27 Oktober 2010

Die Meinung der anderen

Gestern habe ich geträumt, ich hätte Lenny am Flughafen vergessen. Keine Ahnung, was ich überhaupt am Flughafen gemacht habe, jedenfalls bin ich zum Glück nicht weggeflogen, sondern konnte einfach hingehen und ihn abholen. Jemand hatte ihn wohl gefunden und in eine Art Kinderbetreuung gebracht. Natürlich hat er ganz furchtbar geweint, aber nicht das hat mich am meisten aus der Fassung gebracht, sondern der Gedanke: "Wie erkläre ich das den Erzieherinnen dort, dass ich einfach mein Kind vergesse?"
Das finde ich etwas enttäuschend. Immerhin versuche ich ja seit Jahren z.T. mit professioneller Hilfe, mich davon frei zu machen, vom (vermeintlichen) Urteil anderer abhängig zu sein.
Mit Kind ist das allerdings noch schwieriger als ohne. In keinem anderen 'Job' fühlte ich mich von der ganzen Welt so kritisch beäugt und beurteilt. Eine der Mütter in meiner Krabbelgruppe hat neulich den Brei für ihre Kleine in der Tupperdose mitgebracht; im Gespräch stellte sich dann heraus, dass er doch fertig gekauft war. Hat sie ihn extra für uns andere - natürlich kochen wir alle selber und kaufen keinen Fertigbrei - umgefüllt? Ihre Tochter ist ein fröhliches, lebhaftes und gesund wirkendes Kind. Reicht uns das nicht? Reicht uns das in ihren Augen nicht? Und warum sind wir überhaupt wichtig?
So weit, Gläschen in Tupper umzufüllen, würde ich nicht gehen. Doch ich ertappe mich immer wieder bei dem Wunsch, einfach zu behaupten, dass Lenny schon durchschläft, oder zu verschweigen, dass ich "immer noch" stille. Und das, obwohl mir seine Entwicklung zeigt, dass viele Dinge sich ganz von selbst ergeben, ohne dass ich mich dafür erzieherisch auf den Kopf stellen muss. Oft reicht es, wenn ich einfach meinem Gefühl folge.
Und da sind wir schon wieder beim alten Thema: mehr auf die eigene Intuition hören. Liebes Kind, ich bitte Dich: Hör nicht auf, mir in dieser Hinsicht positive Lektionen zu erteilen. Und liebe Umwelt: Bauchgefühl lässt sich, auch wenn ich's oft versuche, nicht erklären, stimmt aber trotzdem oft.

14 Oktober 2010

So nicht mehr

Getreu dem Motto dieses Blogs steht uns - speziell mir - mal wieder eine Änderung bevor. Keine plötzliche diesmal, mehr eine Reaktion auf langsames Anderswerden der Lebensumstände.
Bis jetzt hat das Konzept 'Mutter mit ein bisschen selbständiger Arbeit' ganz gut geklappt. Als Lenny ein paar Monate alt und aus vielem Grobem (noch lange nicht dem Gröbsten) raus war, hatte ich tatsächlich täglich Zeit, ein bisschen am Computer zu arbeiten. So konnte ich meine drei Lieblingskunden bedienen, um zu vermeiden, bei ihnen in Vergessenheit zu geraten. Bestandkundensicherung, mehr will ich momentan gar nicht erreichen. Dann kam von Lieblingsagentur Nr. 1 ein ziemlich großer Auftrag. Ich gab mein Bestes - mit fatalen Folgen, denn dadurch gewann die Agentur offenbar einen Großkunden, der jetzt jede Woche solche Riesenaufträge erteilt. Alles spannende Spiele, bei denen ich gerne mitübersetzen würde.
Parallel dazu lernt Lenny grade laufen, was aber eigentlich gar nicht nötig wäre, weil er krabbelnd sowieso überall blitzschnell hinkommt. Das macht die Kinderbetreuung zu etwas sehr Aufmerksamkeitsintensivem - nebenher Korrekturlesen ist quasi unmöglich. Ich schaffe es gerade mal so, die vier bis fünf Anfragen, die ich täglich von meinem Kunden bekomme, abzusagen. Frustran für mich, nervig für den Kunden, der immer nur 'nein' von mir hört.
Auf keinen Fall ein akzeptabler Dauerzustand.
Allein, wie ist das zu ändern?
Man könnte ja über KITAs oder Tagesmütter nachdenken, wenn selbige täglich spontan ab ca. 17h bzw. dann doch erst am nächsten Morgen oder auch mal eben übers Wochenende (=alles typische Auftragstermine) verfügbar wären.
Und dauernd zur Oma geben will ich den Kleinen auch nicht, sonst finanziere ich mir ja sozusagen die Selbständigkeit über ihre Rente.
Mir fällt nichts anderes ein, als dem Kunden zu sagen, dass ich nochmal pausiere.
Schweren Herzens, aber mit viel weniger Bedauern, als ich erwartet hätte. Schließlich ist das nicht nur gut für Lenny, sondern - schon wieder - ein Therapieerfolg, weil ich mir so jede Menge Stress vom Hals halte. Schade nur, dass ich die ganzen lustigen Spiele verpasse. Aber vielleicht auch besser so: Wenn ich erst wieder Spiele übersetze, wenn unser Kleiner alt genug zum Selberspielen ist, hab ich gleich unter Kontrolle, dass da auch keine schlimmen Wörter drin vorkommen... ;)

05 Oktober 2010

Stress

Momentan bin ich furchtbar im Stress. Der Kleine schläft schlecht und will ca. 5mal pro Nacht gefüttert werden. Leo hat im neuen Job angefangen und unsere Nervosität, was die auf uns zukommende Arbeitsbelastung betrifft, legt sich unterschwellig über alles. In der Familie gibt es Streit. Meine Lieblingskunden schicken dauernd Arbeit, ich muss mit beiden Händen abwehren, und wenn ich mal für 'einen kleinen Job' zusage, bekomme ich doppelt so viel Arbeit wie angekündigt mit kürzerer Deadline. Gestern nachmittag um halb 3 habe ich dann auch noch entdeckt, dass ich einen Auftrag komplett übersehen hatte, Umfang: ca. 2-3 Arbeitstage, Deadline: in einer halben Stunde. (Hab das ganze dann in etwas über 7 h erledigt, aber fragt nicht wie...)
All diese Dinge schwirren um mich herum wie hektische Planeten um eine kleine Sonne. Aber interessanterweise kollabiere ich nicht zum Schwarzen Loch, so dass alles auf mich einstürzt. Es gibt zwar kleinere Sonneneruptionen, aber die Stressplaneten bleiben in ihrem Orbit und halten einen gewissen, gerade noch erträglichen Abstand.
Heißt das etwa, ich bin einigermaßen stabil...? :)

30 September 2010

Die Wahrheit...

...so sehr ich sie auch schätze, ist doch nicht immer zielführend.
Neulich in der Apotheke.
Tanja: Ich brauche Insulinspritzen.
Apothekerin: Da haben wir zwei Packungsgrößen, die große müsst ich allerdings bestellen, die ist aus.
Tanja: Dann geben Sie mir halt erstmal ein paar kleine Packungen.
Apothekerin: Ja, das kommt Sie aber dann wesentlich teurer. Ich weiß ja nicht, wofür Sie's haben wollen, aber die kleinen verkaufen wir meistens nur an Junkies, die schnell einen Schuss brauchen.
Tanja (denkt): Junkies? Naja, so sehe ich ja wohl kaum aus. Obwohl... Die Kleidung ist voller (Brei-)Flecken, vom Renovieren sind die Arme zerkratzt und die Fingernägel abgebrochen, blaue Flecke in den Armbeugen vom Babyschale-Schleppen, die Augen blutunterlaufen von vielen nächtlichen Schlafunterbrechungen, und überhaupt, wann habe ich mir eigentlich zuletzt die Haare gewaschen...? Ich sollte jetzt besser was Plausibles sagen, um den Junkie-Verdacht auszuräumen.
Tanja: Also, eigentlich brauch ich die Spritzen für meine Katze... äh...

