte ich das Gefühl, dass sich an dem Wochenende praktisch alles wie von selbst zusammengefügt (= korrekte Übersetzung für 'fall into place') hat. Zum Beispiel: Am ersten Tag sind Leo und ich zuerst in eine Ausstellung über "London at war" gegangen, die die Zustände während der deutschen Luftangriffe darstellte. Sehr eindrucksvoll, und interessant, den zweiten Weltkrieg mal aus einer nicht ausschließlich traurig-entsetzt-schamerfüllten Perspektive zu sehen. Danach spazierten wir ungefähr fünfmal über die Tower Bridge, wobei Leo mir erzählte, dass die Raben im Tower der Legende nach dem Königreich Glück bringen. Wenn sie jemals den Tower verlassen, wird das Königreich untergehen, heißt es. Das ist der Grund, warum die Raben Mitglieder der britischen Armee sind und als solche Sold beziehen. Royal Air Force, nehme ich mal schwer an. Da die Engländer sehr an ihren Sterling-Pfunden hängen, habe ich mich diesmal nicht getraut, danach zu fragen, in welcher Währung - vielleicht Sonnenblumenkernen? - die Vögel bezahlt werden. (Das letzte Mal, als ich im Pub einen Kollegen beiläufig fragte, ob England sich nicht auch irgendwann mal bequemen wollte, zum Euro überzulaufen, wäre ich beinahe von der Wirtin rausgeschmissen worden.)
Hinter dem Tower blieben wir stehen, um die informativen Schilder zu lesen (keineswegs, um das Königreich und sein berühmtestes Gefängnis in irgendeiner fiesen deutschen Weise zu bedrohen), flog schließlich eine Kamikaze-Möwe (Sah jedenfalls nicht nach Rabe aus. Entweder war sie ein bezahlter Söldner, oder ein vom Feuer der WWII-Luftangriffe schrecklich entstellter Veteran.) einen todesmutigen Luftangriff und traf Leo mitten ins Herz. Naja, zum Glück war die Jacke dazwischen und wir konnten die Sauerei unter Einsatz diverser Taschentücher einigermaßen beseitigen. Aber so war das das ganze Wochenende durch: alles passte irgendwie zusammen. Und inspirierte mich, jede Menge Blödsinn zu erzählen, wie ihr grade lesen konntet.
Danke für das schöne Wochenende, liebe Londoner!
London 2008

14 Februar 2008

Angst!

Also, irgendwas mach ich falsch.
Zur Zeit lese ich naturgemäß im Internet recht viel über die Übersetzungsbranche. Diverse Foren halten Tipps für Einsteiger bereit, wie 'lass Dich nicht entmutigen, am Anfang ist das Geschäft immer zäh, rechne damit, dass Du die ersten Aufträge erst nach ein paar Monaten bekommst, bei mir hat's ein Jahr gedauert' uswusf.
Deswegen war ich ja schon erstaunt, dass das mit dem Japanischen Auftrag so ohne weiteres geklappt hat. Hab mich gefreut, das unter Anfängerglück verbucht. Und mir lauter schlaue Marketing-Maßnahmen und Strategien überlegt, wie ich an Kunden rankommen könnte.
Jetzt bin ich grade dabei, den dritten Job an Land zu ziehen, und habe schon zwei cold calls (oder sagt man bei Emails cold mails?) von potentiellen Kunden bekommen, die mich gerne beschäftigen wollen. Außerdem eine Entschuldigung von einem Auftraggeber, bei dem ich mich beworben hatte, der sich für einen anderen Anbieter entschieden hat. Er würde mich gern in Zukunft direkt kontaktieren, wenn er einen Auftrag zu vergeben hat.
Geht's noch? Ich komme vor lauter Kundenanfragen gar nicht dazu, meinen Businessplan aufzustellen (den ich zur Beantragung des Gründerzuschusses vom Arbeitsamt brauche - die Frage ist, brauche ich den Zuschuss noch?).
Da kann doch was nicht stimmen. Irgendwo muss doch da der Haken sein?
Angst...!

11 Februar 2008

10 Dinge, die ich daran hasse

16:21 Uhr. Das ist mit präziser Regelmäßigkeit die Uhrzeit, zu der meine Konzentration beim Übersetzen so stark nachlässt, dass weiterarbeiten keinen Sinn macht. Immerhin ist es schon sehr hilfreich, mein eigenes Privatbüro zu haben, in dem das Telefon nur sehr selten klingelt, und die einzigen, die mich unterbrechen, zwei Fellbälle sind, die auf meinen Schoß wollen.
Trotzdem nehme ich mir kurz die Zeit für eine Pause und eine kurze Bestandsaufnahme. Mein Schreibtisch, stolze 80 x 180 cm, ist bedeckt mit Lexika, Papier, Teetassen und leeren Schokoladenverpackungen. Ich habe keinen Kaffee mehr, und ich meine nicht fertig gekochten, nein, das Pulver ist ausgegangen. Und Japanisch ist bescheuert. Mehr als jede andere Sprache auf dieser Welt. Ganz sicher.
Es geht los mit der Übersetzung des Namens des Autors. Er heißt mit Vornamen Takeshi. Oder Takeru? Isamu wäre auch möglich, genauso wie Takashi oder 5 (!) weitere Lesungen. Für seinen Nachnamen liefert mein Lexikon immerhin nur insgesamt vier Varianten. Wie kann so eine Gesellschaft überleben?
Ich verstehe ja, dass man eine Sprache nicht von vornherein ausländerfreundlich gestaltet. Sprich, es ist zwar lästig für mich, dass ich mindestens drei Lexika (eins zum Nachschlagen der Lesung von Zeichen, die ich nicht kenne, eins zum Nachschlagen ihrer Bedeutung auf Deutsch, und eines von Deutsch nach Japanisch) brauche. Dank fortschrittlicher Technologie hab ich das mittlerweile auch alles elektronisch, so dass ich nicht so viel schleppen muss. Aber diese chinesischen Zeichen können gerade bei maschineller Textverarbeitung manchmal schon ein richtiger Fluch sein. Ein Tippfehler bedeutet nämlich nicht, dass man statt eines anderen Buchstabens, der ähnlich klingt, ein anderes Wort, das gleich gelesen wird, schreibt. Das führt zu so schönen Blüten wie "mehrfaches traditionelles Gedicht in Chlorid" statt "Polyvinylchlorid".
Und nicht nur das. Ähnlich wie im Deutschen zählt es im Japanischen zum guten Schreibstil, Wortwiederholungen zu vermeiden. D.h. für ein und dieselbe Sache werden auch in wissenschaftlichen Texten exzessiv Synonyme verwendet. Was mich als Übersetzer vor die Frage stellt: ist etwas anderes gemeint, oder ist der Autor ein Bildungssnob, der durch die Verwendung möglichst seltener Zeichen glänzen will? Diese sind dann oft nicht in normalen Lexika zu finden. Das Wort 'Wechselstrom' heißt z.B. kouryuu-denatsu (wechselnd fließender Strom). Das kam öfters im Text vor, doch dann war plötzlich von kouban-denatsu. Kouban heißt laut Lexikon 'Polizeistation'. Und nichts anderes. In einem Internet-Glossar habe ich noch die Übersetzung 'alternate' gefunden, und nach langem googlen bin ich auf eine Seite gestoßen, die (natürlich auf Japanisch) erklärte, dass beide Worte synonym zu verwenden sind. Polizeistation-Strom? Na, wenn's poetischer klingt...
Überhaupt sind sich das Deutsche und das Japanische viel zu ähnlich. In beiden Sprachen kann man endlose zusammengesetzte Worte bilden, und beim Thema Bandwurmschachtelsätze (QED) sind uns die Japaner sogar noch überlegen. Deswegen kommt bei meinen Übersetzungen oft ein Ergebnis raus, das man nur verstehen kann, wenn man den Satz systematisch auseinandernimmt (Erinnert euch mit Grausen an den Lateinunterricht, sofern ihr so etwas durchleiden musstet!). Besonders stolz bin ich auf eine Konstruktion, in der, grammatikalisch und inhaltlich korrekt, aber linguistisch grauenvoll, dreimal hintereinander 'der' vorkam. Zwei Sprachen, die so etwas hervorbringen können, sollten strikt getrennt gelagert/gehalten werden.
Und dann sind da noch die Arbeitsmaterialien. Dass mein geliebter Nelson (kein Kotelett, sondern ein Lexikon) mittlerweile fast auseinander fällt, muss ich wohl akzeptieren. Schließlich gibt es adäquaten elektronischen Ersatz. Die meisten im Internet erhältlichen Lexika sind sogar ganz gut. Aber alle Japanisch - Englisch. Und manchmal brauch ich den exakten deutschen Ausdruck, nicht den englischen. Ob dazu allerdings mein ebenso altes Sanseidos Concise Lexikon das richtige ist, wage ich zu bewzweifeln. Das ist von Japanern für Japaner gemacht, und wurde offenbar nie von einem Deutschen lektoriert. Neulich bin ich an einem Beispielsatz hängengeblieben, der auf Japanisch lautete 'Möchten Sie vielleicht einen Tee?'. Auf Deutsch übersetzt wurde daraus bei Sanseido 'Wollen Sie etwa Tee trinken?'. Und dabei sagt man den Japanern so ein feines Gespür für Nuancen nach... Aber was erwarte ich von einem Lexikon, das 'yakiimori' in seinen Wortschatz aufnimmt, und das mit 'verkohlter Wassermolch' übersetzt.
Waren das jetzt zehn Dinge? Egal, der Punkt ist, man wird wirr im Kopf, wenn man sich zu viel mit dieser Sprache beschäftigt. Was zu beweisen war...

