22 November 2007

Geheilt entlassen

Die sechs Wochen sind rum, und ich bin wieder in freier Wildbahn. Auf meinem vorläufigen Entlassungsbericht steht 'arbeitsfähig'.
Dem stimme ich durchaus zu. Ich fühle mich in der Lage, wieder zu arbeiten, nicht in der Form wie vorher, sondern in vernünftigem Rahmen, und gelegentlich habe ich sogar richtig Lust dazu.
Aus Sicht der Rentenversicherung war die Reha-Maßnahme also ein voller Erfolg.
Und aus meiner Sicht?
Bin ich definitiv einen großen Schritt weiter. Ich habe einiges an zum Teil überraschenden Einsichten über mich selbst und die Welt im allgemeinen gewonnen, bin durch wochenlange Gehirnwäsche darauf getrimmt, besser auf mich selbst aufzupassen, und konnte mich ausführlich in Geduld und Toleranz üben, was mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass ich meinen Mitmenschen durchaus sehr viel zu geben habe. Eigentlich sollte letztere Erkenntnis nicht neu sein. Aber erst durch diese Wiederentdeckung ist mir bewußt geworden, wie viel von meinem (ohnehin nicht wahnsinnig ausgeprägten) Selbstbewußtsein mir die Depression genommen hatte.
Ich verlasse die Kur zuversichtlich. (Auch ein lange vergessenes Gefühl.) Ich entdecke neuerdings immer wieder kleine Anzeichen, dass die alte Tanja noch da ist, dass sie gelegentlich die Nase aus dem Fenster steckt, unter der Bettdecke hervorlinst, die Ohren spitzt oder einfach nur breit grinst. Willkommen zurück!

10 November 2007

Micro-Utopie

So, hier bin ich wieder. Ich habe das Gefühl, dass ich mittlerweile mindestens fünfmal auseinandergepuzzelt und wieder zusammengesetzt wurde; keine Ahnung, ob alle Teile noch am richtigen (oder angestammt falschen?) Platz sind. Jedenfalls kann es ganz schön anstrengend sein, sechs Wochen lang ausschließlich um sich selbst zu Kreisen, und alles, was man sagt, tut und denkt gleich zu analysieren und zu überprüfen... Und auch noch von 26 anderen Irren umgeben zu sein, die genau das gleiche tun. Ich schwanke ein bisschen zwischen "Jetzt langt's dann auch mal wieder" und "Kann ich noch mal sechs Wochen mehr haben". Naja, ich denke, in knapp zwei Wochen bin ich hier raus, und dann könnt ihr die neue verbesserte Tanja begutachten. Wahrscheinlich hat sich gar nicht so viel geändert. Außer der Frisur. Und der Haarfarbe. Und den Fingernägeln. Und Stricken kann ich jetzt auch...
Aber eigentlich wollte ich ja gar nicht von mir sprechen, sondern von einer Besonderheit hier in der Klinik. Auf jeder Station gibt es hier nämlich eine Sofaecke. Da kann man sich treffen, Kaffee trinken, sich unterhalten, Spiele spielen, Musik hören, Stricken, einfach nur rumhängen, und den Patienten mit Schlafstörungen abends das Leben schwer machen.
ich finde das eine ungemein praktische Einrichtung. Wenn man sich langweilt oder Lust auf Gesellschaft hat, geht man aus dem Zimmer, und schon hat man Leute um sich. Und wenn man seine Ruhe haben will, zieht man sich einfach aufs Zimmer zurück.
Wäre das nicht eine sehr schöne Form des Zusammenlebens? Ein großes Haus mit vielen separaten Wohneinheiten, wo jeder alles hat, was fürs Privatleben nötig ist (sprich eigene Küche, Bad, etc.). Plus ein großes Wohnzimmer und vielleicht eine Küche, wo man immer hingehen kann. Und wenn genug Leute in dem Haus wohnen, ist auch immer jemand da. Wenn man Lust hat, kann man gemeinsam Kochen, und ansonsten hängt man einfach so zusammen rum. Natürlich müßten entsprechend nette Leute in dem Haus wohnen. Für Leute mit Kindern wär's auch klasse, man hätte gleich Spielkameraden und immer jemanden zum Aufpassen. Sozusagen die Rückkehr zur klassischen Großfamilie, aber mit ausgewählten Leuten, und etwas weniger Zwang zur Nähe.
Ich sehe ein, dass dieses Modell an der Realität scheitern muss, gerade in Zeiten, wo von Arbeitnehmern maximale Flexibilität in Sachen Wohnort verlangt wird. Aber eine schöne Vorstellung ist es doch irgendwie...