20 September 2010

Der Anfang von etwas

Gerade herrscht in meinem Freundeskreis eine Art verspäteter Frühlingsstimmung. Dinge beginnen, überraschende wie lang geahnte. Und genau wie Vogelgezwitscher und laue Luft im Frühling hebt dieses erwartungsvoll-vorfreudige Gefühl und die Euphorie des gerade angefangenen Neuen immens die Laune. Ihr färbt auf mich ab! Danke für den Frühling im Herbst! :)

17 September 2010

Stealth-Krabbler

Kind schläft im Schlafzimmer. Eltern sind in der Nachbarwohnung und bauen Schränke auseinander. Babyfon passt auf Kind auf. Und bleibt stumm. Bis man das Kind irgendwann laut von nebenan schreien hört. Nur nicht durchs Babyfon. Mutter flucht über im Internet bestellte, nicht funktionierende Elektronik und rennt ins Schlafzimmer. Kein Kind. Selbiges befindet sich im Wohnzimmer, wo es gerade einen Schrank auseinandernimmt. Da hilft die beste Funkverbindung nichts, wenn Lenny nach dem Aufwachen erstmal leise aus dem Bett und nach nebenan krabbelt, bevor er schreit...

29 August 2010

Sweet dreams

Ein Kind haben kann ja durchaus auch mal anstrengend sein. (Der geneigte Leser bemerke den Hauch subtiler ironischer Untertreibung.) Das habe ich erwartet, genauso wie die positive Kehrseite der Medaille - man kann sich an den abstrusesten Dingen freuen. (Der geneigte Leser mit nicht allzu ausgeprägtem Ekelgefühl spreche mich bei Gelegenheit auf Brombeergeruch an.)
Aber es gibt auch Dinge, die mich so unerwartet treffen, dass mein Herz spontan in tausend kleine Glitzerscherben zerspringt. Zum Beispiel wenn Lenny tief schlafend neben mir im Bett liegt und plötzlich anfängt, leise glücklich vor sich hin zu lachen. Wer soll das aushalten?
Ich geh mal eben mein Herz aufsammeln, ich glaub, die Scherben hüpfen immer noch...

19 August 2010

Wandel der Zeiten

Horrornacht vor sechs Jahren hieß für mich: Felix kommt vorbei und hat richtig gruslige Sachen wie Juon oder The Ring im Gepäck. Wir gucken die halbe Nacht Video, und danach muss ich bis drei Uhr morgens was Harmloses wie Kinderbücher lesen, um überhaupt schlafen zu können.
Horrornacht vor drei Jahren: Leo hat den ganzen Tag gearbeitet, kommt erschöpft nach Hause, wir fangen an, Video zu gucken, das Telefon klingelt. Er kommt um halb eins heim, fällt ins Bett und um drei Uhr klingelt das Telefon schon wieder. Am nächsten Morgen ist Dienstbeginn um sieben.
Horrornacht heute: Lenny ist erkältet und kann nur in aufrechter Position schlafen. Leider gilt für mich (sein Ersatzbett) genau das Gegenteil. Um drei Uhr morgens beschließe ich, noch eine Stunde durchzuhalten, bevor ich an Leo übergebe und Papas Dienst beginnt.
Horrornacht in drei Jahren: Lenny ist krank und kann gar nicht schlafen, egal in welcher Position. Mama und Papa müssen abwechselnd bzw. vorzugsweise gleichzeitig was Harmloses wie Kinderbücher lesen, damit die Nachbarn überhaupt schlafen können. Um drei Uhr morgens ist er endlich eingeschlafen, da fängt sein Schwesterchen an zu schreien...

04 August 2010

Who told you a calf to be?

Vorsicht, langer Post!
Ich lese grade ein sehr spannendes Buch: Der Luzifer-Effekt von Philip Zimbardo. (Ja, genau, *der* Zimbardo.) Darin wird das "Stanford Prison Experiment" aus den 70ern beschrieben, im Grunde ein Rollenspiel, bei dem eine Gruppe Studenten ein Gefängnis simuliert. Darüber gibt's auch einen Spielfilm, Das Experiment, den ihr vielleicht gesehen habt - in dem geht die Eskalation allerdings wesentlich weiter als in der Realität. Trotzdem ist die Sache auch in Wirklichkeit ziemlich katastrophal eskaliert, und das schon in den ersten Tagen. Zwei Wochen waren ursprünglich geplant, nach 6 Tagen war's vorbei - viel zu spät, nach dem zu urteilen, was schon in den ersten Tagen passiert.
Interessanterweise sagen die meisten der Studenten, die Wärter darstellen, am Anfang von sich, dass sie sich die Rolle eigentlich gar nicht zutrauen und Zweifel daran haben, dass sie überhaupt so hart gegen die Häftlinge sein können. Dann betreten sie das 'Gefängnis' und benehmen sich durch die Bank knallhart, gnadenlos und sadistisch. Die Angst, eine Rolle nicht erfüllen zu können, führt zu kritik- und grenzenloser Übererfüllung?
Und auch auf Häftlingsseite scheint die Identifikation mit der Rolle mehr zu wiegen als jede Vernunft: Irgendwann gibt es eine Anhörung vor einem 'Bewährungsausschuss'. Dieser fragt die Häftlinge, ob sie auf ihren bis dahin verdienten Lohn (immerhin üppige 15 Dollar am Tag für einen 24-h-Job inkl. körperlicher Misshandlungen, Essensentzug, mangelhafter Hygiene und dauernder psychischer Demütigung) verzichten würden, wenn man sie freilässt. Fast alle antworten mit ja. Alle akzeptieren aber, als ihr Bewährungsgesuch abgelehnt wird, und setzen ihre Gefangenschaft fort - obwohl sie ja tatsächlich nur durch ihren Vertrag an das Gefängnis gebunden sind. D.h. sie könnten kündigen, und bekunden, dass sie bereit sind, die negativen Auswirkungen der Kündigung - kein Lohn - zu akzeptieren. Trotzdem lassen sie sich wie die Kälber wieder zurück in ihre Käfige führen.
Weil sie nach ein paar Tagen der Demütigung und Hilflosigkeit keinen selbständigen, von der Gnade ihrer Gefängniswärter unabhängigen Weg in die Freiheit mehr sehen? Weil "wer A sagt, ja auch B sagen muss"? Weil sie nach nur vier Tagen ihre Rolle so verinnerlicht hatten, dass sie nicht mehr anders denken konnten als der Gefangene, den sie darstellten?
Wer jetzt sagt, "Klar, solche Rollenspieler kenn ich auch", dem kann ich nur zustimmen. Ich kenne auch einige solche. Leute, die z.B. eine neue Arbeitsstelle antreten, Zweifel an ihrer eigenen Qualifikation haben und deswegen unsinnig hart arbeiten und jede noch so abstruse Forderung erfüllen, anstatt einfach um eine vernünftige Einarbeitung zu bitten. Leute, die jahrelang in missbräuchlichen Beziehungen ausharren, weil sie vergessen haben, dass ein Leben außerhalb einer Beziehung im Bereich des möglichen liegt. Leute, die ein Leben leben, das von ihnen erwartet wird - weil das ihre Rolle ist.
Who told you a calf to be? Why, I told myself, of course.

28 Juli 2010

Kinder(lieder)ei

Itsy bitsy Lenny crawled across the bed
Over the the edge he tumbled, and he hit his head
Mommy came running and sang a soothing song
Which was what little Lenny had hoped for all along.
:)

14 Juli 2010

Gummihuhn mit Haken

Lenny ist gerade, nachdem er jetzt schon gut sitzen, aus einem Becher trinken und Brei essen kann, in eine Phase eingetreten, die kaum ein Lehrbuch über die Entwicklung von Kindern erwähnt: Die Computer-Adventure-Phase. Für alle nicht-Nerds: Bei diesen Spielen versucht man u.a., Rätsel und Aufgaben zu lösen, indem man von Ort zu Ort läuft, Dinge findet, einsammelt und selbige mit anderen Dingen benutzt. Andere Verben als 'benutzen' kommen selten vor, weil das das Vokabular des Computers nicht hergibt. Z.B. findet man also einen Schlüssel, kann aber nicht eingeben "öffne Tür mit Schlüssel", sondern nur "benutze Schlüssel mit Tür". Das ist weniger präzise, führt aber i.d.R. zu gewünschten Ergebnis.
Lenny ist schlauer als ein Computer, d.h. er wird irgendwann ein etwas größeres Vokabular haben (hoffe ich). Momentan ist aber das Handlungsrepertoire noch ähnlich beschränkt, und drum versucht er einfach, alles, was er in die Finger kriegt, mit allem, was in Reichweite ist, zu benutzen, indem er es aneinander hält oder schlägt. Der Adventure-taugliche Befehl dazu wäre dann z.B. "benutze Quietscheentchen mit Katze", "benutze Löffel mit Mamas Auge" oder, ein all-time-favourite, "benutze Aufblaszombie mit Plüschmade".
Das sieht auf den ersten Blick nach wahllosem Trial and Error aus, aber, hey, wer weiß, vielleicht steckt ja Methode dahinter. Irgendwann ist sicher eine "Gummihuhn mit Haken"-Kombination dabei, die ein (unerwartet?) nutzbringendes Ergebnis liefert.