Alive and kickin'

Was ein Sprachgenie mal mit 'lebendig und heiß auf mehr' übersetzt hat. Ja, und so geht's mir grade. Ich habe eine Woche lang übersetzt wie ein Weltmeister, mir kaum eine Pause gegönnt, meinen Rücken und meine Augen durch ständiges Am-Computer-Sitzen malträtiert wie nichts gutes, und weiß jetzt wieder sehr genau, warum ich die japanische Sprache für eine der bescheuertsten auf dieser Erde halte (dazu folgt ein separater Eintrag).
Aber ich lebe noch. Und nicht nur das: ich habe den wirklich schwierigen Text größtenteils verstanden, fast alle Fachworte gefunden, auch wenn sie in keinem Lexikon standen, habe Fehler im Original entdeckt und korrigiert, und war ein gutes Stück vor dem Abgabetermin fertig. Und was mich besonders gefreut hat: Mein Vater, der so lieb war, das ganze zum Schluss nochmal gründlich durchzukorrigieren und für den Fachmann lesbar zu machen, kommentierte meine Übsetzung mit einem (nicht neu-türk/hip-hop-deutschen, sondern schwäbisch-minimalistischem) "Respekt". Deswegen bin ich jetzt echt stolz auf mich.
Und habe echt Lust, so weiterzumachen. Diese Art von selbständigem Arbeiten ist genau das, was ich will: ich kann mir meine Zeit sehr frei einteilen (mehr oder weniger, Eilaufträge lassen da nicht viel Spielraum, aber ob ich von 8-17 oder von 14-22 h übersetze, macht keinen Unterschied), ich kann im Jogginganzug arbeiten und nebenbei Nase bohren, ich mache eine Arbeit, von der ich was verstehe (ok, Ultraschalloszillatoren war vielleicht etwas gewagt, aber ich werd mich bestimmt nicht regelmäßig auf solche Aufträge einlassen), ich produziere etwas konkretes (ganz anders als Werbung), und vor allem muss ich nicht dauernd irgendwas darstellen, was ich nicht bin (Karrierefrau, vom Produkt begeistert, jung, dynamisch und erfolgreich...).
Jetzt muss ich nur noch drei Sachen hinkriegen:
1. Mit den Formalitäten fürs Finanzamt klarkommen, ohne dabei zur Radikalemanze zu werden. Als Selbständiger brauche ich eine extra Steuernummer. Was mir dort aber niemand gesagt hat, ist dass ich mit meinem (ebenfalls teilselbständigen) Mann gemeinsam veranlagt werde, und deswegen seine Steuernummer benutzen darf. Was bedeutet, dass er meine selbständige Tätigkeit anmelden muss. Ich darf den Antrag nur zusätzlich unterschreiben. Da fühl ich mich doch gleich wahnsinnig selbständig. Ähm. Na gut.
2. Kunden finden. Dazu wusel ich schon ganz eifrig durchs Internet, bewerbe mich hier und da, und hoffe, hoffe, hoffe... Solltet ihr jemanden kennen, der eine Übersetzung Englisch-Deutsch oder Japanisch-Deutsch (ggf. auch Japanisch-Englisch) braucht, immer her damit. Ich lese auch Korrektur oder texte, wenn gewünscht. Ihr kennt ja meine Schreibe und meine Sorgfalt (nein, Du schreibst nicht Pedanterie, nein, das ist nicht werbewirksam, nein!) was Rechtschreibung angeht.
3. Preise richtig einschätzen lernen. Für Japanisch-Übersetzungen hab ich bei der Konkurrenz im Internet eine Preisspanne zwischen 1,10 und 3,80 pro Zeile gefunden. Das verstehe wer will. Ich denke, ich werde mich sicher das eine oder andere Mal durch meine Preisforderungen aus einem Auftrag rauskicken, habe mir aber vorgenommen, nicht zu billig zu arbeiten. Mal sehen, ob ich das durchhalte.
Und überhaupt ist das alles furchtbar aufregend. Was ich natürlich nur sagen kann, weil ich einen Mann habe, der bereit ist, diese Abenteuer mitzumachen und mich finanziell abzusichern. Danke, Leo.

04 Februar 2008

Des Wahnsinns kesse Beute

Seit Januar bin ich ja, wie ich einigen von euch schon vorgejammert habe, wieder für den Arbeitsmarkt zu haben. Eigentlich wollte ich mir was ruhiges suchen, einen Halbtagsjob, als Sekretärin o.ä. Etwas, das mich nicht überfordert, Aufgaben, die ich durchwegs routinemäßig beherrsche, nur nichts weltbewegendes oder gar karriereverdächtiges. Aber natürlich kam es anders...
Ein alter Studienfreund war so nett, mir einen Auftrag als Übersetzer zu vermitteln. Nichts wahnsinnig großes, zwar anspruchsvolle, aber nicht besonders umfangreiche Texte, und nicht mehr als ein paar Seiten pro Woche. Insgesamt habe ich im Januar damit ca. 180 Euro eingenommen (vor Steuern, wohlgemerkt, wobei ich bei diesem Betrag vermute, dass gar keine Steuer anfallen könnten). Wie auch immer, ich bin auf den Geschmack gekommen:
Man sitzt gemütlich mit Tee und Katze auf dem Schoß im Wohnzimmer, wurstelt vor sich hin, und bekommt ein bisschen Geld dafür. Warum das nicht ausbauen. Also beschloss klein-Tanja, sich in die Welt der Selbständigkeit zu wagen.
Obwohl sich auf meinem Tisch sogleich Berge von auszufüllenden Formularen stapelten, begann ich voller Elan, gleich mal ein bisschen Akquise zu betreiben, mir den Markt anzuschauen, was man so für Preise verlangen kann, wieviel Konkurrenz es gibt, und was man eben sonst noch so wissen muss.
Und jetzt sitze ich vor 12 Seiten eines japanischen Fachtextes über Ultraschalloszillatoren (oder sowas? keine Ahnung!?!), den ich bis Montag übersetzt haben muss. Und hatte auch noch die Kühnheit, von meinem ersten selbst akquirierten Auftraggeber im Nachhinein eine Preiserhöhung zu verlangen (die der geschluckt hat, obwohl mein erstes Angebot schon eher hoch war). Und werde wahrscheinlich die nächsten Nächte nicht schlafen, bis die Übersetzung fertig ist, von der ich inhaltlich keine Ahnung haben werde, was sie bedeutet, und dann muss Leo mich prügeln, damit ich sie trotzdem an den Auftraggeber schicke, anstatt einfach auszuwandern und meinen Namen zu ändern...
Ist das hier das, was ich geplant hatte? Hm. Nicht so wirklich.
Ist es etwas, das ich will? Ich bin geneigt zu sagen: Ja.
Fragt mich nächsten Montag nochmal...

