29 März 2008

Friedliche Träume?

Neulich habe ich vom Dalai Lama geträumt. (Vielleicht sollte ich nochmal erwähnen, dass ich seeeehr abstrus träume, seit ich meine lieben Tabletten nehme; manchmal gruselt mich das ein bisschen, aber alles in allem werde ich diesen Teil der Nebenwirkungen sicherlich vermissen.) Jednefalls habe ich geträumt, der Dalai Lama sei in einem Keller gefangen, und kam bekam mehr oder weniger zufällig die Gelegenheit, ihm bei der Flucht zu helfen.
Sicherlich spielen da die aktuellen Nachrichten eine große Rolle. Aber vielleicht ist das auch wieder so ein Wink mit dem Zaunpfahl meines Unterbewusstseins. Eine Auseinandersetzung damit, was eigentlich gut und was böse ist? Vielleicht damit, was es für mich, für mein Verhalten bedeutet?
Eigentlich bin ich kein Schwarz-Weiß-Denker. Ich kann (manchmal, einigermaßen) mit Schuld umgehen, kann Leuten verzeihen, wenn sie Mist gebaut haben, finde sehr wenige Leute einfach nur ausschließlich verabscheuungswürdig (und auch sehr wenige nur ausschließlich makellos), und warte immer ab, bis mir jemand persönlich was böses tut, bevor ich beginne, ihm zu misstrauen (sprich, mich vor jemandem zu 'warnen' ist relativ hoffnungslos - seufz). Aber auf einer sehr fundamentalen Ebene glaube ich schon, dass es Dinge gibt, die einfach nur gut oder böse sind.
Die Einhaltung der Menschenrechte zum Beispiel (gut). Frauenzeitschriften (böse). Gewaltverzicht (gut). Oder?
Der Dalai Lama, so wenig ich schändlicherweise über ihn weiß, ist ein Mensch, den ich grenzenlos bewundere, weil er (wenn man den Medien glauben darf) für Werte steht, die ich für gut und erstrebenswert und dringend für die ganze Menschheit notwendig halte, und diese so unheimlich konsequent lebt, obwohl sein ganzes Volk darunter leiden muss.
Moment.
Hat man mir nicht grade in monatelanger intensiver Therapie eingebläut, dass es gut ist, Grenzen zu ziehen, für sich einzustehen, sich zur Wehr zu setzen? Dass zumindest zur Selbstverteidigung ein gewisses Maß an Gewaltausübung nicht nur gut, sondern unabdingbar ist? Wären die Tibeter nicht besser dran, wenn der Dalai Lama mal auf den Tisch hauen würde, und sagen, so liebe Chinesen, jetzt reicht's, wir schmeißen euch raus? Klar würden dann erstmal viele Leute ihr Leben lassen, aber vielleich, vielleicht würde ja jemand helfend auf Tibets Seite eingreifen...? Zumindest hätten sie dann alles versucht.
Allerdings wäre das dann auch der ernüchternde Beweis, dass wir (die Menschheit) uns wohl nie von unserer Tendenz, andere zu verletzen, auszubeuten und ihnen Gewalt anzutun, wenn wir es können, lösen können. Dass diese höhere Evolutions- oder Erleuchtungsstufe vielleicht einzelnen zugänglich ist, dass der Traum von einer gänzlich friedfertigen Menschheit aber nicht realisierbar ist.
Die Frage ist, ist dieses Streben nach einem höheren Ideal es wert, das ganze Leid und die Unfreiheit und die Unterdrückung auszuhalten? Die meisten Tibeter scheinen das trotz allem zu denken. Eine Frage der Abwägung, vor die ich nicht gestellt sein möchte. Auch dafür ist der Dalai Lama (und sein Volk) zu bewundern. Ob er manchmal zweifelt?
Vor einer Frage der Abwägung steht wohl zur Zeit auch jeder Sportler und jeder Funktionär des IOC. Was ist mir wichtiger? Meine Karriere, auf deren Höhepunkt ich lange Jahre hingearbeitet habe... oder mein Gewissen, dass ich durch meine Teilnahme damit belaste, einem Staat, der von Menschenrechten nicht viel hält, eine Propagandaplattform und internationale Bestätigung zu bieten.
Wem diese Frage noch nicht zynisch genug ist, hier noch ein paar kleine Informationshappen zum Selberzusammenbasteln:
China baut grade ganz viele grandiose Sportstadien.
In China gibt es die Todesstrafe.
Hinrichtungen sind in China öffentliche Großereignisse, die auf Massenwirkung abzielen.
Massenveranstaltungen werden gerne in Sportstadien abgehalten.
Hat jemand Lust, Olympia zu gucken?

