Manchmal muss ich mich doch sehr wundern.
Nicht so sehr darüber, dass hierzulande scheinbar immer häufiger Schüsse fallen. (Das ist eher was zum traurig-entsetzt-nachdenklich-sein.) Sondern über die Berichterstattung darüber. Reißerisch ist man ja gewöhnt. Gnadenlos die Privatsphäre und die Gefühle der Beteiligten missachtend ist zwar schlimm, aber leider auch nicht ungewöhnlich. Aber was Radio Hamburg zur Zeit für einen Fokus auf das oben genannte hat, verwundert mich doch sehr.
Zum Hintergrund: Vor ein paar Tagen kam es in einer Filiale einer Hamburger Restaurantkette (Marke mäßig gutes, aber reichliches und billiges Essen) zu einer Art Banden-Streit, bei dem drei Leute Schussverletzungen davontrugen. Die Berichterstattung von Radio HH dazu hörte sich in etwa wie folgt an: "Das Schweinske in Jenfeld hat geschlossen. Bei einer Schießerei, die dort stattgefunden hatte, waren drei Männer verletzt worden. Die Kellnerin fand das Restaurant heute morgen mit rot-weißem Band abgesperrt vor. Wann das Schweinske wieder öffnet ist unklar."
Aha. Ich wundere mich, hoffe aber, dass diese Prioritätenverdrehung nur aus dem Versuch entstanden ist zu kaschieren, dass noch nicht mehr Informationen vorliegen, und man die Nachricht ihrer Wichtigkeit entsprechend etwas länger gestalten wollte. Dem folgte aber heute die zweite Meldung: "Das Schweinske in Jenfeld ist nach der Schießerei von vorgestern wieder geöffnet. Nachdem die Polizei ihre Ermittlungsarbeiten vor Ort abgeschlossen hat, hat das Lokal seit heute morgen wieder seinen normalen Betrieb aufgenommen."
Ähm. Werden hier aus ermittlungstaktischen Gründen die eigentlich wichtigen Informationen (Wie geht es den Verletzten? Handelt es sich um einen Bandenkrieg oder einen Familienstreit? Gab es schon Festnahmen?) zurückgehalten? Wohl nicht, man kann die Geschehnisse überall im Internet oder in der Zeitung nachlesen.
Das lässt ja fast nur noch einen Schluss zu: Diese Nachricht wurde Ihnen gesponsort von Ihrem freundlichen Restaurant S. Bei uns wird zwar scharf geschossen, aber hey, wie praktisch, so vergisst uns wenigstens keiner.
Ich muss das nicht verstehen, oder?
3 Kommentare:
Tjaja, Radio Hamburg ist nicht gerade für sein Taktgefühl bekannt. Denen war es einige Zeit auch ziemlich peinlich ein bestimmtes Lied zu spielen...
... schon blöd wenn genau nach dem ersten Nachrichtenbbericht über die Tsunamikatastrophe in Tailand von Juli "Das ist die perfekte Welle" gespielt wird.
Mei Tanja.
Hast du etwa nicht erkannt, wie weltbewegend WICHTIG es der Hamburger Bevölkerung ist, dass das Schweinske offen hat?!
Denn darum geht ja offensichtlich in der Meldung. Daß Leute verletzt wurden, ist nur der Grund für die Schliessung.
Hunderte guter gesetzestreuer Bürger (*) könnten verhungern, wenn das Schweinske geschlossen hat! Wo sollen sie denn ihr Essen herbekommen?!
(*) in der völlig unbegründeten Annahme, dass auch nicht-schiessende Kunden diese Lokalität besuchen.
"Schweinske geschlossen" ist eben die grössere Schreckenmeldung als "3 Personen angeschossen". Letzteres kommt halt täglich vor; dass das S. geschlossen hat allerdings nicht!
ach das ist ja noch nicht mal das schlimmste. Am morgen nach der Ballerei lief ganz hektisch ein junger Radio Hamburg Reporter (mit kurz geschorenen Haaren und seinem Radio HH Mic in der Hand) an den Bushaltestellen entlang und suchte ganz dringend jemanden, der etwas gesehen hat oder etwas gehört hat. Als ich ihm sagte das ich nichts mitbekommen habe, fragte er mich ob ich nicht trotzdem was dazu sagen könne. Haha, ich hab ihn stehen lassen. Denn auf unseren Straßen redet man nicht von solchen Vorfällen, selbst wenn mans gesehn und gehört hat. Jedenfalls 30 Minuten später höre ich im Radio auf der Arbeit "der Reporter ist live vor Ort" und er quasselte etwas von wegen "der Nachbar der drüber wohnt war verwundert und auch die Besitzerin vom Kiosk gegenüber ist schokiert, das sowas hier (in Jenfeld) passiert". Ich musste tatsächlich herzlichst und ganz laut lachen. Der Kiosk ist in Jenfeld - in den Straßen auf den ich groß geworden bin. Und ich bin mir sicher, das die Kioskbesitzerin Frau D. das als ganz "normal" empfindent, denn das hier ist alles andere als ein ruihger Stadtteil und das wissen die Besitzer eigentlcih ganz genau, denn die sind hier schon mehr als 20 Jahre und haben schon viel gesehen. Ich bin mir sicher, der Reporter hat einfach eine angestellte gefragt. RadioHamburg Berichterstattung eben..
Die ganz große Ironie aber ist: Der Kiosk gegenüber von dem eben die Rede war wurde in der Woche danach überfallen. Wo war da die Berichterstattung? Habe mich gewundert, das es nicht hieß: "Der Besitzer vom Schweinske gegenüber ist schockiert, das soetwas hier passiert."
Trotz allem, dem kontinuirlich schlechten Schlagzeilen von meinem Stadteil gehört mein Herz immernoch JENFELD!!!!
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