08 Juli 2010

Die Unschuld ist weg

Ich weiß, was ihr jetzt denkt: Ist das mit 38 nicht ein bisschen spät?
Aber natürlich meine ich was ganz anderes.
Ein Mitpatient aus der Klinik, der an einer Angststörung litt, brachte mich drauf: Selbst wenn er jemals seine Angststörung vollständig loswerden sollte, meinte er, könne er doch nie ganz sicher sein, dass sie nicht wiederkommt - denn Angst ist ja ein sehr alltägliches Gefühl, das jeder oft hat, und wie sollte er sicher sein, dass dieses Gefühl nicht der Beginn eines Rückfalls ist? Das fasste er sehr schön mit den Worten zusammen, die jetzt die Überschrift dieses Eintrags bilden.
Und jetzt spüre ich das gerade am eigenen Leib. Ich fühle mich überfordert. So, wie ich in der Schwangerschaft befürchtete, mich zu fühlen, wenn das Kind erst da wäre. Zuhause eingesperrt, nur noch auf meine Mutterrolle reduziert, von früh bis spät langweilige, lästige oder eklige Tätigkeiten verrichtend.
Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Jedenfalls nicht durch Lenny. Allerdings sehr wohl durch Kodamas Diabetes. Und auch, wenn das sicher kein Dauerzustand ist - keiner sein kann - reicht es doch, dass ich mich immens überfordert fühle. Dass jede Kleinigkeit, die schiefgeht, mich zum Heulen bringen kann. Dass ich alles nur noch negativ sehe.
Dass ich den Schatten wieder in den dunklen Ecken hinter mir lauern spüre. Und obwohl mein Kopf weiß, dass ich deswegen jetzt nicht gleich wieder depressiv werden werde, schlägt mein Gefühl doch Alarm und will, dass ich weglaufe/mich heulend unter der Bettdecke verkrieche/wieder in Therapie gehe. Braucht wohl noch eine Menge 'richtige Gegenwart', bis ich mit diesem Unschuldsverlust leben kann...

06 Juli 2010

Die Party ist vorbei

Hatte gerade Besuch vom Tierarzt - einem der wenigen Katzendiabetesspezialisten überhaupt. Er und seine Assistentin waren über zwei Stunden hier, haben mir erklärt, was ich mit Kodama alles machen muss, sie abgetastet und gepiekst und mir generell eine Lehrstunde in Sachen Diabetes verpasst.
Fazit (neben einer horrend hohen Rechnung, der weitere ähnliche folgen werden): Wir müssen ihr alle 4 Stunden Blut abnehmen (nachts reicht ein 8h-Abstand) und ihr dann eine entsprechende Insulin-Dosis verabreichen. Alle zwei Tage müssen wir mehr Blut aus dem Ohr rausquetschen, um die Ketone zu testen. Damit fallen einige Freiheiten flach, die mit Kind noch ohne Probleme möglich waren, z.B. Rollenspielen bei jemand anderem, oder kombinierte Ausflüge wie Frühstücken gehen und dann einkaufen. Von Wochenendtrips oder gar Urlaub will ich gar nicht reden. Wie lange das so gehen soll, hatte ich nach über zwei Stunden Vortrag nicht mehr den Kopf frei, den Arzt zu fragen. Aber macht nix, ich muss ihn ja erstmal täglich alle vier Stunden anrufen, bis wir die passende Insulindosis gefunden haben. Da ergibt sich sicherlich die Gelegenheit zum Fragen.
Bis dahin habe ich mit folgendem Spielzeug meinen Spaß, während die Katze aus Protest und Stress unser Schlafzimmer vollkotzt und -pieselt:

25 Juni 2010

Malign Design

Das ist der Name der neuen Religionsbewegung, die ich hiermit gründe.
Der leitet sich natürlich vom sog. Intelligent Design sowie dem genialen Douglas-Adams-Zitat ab, das ich hier schon mehrfach angebracht habe.
Der ultimative Beweis für die Boshaftigkeit eines wie auch immer gearteten Designers, der hinter dieser seltsamen Welt steckt, ist nicht die Kokosnuss, sondern die Tatsache, dass das Alter zwischen 6 Monaten und einem Jahr, wenn alles einigermaßen gut läuft, wohl die glücklichste und unbeschwerteste Zeit im Leben eines Menschen ist - und dass keiner von uns sich später daran erinnern kann. Fieser geht's doch nicht, oder?

Imerhin kann man's wenigstens auf Film festhalten (ist das jetzt Götteslästerung?):

16 Juni 2010

Grausiger Kellerfund

Neulich stieß ich im elterlichen Keller auf eine Posterrolle. Diese enthielt neben einigen grässlichen 80er-Jahre-Postern mit weichgezeichneten Tauben vor rosa Sonnenuntergängen noch etwas Schlimmeres (ja, das geht): ein großes Foto von mir und meinem ersten Freund. Jetzt habe ich mir gelegentlich schon überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich den mal wiedersehen würde. Einmal, vor Jahren, kam mir auf der Straße jemand entgegen, der ihm sehr ähnlich sah, und ich hätte fast meine Tasche fallenlassen und auf dem Absatz kehrt gemacht.
Meine Reaktion darauf, ihn so ganz real, in ca. 20% seiner Lebensgröße, mit mir im Arm wiederzusehen, war ungefähr - gar nichts. (Gefolgt von einem "oh Gott, was für Klamotten!")
Das hat mich irgendwie erstaunt.
Heißt das, es ist tatsächlich möglich, mit den Ungeheuer(lichkeite)n seiner Vergangenheit abzuschließen? Nicht nur vom Kopf her, sondern auch vom Bauchgefühl, das ja für spontane Reaktionen eher das Ausschlaggebende ist?
Und ich meine jetzt nicht das übliche "man kann ja Freunde bleiben und sich mit etwas Abstand wieder gut verstehen", sonder eher die Verarbeitung einer Beziehung mit einem kaputten, gewalttätigen Psychomonster bar jeder emotionalen Intelligenz.
Ich muss an ein Lied denken, dass ich früher (nicht nur musikalisch) reichlich schwachsinnig fand: Return to Innocence. Unschuld, so dachte ich, kann man nur einmal verlieren, aber nie wiedergewinnen. Analog zu "can't unthink": Can't unfeel, can't unknow, can't unlive.
Offenbar geht das aber doch irgendwie. Vielleicht reicht es zur tatsächlichen Aussöhnung mit der Vergangenheit, zwischendrin mal die richtige Gegenwart zu erwischen.
Lässt sich so jede scheußliche Vergangenheit emotional ausradieren? Sicher nicht. (Hab da gerade nochh einen Post zum Thema Unschuld im Kopf, den ich mal tippe, wenn Lenny wieder so lang schläft.) Aber allein der Gedanke, dass sowas möglich ist, ist doch irgendwie tröstlich.

09 Juni 2010

El Guapo unterwegs

Erstmal vorweg: Ich komme viel zu wenig zum Schreiben, hab schon drei verschiedene Post-Entwürfe angefangen, aber mit einer Hand schreibt sich's so schlecht... Der geneigte Leser möge mir verzeihen und die Treue halten. Wenn Lenny laufen/lesen/autofahren kann, hab ich bestimmt wieder mehr Zeit.
Zunächst aber fahre ich ihn noch durch die Gegend. So z.B. neulich, als wir uns mit der U-Bahn in die Stadt aufmachten, eine Freundin besuchen. Dass mein Kind ein richtig Hübscher (="El Guapo", der Spitznahme stammt von einer meiner spanischen Kundinnen, die angesichts eines Fotos nur noch in begeisterten Großbuchstaben mailte) ist, war mir ja klar. Dass ich mich vor Lenny-Fans aber nicht mehr retten können würde, hat mich doch irgendwie überrascht:
Zuerst sprach uns eine hübsche, junge, leicht schwangere Italienerin an - eigentlich ihn, ich war nur sekundär interessant - die dann die ganze Fahrt über mit ihm flirtete.
Dann, kaum waren wir ausgestiegen, fragte mich eine Mutter mit zwei Kindern nach dem Weg. Sie wollte in meine Richtung, also nahm ich sie mit. Hinterher stellte sich raus, dass sie gleich um die Ecke wohnte. Also die Frage nach dem Weg nur ein Vorwand, um Lenny zu verfolgen?
Wirklich unheimlich wurde mir die Sache aber auf der Rückfahrt.
In unserem Abteil saßen ein paar türkischstämmige Jugendliche, die sich mit bemüht tiefen Vor-Stimmbruch-Stimmen über ihre Gefängniserfahrungen unterhielten. Und beim Aussteigen kommt einer der Jungs auf mich zu und stellt fest: Ey, Sie ham voll des süße Baby...