3 Kommentare:

naiko hat gesagt…

manchmal ist zynismus nur deshalb zynisch, weil die fakten an sich zynisch sind. wenn man genau darüber nachdenkt, sportstadien zu befürworten, die später (eventuell) für öffentliche hinrichtungen gebraucht werden, ist eben zynisch. oder auch einfach grausig.

jedenfalls haben wir uns vorhin am telefon ja darauf geeinigt,dass es ganz gut ist, dass sportler sich "politisch neutral" verhalten sollten (sofern das geht), aber trotzdem ist die aussage des Kommitees mehr als zweifelhaft, denn schließlich hat man im nachhinein auch ein paar kritische worte für die olympischen spiele 33 gefunden, die den nationalsozialisten eine ideale plattform für politpropaganda und selbstinszenierung boten. sollte man solches also wieder machen?

lernen wir je aus der geschichte?

es gibt zyniker, die behaupten, die geschichte wiederhole sich unabdingbar immer wieder.

aber sind das wirklich zyniker.
oder einfach leute, die der wahrheit ins gesicht zu sehen wagen?

n.

p.s. meine schwetser hat den dalai lama mal "live" gesehen. sie erzählt, er habe genau diese ausstrahlung, die man sich vorstellt. er strahle vor ruhe und weisheit. obwohl ich auf die vorgänge in tibel innerlich sicher nicht annähern friedfertig reagiere, denke ich doch, dass die friedfertigkeit des dalai lama so bewundernswert und wertvoll ist, dass es es wert sein muss, diesen weg zu verfolgen. kampf würde bei der chinesischen übermacht und dem mangel an menschenrechtsbewusstsein vermutlich sowieso nichts bringen. oder?

Anke hat gesagt…

Hi,
gerade habe ich bei BBC einen Bericht über Tibet gesehen, gefilmt von einem Ex-Tibetaner (jetzt: Briten), der vor Jahren geflohen ist und nun dort 3 Monate undercover gelebt hat, um die aktuellen Verhältnisse zu erforschen. Denn darüber scheint echt wenig bekannt zu sein. Ich wußte nicht, daß meine scheinbar mäßigen Kenntnisse über die Lage in Tibet dennoch ungefähr alles umfaßten, was nach draußen drang.

Der Ex-tibetaner sprach mit Leuten, die u.a. erzählten:
Dieser Mann wurde zu einer Konferenz "geladen", die ihn und andere über den Sozialismus informieren sollte. Es stellte sich heraus, daß die Versammlung in Wirklichkeit dazu da war, Leute zu bestrafen, die mehr als 1 Kind hatten (obwohl China's 1-Kind-Politik in Tibet angeblich nicht gilt). Z.B. wurden Frauen vor die Wahl gestellt, eine hohe Strafe zu zahlen -die sich kaum jemand leisten kann- oder sich sterilisieren zu lassen. (*)

Dieser Interviewte und ein paar Freunde hatten auf der "Konferenz" für ein freies Tibet protestiert. Sie wurden verhaftet, ins nächste Dorf gebracht und dort übel zusammengeschlagen. Dann wurden sie eingesperrt. Der Interviewte selbst war nicht dabei gewesen, als seine Freunde die Tibet-Flagge genäht hatten, die sie geschwenkt hatten, und wurde deshalb "nur" zu 13 Jahren Haft verurteilt.
13 Jahre für eine Protest-aktion. Er war gerade entlassen worden.
Viele andere Interviewte erzählten von Folter; fast keiner wollte sein Gesicht zeigen; einer brauchte während dem Interview eine Pause, um sich zu fangen, und dann weitersprechen zu können.

