07 Januar 2008

Ode an die Sprache

Oder vielleicht sollte es eher Kommunikation heißen. Sprache klingt so nach 'Mund auf, Worte kommen raus'. Dabei kommunizieren wir ja mit allem was wir in (echter, virtueller, eingebildeter, zukünftiger...) Interaktion mit anderen tun. Insofern ist doch wieder alles Sprache: Durch unser Verhalten, egal wie geplant oder unbewußt, erzählen wir anderen etwas über uns. Kunst, wie ich sie verstehe, ist eine Ausdrucksform unseres innersten Selbst, eine Reflektion und Mitteilung an andere, wie die Welt auf uns wirkt. Liebe ist eine Art Muttersprache, die wir von allen lernen, die uns lieben, die es vorgeben, oder es eben nicht tun.
Wie schädlich und schmerzvoll es ist, nicht zu sprechen, nicht auszudrücken, was in mir ist, habe ich bewusst erst in der Therapie gelernt. Erfahren hab ich es schon vorher, sonst wäre ich nicht krank geworden. Und seither wundere ich immer wieder über diesen seltsamen Mechanismus, dem die Menschen unterworfen scheinen: Aus irgendeinem (angeborenen? instinktiv verankerten? philosophischen?) Grund ist es für unser Seelenheil immens wichtig, dass wir kommunizieren, was in uns vorgeht. Und aus irgendeinem anderen (anerzogenen? zu wenig geschulten? völlig unsinnigem!) Grund fällt vielen von uns gerade das unheimlich schwer. Etwas zwingt uns, aber etwas lässt uns nicht. Ich habe überlegt, ob das der Widerstreit zwischen Mensch (=sprachbegabtes Wesen) und Tier (=je weniger man von sich kommuniziert/preisgibt, desto überlegener ist man) in uns ist. Aber vielleicht ist das doch ein ausschließlich menschliches Problem, denn Tiere können kommunizieren, aber nicht lügen und nichts vor ihren Artgenossen verbergen (mit Ausnahme der Stabheuschrecke vielleicht, die sich vorsätzlich als Ast ausgibt).
Irgendwann hab ich auf diesem Blog schon mal über dieses Thema philosophiert, find's aber grad nicht. Dafür beim Nochmal-Durchlesen einzelner Einträge erschreckend viele Rechtschreibfehler. Und das mir! Wo es mir doch so wichtig ist, Sprache, dieses sich ständig verändernde, wachsende, unstete, lebende Wesen, in feste Regeln zu pressen und alle dazu zu bringen, sich gefälligst dran zu halten. Warum eigentlich? Wo man doch so schön mit Sprache spielen kann, und spielen ist umso lustiger und kreativer, je weniger Regeln es gibt. Fürchte ich sie am Ende, die Sprache? Und das, weil ich sie zu gut oder zu schlecht beherrsche? Oder weil sie mich beherrscht, mich ausmacht, mich retten und verraten kann?
Dabei spiele ich dauernd damit, und ich selbst bin es, die sie verändert. (Dieser letzte Halbsatz ist ein hervorragendes Beispiel - wer verändert wen?) Und in dieser Veränderung liegt eine wundersame Eigenschaft von Sprache: je mehr, öfter, länger ich mit jemandem kommuniziert habe, desto weniger muss ich sagen, um verstanden zu werden. Das merke ich im Kontakt mit langjährigen, engen Freunden. Ein paar Worte reichen aus, und der andere weiß Bescheid. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt, die eine weit über Worte hinausgehende Verbindung zwischen uns schafft. Was ggf. die Notwendigkeit zu sprechen reduziert, die Sprache an sich ebenso wie die Freundschaft aber ungemein bereichert.