13 Mai 2010

Sonnenscheinchen

Und das muss jetzt auch noch sein: Ist er nicht süß?

06 Mai 2010

Brains

Damit nicht nur Facebooker in den Genuss kommen, veröffentliche ich das Video auch endlich mal hier: Ihr seht, wie Lenny auf die Herausforderungen des Lebens, in diesem Fall eine Zombieattacke, vorbereitet wird - und wie locker er's nimmt. :)


27 April 2010

Identität

Neulich waren wir auf der Hochzeit von Freunden aus unserer Hamburger Zeit. Natürlich wurden da viele Erinnerungen wachgerufen, und zwar, da die Hochzeit nix mit Arbeit zu tun hatte, durchwegs positive. Dann irgendwann spät abends kam der Hochzeitswalzer, und ich kippte schier aus den Schuhen, als ich hörte, was für ein Lied sich die beiden ausgesucht hatten. Es stammte aus dem Soundtrack zu einem Film, und ich hatte damals, als ich den im Kino gesehen hatte, schon was dazu gepostet. Denn die Hauptcharaktere und deren gerade entstehende Beziehung, die in diesem Lied sehr schön herauskommt, erinnerten mich doch sehr an Leo und mich.
Jetzt fühlte ich mich nicht nur zu lieben Freunden zurückversetzt, sondern auch in eine Zeit, in der Leos Arbeit einen riesigen Teil unseres Lebens einnahm. Zu viel davon, definitiv. Aber erst, als ich dieses Lied wieder hörte, ist mir klar geworden, wie sehr ich andere Aspekte dieser Zeit auch genossen habe. Und wieviel von unserer Identität sie ausgemacht hat. Unserer Identität als Paar: der Mann, der ständig mit scharfen Messern Leute aufschneidet, und die Frau, die nicht nur aus Liebe zu ihm mitmacht, sondern auch noch selber kreativ und aktiv mitarbeitet.
Irgendwie hat mir das eine gewisse Aussöhnung mit der Vergangenheit gebracht.
Deswegen finde ich, hat das Brautpaar einen Extra-Toast verdient: Here's to you, Zora und Ben!
Und here's to us:

12 April 2010

Worte

Worte sind so viel mehr als nur Buchstabenkombinationen, mit denen wir, reichlich inadäquat, unsere Gedanken auszudrücken versuchen.
Worte, wie jede Form von Kunst, können dem, was in uns ist, Wirklichkeit verleihen. Unser Innerstes nach außen holen und nicht nur sichtbar machen, sondern greifbar, real, tatsächlich. Wortsächlich. Mit Worten, fließend wie Blut aus einer frischen Wunde oder Laut für Laut mühsam hervorgewürgt, können wir uns einen Boden unter den Füßen bauen, ein Gerüst um uns herum, das uns stützt, Sprosse um Sprosse der Leiter, auf der wir daran nach oben klettern können. Worte, einmal ausgespuckt, lassen uns das, was von ihnen in uns bleibt, das Bittere wie das Süße, besser schmecken, besser verstehen, besser verdauen, und machen uns zu etwas Ganzem, Solidem.
Und dann kann es sein, dass ein Satz, ein einziger Satz daherkommt, der uns alle Worte nimmt, der voller Wucht oder nonchalant von der Seite gegen das Gerüst stößt und es zum Einsturz bringt und nichts als sinnlos verstreute Buchstaben davon übrig lässt.
Und man kann eine Zeitlang nur schweigend, wortlos daliegen und nach Luft ringen, bevor ein paar insubstanzielle kleine Silben zu einem zurück kriechen, sich an einen schmiegen wie verletzte Freunde, und sich schließlich erneut aussprechen, sich neue Substanz verleihen lassen und wi(e)der Worte bilden, mit denen man von vorne zu bauen beginnt, voller Ehrfurcht vor so viel Zerbrechlichkeit und voller wild entschlossenem Vertrauen auf solch unbegrenzte Macht...

07 April 2010

Rabenmutter

... die ich bin, habe ich gestern zum ersten Mal wieder gearbeitet.
Nun ist das ja für mich einfacher als für andere. Denn nicht nur kann ich von Daheim aus arbeiten, ich habe außerdem eine äußerst babysittingwillige Mutter, der ich den Kleinen jederzeit bringen kann. Natürlich hab ich's - will ja immer alles alleine können - zuerst mal mit Lenny hier oben versucht. Er hat sich auch zusammengerissen und ganz tapfer eine Stunde lang neben meinem Schreibtisch in der Wiege geschlafen. Dann wurd's ihm aber doch zu langweilig und er ist lieber mit Oma spazierengegangen. Dumm nur, dass sich mein Computer ausgerechnet jetzt entschlossen hat, kapriziös zu werden, und ich mehr mit Abstürzen beschäftigt war als mit produktiver Arbeit.
Ganz zum Schluss haben wir dann noch ein bisschen gemeinsam gearbeitet, was ihn offensichtlich sehr erschöpft hat:

Insgesamt ist das ganze aber doch schwieriger, als ich's mir vorgestellt hatte. Und so interessant es war, sich mal wieder ein bisschen geistig zu betätigen, so unaufregend war's auch gleichzeitig - viel weniger befriedigend, als ich dachte. Ich glaub, ich hol mir jetzt mein Kind von der Oma wieder und spiele ganz schnell wieder ein bisschen Mutter. ;)

27 März 2010

Taifun Nr. 25

Das war der erste Taifun, den ich in Japan miterlebt habe. (Eher enttäuschend: hauptsächlich viel Regen mit ein bisschen Wind.) Die Japaner sind so diplomatisch, ihre Taifune im Wetterbericht durchzunummerieren, im Gegensatz zu unseren Meteorologen, die Wettertiefs ja netterweise bekanntlich Frauennamen verpassen. Ich habe mich entschieden, dem japanischen Beispiel zu folgen und Lennys Erkältungen durchzunummerieren. Einmal, weil ich Frauen viel zu gern mag, als dass ich so etwas Lästiges nach ihnen - äh, uns - benennen möchte. Und zum anderen, weil mir dann wohl bald die Namen ausgehen würden. Das einzige, was mich doch noch vom Namenssystem überzeugen könnte, wäre die Tatsache, dass mein Sohn und ich die Tendenz haben, uns gleichzeitig zu erkälten. Dann könnte ich ganz gerecht seinem Schnupfen jeweils einen Frauennamen und meinem Halsweh einen Männernamen geben. Andererseits würde das sein Verhältnis zu Frauen möglicherweise nachhaltig negativ prägen. Und ich hätte schon viel früher die Nase voll (sorry, der musste sein) von Männern. Also bleiben wir beim neutralen Nummernsystem. Wetterbericht für die nächste Zeit: Erkältung 3 ist in vollem Gange, rechnen Sie bei Hochgeschwindigkeitszügen mit Verspätungen und vergessen Sie Ihren Regenschirm nicht.

12 März 2010

Ein ganz normaler Grillabend



Manchmal muss man Dinge tun, die man sich einbildet. Und zwar hier und jetzt sofort. Zum Beispiel Grillen. Im Schnee. Weil wir es können.
Deswegen hat Leo heute Fleisch, Barbeque-Soße und Kräuterbutter gekauft, den tragbaren Grill samt Kohlen und Anzünder hervorgekramt und sich ans Werk gemacht:

Die Glut ist mindestens so schön geworden wie im Sommer, und hatte in der Kälte was richtig schön Heimeliges.




Lenny hat auch mitgeholfen. Papa hat ihm alles genau gezeigt. Und Grillen kennt er schließlich sowieso schon von den Anfängen seiner Existenz, als Mama im Urlaub immer so lustig gewürgt hat, wenn's nach Holzfeuer roch.