(*)Später sprach der Ex-tibetaner mit einer Frau, die das durchgemacht hatte. Sie wurde nach dem Prinzip "Eileiter durchtrennen" sterilisiert; nur daß die Eileiter nicht durchgeschnitten wurden (so hat sie es jedenfalls empfunden/erzählt), sondern sie wurde aufgeschnitten und die "Ärzte" zogen einfach daran. Ohne irgendeine Betäubung. Als einziges Medikament bekam sie danach Aspirin gegen die Schmerzen; alles andere wie z.B. Infusionen musste sie sich -wenn gewünscht-, selbst kaufen. Sie hat die Narben gezeigt.

Selbst die Mönche werden streng überwacht, von Polizisten in Zivil. Vor einigen Wochen wurde ein 18-jähriger Mönch abgeführt, weil er "Free Tibet" an den Rand einer Seite in einem Buch gekritzelt hatte. Seitdem haben die anderen Mönche nichts mehr von ihm gehört.

Der Bericht hatte begonnen mit Doku-szenen, wie eine Gruppe Tibetaner durch die Berge nach Nepal wandert; eine kleine Schlange Menschen in der Ferne; Szenen die Touristen heimlich vor einigen Monaten aufgenommen hatten. Die Wanderer haben oft keine spezielle Ausrüstung (wie z.B. Bergschuhe), wandern durch Schnee, einen Monat lang dauert es. Unterwegs gibt es (fast?) nichts; jedenfalls keine medizinische Versorgung z.B. für frost bite. Dann sieht man, wie erst eine, dann noch eine der Wanderer umfallen. Chinesische Soldaten hatten die Gruppe entdeckt und das Feuer eröffnet. Die letzte Figur in der Gruppe war ein Kind gewesen.

Im Fall von Tibet/Unterdrückung durch China: Friedlicher Protest hat jahrzehntelang nicht geholfen. Revolution in Tibet wird auch nichts helfen; dazu ist China zu übermächtig.

Das einzige, was IMHO hilft, ist internationaler Druck auf China. Schließlich will China Handelsabkommen mit dem Rest der Welt; wir sollen ihre Produkte kaufen. Sie werden die Olympischen Spiele für das gute Image ihres Landes nutzen; und jeder, der hinfährt (Sportler wie Zuschauer) anerkennt damit bis zu einem gewissen Grad China und die Zustände in China.
Hinfahren ohne deutlich seine Meinung über Menschenrechtsverletzungen in C zu äußern, heißt, China's Handeln zumindest ein wenig zu billigen. Nichtstun ist genauso politisch wie Protest.

Alleine wird Tibet es nicht schaffen.

Anonym hat gesagt…

Ich habe den Dalai Lama auch einmal live erlebt und kann nur sagen, dass ich seine Haltung bewundernswert finde. Es ist bestimmt nicht einfach, unter solchen Umständen die olympischen Spiele in China immer noch zu befürworten...

Ich hatte mal eine chinesische Brief- bzw E-Mail-Freundin. Wir haben uns gut verstanden, bis es zum Thema Tibet kam. Sie erzählte, dass sie das Land gern mal besuchen würde, und dass es den Leuten dort schon sehr viel besser ginge (!)
Kein Wunder, dass es den Tibetern schlecht geht nach einer so langen Besatzungszeit. In ihren Zeilen las sich das aber eher so, als ob die "rückständigen" Tibeter dringend Entwicklungshilfe aus China bräuchten. Sie schien von dieser Propaganda sehr überzeugt zu sein. Ich habe mich dann gar nicht erst auf eine politische Diskussion eingelassen - nicht nur, weil meine und ihre Englischkenntnisse dazu nicht ausgereicht hätten.
Ich glaube, sie hätte meine Ansicht so oder so nicht verstanden.

Was ich im Moment besonders schlimm finde: dass in China die Meinung vertreten wird, der Dalai Lama schüre die tibetischen Aufstände und rufe auch zu Gewalt auf. Es ist einfach nur absurd.