27 Januar 2008

Das blöde Appellohr

Eigentlich hatte ich überlegt, dass ich diesen Eintrag mal wieder mit einem Songzitat überschreibe. Da ich dann aber gleich zu Anfang losschimpfen würde, kommt das erst später. Statt dessen erstmal eine Familienszene.
Meine Familie sitzt am Tisch. Meine Eltern, mein Bruder mit Kleinfamilie und Leo und ich als ebenfalls frischgebackene Kleinfamilie. Mein Bruder denkt laut: Ob ich noch ein Bier will? Wohlgemerkt, alle am Tisch (sogar Marlin) können laufen, wissen wo der Kühlschrank ist, können ihn öffnen, ein Bier rausholen und es an den Tisch tragen, so sie sich denn entschließen, eines zu wollen. (Ok, Marlin *sollte* das nicht tun, aber er könnte.) Und was passiert? Meine Mutter steht auf und holt eins, obwohl mein Bruder sie nichtmal angeschaut hat. Aber scheinbar hört sie vieles, was gesagt wird, mit einem speziellen Appellohr, das sie sofort dazu bringt, darüber nachzudenken, ob das gesagte eine Aufforderung an sie war, oder vielleicht zu einer werden könnte, und dieser vorauseilend zu folgen.
Leider habe ich dieses Appellohr geerbt. Das ist mir heute mal wieder bewußt geworden. Anke, Christine und Martin waren übers Wochenende bei uns. Am Sonntag ist Anke als erste aufgestanden, und hat sich selbst eine Tasse Tee gemacht. Als ich in die Küche kam und das merkte, hatte ich sofort ein furchtbar schlechtes Gewissen und habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich keine gute Gastgeberin/Freundin/Person bin. Dabei freue ich mich eigentlich, wenn sich jemand so wohl bei uns fühlt, dass er sich in der Küche selbst bedient. Das bedeutet, dass er mich so versteht, wie ich mich gerne verstanden wissen möchte: unkompliziert und locker und glücklich, wenn andere sich wohlfühlen.
Ich finde dieses Appellohrgehöre genauso blödsinnig, wie ihr Leser wahrscheinlich alle grade meine oben beschriebenen Gewissensbisse findet. Aber es ist verdammt schwer, dagegen anzukämpfen.
Und genau das will ich von meinem Mann verlangen. Sich das Appellohr abzuschneiden.
Ich weiß wie schwer das ist. Aber wenn man das auf Dauer beibehält, dann ist das nicht nur blödsinnig, sondern immens ungesund.
Wir hatten ein wunderbar entspanntes, verratschtes, lustiges Freundeswochenende mit unserem Besuch. Und das obwohl Leo, Martin und sogar ich (dazu mehr in einem anderen Post) arbeiten mussten. Aber trotz einiger Widrigkeiten haben wir uns terminlich irgendwie koordinieren können. Dann musste Leo zum Dienst. Eine Sorte Dienst, die er schon seit Jahren macht, in die er aber nie auch nur die geringste Einweisung bekommen hat. Was für den Ausführenden wie den (in diesem Fall sehr lebendigen) 'Kunden' extrem schädliche Auswirkungen haben kann. Supervision, um das zu verarbeiten gibt's auch nicht. Ich ernte immer nur ein resigniertes Lachen, wenn ich das anspreche, was die Reaktion seines Arbeitgebers auf ein derartiges Ansinnen seiner Mitarbeiter widerspiegeln soll.
Naja, Leo ist ein Naturtalent, er kann sehr gut mit Menschen umgehen, und er hat eh keine Wahl, also geht er zu diesem Termin. Ich fahre in der Zwischenzeit Anke zum Flughafen, während Christine Martin von seinem Arbeits-Termin abholt.
Ich erwarte die beiden zu Hause, um sie dann ebenfalls zum Flieger zu bringen. Kurz bevor sie ankommen, ruft Leo an. Er muss auf einen Aussentermin. Der Dienstwagen, der einzig für das ganze Institut existierende, wird zur Zeit von der Tochter des Chefs privat benutzt. Deswegen muss er - wie eigentlich immer, und zwar ohne die Möglichkeit, das als Spesen abzurechnen - selbes resigniertes Lachen - mit unserem Privatauto fahren. Er hat aber keine Zeit, heimzukommen und es abzuholen. Kann ich es ihm bringen? Klar kann ich, muss nur erst auf die beiden anderen warten, damit die wenigstens ihre Koffer schon mal packen können.
Im Institut stellt sich heraus, dass Leo mich nicht wie geplant gleich wieder heimfahren kann, weil noch Sachen zu tun sind. D.h. ich instruiere Martin und Christine per Telefon, welchen Bus sie nehmen müssen (zum Glück hab ich vorher nochmal nachgeschaut, wann der fährt), und kann mich nur von Ferne per Telefon verabschieden. Während Leo noch letzte Vorbereitungen erledigt, trage ich schon mal seine Gerätschaften in unser Auto. Vielleicht kann ich meinen Mann ja so wenigstens etwas entlasten. Lächerlich wenig. Resigniertes Lachen.
Und das ist genau der Punkt, der mich so rasend macht. Ich kann nichts tun. Unser Leben ist ein Jonglieren mit Terminen, ein Sich-Drumherum-Arrangieren, ein ständiges Kreisen um dieses Institut und die Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten und bescheuerten Ideen seiner Leitung.
Wie kann das funktionieren, wenn Mitarbeiter ihr eigenes Arbeitswerkzeug mitbringen müssen, keine Anleitung und Unterweisung für selbst die diffizilsten, kritischsten Aufgaben bekommen, sich totschuften, zwangsläufig Fehler machen müssen, ihre Krankheiten nur zu Hause auskurieren, wenn in der Arbeit grade keine Termine anstehen, was praktisch nie der Fall ist. Wie kann das funktionieren? Weil alle mitmachen. Weil alle sich gegenseitig einander so solidarisch verhalten, und versuchen, ihre Kollegen nicht noch mehr zu belasten, indem sie sich verweigern. Weil jeder mit dem Appellohr hört. Weil alle damit ständig ihrem Chef den Arsch retten. Und weil sie alle längst resigniert haben?
Ich habe aber keine Lust mehr, mich zu arrangieren. Ich will nicht resignieren. Ich habe genug.
Und... ich kann nichts, absolut nichts tun.
Jetzt kommen wir zum Songzitat: Tanja hört grade von Smoke City I feel in a devil of a mood...
Und da ich mich grade beruflich als Übersetzer versuche, übersetz ich das jetzt mal, literarisch-frei: Ich bin scheiß-wütend.
P.S. Ihr wißt ja alle, wo Leo arbeitet, aber bitte erwähnt das nicht explizit in euren Kommentaren, sonst bekommt er am Ende Schwierigkeiten. Uuups, jetzt hab ich's schon wieder getan. Ich hab seinem Arbeitgeber den Arsch gerettet.