Das ganze ergab ein tolles Abendessen. Und dann bekamen wir auch noch ganz unerwartet netten Besuch:



Leider gab's nicht genug Essen für die 40 ausgerückten Feuerwehrleute. Deswegen hat der nette Einsatzleiter seine Männer per Funk wieder abbestellt, es sich aber nicht nehmen lassen, unser Grillgut nochmal persönlich zu inspizieren. Offenbar hat er aber Leos Grill-Skills völlig unterschätzt, sonst wäre er sicher nicht freiwillig ohne eine Kostprobe wieder gegangen...

11 März 2010

Sanktioniertes Leid

Vor Kurzem habe ich wegen Verwaltungskram nochmal mit meiner Hebamme telefoniert. Sie fragte mich, wie's uns geht, und reagierte sehr erschrocken, als ich ihr erzählte, dass das Stillen immer noch recht qualvoll ist. Als ich auflegte, tat ich mir selber furchtbar leid und gestattete mir glatt ein paar Tränen. Dann tat ich, was ich schon längst hätte tun sollen, fragte jemanden, der sich damit auskennt (eine Stillberaterin), und seither klappt alles prima.
Aber dieser Ablauf hat mir zu Denken gegeben. Brauche ich wirklich erst jemand anderen, um mir zu sagen, wie viel Schmerz ich auszuhalten habe bzw. wie viel eben nicht mehr erträglich ist?
Dazu fällt mir eine Szene ein, die sicher jeder schon mal beobachtet hat: Ein kleines Kind rennt und fällt hin. Es guckt verdattert und schaut erstmal zur Mutter, und nur, wenn die besorgt reagiert, fängt es an zu weinen.
Offenbar ist dieser Mechanismus bei mir immer noch aktiv. Und das, wo ich doch so hart daran gearbeitet habe, mein 'Ich-muss-das-aushalten'-Denken abzulegen.
Ob dieser ganze Blog am Ende auch nur ein Versuch ist, quasi eine Erlaubnis zum Sich-Auch-Mal-Schlecht-Fühlen zu erbitten?
Mann, wann werde ich endlich erwachsen - oder Kind? - genug, meinen eigenen Gefühlen zu vertrauen?

09 März 2010

Frühling

Vor einiger Zeit - bevor der Schnee zurückkam - machte ich mit Lenny einen langen Spaziergang. Wir genossen die Sonne, bis wir plötzlich Gesellschaft im Kinderwagen hatten.
Mental ging ich verschiedene Optionen durch:
- das Vieh einfach wegscheuchen
- mir vorstellen, dass es in den Schlafsack krabbelt und Lenny sticht, Panik kriegen, schon mal den Notarzt rufen und das Vieh dann wegscheuchen
- es einfach sitzen lassen, den Frühling genießen und mit dem Handy ein Foto für den Blog machen


Letzteres schien mir am sinnvollsten. Und damit ihr auch wisst, wovon ich schreibe, und auch alle so wie ich ganz arg Sehnsucht nach dem Frühling bekommt, hier nochmal eine Ausschnittvergrößerung:


Ich will Frühling!!!!

Möglichst schnell ganz langsam fahren

Mir war ja klar, dass mich das Muttersein vor einige Herausforderungen stellen würde. Aber die oben genannte hat mich dann doch etwas überfordert. Allein, was soll man machen, wenn man mit dem Kind im Auto unterwegs ist, es -8 Grad hat, und der elektrische Fensterheber beschließt, dass das kalte Wetter ihm nicht bekommt - nachdem man das Fenster heruntergelassen hat. Da hilft nur Kind mit allem zudecken, was im Auto verfügbar ist, die Heizung voll aufdrehen und dann schauen, dass man so schnell wie möglich heimkommt und dabei so langsam wie möglich fährt, damit's nicht so zieht.
Und das von einem BMW, der die hiesigen Temperaturen doch gewöhnt sein müsste... Grumml.

23 Februar 2010

Erstes Wort

Heute morgen: Mein Kind guckt zu mir hoch, strahlt mich an und sagt klar und deutlich "ugly" zu mir.
Das kommt davon, wenn man ihm Kinderlieder auf Englisch vorsingt...

22 Februar 2010

Fasching

Lenny wäre nicht das Kind seiner Eltern, wenn er nicht jede Gelegenheit zum Verkleiden nutzen würde...


13 Februar 2010

Eingemischt

Neulich habe ich jemandem geholfen, ohne darum gebeten worden zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass vielleicht Unterstützung vonnöten sein könnte, und habe mich einfach selbst zum Helfen eingeladen. Und obwohl ich denke, dass etwas ganz Positives dabei rausgekommen ist, grüble ich seither, ob das wirklich in Ordnung war. Ob ich nicht viel zu aufdringlich war?
In unserem Freundeskreis ist die Dichte der Leute, denen es schwer fällt, bei einem Problem um Hilfe zu bitten, denke ich, relativ hoch. Ich selbst finde es ziemlich schwierig, und viele von euch schätze ich ähnlich ein. Aber reicht dieses Wissen aus, um einem das Recht zu geben, sich einzumischen? Oder hat man als guter Freund vielleicht sogar eine gewisse Verpflichtung, ungefragt zu helfen?
Umgekehrt gefragt: Was schadet's denn, wenn man jemand anderem einen Rat gibt/ihn mit Worten oder tatkräftig bei irgendwas unterstützt/im mal eine unbequeme Wahrheit sagt?
Eigentlich nichts. Außer, dass man impliziert, dass der so Beholfene nicht alleine zurecht kommt? Ihn quasi teilentmündigt?
So war meine Hilfe ganz sicher nicht gemeint. Aber diese Gedanken sagen wohl einiges zu meiner eigenen Einstellung aus: Ich will alles immer alleine können.
Dabei haben mir andere in der Vergangenheit schon oft geholfen. Z.B. als mir einen Freundin wiederholt gründlich den Kopf gewaschen hat, weil ich mich selber in einer sinnlosen Beziehung eingesperrt habe. Und ich fühlte mich dadurch nicht bevormundet. Zwar wollte ich's in dem Moment vielleicht nicht ganz glauben, aber im Grunde wusste ich, dass sie recht hatte, und im Nachhinein bin ich ihr dankbar dafür, dass sie nicht den bequemen Weg gewählt und einfach den Mund gehalten hat.
Was ist also das Fazit? Ein entspannteres Verhältnis zum Einfluss anderer auf mein Leben entwickeln, öfters mal daran denken, dass ich schon hinlänglich bewiesen habe, dass ich ein großes Mädchen bin und alles alleine kann, und bei Bedarf einfach um Unterstützung bitten.
Und hoffen, dass ich andere damit anstecke. Und die Situationen erkenne, in denen mein Rat und meine Einmischung ungefragt gefragt sind.

08 Februar 2010

CIA/KGB - read and learn

Es ist kalt. Der Raum, in dem wir schlafen, ist rudimentär beheizt. Allerdings ist es mir nicht immer gestattet, meine Kleidung zu tragen, deswegen bin ich permanent krank. Der Schlafmangel trägt wohl auch seinen Teil dazu bei. Alle drei Stunden spätestens werde ich geweckt. Manchmal gelingt es mir tagsüber einzunicken, aber mehr als eine halbe Stunde wird mir meistens nicht gegönnt.
Regelmäßige Mahlzeiten gibt es auch nicht. Ich schaffe es immer wieder, zwischendurch eine Kleinigkeit zu ergattern - meistens aufgewärmte und wieder abgekühlte Reste. Abends ist es besser, da darf mein Mitgefangener kochen. Allerdings lässt man uns meist keine Zeit, fertig zu essen. Habe mir angewöhnt, alles, was ich kriegen kann, hastig herunterzuschlingen.
Wirklich nervenzehrend ist aber die Musik. Immer und immer wieder das gleiche Stück, "Guten Abend, gut Nacht", in endloser Wiederholungsschleife, in grellen blechernen Tönen, und das schlimmste, eine Zeile fehlt, was bei so einem vertrauten Lied den Effekt hat, dass man nicht abschalten kann, sondern die Aufmerksamkeit immer wieder darauf gelenkt wird. Ich ertappe mich regelmäßig dabei, wie ich die richtige Version geistesabwesend vor mich hin summe. Habe neulich Nacht sogar schon davon geträumt.
Und der Nervenkrieg hat noch schlimmere Dimensionen. Die ständigen Schmerzen - im Rücken, im Nacken, den Armen und an sehr intimen Körperstellen - sind gemein genug. Aber wirklich übel ist die Tatsache, dass von mir erwartet wird, sie mir ständig selbst zuzufügen. Wieder und wieder muss ich, mit schwerem Gewicht beladen, vom einen Ende meines Gefängnisses zum anderen und zurück laufen, bis ich glaube, gleich einfach in der Mitte durchzubrechen. Ganz abgesehen von der verblödenden Wirkung, die das Ganze auf meinen Geist hat. Wieder und wieder bin ich gezwungen, meine Wunden neuen Belastungen auszusetzen, so dass sie nie richtig heilen können. Perverserweise wird mir auch noch suggeriert, ich sollte das genießen. Den Gefallen tue ich ihnen nicht. Aber mitmachen muss ich doch, sonst leidet jemand, der mir sehr nahe steht, wird vielleicht sogar permanent geschädigt. Das kann ich nicht zulassen.
Das Allerschlimmste ist aber das Gefühl der Hilflosigkeit, das einem vermittelt wird. Ständig wird man angeschrien, aber nie bekommt man gesagt, was eigentlich von einem erwartet wird. Irgendwann verliert man da auch das letzte bisschen Selbstwertgefühl und kommt sich völlig ausgeliefert vor, ohne irgendetwas tun zu können.