Aber selbst, wenn wir allein sind, hört das Bedürfnis zu kommunizieren nicht auf. Momentan fällt mir das vor allem auf, wenn ich, allein in unserer Wohnung, völlig verschnupft, verzweifelt suchend, laut nach den Taschentüchern rufe, als könnten sie mich hören und diensteifrig angehüpft kommen, um aufzunehmen, was meine Nase so dringend loswerden möchte. Aber auch in anderen, ernsteren Situationen. Ich muss an das Reh denken, das eine Ex-Kollegin angefahren hatte, und das eine geschlagene Stunde lang geschrien hat, bevor endlich der Förster kam, um es zu erlösen. Warum schreien Tiere, wenn sie verletzt sind? Ein Überlebensvorteil scheint mir das nicht zu sein. Nur ein Rückfall in kindliches Verhalten? Ich kann mir nicht mehr selbst helfen, also schreie ich und hoffe, dass ein Muttertier kommt und mir hilft? Oder auch hier das unwiderstehliche Bedürfnis, sein innerstes, weil unaushaltbar, nach außen zu kehren und - mit anderen zu teilen, selbst wenn es eine fremde Spezies ist?
Das bringt mich fast wieder zurück zum Thema Warum schreibe ich hier überhaupt?, aber dann muss ich wieder alte Einträge durchlesen und finde am Ende noch mehr Rechtschreibfehler als ich ertragen kann.
Statt dessen führe ich die Frage noch weiter und denke ich an Silvester, an Feuerwerk. Wem wollen wir mit dem Lärm und dem Licht was genau mitteilen? Seht her, ihr Geister, ihr Götter, ihr Galaxien! Wir sind hier! Wir existieren. Wir mögen viel Lärm und Rauch machen und in sekundenschnelle verglühen, aber wir sind laut und hell und wunderschön dabei! Das ist die Botschaft, die bei mir ankommt. Und während ich mir in der kalten Nacht den Hals verrenke, um keine Sekunde dieser bizarren, empfängerlosen, sinnbefreiten Nachricht zu verpassen, während ein kleines Kind weinend das Gesicht abwendet, um dem Lärm und dem Gestank und der Ungeheuerlichkeit des Kommunizierten zu entgehen, während sich zwischen zwei Menschen, die sich alles gesagt haben, ein Schweigen ausbreitet, das herzzerreissender nicht schreien könnte, während Lippenpaare aufeinandertreffen um auf wunderschöne Weise auszudrücken, was sie allein nicht sagen könnten, weiß ich, dass das das einzige ist, was mich rettet, dass es genau das ist, was mich, was uns alle ausmacht: Worte, Sprache, Kommunikation. Ich spreche, also bin ich.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hmmm... ielleicht ist es gerade die Angst vor dem sich-mitteilen, etas von sich zeigen, was die Menschen verstummen laesst?
Ich arbeite ja mit vielen Engineers um mich herum. viele davon sind eher etwas schuechtern. Bzw. sagen kaum was, wenn man sie n der Teekueche trifft; aber wenn man sie nett anspricht, tauen sie auf.
Ich denke, sie versuchen, moeglichst wenig zu kommunizieren (durch nicht-sprechen, durch wegschauen statt blickkontakt, durch zurueck genommene Getik), um mgl. nichts von sich mitzuteilen - denn dann bietet man weniger Angriffsflaeche.
scheint auch sehr menschlich zu sein. Erstmal unter der Decke verstecken und hervorlugen, und kucken, was da draussen so passiert...