23 Januar 2008

Plattform

Jetzt muss ich hier doch auch mal politisch werden. Neulich abend habe ich im Ersten mal wieder eine Diskussionssendung gesehen. Eigentlich mag ich das Ding nicht sonderlich gern, der Moderator ist einfach zu dämlich. Aber oft haben sie interessante Leute da, und dann guck ich's eben doch. Diesmal war das Thema - oh Wunder! - Jugendgewalt und was man dagegen tun kann. Sie hatten die Creme de la Creme des Themas da, unter anderem Koch und Zypries. Außerdem einen Mann von der Kripo, einen türkischstämmigen Grünen-Abgeordneten, und den Leiter eines Jugendhauses. Es wurde heftig und nicht immer sinnvoll, aber durchaus interessant diskutiert, der geschätzte Ministerpräsident ließ die ehrenwerte Justizministerin keinen Satz beenden, und der laut Recherche reformierte, gebesserte jugendliche Vorzeige-Gewalttäter stellte sich köstlicherweise als gar nicht so reformiert heraus. Zum Schluss fragte der Moderator jeden Gast, bei wem der Anwesenden er sich bedanken möchte. Der Grüne bedankte sich bei dem Jugendhausleiter und dem Polizisten für ihre Arbeit. Die Zypries, so wütend, dass sie kaum ein Wort herausbrachte, bedankte sich bei dem Grünen für die aktive Diskussion. Der Jugendhausleiter bedankte sich bei gar niemandem, weil er das Gefühl hatte, die Belange seiner Jugendlichen seien in der Diskussion zu kurz gekommen. Der Polizist bedankte sich beim Jugendhausleiter. Koch bedankte sich beim Moderator - für die Plattform, die er dem Thema verschafft hatte. Muss ich dazu noch was sagen?

19 Januar 2008

Bettnässer

Könnt ihr euch noch erinnern, wie es war, ins Bett zu machen? Nachts aufzuwachen, alles ist nass und kalt, und dann kommt jemand und kümmert sich, gibt einem was frisches zum Anziehen, bezieht das Bett neu, und man krabbelt wohlig, trocken und warm zurück in ein ebenso wohliges, trockenes und warmes Bett...
Ich hab mich nicht erinnert - bis vor kurzem.
Nein, keine Angst, ich hab nicht ins Bett gemacht. Und aufstehen und mich umziehen musste ich auch selber. Und statt das Bett frisch zu beziehen, habe ich meistens nur ein Handtuch untergelegt und die Decke gewendet. Aber das Gefühl hat irgendwie ganz alte Erinnerungen wachgerufen...
Ok, jetzt muss ich wohl erstmal aufklären: Letzte Woche war ich ziemlich erkältet. In Kombination mit meinen lustigen Alles-Egal-Pillen, die mich sowieso nachts in eine Art Mini-Hochofen verwandeln (steht sogar im Beipackzettel, wenn auch anders formuliert), hat mich diese Tatsache so ins Schwitzen gebracht, dass ich jede Nacht klatschnass aufgewacht bin. Nicht im übertragenen Sinne, sondern wirklich so, als käme ich samt Kleidern grade aus der Badewanne.
Jetzt ist die Erkältung vorbei, mein inneres Thermostat nähert sich wieder seiner normalen Funktionsweise an (nachts gemäßigt-trockenes, warmes Klima), und - was soll ich sagen? Ich stehe nachts auf, um ins Bad zu gehen, krieche zurück ins Bett, und vermisse irgendwie dieses geborgene, umsorgte alles-frisch-und-trocken Gefühl...

07 Januar 2008

Ode an die Sprache

Oder vielleicht sollte es eher Kommunikation heißen. Sprache klingt so nach 'Mund auf, Worte kommen raus'. Dabei kommunizieren wir ja mit allem was wir in (echter, virtueller, eingebildeter, zukünftiger...) Interaktion mit anderen tun. Insofern ist doch wieder alles Sprache: Durch unser Verhalten, egal wie geplant oder unbewußt, erzählen wir anderen etwas über uns. Kunst, wie ich sie verstehe, ist eine Ausdrucksform unseres innersten Selbst, eine Reflektion und Mitteilung an andere, wie die Welt auf uns wirkt. Liebe ist eine Art Muttersprache, die wir von allen lernen, die uns lieben, die es vorgeben, oder es eben nicht tun.
Wie schädlich und schmerzvoll es ist, nicht zu sprechen, nicht auszudrücken, was in mir ist, habe ich bewusst erst in der Therapie gelernt. Erfahren hab ich es schon vorher, sonst wäre ich nicht krank geworden. Und seither wundere ich immer wieder über diesen seltsamen Mechanismus, dem die Menschen unterworfen scheinen: Aus irgendeinem (angeborenen? instinktiv verankerten? philosophischen?) Grund ist es für unser Seelenheil immens wichtig, dass wir kommunizieren, was in uns vorgeht. Und aus irgendeinem anderen (anerzogenen? zu wenig geschulten? völlig unsinnigem!) Grund fällt vielen von uns gerade das unheimlich schwer. Etwas zwingt uns, aber etwas lässt uns nicht. Ich habe überlegt, ob das der Widerstreit zwischen Mensch (=sprachbegabtes Wesen) und Tier (=je weniger man von sich kommuniziert/preisgibt, desto überlegener ist man) in uns ist. Aber vielleicht ist das doch ein ausschließlich menschliches Problem, denn Tiere können kommunizieren, aber nicht lügen und nichts vor ihren Artgenossen verbergen (mit Ausnahme der Stabheuschrecke vielleicht, die sich vorsätzlich als Ast ausgibt).
Irgendwann hab ich auf diesem Blog schon mal über dieses Thema philosophiert, find's aber grad nicht. Dafür beim Nochmal-Durchlesen einzelner Einträge erschreckend viele Rechtschreibfehler. Und das mir! Wo es mir doch so wichtig ist, Sprache, dieses sich ständig verändernde, wachsende, unstete, lebende Wesen, in feste Regeln zu pressen und alle dazu zu bringen, sich gefälligst dran zu halten. Warum eigentlich? Wo man doch so schön mit Sprache spielen kann, und spielen ist umso lustiger und kreativer, je weniger Regeln es gibt. Fürchte ich sie am Ende, die Sprache? Und das, weil ich sie zu gut oder zu schlecht beherrsche? Oder weil sie mich beherrscht, mich ausmacht, mich retten und verraten kann?
Dabei spiele ich dauernd damit, und ich selbst bin es, die sie verändert. (Dieser letzte Halbsatz ist ein hervorragendes Beispiel - wer verändert wen?) Und in dieser Veränderung liegt eine wundersame Eigenschaft von Sprache: je mehr, öfter, länger ich mit jemandem kommuniziert habe, desto weniger muss ich sagen, um verstanden zu werden. Das merke ich im Kontakt mit langjährigen, engen Freunden. Ein paar Worte reichen aus, und der andere weiß Bescheid. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt, die eine weit über Worte hinausgehende Verbindung zwischen uns schafft. Was ggf. die Notwendigkeit zu sprechen reduziert, die Sprache an sich ebenso wie die Freundschaft aber ungemein bereichert.
Aber selbst, wenn wir allein sind, hört das Bedürfnis zu kommunizieren nicht auf. Momentan fällt mir das vor allem auf, wenn ich, allein in unserer Wohnung, völlig verschnupft, verzweifelt suchend, laut nach den Taschentüchern rufe, als könnten sie mich hören und diensteifrig angehüpft kommen, um aufzunehmen, was meine Nase so dringend loswerden möchte. Aber auch in anderen, ernsteren Situationen. Ich muss an das Reh denken, das eine Ex-Kollegin angefahren hatte, und das eine geschlagene Stunde lang geschrien hat, bevor endlich der Förster kam, um es zu erlösen. Warum schreien Tiere, wenn sie verletzt sind? Ein Überlebensvorteil scheint mir das nicht zu sein. Nur ein Rückfall in kindliches Verhalten? Ich kann mir nicht mehr selbst helfen, also schreie ich und hoffe, dass ein Muttertier kommt und mir hilft? Oder auch hier das unwiderstehliche Bedürfnis, sein innerstes, weil unaushaltbar, nach außen zu kehren und - mit anderen zu teilen, selbst wenn es eine fremde Spezies ist?
Das bringt mich fast wieder zurück zum Thema Warum schreibe ich hier überhaupt?, aber dann muss ich wieder alte Einträge durchlesen und finde am Ende noch mehr Rechtschreibfehler als ich ertragen kann.
Statt dessen führe ich die Frage noch weiter und denke ich an Silvester, an Feuerwerk. Wem wollen wir mit dem Lärm und dem Licht was genau mitteilen? Seht her, ihr Geister, ihr Götter, ihr Galaxien! Wir sind hier! Wir existieren. Wir mögen viel Lärm und Rauch machen und in sekundenschnelle verglühen, aber wir sind laut und hell und wunderschön dabei! Das ist die Botschaft, die bei mir ankommt. Und während ich mir in der kalten Nacht den Hals verrenke, um keine Sekunde dieser bizarren, empfängerlosen, sinnbefreiten Nachricht zu verpassen, während ein kleines Kind weinend das Gesicht abwendet, um dem Lärm und dem Gestank und der Ungeheuerlichkeit des Kommunizierten zu entgehen, während sich zwischen zwei Menschen, die sich alles gesagt haben, ein Schweigen ausbreitet, das herzzerreissender nicht schreien könnte, während Lippenpaare aufeinandertreffen um auf wunderschöne Weise auszudrücken, was sie allein nicht sagen könnten, weiß ich, dass das das einzige ist, was mich rettet, dass es genau das ist, was mich, was uns alle ausmacht: Worte, Sprache, Kommunikation. Ich spreche, also bin ich.

