27 Januar 2008

Das blöde Appellohr

Eigentlich hatte ich überlegt, dass ich diesen Eintrag mal wieder mit einem Songzitat überschreibe. Da ich dann aber gleich zu Anfang losschimpfen würde, kommt das erst später. Statt dessen erstmal eine Familienszene.
Meine Familie sitzt am Tisch. Meine Eltern, mein Bruder mit Kleinfamilie und Leo und ich als ebenfalls frischgebackene Kleinfamilie. Mein Bruder denkt laut: Ob ich noch ein Bier will? Wohlgemerkt, alle am Tisch (sogar Marlin) können laufen, wissen wo der Kühlschrank ist, können ihn öffnen, ein Bier rausholen und es an den Tisch tragen, so sie sich denn entschließen, eines zu wollen. (Ok, Marlin *sollte* das nicht tun, aber er könnte.) Und was passiert? Meine Mutter steht auf und holt eins, obwohl mein Bruder sie nichtmal angeschaut hat. Aber scheinbar hört sie vieles, was gesagt wird, mit einem speziellen Appellohr, das sie sofort dazu bringt, darüber nachzudenken, ob das gesagte eine Aufforderung an sie war, oder vielleicht zu einer werden könnte, und dieser vorauseilend zu folgen.
Leider habe ich dieses Appellohr geerbt. Das ist mir heute mal wieder bewußt geworden. Anke, Christine und Martin waren übers Wochenende bei uns. Am Sonntag ist Anke als erste aufgestanden, und hat sich selbst eine Tasse Tee gemacht. Als ich in die Küche kam und das merkte, hatte ich sofort ein furchtbar schlechtes Gewissen und habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich keine gute Gastgeberin/Freundin/Person bin. Dabei freue ich mich eigentlich, wenn sich jemand so wohl bei uns fühlt, dass er sich in der Küche selbst bedient. Das bedeutet, dass er mich so versteht, wie ich mich gerne verstanden wissen möchte: unkompliziert und locker und glücklich, wenn andere sich wohlfühlen.
Ich finde dieses Appellohrgehöre genauso blödsinnig, wie ihr Leser wahrscheinlich alle grade meine oben beschriebenen Gewissensbisse findet. Aber es ist verdammt schwer, dagegen anzukämpfen.
Und genau das will ich von meinem Mann verlangen. Sich das Appellohr abzuschneiden.
Ich weiß wie schwer das ist. Aber wenn man das auf Dauer beibehält, dann ist das nicht nur blödsinnig, sondern immens ungesund.
Wir hatten ein wunderbar entspanntes, verratschtes, lustiges Freundeswochenende mit unserem Besuch. Und das obwohl Leo, Martin und sogar ich (dazu mehr in einem anderen Post) arbeiten mussten. Aber trotz einiger Widrigkeiten haben wir uns terminlich irgendwie koordinieren können. Dann musste Leo zum Dienst. Eine Sorte Dienst, die er schon seit Jahren macht, in die er aber nie auch nur die geringste Einweisung bekommen hat. Was für den Ausführenden wie den (in diesem Fall sehr lebendigen) 'Kunden' extrem schädliche Auswirkungen haben kann. Supervision, um das zu verarbeiten gibt's auch nicht. Ich ernte immer nur ein resigniertes Lachen, wenn ich das anspreche, was die Reaktion seines Arbeitgebers auf ein derartiges Ansinnen seiner Mitarbeiter widerspiegeln soll.
Naja, Leo ist ein Naturtalent, er kann sehr gut mit Menschen umgehen, und er hat eh keine Wahl, also geht er zu diesem Termin. Ich fahre in der Zwischenzeit Anke zum Flughafen, während Christine Martin von seinem Arbeits-Termin abholt.
Ich erwarte die beiden zu Hause, um sie dann ebenfalls zum Flieger zu bringen. Kurz bevor sie ankommen, ruft Leo an. Er muss auf einen Aussentermin. Der Dienstwagen, der einzig für das ganze Institut existierende, wird zur Zeit von der Tochter des Chefs privat benutzt. Deswegen muss er - wie eigentlich immer, und zwar ohne die Möglichkeit, das als Spesen abzurechnen - selbes resigniertes Lachen - mit unserem Privatauto fahren. Er hat aber keine Zeit, heimzukommen und es abzuholen. Kann ich es ihm bringen? Klar kann ich, muss nur erst auf die beiden anderen warten, damit die wenigstens ihre Koffer schon mal packen können.
Im Institut stellt sich heraus, dass Leo mich nicht wie geplant gleich wieder heimfahren kann, weil noch Sachen zu tun sind. D.h. ich instruiere Martin und Christine per Telefon, welchen Bus sie nehmen müssen (zum Glück hab ich vorher nochmal nachgeschaut, wann der fährt), und kann mich nur von Ferne per Telefon verabschieden. Während Leo noch letzte Vorbereitungen erledigt, trage ich schon mal seine Gerätschaften in unser Auto. Vielleicht kann ich meinen Mann ja so wenigstens etwas entlasten. Lächerlich wenig. Resigniertes Lachen.
Und das ist genau der Punkt, der mich so rasend macht. Ich kann nichts tun. Unser Leben ist ein Jonglieren mit Terminen, ein Sich-Drumherum-Arrangieren, ein ständiges Kreisen um dieses Institut und die Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten und bescheuerten Ideen seiner Leitung.
Wie kann das funktionieren, wenn Mitarbeiter ihr eigenes Arbeitswerkzeug mitbringen müssen, keine Anleitung und Unterweisung für selbst die diffizilsten, kritischsten Aufgaben bekommen, sich totschuften, zwangsläufig Fehler machen müssen, ihre Krankheiten nur zu Hause auskurieren, wenn in der Arbeit grade keine Termine anstehen, was praktisch nie der Fall ist. Wie kann das funktionieren? Weil alle mitmachen. Weil alle sich gegenseitig einander so solidarisch verhalten, und versuchen, ihre Kollegen nicht noch mehr zu belasten, indem sie sich verweigern. Weil jeder mit dem Appellohr hört. Weil alle damit ständig ihrem Chef den Arsch retten. Und weil sie alle längst resigniert haben?
Ich habe aber keine Lust mehr, mich zu arrangieren. Ich will nicht resignieren. Ich habe genug.
Und... ich kann nichts, absolut nichts tun.
Jetzt kommen wir zum Songzitat: Tanja hört grade von Smoke City I feel in a devil of a mood...
Und da ich mich grade beruflich als Übersetzer versuche, übersetz ich das jetzt mal, literarisch-frei: Ich bin scheiß-wütend.
P.S. Ihr wißt ja alle, wo Leo arbeitet, aber bitte erwähnt das nicht explizit in euren Kommentaren, sonst bekommt er am Ende Schwierigkeiten. Uuups, jetzt hab ich's schon wieder getan. Ich hab seinem Arbeitgeber den Arsch gerettet.