Morgen packe ich aus. Ich werde gestehen. Alles verraten. Jedes Staatsgeheimnis, das ich kenne, jedes Passwort, alle meine Freunde werde ich ausliefern und meinetwegen auch versprechen, als Doppelagent tätig zu werden. Dann muss das aufhören. Dann wird alles gut und ich habe endlich meine Ruhe und werde nicht mehr gefoltert.
;)

04 Februar 2010

Liebe ist... (II)

... wenn Lenny plötzlich Papas Finger Mamas Brust vorzieht und so lange daran nuckelt, bis er (der Junior, nicht der Senior) tief und fest schläft.




















Doof, dass Papa jetzt arbeiten muss

Liebe ist... (I)

... wenn Marlin mir einen seiner Handschuhe leiht, damit ich nicht friere, wenn er mich mit Schneebällen bewirft.














Ähnlichkeiten rein zufällig...

22 Januar 2010

Stillverwirrung

An alle Experten: Nein, ich meine nicht die sog. Saugverwirrung, die Babys wohl manchmal entwickeln, wenn man sie aus Versehen mit der Flasche füttert. Ich meine den Zustand, in dem ich mich regelmäßig befinde, wenn ich versuche, die (dringend benötigten) guten Ratschläge zu befolgen, wie man mit dem Stillen besser zurecht kommt. Viele von euch durften ja schon Zeugen werden, wieviel Spaß ich habe, wenn mein Kleiner mir die Brust abkaut. Mittlerweile bin ich so wund, dass ich mich nach dem Duschen nur noch in vorgebeugter Haltung abtrocknen kann, damit ja kein Stück Handtuch meine Brust auch nur streift.
Hierzu, wie allgemein zum Stillen, gibt es von offizieller Seite - Arzt, Hebamme, Bundesgesundheitsministerium, div. Bücher übers Muttersein - viele gute Tipps. Allerdings hat da jemand das große Ganze wohl etwas aus den Augen verloren. Da wird einem unter anderem geraten, der Brust viel frische Luft und Licht, möglichst Sonnenschein zu gönnen, und außerdem Milchreste auf der Brustwarze nach dem Stillen an der Luft trocknen zu lassen. Andererseits schärfen einem Hebammen und Mediziner ein, dass das Schlafzimmer auf keinen Fall wärmer als 16-18 Grad sein darf, um das Risiko des Plötzlichen Kindstods zu senken. Da sehe ich mich also oben ohne nachts bei 16 Grad im Schlafzimmer rumsitzen. Wahrscheinlich würden meine Brustwarzen so tatsächlich ganz gut heilen, wenn ich nicht dauernd niesen müsste, während das Kind an mir dranhängt - autsch. Und selbst mit viel Antibiotika - ach halt, die darf man ja während des Stillens gar nicht nehmen - kann ich immer noch nicht den Schwierigkeiten entgehen, die entstehen, wenn ich mir mein Kind direkt nach dem Stillen über die Schulter legen muss, um es zum Aufstoßen zu bewegen. Wer mal ein vor lauter Verdauung zappelndes Kind ohne mittelschwere Brustpanzerung auf der Schulter hatte, wird verstehen, was ich meine.
Andererseits soll man aber die Brust warm halten (bei 16 Grad?), damit die Milch besser fließt. Vielleicht sollte ich einfach nur noch im Bad stillen, da ist es am wärmsten. Und wenn ich die Badewanne mit dem Stillkissen auspolstere, wird's vielleicht auch noch bequem...
Ein anderer Tipp ist, das Kind häufiger anzulegen, damit es nicht so gierig saugt und rumzappelt. Wenn man aber häufiger anlegt, produziert man mehr Milch. Die Brust ist voller, d.h. das Kind kann weniger davon in den Mund nehmen, was die größte Sünde beim Stillen überhaupt ist, sprich Ursache Nr. 1 für wunde Brustwarzen.

Hallo? Sehe nur ich in all dem lauter Widersprüche? Da kann doch was nicht stimmen?
Gäbe es ein Supportforum, würde ich da reinschreiben: Die Betriebsanleitung ist schwer verständlich (schlecht übersetzt?), die Bedienung nicht logisch aufgebaut, das Programm reagiert instabil auf meine Eingaben (= mal funktioniert's, mal nicht), und mir fehlt bei dem ganzen ein bisschen die intuitive Benutzerführung.
Ob die Anwendung 'Stillen' am Ende unter Windows läuft? OMFG!!!Tagessuppe

15 Januar 2010

Engelslächeln

Neugeborene beherrschen noch keine Gesichtsausdrücke. Jedenfalls nicht willentlich. Das Gesichtchen verziehen, schielen, eine Schnute machen oder die Zunge rausstrecken können sie schon. Aber ohne, dass damit die für uns jeweils gängige Bedeutung verknüpft ist. Und manchmal huscht eben auch ein verirrtes Lächeln über das Gesicht der Kleinen. Unwillkürlich - d.h. ohne bewussten Willen - ohne Kontrolle und ohne jeden Zweck. Das nennt man ganz altmodisch Engelslächeln.

Eine Geburt ist ein einschneidendes Erlebnis. Ich weiß, das an sich ist eine Platitüde, aber ich versuch's mal näher zu beschreiben: Irgendwie ist man trotz aller Hilfe auf sich selbst reduziert. So ungemein beruhigend es auch ist, die Hand seines Mannes zu halten, die Anleitung der Hebamme zu haben, zu wissen, dass notfalls ein Arzt in der Nähe ist - man muss es doch irgendwie selbst hinkriegen. Kann keine Pause machen, wenn man denkt, man kann nicht mehr, oder gar abbrechen. Und hat gleichzeitig so gut wie keine Kontrolle über seine eigene Situation. Jedenfalls nicht im bisher gewohnten Sinne. Man kann pressen, wenn einem jemand die Anweisung gibt, oder atmen, wenn man dran denkt. Aber die ganzen Dinge, die man sonst so gerne kontrolliert - wie wirke ich auf andere, bin ich auch tapfer genug, oder darf ich jetzt weinen/schreien/um Narkose betteln, habe ich mich genügend vorbereitet und bin entsprechend kompetent, oder sollte ich mich lieber noch etwas mehr informieren, bevor ich weitermache, und falle ich auch niemandem über Gebühr zur Last? - treten sehr weit in den Hintergrund. Man hat nur eine Wahl: Man akzeptiert, was geschieht und lässt es geschehen, oder man akzeptiert es nicht - und es geschieht trotzdem.
Eigentlich stelle ich mir Sterben ein bisschen ähnlich vor, zumindest, wenn man es bewusst mitbekommt. Vielleicht noch etwas beängstigender, aber wohl nicht viel.

Nach fünf Tagen verlassen wir die Klinik, in der dieses einschneidende Erlebnis stattgefunden hat. Ich trete zum ersten Mal mit meinem Kind ins Freie, und irgendwie hat das etwas ähnlich Endgültiges und Befreiendes wie die Geburt selbst. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, unwillkürlich, ohne Kontrolle und ohne jeden Zweck. Ein Lächeln aus den tiefsten Tiefen meiner Seele, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr habe lächeln können. Es hält die ganze Fahrt nach Hause über an, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit fühle ich mich wieder wie ein vollständiger Mensch.

