12 Juni 2008

Romanfledderer

So schön das selbständige Arbeiten von zu Hause auch ist - man hat keine Kollegen, mit denen man mal eben über die Arbeit lästern kann. Also müsst ihr diesen Part übernehmen.
Mittlerweile bin ich mit Übersetzen fertig. Jetzt muss ich den Roman kürzen. Dummerweise um fast ein Drittel, weil die Heftchen einfach nicht mehr als 360.000 Zeichen haben dürfen. Nachdem ich einmal mit dem Seziermesser und einmal mit der Säge über alle Formulierungen drübergegangen bin, jede auch nur andeutungsweise Wiederholung und viele viele Adjektive gestrichen und zwei unwichtige Charaktere komplett gestrichen habe, liege ich immer noch bei 420.000 Zeichen. Die bisherigen Kürzungen konnte man gerade noch so als stilistische Korrektur und notwendige Straffung durchgehen lassen. Was jetzt kommt, ist die brutale Verstümmelung des Originals. Die Heldin hat ein Buch veröffentlicht. Raus damit. Der missgünstige Cousin des Helden versucht mehrfach, sie öffentlich zu demütigen. Er wird zum höflichen Überbringer einer einzelnen Nachricht zusammengestrichen. Auf einem Ball darf die Heldin ausführlich ihre Zeichenkünste demonstrieren und verwickelt sich dadurch in einen Skandal, der Auswirkungen auf das ganze Buch hat. Die ganze Szene fällt komplett dem Rotstift zum Opfer. Dazu muss ich weiter hinten einiges an Dialogen und Beschreibungen ändern oder selbst neu schreiben.
Ich weiß ja, es ist keine große Literatur, die ich hier bearbeite. Aber eine derartige Verstümmelung hat kein Buch verdient. Und kein Übersetzer eine derartige Arbeit! Vom Grammar-Nazi zum Buchstabenverbrenner. :(
Insofern kann ich nur sagen: ihr habt sicher recht, alles, was Kinder zum Lesen bringt, ist gut. Allerdings bitte ich Naiko und alle anderen Lehrer, davon abzusehen, mein Buch und ähnliche zu Unterrichtszwecken zu verwenden. Dann lieber MTV und RTL.
Zum Thema Twilight habe ich es gemacht, wie jeder gute Akademiker: ich habe mich anhand von Sekundärliteratur ausführlich informiert (anstatt das Werk einfach selbst zu lesen und mir ein eigenes Urteil zu bilden - kommt aber noch). Die Autorin ist Mormonin, Mitte dreissig, sieht auf Fotos aus wie 19, und hat nach eigenen Angaben noch nie ein grusliges Buch gelesen oder einen Horrorfilm gesehen. Die Bücher sind ähnliche Bestseller wie Harry Potter, über den ja auch viel geschimpft wurde. Bei beiden ist die Zielgruppe deutlich jünger als der Großteil der Leser dieses Blogs (soweit ich weiß), trotzdem scheinen Unmengen von Erwachsenen die Bücher ebenfalls zu lesen. Sind wir also selber schuld? Vielleicht sagt das einiges über unser Verhältnis zu Teenagern aus - ich zumindest möchte diese Zeit in meinem Leben liebend gern aus meinem Gedächtnis streichen, was mir nicht wirklich dabei hilft, mich in den Durchschnittsteenager hineinzuversetzen. Andererseits kann ich mich der Aussage meines Bruders nur immer wieder anschließen: wir trauen unseren Kindern oft viel zu wenig zu. Vielleicht ist das der Weg: Trivialliteratur to get them hooked on reading, und dann mit anspruchsvolleren Sachen weiterarbeiten. Und für uns selbst: Trivialliteratur ähnlich verwenden wie McDoof, als etwas, dass es gelegentlich mal braucht. Ohne Reue genießen, und dann ebenso genüsslich drüber lästern, den Stoff gnadenlos auseinandernehmen und zerfleddern. Wie gewisse Übersetzer es mit ihren Büchern tun...

2 Kommentare:

naiko hat gesagt…

angesichts der uhrzeit nur ganz kurz und nur zum letzten punkt: ja, wir haben zu wenig vertrauen in die intelligenz der kinder und jugendlichen. allzu dämliche bücher langweilen irgendwann. auch kinder.

ich würde zum thema literatur aber noch was hinzufügen: ich finde, letztlich ist es ganz egal, was man liest. lesen soll spaß machen. wenn einem völlig triviale sachen zu einer guten zeit verhelfen, dann soll man sie lesen. ich glaube nicht, dass lesen verblöden kann, egal wie blöd der stoff. glaub ich einfach nicht! schon allein, weil lesen zumindest die vorstellungskraft beansprucht, im gegesatz zu fernsehen. und wenn man sich kitschige liebesszenen vorstellt, die von völlig eindimensionalen figuren erlebt werden, dann muss man sie sich trotzdem vorstellen. das schadet nicht. davon bin ich überzeugt.
meine schüler müssen übrigens gelegentlich groschenromane konsumieren. und sie langweilen sich ab seite 20 zu tode. also.
keine sorge um den verstand der "lieben kleinen"!
liebe grüße
n.

Birgit hat gesagt…

Au weia, das fällt ja schon fast unter "Buchfolter", darauf stehen doch mindestens 8 "Rosamunde Pilchers", oder? ;o)