23 Januar 2008

Plattform

Jetzt muss ich hier doch auch mal politisch werden. Neulich abend habe ich im Ersten mal wieder eine Diskussionssendung gesehen. Eigentlich mag ich das Ding nicht sonderlich gern, der Moderator ist einfach zu dämlich. Aber oft haben sie interessante Leute da, und dann guck ich's eben doch. Diesmal war das Thema - oh Wunder! - Jugendgewalt und was man dagegen tun kann. Sie hatten die Creme de la Creme des Themas da, unter anderem Koch und Zypries. Außerdem einen Mann von der Kripo, einen türkischstämmigen Grünen-Abgeordneten, und den Leiter eines Jugendhauses. Es wurde heftig und nicht immer sinnvoll, aber durchaus interessant diskutiert, der geschätzte Ministerpräsident ließ die ehrenwerte Justizministerin keinen Satz beenden, und der laut Recherche reformierte, gebesserte jugendliche Vorzeige-Gewalttäter stellte sich köstlicherweise als gar nicht so reformiert heraus. Zum Schluss fragte der Moderator jeden Gast, bei wem der Anwesenden er sich bedanken möchte. Der Grüne bedankte sich bei dem Jugendhausleiter und dem Polizisten für ihre Arbeit. Die Zypries, so wütend, dass sie kaum ein Wort herausbrachte, bedankte sich bei dem Grünen für die aktive Diskussion. Der Jugendhausleiter bedankte sich bei gar niemandem, weil er das Gefühl hatte, die Belange seiner Jugendlichen seien in der Diskussion zu kurz gekommen. Der Polizist bedankte sich beim Jugendhausleiter. Koch bedankte sich beim Moderator - für die Plattform, die er dem Thema verschafft hatte. Muss ich dazu noch was sagen?