Ist das ein Happy End? Sicher nicht, schon weil es gar kein Ende ist, sondern eher ein Anfang. Mein Leben hat eine neue Ebene (zurück-?)gewonnen, eine Ebene ohne Nachdenken und ohne ständige Selbstkontrolle. Es wird mir sicher auch in Zukunft nicht ohne weiteres und jederzeit gelingen, diese Ebene zu erreichen. Aber ich wurde daran erinnert, dass es sie gibt und kann mir wieder sicher sein, dass ich mir nichts einrede, wenn ich sie vermisse und das Gefühl habe, dass es mich krank macht, wenn mir der Zugang dazu fehlt. Dass ich nicht verrückt bin, wenn ich mich genau danach sehne: nach einem Engelslächeln.

31 Dezember 2009

Mein Kind ist eine Kokosnuss

Oder auch: Our world is ordered by a malign and perverted god, um mit Douglas Adams zu sprechen. Um den folgenden Eintrag zu verstehen, müsst ihr dessen Zitat über die Kokosnuss und den Komodo-Waran aus Last Chance to See kennen. Selbiges könnt ihr hier nachlesen (dritter und vierter Absatz; hier auch nochmal in Teilen auf Deutsch zu finden).
Wenn die Kokosnuss schon ein Beweis für die Gemeinheit eines eventuellen Schöpfers (bzw. Schöpferin, Männer können gar nicht so fies sein) ist, was soll man dann erst von Babys halten?
They are almost perfectly designed: Süß und knuddelig und so niedlich-hilflos, dass man sie einfach lieben muss. Zudem die Methode schlechthin, den zukünftigen Fortbestand der Menschheit sicherzustellen.
What makes you wonder about the nature of this god character is that he creates something that is so perfectly designed to be of benefit to human beings and then... makes everything after conceiving it so tedious: Mal sehen, wie die Menschen damit klarkommen, so ein Kind neun Monate lang in einem immer dicker werdenden Bauch rumzutragen, der sie bei allem behindert, was man normalerweise zum Überleben so tun muss. Ok, das scheint sie nicht abzuhalten. Mal sehen, was passiert, wenn ich die Geburt so richtig, richtig schmerzhaft und anstrengend mache. Ach, sie kriegen immer noch Kinder? Hätte ich ihnen nicht zugetraut. Also gut, dann machen wir eben die Fütterung extra kompliziert: Zuerst gibt's gar keine richtige Milch, so dass sich die Kleinen echt anstrengen müssen, was aus Mama rauszubekommen. Und gerade, wenn sie die Lust am Trinken verlieren, weil das so frustrierend ist, bescheren wir der Mutter so richtig viel Milch, dass es wehtut. Und wenn das nicht reicht, habe ich auch noch wunde Brustwarzen auf Lager.
Hmm, jetzt haben sie Stillberaterinnen und Silikonhütchen erfunden. OK, no more Mr Nice Guy. Dann mache ich die Köpfe der Kinder eben so groß, dass sie die benötigten Reproduktionsorgane so schmerzhaft verletzen, dass frau auf Jahre hinaus die Lust auf jegliche mit Fortpflanzung in Verbindung stehenden Aktivitäten vergeht.
Die Geschichte mit dem Apfel muss ihn doch mehr verärgert haben, als ich gedacht hatte...

27 Dezember 2009

Alles eine einzige Demütigung!

Diesen auf die Schwangerschaft bezogenen Satz haben viele von euch schon zigmal von mir gehört, gefolgt von Beschwerden über allerlei Erniedrigendes, was frau in dieser Zeit so zu ertragen hat:

* Man kann seine Schuhe nicht mehr selbst binden/im Stehen anziehen/sehen.
* Man kann peinliche Körperfunktionen nicht mehr kontrollieren – der
Börpsknopf ist da noch ein harmloses Beispiel.
* Man muss laufend Urinproben abgeben, obwohl man kaum noch um seinen Bauch rumlangen, geschweige denn den Becher, den man treffen soll, noch sehen kann.
* Man kann keine drei Schritte mehr gehen oder gar zügig gehen (von laufen will ich ja gar nicht sprechen), ohne sofort aufs Klo zu müssen. Ich frage mich, wie das evolutionär zu erklären ist – hat man, statt vor dem Säbelzahntiger zu fliehen, ihn in Notwehr einfach angepieselt?
* Man fühlt sich aus reiner Verzweiflung dazu bemüßigt, andere laufend über peinliche Körperfunktionen zu informieren. Siehe oben. QED.

Diese Liste könnte ich endlos fortführen. Allein, die Schwangerschaft ist vorbei – und damit auch die Demütigungen?

Ich stehe im Bereitschaftsraum der Nachtschwester, der gleichzeitig der Stillraum und das Kinderzimmer ist, und somit jedem Patienten und theoretisch auch Besuchern des Krankenhauses zugänglich ist; die Tür zum Gang steht immer offen. Ich habe mein Nachthemd bis unter die Achseln hochgezogen, darunter trage ich nichts außer den sexy Krankenhaus-Klassiker: eine formschöne Netzunterhose, ausgestopft nicht mit einer, sondern mit drei dicken Windeln. Die Schwester bestreicht meine Brüste mit Quark und ich bin versucht, allen Göttern, an die ich nicht glaube, für den Segen des Quarkwickels sogar die Qualen der Geburt zu verzeihen.

Mir wird klar: Die Lektion in Demut hat gerade erst angefangen...

23 Dezember 2009

Geburts-Tag

So, ich liege zwar mehr, als ich sitze, aber da ich die Geschichte schon zigmal erzählt habe, und den starken Verdacht hege, dass die Geburt mit jeder Erzählung leichter und schmerzfreier wird, versuche ich jetzt mal festzuhalten, was die Hormone noch nicht aus meinem Hirn gelöscht haben. Außerdem ist heute der eigentlich angepeilte Geburtstermin. Wenn alles nach Zeitplan gegangen wäre, wäre dies also der nächste Twitter-Echtzeit-Geburtseintrag.

Nachdem ich also in aller Gemütsruhe - falsch, einigermaßen aufgeregt, aber unter den gegebenen Umständen trotzdem recht gefasst - meinen Blogeintrag geschrieben hatte, fuhr mich meine furchtbar liebe Schwägerin nach Pasing.

(Leo: Zuvor hatte mich Tanja kurz vor der Arbeit noch auf dem Handy angerufen: 'Ich will Dich ja nicht beunruhigen, aber ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt...' Wir kamen überein, dass Tanja sich in aller Ruhe im Krankenhaus meldet und wir danach noch mal telefonieren. Schließlich weiß man ja, dass es bei Erstgebärenden gerne mal etwas länger dauert mit der Geburt.)

Im Krankenhaus schloss man mich erstmal ans CTG an, so dass ich mir meine Wehen live angucken konnte. Für den Fall, dass ich sie nicht bemerke? Hm. Unangenehm waren sie zu dem Zeitpunkt schon, aber keineswegs unaushaltbar. Allerdings gingen sie z.T. schon über das obere Ende der CTG-Skala raus - das konnte wohl nur heißen, dass es nicht viel schlimmer werden würde, oder? Ich war einigermaßen beruhigt. Alle anderen Frauen sind eben doch empfindlicher als ich. (Jede Wette, dass sich das jede werdende Mutter ungefähr 2 Minuten lang einredet. ;)) Leider nahm mir der Arzt schnell diese Illusion, als er mir erklärte, die Stärke des Ausschlags hätte kaum etwas mit der Stärke der Wehe zu tun. Schluck.

(Leo: Währenddessen hatte mir Tanja mitgeteilt, dass sie im Krankenhaus bleibt und die ersten Wehen aufgetreten waren. Damit war klar, dass ich allmählich die Arbeit verlassen sollte. Aber da es bei Erstgebärenden ja gerne etwas länger dauert mit der Geburt, machte ich eine sorgfältige Übergabe, schrieb noch einen dringenden Arztbrief und sagte meinen für den nächsten Tag in Hamburg geplanten Gerichtstermin ab.)

Nachdem sie mir noch literweise Blut abgezapft hatte, schickte mich die Hebamme erstmal wieder weg: Ich solle es mir im Zimmer bequem machen, nochmal ordentlich was essen und dann gegen 13h wieder zur nächsten Untersuchung in den Kreissaal kommen. Also ging ich erstmal mit Andrea einen Kakao in der Cafeteria trinken. Das war allerdings schon ziemlich ungemütlich, während der Wehen konnte ich nicht richtig sitzen, Stehen ging auch nicht, und überhaupt hatte ich eigentlich nur noch Lust, die nächsten Stunden auf dem Klo - dem einzigen Ort, wo ich noch einigermaßen entspannen konnte - zu verbringen. Also schickte ich Andrea heim, denn so gut mir ihr ermutigendes Zureden auch tat, auf der Toilette wäre mir das irgendwie unangenehm gewesen.