naiko hat gesagt…

und warum, um himmels willen, gibt es dann all die probleme, die damit zu tun haben,dass der eine viel, der andere wenig kommuniziert? warum liest man zeitungsartikel über zeitungsartikel zum thema "frauen reden, männer schweigen"?

wer hat denn nun recht mit seinem verhalten? ich denke schon lange darüber nach - kein wunder, immerhin bin ich mit einem "du-redest-zuviel"-virus infiziert seit ich denken kann. ich hab schon zu viel kommunizert als ich gerade erst gebornen war. ich hab schon geschrien,da war ich noch gar nicht ganz hier (erzählte man mir...). und das hat irgendwie nicht mehr aufgehört - im übertragenen sinne inzwischen, das schreien ist etwas weniger geworden im laufe der jahre. aber gehört fühl ich mich trotzdem selten.

was stimmt da nicht?

vermutlich meine wahrnehmung. oder meine art der kommunikation. oder was auch immer.

ich glaube trotzdem, dass man miteinander reden sollte. aber manchmal denke auch, es wäre schön,wenn man sich viele, viele worte tatsächlich sparen könnte. und dann versuche ich's. mit weniger worten. und dann geht's noch viel mehr schief. also: doch reden? oder so laneg durchalten, bis es auch ohne geht? oft wenigstens? sich die worte für diejenigen aufheben, die sie hören wollen? schön wär's.

ich hab kürzlich wieder die erfahrung gemacht,dass man unglaublich aneinander vorbei "kommunizieren" kann. das nennt man dann wohl eigentlich nicht mehr kommunikation, oder?

kommunikation ist so sehr von erwartungshaltungen geprägt, von gewohnheiten, regeln, erfahrungen. und da macht eben jeder andre und jeder hält sich an andere. und dann kommt dabei heraus, dass man jemandem sagt: du bist der einige, der hier noch mit mir redet, verdammt, und die anderen sollten doch auch mal. und was versteht er: du redest zuviel, lass die anderen auch mal zu wort kommen.

verdammt!!! verdammte "kommunikation"!

und trotzdem glaub ich noch an das, was du beschreibst. und ich glaube, wenn wir aufhören, miteinander zu reden - oder sonstwie zu kommunizieren - und der mensch ist eben ein sprach/sprechwesen, also geht's wohl nicht ganz ohne worte - dann verlieren wir den kontakt. zu anderen. und vielleicht damit sogar irgendwann zu uns selbst, denn sind die anderen nicht doch irgendwie spiegel, in denen man sich selbst sehen kann?

alles liebe
n.

Anonym hat gesagt…

Eröffnet uns Sprache nicht die Welt der anderen Menschen, Nationen und die Vergangenheit?

Kommunikations auf jeder Ebene ist für mich nicht nur beruflich wichtig und eine Voraussetzung. An manchen Tagen muß ich soviel Kommunikation betreiben, daß abends das Stumm-Sein auch eine Form der Kommunikation darstellend eine wahre Wohltat ist. Und an diesem Abend mit Menschen zusammensein, die mich ohne Worte verstehen ist ein Geschenk des Himmels. Heißt wohl Freunde. ;)

Die Kommunikation gänzlich einzuschränken kann da viele Gründe haben. Sich schützen, Unsicherheit, nicht-verstanden-haben des Gegenübers und ihn oder sich nicht bloß stellen wollen etc.

Das alleine zeigt schon wie wichtig für die meisten Menschen Kommunikation ist. Erwächst zumindest meiner Meinung nach nicht gerade wenig Gewalt daraus, daß einem keine Möglichkeit mehr bleibt, sich anders als mit Fäusten und Tritten auszudrüclen. Eine Kapitulation an die Zwischenmenschlichkeit.

Anonym hat gesagt…

Ja, liebe Tanja, die Kommunikation, das ist schon so eine Sache. Ich überlege meist zweimal, bevor ich etwas sage - und ärgere mich oft über meine Zurückhaltung. Denn was ich für zu unwichtig, für dumm oder für trivial hielt, sagt dann ein anderer oder es geht unter - und hinterher hätte es doch gesagt werden sollen.

Besonders ärgerlich ist es, wenn die Dampfplauderer, die keinen Finger rühren, groß von sich reden machen und auch noch gehört werden. Das ist gerade in Agenturen die Regel. Die Marktschreier (Marketing, AD, CD) ernten die Früchte, die andere (Grafiker, Designer, usw.) gesät haben. Die meisten halten das auch für ihr gutes Recht, denn sie tragen ja "die ganze Verantwortung" ...