19 Januar 2008

Bettnässer

Könnt ihr euch noch erinnern, wie es war, ins Bett zu machen? Nachts aufzuwachen, alles ist nass und kalt, und dann kommt jemand und kümmert sich, gibt einem was frisches zum Anziehen, bezieht das Bett neu, und man krabbelt wohlig, trocken und warm zurück in ein ebenso wohliges, trockenes und warmes Bett...
Ich hab mich nicht erinnert - bis vor kurzem.
Nein, keine Angst, ich hab nicht ins Bett gemacht. Und aufstehen und mich umziehen musste ich auch selber. Und statt das Bett frisch zu beziehen, habe ich meistens nur ein Handtuch untergelegt und die Decke gewendet. Aber das Gefühl hat irgendwie ganz alte Erinnerungen wachgerufen...
Ok, jetzt muss ich wohl erstmal aufklären: Letzte Woche war ich ziemlich erkältet. In Kombination mit meinen lustigen Alles-Egal-Pillen, die mich sowieso nachts in eine Art Mini-Hochofen verwandeln (steht sogar im Beipackzettel, wenn auch anders formuliert), hat mich diese Tatsache so ins Schwitzen gebracht, dass ich jede Nacht klatschnass aufgewacht bin. Nicht im übertragenen Sinne, sondern wirklich so, als käme ich samt Kleidern grade aus der Badewanne.
Jetzt ist die Erkältung vorbei, mein inneres Thermostat nähert sich wieder seiner normalen Funktionsweise an (nachts gemäßigt-trockenes, warmes Klima), und - was soll ich sagen? Ich stehe nachts auf, um ins Bad zu gehen, krieche zurück ins Bett, und vermisse irgendwie dieses geborgene, umsorgte alles-frisch-und-trocken Gefühl...