26 Dezember 2007

A life less ordinary

Es ist Weihnachten. Die Straßen sind ungewöhnlich still, die Luft riecht nach Kälte und nach Kaminfeuer. Überall funkeln Lichter in Bäumen und Fenstern. Die Menschen feiern, verbringen Zeit mit ihren Familien, packen Geschenke aus. Die Menschen springen aus dem Fenstern, töten einander, oder sterben einfach so. Ohne Rücksicht auf Feiertage.
Am 24. hatten wir nette Freunde da, haben es uns (unkonventionell) mit ein paar Videos gemütlich gemacht und zwei (konventionell-köstliche) Karpfen verspeist.
Am 25. habe ich Leo in der Arbeit geholfen, weil er sonst aufgrund krankheitsbedingter Ausfälle komplett allein gearbeitet hätte. Wir haben Sachen ausgepackt, neu verpackt und dafür vorbereitet, dass sie jemand anderem schon bald eine sehr große Freude bereiten werden, größer als jedes teuer gekaufte Geschenk. Und weil Weihnachten ist, habe ich der edlen Spenderin noch ein ganz leises "Schlafe in himmlischer Ruh" gesungen.
Heute, am 26., haben wir lange ausgeschlafen und im Fernsehen Drei Nüsse für Aschenbrödel geguckt.
Alles ganz normal. Es ist Weihnachten.

23 Dezember 2007

Die Würde des Biers

Es mag ja sein, dass ich in letzter Zeit ein bisschen empfindlich bin, was Werbung betrifft. Der Nackte-Haut-Faktor ist zur Zeit wieder extrem hoch, colafarbene Weihnachtsmänner und komplett aus Konsumprodukten zusammengesetzte Weihnachtsbäume (grün wie das Paillettenkleid, äh, wie der Navi-Bildschirm, äh, ach ja, wie die Hoffnung, das war's) erinnern uns, dass es etwas zu kaufen, pardon, feiern gibt, und selbst Dittsche kann die Blöd-Kampagne nicht vor bodenloser Niveaulosigkeit bewahren.
Was ich aber vorgestern an einer Litfasssäule gesehen habe, weckt wieder mal den Bombenbastler in mir.
"Die Würde des Biers ist unantastbar" steht da.
Ok. Ich als Bayer sollte dieser Aussage nicht ganz ablehnend gegenüberstehen, selbst wenn ich kein großer Biertrinker bin. Und wer kann schon sagen, dass es sich bei Hefekulturen tatsächlich nur um niedere Lebensformen handelt.
Aber jetzt mal im Ernst. Geht's noch?
In Zeiten, wo ein Land, das wir mal für einen großen Verteidiger der Demokratie gehalten haben, die Folter wieder einführt, wo Leute, die ich persönlich kenne vorschlagen, dass Sozialhilfeempfänger bei Wahlen keine Stimme haben sollten, wo Menschen, die einen Beruf wählen, der der Gesellschaft dient, dafür mit Finanznot und Burnout bestraft und solche, die nur in ihre eigene Tasche wirtschaften belohnt werden, in solchen Zeiten bildet ihr Werber euch ein, so etwas schreiben zu können? Ihr nehmt den wichtigsten Grundsatz, den sich zumindest ein Teil der Menschheit seit der Einführung der 10 Gebote gegeben hat, und macht daraus einen flapsigen Spruch über Bier?
Mag sein, dass ich keinen Spaß verstehe. Ich komme mir grade tatsächlich ein bisschen spießig vor. Vielleicht macht es mich einfach nur traurig zu sehen, dass über die Würde des Menschen nicht mehr allzu viel nachgedacht wird. Ich habe das Gefühl, dass der Mensch vielfach - im Widerspruch zu Kant - eben doch nur als Mittel zu einem Zweck angesehen wird, nicht als Zweck an sich. Und dass wir zu leichtfertig mit dem umgehen, was wir haben. Unsere eigene Würde nicht zu würdigen wissen, und viel zu wenig dafür eintreten. Sie zugunsten anderer 'Werte' - warum nur muss ich da hauptsächlich an Geld denken?, aber auch an Bequemlichkeit und scheinbare Sicherheit - vernachlässigen. Klar kann man von Würde nicht leben. Aber ohne?
Naja, vielleicht wenn wir genug Bier trinken... :-(

Wir sind alle Individuen?