Gestern hatte ich Streit mit meinem kleinen Bruder. Wir halfen beim Umzug meiner Eltern. Ich war fast jeden Abend der letzten Woche vor Ort, um Kiste um Kiste und Möbelstück um Möbelstück zu transportieren. Gestern also erwies uns auch mein Bruder die Ehre und machte sich unheimlich wichtig. Er gab hier und dort Anweisungen und wusste bei allem, wie man es besser machte - während er noch kurz irgendwelche iTunes-Wiedergabelisten an seinem Mac umstellen musste. Irgendwann platzte mir der Kragen und ich brüllte ihn an, wo er die letzten Tage gewesen sei, als es wirklich was zu tun gab. Es hatte letztlich nur den Effekt, meine Eltern traurig zu machen, dass wir uns neben dem ganzen Stress noch untereinander stritten. Im Nachhinein habe ich mich übner mich selbst geärgert, nicht mehr Größe gezeigt zu haben. Schließlich haben mir meine Eltern schon damals immer gesagt: "Du bist der große Bruder!" oder "Der Ältere/Klügere/Weisere gibt nach!".

Aber ab und an muss es einfach raus, sonst müssen die Fingernägel wieder dran glauben ...

naiko hat gesagt…

ich denke, dass sowohl ein zuviel als auch ein zu wenig an kommunikation ungute folgen haben können.

manchmal bedeutet kommunikation aber auch, dass man mal was unangenehmes sagt, weil man sonst platzt. und meist fliegt einem das dann erstmal um die ohren. aber ich denke, oft hat es vor allem auf lange sicht auch gute folgen, die nur nicht so zeitnah sind und deshalb oft untergehen.

ich habe früher mal gedacht, dass antworten, die man nicht gleich bekommt, keine sind. aber inzwischen weiß ich, dass es menschen gibt, die einfach etwas mehr zeit brauchen zu reagieren. ich musste mich dran gewöhnen, aber inzwischen finde ich es gut. immerhin sind es dann oft keine kurzschlussantworten sondern gut überlegte. hat auch was für sich.

und übrigens. ich war immer die, der es ja besser ging und deshalb hatte ich drüber zu stehen, leider konnte davon keine rede sein, wenigstens nicht vom drüberstehen, vermutlich auch nicht wirklich am "besser gehen"... manchmal ist es auch einfach praktisch für die umstehenden, wenn einer von zweien der klügere ist... und wer denkt an den klügeren? zu wenige, weil der ja still ist. denke ich. hier fehlt dann die kommunikation,w enn ihr michf ragt.
beste grüße
n.

Hendrik hat gesagt…

Das ist so schön gesagt, Tanja, da würde ich am liebsten gar keinen Kommentar schreiben, sondern einfach darauf vertrauen, dass meine Begeisterung und Zustimmung beim Lesen auch so verstanden werden. Naja, hier ist er doch, der Kommentar.

"Eröffnet uns Sprache nicht die Welt der anderen Menschen, Nationen und die Vergangenheit?"

Nach Douglas Adams hat der Babelfisch dadurch, dass er freie Kommunikation zwischen allen Völkern des Universums ermöglichte, mehr und grausamere Kriege verursacht, als je eine technologische Neuerung zuvor...

Spaß beiseite... mir gefällt das – Seelenheil durch erfolgreiches Kommunizieren. Ich hatte in letzter Zeit immer häufiger das Gefühl, dass Konflikte zwischen Kindern untereinander, oder zwischen Kindern und ihren Eltern, nicht dann erfolgreich gelöst sind, wenn die Kinder eine annehmbare Konfliktlösung präsentiert bekommen hatten; sondern dann, wenn die Eltern die Gefühle und Standpunkte der Kinder voll und ganz zur Kenntnis genommen hatten; wenn sich die Kinder mit ihrem Kommunikationsbedürfnis (ggfs. Schreien) ernst genommen fühlten.

Ich finde das sehr gut nachvollziehbar. Etwas, das ich nicht ausstehen kann, ist wenn meine Motive, Meinungen, Äußerungen oder Fähigkeiten nicht ernst genommen werden. Vielleicht haben wir als Heranwachsende zu wenig Momos gehabt; zu wenig Leute, die uns richtig, von Innen heraus zugehört haben.

Wenn man sich gehört fühlt, regt das auch bestimmt zu weiterer Kommunikation an. (Ich meine damit im Fall der Kinder nicht unbedingt "mehr Schreien"...) Jedenfalls hoffe ich, du fühlst dich in diesem Sinne "verstanden", und schreibst mehr solche Blogeinträge!