07 Januar 2008

Ode an die Sprache

Oder vielleicht sollte es eher Kommunikation heißen. Sprache klingt so nach 'Mund auf, Worte kommen raus'. Dabei kommunizieren wir ja mit allem was wir in (echter, virtueller, eingebildeter, zukünftiger...) Interaktion mit anderen tun. Insofern ist doch wieder alles Sprache: Durch unser Verhalten, egal wie geplant oder unbewußt, erzählen wir anderen etwas über uns. Kunst, wie ich sie verstehe, ist eine Ausdrucksform unseres innersten Selbst, eine Reflektion und Mitteilung an andere, wie die Welt auf uns wirkt. Liebe ist eine Art Muttersprache, die wir von allen lernen, die uns lieben, die es vorgeben, oder es eben nicht tun.
Wie schädlich und schmerzvoll es ist, nicht zu sprechen, nicht auszudrücken, was in mir ist, habe ich bewusst erst in der Therapie gelernt. Erfahren hab ich es schon vorher, sonst wäre ich nicht krank geworden. Und seither wundere ich immer wieder über diesen seltsamen Mechanismus, dem die Menschen unterworfen scheinen: Aus irgendeinem (angeborenen? instinktiv verankerten? philosophischen?) Grund ist es für unser Seelenheil immens wichtig, dass wir kommunizieren, was in uns vorgeht. Und aus irgendeinem anderen (anerzogenen? zu wenig geschulten? völlig unsinnigem!) Grund fällt vielen von uns gerade das unheimlich schwer. Etwas zwingt uns, aber etwas lässt uns nicht. Ich habe überlegt, ob das der Widerstreit zwischen Mensch (=sprachbegabtes Wesen) und Tier (=je weniger man von sich kommuniziert/preisgibt, desto überlegener ist man) in uns ist. Aber vielleicht ist das doch ein ausschließlich menschliches Problem, denn Tiere können kommunizieren, aber nicht lügen und nichts vor ihren Artgenossen verbergen (mit Ausnahme der Stabheuschrecke vielleicht, die sich vorsätzlich als Ast ausgibt).
Irgendwann hab ich auf diesem Blog schon mal über dieses Thema philosophiert, find's aber grad nicht. Dafür beim Nochmal-Durchlesen einzelner Einträge erschreckend viele Rechtschreibfehler. Und das mir! Wo es mir doch so wichtig ist, Sprache, dieses sich ständig verändernde, wachsende, unstete, lebende Wesen, in feste Regeln zu pressen und alle dazu zu bringen, sich gefälligst dran zu halten. Warum eigentlich? Wo man doch so schön mit Sprache spielen kann, und spielen ist umso lustiger und kreativer, je weniger Regeln es gibt. Fürchte ich sie am Ende, die Sprache? Und das, weil ich sie zu gut oder zu schlecht beherrsche? Oder weil sie mich beherrscht, mich ausmacht, mich retten und verraten kann?
Dabei spiele ich dauernd damit, und ich selbst bin es, die sie verändert. (Dieser letzte Halbsatz ist ein hervorragendes Beispiel - wer verändert wen?) Und in dieser Veränderung liegt eine wundersame Eigenschaft von Sprache: je mehr, öfter, länger ich mit jemandem kommuniziert habe, desto weniger muss ich sagen, um verstanden zu werden. Das merke ich im Kontakt mit langjährigen, engen Freunden. Ein paar Worte reichen aus, und der andere weiß Bescheid. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt, die eine weit über Worte hinausgehende Verbindung zwischen uns schafft. Was ggf. die Notwendigkeit zu sprechen reduziert, die Sprache an sich ebenso wie die Freundschaft aber ungemein bereichert.
Aber selbst, wenn wir allein sind, hört das Bedürfnis zu kommunizieren nicht auf. Momentan fällt mir das vor allem auf, wenn ich, allein in unserer Wohnung, völlig verschnupft, verzweifelt suchend, laut nach den Taschentüchern rufe, als könnten sie mich hören und diensteifrig angehüpft kommen, um aufzunehmen, was meine Nase so dringend loswerden möchte. Aber auch in anderen, ernsteren Situationen. Ich muss an das Reh denken, das eine Ex-Kollegin angefahren hatte, und das eine geschlagene Stunde lang geschrien hat, bevor endlich der Förster kam, um es zu erlösen. Warum schreien Tiere, wenn sie verletzt sind? Ein Überlebensvorteil scheint mir das nicht zu sein. Nur ein Rückfall in kindliches Verhalten? Ich kann mir nicht mehr selbst helfen, also schreie ich und hoffe, dass ein Muttertier kommt und mir hilft? Oder auch hier das unwiderstehliche Bedürfnis, sein innerstes, weil unaushaltbar, nach außen zu kehren und - mit anderen zu teilen, selbst wenn es eine fremde Spezies ist?
Das bringt mich fast wieder zurück zum Thema Warum schreibe ich hier überhaupt?, aber dann muss ich wieder alte Einträge durchlesen und finde am Ende noch mehr Rechtschreibfehler als ich ertragen kann.
Statt dessen führe ich die Frage noch weiter und denke ich an Silvester, an Feuerwerk. Wem wollen wir mit dem Lärm und dem Licht was genau mitteilen? Seht her, ihr Geister, ihr Götter, ihr Galaxien! Wir sind hier! Wir existieren. Wir mögen viel Lärm und Rauch machen und in sekundenschnelle verglühen, aber wir sind laut und hell und wunderschön dabei! Das ist die Botschaft, die bei mir ankommt. Und während ich mir in der kalten Nacht den Hals verrenke, um keine Sekunde dieser bizarren, empfängerlosen, sinnbefreiten Nachricht zu verpassen, während ein kleines Kind weinend das Gesicht abwendet, um dem Lärm und dem Gestank und der Ungeheuerlichkeit des Kommunizierten zu entgehen, während sich zwischen zwei Menschen, die sich alles gesagt haben, ein Schweigen ausbreitet, das herzzerreissender nicht schreien könnte, während Lippenpaare aufeinandertreffen um auf wunderschöne Weise auszudrücken, was sie allein nicht sagen könnten, weiß ich, dass das das einzige ist, was mich rettet, dass es genau das ist, was mich, was uns alle ausmacht: Worte, Sprache, Kommunikation. Ich spreche, also bin ich.