Und trotzdem Mitglieder diverser Solidargemeinschaften, im Volksmund als Versicherungen bekannt. Der nette Mann, der uns diesbezüglich sehr individuell berät, hat uns neulich Karten für ein Weihnachtskonzert im Michel (der Michaeliskirche, *dem* Hamburger Wahrzeichen schlechthin, und nebenbei vor allem von innen eine der schönsten Kirchen, die ich kenne) geschenkt. Nachdem wir dieses Ereignis schon letztes Jahr aufgrund eines Außeneinsatzes von Leo verpasst hatten, haben wir uns dieses Jahr besondere Mühe gegeben und es tatsächlich geschafft hinzugehen. Und bekamen sogar den perfekten Zweier-Kuschelplatz auf der Empore mit bester Akkustik und guter Aussicht. Die Musik, das Weihnachtsoratorium von J.S. Bach, war denn auch sehr schön, Orgel, Sänger und Orchester alle toll, nicht mal der Countertenor hat sich zum Knödeln (oder sagt man da auf Norddeutsch Klößen?) hinreißen lassen, sondern hatte eine wunderbar klare Stimme. Jetzt sind wir beide keine Klassik-Experten, aber immerhin wissen wir, dass man im Konzert nur am Ende eines Satzes applaudiert, nicht nach jedem Stück.
Vielleicht ist das bei Oratorien anders, vielleicht auch bei Konzerten in der Kirche. Jedenfalls wurde hier gar nicht applaudiert, außer nach der Ansprache des Pfarrers und des Veranstalters. Also haben wir vorsichtshalber nicht mitgeklatscht, man will ja nicht peinlich auffallen.
Aber trotz der geringfügig unterschiedlichen Wetterlage musste ich an die wenigen Opernaufführungen in der Arena von Verona denken, die ich gesehen habe. Da wurde oft leise und voller Andacht mitgesungen, und bei besonders gelungenen Arien konnten sich die Italiener mit ihren "Brava"- und "Bravo"-Rufen oft nicht bis zum letzten Ton beherrschen, sondern haben einfach reingerufen.
Wir dagegen saßen still da, haben ab und zu ein Husten unterdrückt, und höchstens mal miteinander geflüstert, wenn jemand vor Ende des Konzerts gegangen ist. Und das waren nicht wenige. Vielleicht war's ja total mies, und wir sind nur so ahnungslos, dass wir's nicht gemerkt haben - wir haben tatsächlich angefangen, an uns zu zweifeln. Aber siehe Titel dieses Eintrags, also haben wir nur unseren eigenen Ohren geglaubt und sind bis zum Ende geblieben, wo wir schließlich dann auch applaudieren durften.
Sich von etwas so mitreißen zu lassen, dass man sich nicht mehr beherrschen kann und der Welt einfach seine Begeisterung mitteilen muss, egal ob das peinlich ist oder stört, ist eine Gabe. Unter erwachsenen Deutschen offenbar keine allzu weit verbreitete, leider. Warum haben wir uns diese einfache Lebensfreude abgewöhnt? Wird es tatsächlich als Schwäche gewertet, wenn man sein Glück nach außen trägt? Sollte man überlegen, ob man das Wort 'peinlich' aus der Sprache streicht, und ähnlich wie gewisse F*-Wörter durch ein hässliches Piiiep ersetzt?
Ich fasse jedenfalls hiermit schon mal einen Vorsatz fürs neue Jahr (Sollte der nicht eigentlich Vornehm heißen, weil ich ihn mir vornehme? Schließlich setze ich ihn mir ja nicht vor?): Bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit werde ich mich bemühen, vor Glück laut zu quieken.

12 Dezember 2007

Schießerei im Schweinske

Manchmal muss ich mich doch sehr wundern.
Nicht so sehr darüber, dass hierzulande scheinbar immer häufiger Schüsse fallen. (Das ist eher was zum traurig-entsetzt-nachdenklich-sein.) Sondern über die Berichterstattung darüber. Reißerisch ist man ja gewöhnt. Gnadenlos die Privatsphäre und die Gefühle der Beteiligten missachtend ist zwar schlimm, aber leider auch nicht ungewöhnlich. Aber was Radio Hamburg zur Zeit für einen Fokus auf das oben genannte hat, verwundert mich doch sehr.
Zum Hintergrund: Vor ein paar Tagen kam es in einer Filiale einer Hamburger Restaurantkette (Marke mäßig gutes, aber reichliches und billiges Essen) zu einer Art Banden-Streit, bei dem drei Leute Schussverletzungen davontrugen. Die Berichterstattung von Radio HH dazu hörte sich in etwa wie folgt an: "Das Schweinske in Jenfeld hat geschlossen. Bei einer Schießerei, die dort stattgefunden hatte, waren drei Männer verletzt worden. Die Kellnerin fand das Restaurant heute morgen mit rot-weißem Band abgesperrt vor. Wann das Schweinske wieder öffnet ist unklar."
Aha. Ich wundere mich, hoffe aber, dass diese Prioritätenverdrehung nur aus dem Versuch entstanden ist zu kaschieren, dass noch nicht mehr Informationen vorliegen, und man die Nachricht ihrer Wichtigkeit entsprechend etwas länger gestalten wollte. Dem folgte aber heute die zweite Meldung: "Das Schweinske in Jenfeld ist nach der Schießerei von vorgestern wieder geöffnet. Nachdem die Polizei ihre Ermittlungsarbeiten vor Ort abgeschlossen hat, hat das Lokal seit heute morgen wieder seinen normalen Betrieb aufgenommen."
Ähm. Werden hier aus ermittlungstaktischen Gründen die eigentlich wichtigen Informationen (Wie geht es den Verletzten? Handelt es sich um einen Bandenkrieg oder einen Familienstreit? Gab es schon Festnahmen?) zurückgehalten? Wohl nicht, man kann die Geschehnisse überall im Internet oder in der Zeitung nachlesen.
Das lässt ja fast nur noch einen Schluss zu: Diese Nachricht wurde Ihnen gesponsort von Ihrem freundlichen Restaurant S. Bei uns wird zwar scharf geschossen, aber hey, wie praktisch, so vergisst uns wenigstens keiner.
Ich muss das nicht verstehen, oder?

10 Dezember 2007

Rache - Revolutions

Sorry, aber die Matrix-Filmtitel passen einfach zum Thema, auch wenn die Filme nix damit zu tun haben.
Angeregt durch eure vielen Kommentare und nicht zuletzt aus persönlicher Motivation habe ich mir weiter viele Gedanken zu 'Rache' gemacht.
Mein Kopf sagt mir nach wie vor, dass Rache etwas schlechtes ist. Dass Gerechtigkeit sehr wichtig ist, dass zu ihrer Anwendung aber sehr viel Verstand und möglichst wenig Gefühl notwendig ist.
Mein Gefühl sagt, "Der hat mir weh getan, ich will ihm auch weh tun."
Interessanterweise war das nicht immer so. Die meisten Dinge, die mich verletzt haben, habe ich tatsächlich einigermaßen gut verarbeitet, vergessen oder sogar verziehen. Das Bedürfnis nach Rache war mir vor meiner Therapie (sprich: bevor mir klar wurde, was das alles in mir angerichtet hat) größtenteils fremd. Ich verweise zwar auf einen alten Blogeintrag, in dem der Eindruck entstehen könnte, ich wäre generell rachsüchtig. Aber boshafte Gedanken sind eine Sache, der Wunsch nach Rache eine ganz andere.
Denn in ihm drückt sich - meiner Meinung nach - etwas aus, was in Wirklichkeit die eigene Opferrolle nur bestätigt: Hilflosigkeit. Jemand hat mir etwas getan, und ich konnte es nicht verhindern. Hätte ich doch nur anders reagiert. Könnte ich doch nur hingehen und ihn nachträglich davon abhalten. Weil das nicht möglich ist, wird man nur noch hilfloser, und damit wütender, verzweifelter, im schlimmsten Falle hasst man sich selbst für seine Schwäche.
Der Weg aus dieser scheußlichen Gefühlsspirale heraus hat nichts mit den Leuten zu tun, die mich in der Vergangenheit verletzt haben, sondern mit meinem Verhalten in der Zukunft.
Dazu hat mein Unterbewusstsein mir neulich einen interessanten Traum verpasst:
Ich war im Schwimmbad in der Dusche. Ein Mann kam rein und packte mich von hinten, so wie frau entgegen anderslautender Filme eben nicht von einem Fremden angefasst werden will, und reihte sich damit in eine lange Tradition von Leuten ein, die mich gegen meinen Willen angefasst haben. Normalerweise reagiere ich in solchen Situationen mit völliger Erstarrung. Diesmal drehte ich mich um und schrie ihn an. Das reichte offenbar nicht, also schlug ich zu. Der Depp grinste immer noch, also holte ich den Bademeister. Der war zwar nett und hilfsbereit, brachte es aber auch nicht fertig, den Kerl von mir fernzuhalten. Und der grinste immer noch. Also schnappte ich mir einen Stuhl, der da praktischerweise rumstand, und fing an, den Typen damit zu verprügeln. An dieser Stelle blendete der Traum aus (konträr zum Amerikanischen Kino sind offenbar Szenen mit dürftiger Beklidungssituation erlaubt, Gewalt jedoch wird zensiert). Ich fand mich im Büro meiner Therapeutin wieder, die mich fragte, ob ich nicht etwas übertrieben hätte. Ich verneinte, obwohl ich mich schon etwas über die Pistole in meiner Hand wunderte...
Ok, am Ende hat's der Traum ein bisschen übertrieben, oder mein Unterbewusstsein wollte irgendeinen Film zitieren, an den ich mich grad nicht mehr erinnere. Aber ich habe das Gefühl, die Botschaft ist klar. Es gibt außer meiner üblichen duldsamen Erstarrung andere, funktionalere Handlungsmöglichkeiten. Ich darf, soll, muss mich wehren. Und ich darf so lange zurückschlage, wie der andere nicht aufhört, mich zu verletzen. Meine innere Therapeutin weiß genau, wann Schluss sein muss, ich brauche nicht fürchten, dass ich zu weit gehe. Die Wut, die ich auf Rachegelüste verschwende, könnte ich sinnvoller kanalisieren, wenn ich sie in die Zukunft richte und als Aggressions-Ressource für Situationen verwende, in denen mir geschadet wird.
Das klingt jetzt alles so, als hätte es mir ein schlauer Psychologe erzählt, aber ich bin einigermaßen stolz auf mich, dass ich das selber rausgefunden habe. Natürlich wird die Umsetzung nicht so traumhaft einfach sein. Aber das gute ist, dass mein Unterbewusstsein - der Teil, an den man viel schwieriger rankommt als an den bewussten Verstand - schon realisiert zu haben scheint, dass ich mich anders verhalten kann, als in das eingefahrene Muster zurückzufallen, das ich in der Vergangenheit immer wieder erfolglos angewendet habe, weil ich nichts anderes gelernt hatte. Dass also auch Schluss sein kann mit der Hilflosigkeit.
Und dass damit der Wunsch nach Rache an Bedeutung verliert.
Eine Sache, die mich irritiert, bleibt aber noch: Die ganze Sache impliziert, dass ich mich in Situationen, in denen ich verletzt wurde, falsch verhalten habe. Ja, ich hätte mich wehren müssen. Aber derjenige, der sich eigentlich falsch verhält, ist doch der, der mich angreift. Ich frage mich, ob man viele Gefängnis- und Geldstrafen, viele Gerichtsverhandlungen und viele Therapiesitzungen sparen könnte, wenn der Täter seinem Opfer nur absolut glaubwürdig versichern könnte, dass es keine Mitschuld an der Tat trägt...

05 Dezember 2007

Vom Amt zur Agentur

Seit ich das letzte Mal arbeitslos war (2004), hat sich beim Arbeitsamt so einiges verändert. Die nennen sich jetzt Agentur, haben einen mit tatsächlichen lebenden Mitarbeitern besetzten Empfangstresen, einen neuen Teppich, und viel viel mehr Papier.
Ok, um der Gerechtigkeit genüge zu tun: es scheint sich wirklich was verbessert zu haben. Bevor man ein Gespräch mit seinem Vermittler hat, muss man erstmal vollständige Bewerbungsunterlagen abgeben. Damals musste ich nur eine Seite Fragebogen ausfüllen, auf dem so Sachen wie Erscheinungsbild und Denkvermögen (mit den Antwortmöglichkeiten ja oder nein) aufgeführt waren. Zumindest wird also differenzierter mit der Qualifikation der Bewerber umgegangen. Und man kann auf dem vierseitigen Fragebogen, den man zusätzlich zu den Bewerbungsunterlagen abgeben muss, auch noch spezielle Fragestellungen angeben, die man mit dem Vermittler besprechen möchte. Das klingt echt nach ziemlich gutem Service. Wenn der Vermittler a) den Fragebogen auch durchlesen und sich entsprechend vorbereiten würde, b) nicht 90% des Gesprächs damit verbringen müsste, meine Daten in den Computer zu hacken und c) er bereit wäre, über die Probleme zu sprechen, die beim Bewerben auf mich zukommen werden. Statt dessen hat er mich die ganze Zeit nur ermutigt, ich solle mich doch auf meine Stärken konzentrieren.
Im Prinzip ja nett, aber ich fühlte mich, als wäre ich wegen Rückenschmerzen zum Arzt gegangen, und der hätte mir erzählt, ich solle mich doch lieber freuen, dass meine Zähne so wunderbar in Ordnung seien.
In Übereinstimmung mit dem, was ich in der Therapie gelernt habe, habe ich das nicht einfach runtergeschluckt, sondern nochmal angesprochen, dass ich gerne etwas mehr Beratung hätte, weil ich nicht weiß, wie ich mein Krankheitsjahr in einer Bewerbung formulieren soll. Was den Mann doch tatsächlich zu der Aussage verleitete, das würde er auch gern wissen, ich solle doch mal ein Bewerbungsschreiben zum nächsten Termin (im März!) mitbringen, damit er sehen kann, was mir eingefallen ist. Ich weiß nicht, was mein Gesicht in dem Moment ausdrückte, aber er fügte dann noch ganz schnell hinzu, dass er gerne was mit mir zusammen formulieren würde, wenn er noch 'ne halbe Stunde länger Zeit hätte.
Tja, dann warten wir mal beide gespannt, was mir so einfällt. Kreative Vorschläge eurerseits sind jederzeit willkommen.
Und weil ich eine Zielvereinbarung unterschreiben musste, in der steht, dass ich alle möglichen und denkbaren Kanäle zur Stellensuche nutzen muss, fange ich gleich mal an: Wenn jemand von euch zufällig von einer freien Stelle erfährt, möglichst halbtags, natürlich hier in Hamburg, am besten irgendwelche Sekretariatsarbeiten o.ä., nur nicht zu anspruchsvoll, und keinesfalls in einer Werbeagentur - sagt Bescheid!

Rundum-Sorglos-Tanja

Erstaunlich, wie viele Firmen ihre Produkte mit diesem Zusatz verkaufen.
Ich will mich in diesem Fall nicht verkaufen, sondern nur mal wieder über meinen derzeitigen Geisteszustand philosophieren. Oder vielleicht sollte ich es eher meinen Neurotransmitter-Zustand nennen? Ich habe das Gefühl, ich habe in der Therapie große Fortschritte gemacht. Und dummerweise gleichzeitig das Antidepressivum gewechselt, so dass ich wieder mal nicht sagen kann, ob meine allgemeine Entspanntheit daher kommt oder eben doch von einer fortschreitenden Heilung. In letzter Zeit habe ich den Verdacht, dass ein großer Teil an dem Medikament (Trevilor) liegt.
Das Gefühl an sich ist toll: ich mache mir generell kaum noch Sorgen wegen irgendwas, tatsächlich ist mir jetzt im Nachhinein erst aufgefallen, wie leicht mich alles Mögliche in Stress bzw. unterschwellige Panik versetzt hat. Viele dieser Situationen kann ich jetzt realistischer bewerten und damit ganz entspannt angehen.
Aber. (Natürlich habt ihr gewusst, dass ein Aber kommt, oder?) Es gibt Situationen, von denen ich weiß, dass ich mir deswegen Sorgen machen sollte. Entweder, weil mich etwas schon immer gestört hat, oder weil jeder einigermaßen 'normale' Mensch sich deswegen aufregen würde. Meine Reaktion darauf ist aber durchwegs 'Naja, auch egal'.
Wenn ihr jetzt den Eindruck habt, ich würde mir deswegen Sorgen machen, kann ich nur sagen: wahrscheinlich sollte ich das, aber es gelingt mir nicht so recht. Ich betrachte das jetzt erstmal als Erholungsphase nach einer langen Zeit des zu-viel-Sorgen-machens und genieße es. Im Januar ist der nächste Arzttermin, und ich verlass mich jetzt einfach mal drauf, dass mein Psychiater mir dann sagt, ob das ok ist - oder dass mein Liebster mich nicht mehr aushält und meine Tabletten gegen Placebos austauscht... ;-)
P.S. Ganz so schlimm kann's doch nicht sein, immerhin hatte ich noch genug Energie, um mich über die Arbeitsagentur aufzuregen - wenn das nicht mehr geht, lasst mich bitte irgendwo einliefern!

03 Dezember 2007

Die volle Wahrheit

Eine Parodie ist die überspitzte und übertriebene Darstellung eines Werkes, einer Person oder eines Sachverhalts; durch die Übertreibung soll auf (mehr oder weniger) humorvolle Weise auf Schwachstellen aufmerksam gemacht werden.
Wie aber nennt man eine Darstellung der reinen Wahrheit, ohne Übertreibung, die einen statt zum Lachen nur zum Weinen bringt? Tragödie? Nachrichten? Und ist dann die Wirklichkeit die Parodie?
Die Macher des Films, den uns Felix neulich geschickt hat, haben es einfach The Truth in Advertising genannt. In 12 Minuten stellen sie die klassischen Abläufe der Branche klar analysiert und realistisch dar, nicht wie sie sind, sondern wie sie wären, wenn alle Beteiligten sagen würden, was sie tatsächlich denken. Jeder, der nicht in der Werbung arbeitet, wird sich wahrscheinlich schieflachen. Ich konnte nur hinstarren wie auf einen besonders blutigen Unfall. Den meisten Personen konnte ich auf Anhieb Namen aus meinem früheren beruflichen Umfeld geben, und sogar Büros und Studios sahen ähnlich aus wie die Orte, an denen ich gearbeitet habe. Wenn ich meinen Kalender von 2005 noch hätte, könnte ich den einzelnen Situationen sogar konkrete Daten zuordnen.
Ich wünschte nur, ich könnte dieses Video mitnehmen zu meinem Termin beim Arbeitsamt, und an meine Versicherung schicken, um denen ein für allemal klarzumachen, dass ich sowas nicht mehr machen kann.

22 November 2007

Geheilt entlassen

Die sechs Wochen sind rum, und ich bin wieder in freier Wildbahn. Auf meinem vorläufigen Entlassungsbericht steht 'arbeitsfähig'.
Dem stimme ich durchaus zu. Ich fühle mich in der Lage, wieder zu arbeiten, nicht in der Form wie vorher, sondern in vernünftigem Rahmen, und gelegentlich habe ich sogar richtig Lust dazu.
Aus Sicht der Rentenversicherung war die Reha-Maßnahme also ein voller Erfolg.
Und aus meiner Sicht?
Bin ich definitiv einen großen Schritt weiter. Ich habe einiges an zum Teil überraschenden Einsichten über mich selbst und die Welt im allgemeinen gewonnen, bin durch wochenlange Gehirnwäsche darauf getrimmt, besser auf mich selbst aufzupassen, und konnte mich ausführlich in Geduld und Toleranz üben, was mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass ich meinen Mitmenschen durchaus sehr viel zu geben habe. Eigentlich sollte letztere Erkenntnis nicht neu sein. Aber erst durch diese Wiederentdeckung ist mir bewußt geworden, wie viel von meinem (ohnehin nicht wahnsinnig ausgeprägten) Selbstbewußtsein mir die Depression genommen hatte.
Ich verlasse die Kur zuversichtlich. (Auch ein lange vergessenes Gefühl.) Ich entdecke neuerdings immer wieder kleine Anzeichen, dass die alte Tanja noch da ist, dass sie gelegentlich die Nase aus dem Fenster steckt, unter der Bettdecke hervorlinst, die Ohren spitzt oder einfach nur breit grinst. Willkommen zurück!

10 November 2007

Micro-Utopie

So, hier bin ich wieder. Ich habe das Gefühl, dass ich mittlerweile mindestens fünfmal auseinandergepuzzelt und wieder zusammengesetzt wurde; keine Ahnung, ob alle Teile noch am richtigen (oder angestammt falschen?) Platz sind. Jedenfalls kann es ganz schön anstrengend sein, sechs Wochen lang ausschließlich um sich selbst zu Kreisen, und alles, was man sagt, tut und denkt gleich zu analysieren und zu überprüfen... Und auch noch von 26 anderen Irren umgeben zu sein, die genau das gleiche tun. Ich schwanke ein bisschen zwischen "Jetzt langt's dann auch mal wieder" und "Kann ich noch mal sechs Wochen mehr haben". Naja, ich denke, in knapp zwei Wochen bin ich hier raus, und dann könnt ihr die neue verbesserte Tanja begutachten. Wahrscheinlich hat sich gar nicht so viel geändert. Außer der Frisur. Und der Haarfarbe. Und den Fingernägeln. Und Stricken kann ich jetzt auch...
Aber eigentlich wollte ich ja gar nicht von mir sprechen, sondern von einer Besonderheit hier in der Klinik. Auf jeder Station gibt es hier nämlich eine Sofaecke. Da kann man sich treffen, Kaffee trinken, sich unterhalten, Spiele spielen, Musik hören, Stricken, einfach nur rumhängen, und den Patienten mit Schlafstörungen abends das Leben schwer machen.
ich finde das eine ungemein praktische Einrichtung. Wenn man sich langweilt oder Lust auf Gesellschaft hat, geht man aus dem Zimmer, und schon hat man Leute um sich. Und wenn man seine Ruhe haben will, zieht man sich einfach aufs Zimmer zurück.
Wäre das nicht eine sehr schöne Form des Zusammenlebens? Ein großes Haus mit vielen separaten Wohneinheiten, wo jeder alles hat, was fürs Privatleben nötig ist (sprich eigene Küche, Bad, etc.). Plus ein großes Wohnzimmer und vielleicht eine Küche, wo man immer hingehen kann. Und wenn genug Leute in dem Haus wohnen, ist auch immer jemand da. Wenn man Lust hat, kann man gemeinsam Kochen, und ansonsten hängt man einfach so zusammen rum. Natürlich müßten entsprechend nette Leute in dem Haus wohnen. Für Leute mit Kindern wär's auch klasse, man hätte gleich Spielkameraden und immer jemanden zum Aufpassen. Sozusagen die Rückkehr zur klassischen Großfamilie, aber mit ausgewählten Leuten, und etwas weniger Zwang zur Nähe.
Ich sehe ein, dass dieses Modell an der Realität scheitern muss, gerade in Zeiten, wo von Arbeitnehmern maximale Flexibilität in Sachen Wohnort verlangt wird. Aber eine schöne Vorstellung ist es doch irgendwie...