Zurück auf dem Zimmer räumte ich noch ein paar Sachen in den Schrank, sperrte mein Geld in den Tresor, überlegte, ob ich unsere Betten - wir hatten ein Familienzimmer gebucht - schon mal zusammenschieben sollte, befand das aber aufgrund der Wehen dann doch für verschiebenswert, und vertrieb mir ansonsten die Zeit mit Windelnwechseln. Meine eigenen, wohlgemerkt. Die Hebamme hatte mir gesagt, dass man auch nach dem Blasensprung noch Fruchtwasser nachproduziert, angeblich, damit das Baby nicht austrocknet - ich denke aber, dass da irgendwie die bindenproduzierende Industrie dahintersteckt. Schließlich kam das Mittagessen, von dem ich entgegen anderslautender Weisung kaum etwas herunterbrachte. Zum Glück erlöste mich eine Krankenschwester, die mich nochmal in den Kreissaal bat, da das Labor noch mehr Blut von mir brauchte.

(Leo: Ich hatte mich mittlerweile aus der Arbeit verabschiedet und war auf dem Weg nach München. Das alles natürlich vollkommen ruhig und ausgeglichen und innerhalb des Tempolimits. Gab ja auch keinen Grund zur Hast, da es bei Erstgebärenden ja gerne mal länger dauert mit der Geburt. Und die Vorstellung, so ein hektisch-eilender werdender Vater zu sein, der in lebensgefährlichem Tempo durch den Verkehr rast... Lächerlich!)

Ich machte mich also auf den Weg, der objektiv betrachtet keine 30m weit war. Ihr kennt alle diese klassische Filmszene, die in keinem guten Horrorfilm fehlen darf, wo sich ein Gang plötzlich vor einem immer weiter in die Länge zieht - ich weiß jetzt, dass genau das im wirklichen Leben passieren kann und diese Darstellung total realistisch ist. Nach gefühlten Stunden, tatsächlich aber gegen 12h, kam ich im Kreissaal an, legte mich auf den Gebärstuhl und wusste, dass ich nicht wieder davon aufstehen würde, bis das Kind da ist.

Die Hebamme sah das anders, sie wollte mich nach dem Blutabnehmen noch zum Ultraschall schicken, aber ich konnte mich einfach keinen Millimeter mehr rühren. Was auch gut so war, denn wenn man mir vor der Geburt noch das per Ultraschall ermittelte genaue Gewicht des 'Kleinen' mitgeteilt hätte, hätte ich das vielleicht nicht besonders motivierend gefunden.

Statt dessen nahm sich die Hebamme netterweise die Zeit, Leo anzurufen um ihm mitzuteilen, dass ich hier schon bei der Arbeit und seine Anwesenheit dringend erforderlich sei.

(Leo: Mittlerweile in Garching angekommen packte ich noch ein paar Sachen fürs Kind ein, als das Telefon klingelte: 'Herr Braun, wo bleiben sie denn? Ihre Frau ist schon ganz fleißig bei der Arbeit!' Ich: 'Aber bei Erstgebärenden dauert es doch aber gerne mal etwas länger mit der Geburt?!' Hebamme: 'Nicht bei Ihrer Frau...' Wenige Sekunden später war ich auf dem Weg ins Krankenhaus. Natürlich nicht als hektisch-eilender werdender Vater, der in lebensgefährlichem Tempo durch den Verkehr rast. Wobei mir nicht ganz klar ist, warum an diesem Tag alle anderen so im Schneckentempo unterwegs waren?)

In der Zwischenzeit war die Hebamme so aufmerksam, mich zu fragen, ob ich gerne was gegen die Schmerzen hätte. Oh ja. Wie vermutlich jede dumme Erstgebärende wollte ich natürlich tapfer sein und nicht gleich die PDA (Hardcore-Betäubung über den Rückenmarkskanal) nehmen, sondern erstmal was Sanfteres, Intravenöses probieren. Entweder hatte die Hebamme aber das Mittel verwechselt, oder meine Schmerzresistenz ist umgekehrt proportional zu meiner Schmerzmittelresistenz. Das einzige, was sich betäubt anfühlte, waren jedenfalls meine Lippen. Drei bis vier Wehen später bestellte ich die PDA. Jetzt. Sofort!

Die Kollegen aus der Anästhesie waren auch gleich zur Stelle, brachten sogar das Gerät mit dem Bing mit, schlossen mich so gründlich daran an, dass sie mich dann erstmal wieder abstöpseln mussten – denn ich brauchte mindestens eine freie Hand, um diversen Papierkram zu unterzeichnen. Schon eine halbe Minute später konnte ich mich an keine der Risiken und Nebenwirkungen, die mir vorgelesen wurden, erinnern. Außerdem glaube ich nicht, dass meine wehenverzerrte Unterschrift meiner normalen im Entferntesten ähnelt. Für zurechnungsfähig hätte ich mich in diesem Moment auch keinesfalls gehalten. War aber alles kein Problem, denn die Strategie, die wohl einige Krankenhäuser in dem Fall verfolgen, dass die Schwangere schon mitten beim Gebären ist, wenn sie nach der PDA verlangt, ist, das Gespräch so lange hinauszuzögern, dass selbige nicht mehr sinnvoll ist. Damit sind automatisch Haftbarmachungen wegen Narkosekunstfehlern ausgeschlossen. So auch bei mir. Als ich endlich meine Unterschrift hingekrakelt hatte, setzte gerade die erste Presswehe ein, und die Hebamme schickte ihre Kollegen unverrichteter Dinge wieder weg, egal, wie fest ich mich an das Gerät mit dem Bing krallte.

Zum Glück war Leo inzwischen eingetroffen, so dass ich mich statt dessen an ihm festhalten konnte. Auch wenn ich kaum noch Kraft hatte, irgendwas festzuhalten. Presswehen fühlen sich in etwa so an wie eine Autoschrottpresse, die in einem drin ganz von selber ihre Arbeit tut, ohne dass man das groß beeinflussen kann. Was man allerdings tun kann, ist schreien. Oder vielmehr so eine unirdische Mischung aus Stöhnen und Grunzen von sich geben, die jeden Tontechniker auf der Suche nach neuen Sounds für einen Monsterfilm hellauf begeistern würde. Ist viel besser als die Atemübungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Und macht einen, zusammen mit einem hochroten Kopf, einem dicken Hals und einem schmerzverzerrter Grimasse für den eigenen Mann so attraktiv, dass der nicht mal von unten bei der Geburt zugucken muss, damit ihm jegliche Lust auf Sex auf Jahre vergeht – ein Blick in mein Gesicht hat vermutlich völlig gereicht.

(Leo: Tanja hat ja keine Ahnung. Während ich hartgesottener Rechtsmediziner mit weichen Knien ihre Hand hielt, hat sie die Geburt (soweit es halt in dieser stressig-schmerzhaften Situation geht) total souverän durchgestanden. In den Wehenpausen konnte sie sich sogar mit dem Gynäkologen und der Hebamme über die relative Größe von Tierbabys im Vergleich zum erwachsenen Tier unterhalten, was zum sofortigen Wunsch führte, ein Eisbär zu sein).

Nicht, dass ich das jetzt schon testen könnte. (Das mit dem Sex, nicht das Eisbär-Sein.) Denn mein liebes Söhnchen steckte zwar seinen Kopf völlig problemlos in diese Welt hinaus, befand aber dann, dass Mami die Zeit, in der sie schmerzhaft getreten wurde, nicht so schnell vergessen sollte, machte deswegen seine Schultern möglichst breit und zerriss damit soviel Gewebe, wie er nur konnte. Was zur Folge hatte, dass ich noch stundenlang genäht werden musste, während der Kleine auf meiner Brust (eigentlich auf meinem T-Shirt – zum Ausziehen war keine Zeit gewesen) lag, herzerweichend niedlich war und unschuldig "Häh? Häääh?" sagte.

Ja. Und dann waren wir auf einmal Eltern. Und das ist, Hormone hin oder her, trotz all der Schmerzen, der vergangenen wie der darauffolgenden, trotz Sorgen und schlafloser Nächte, irgendwie ganz wundervoll.

16 Dezember 2009

Psst...

... ganz leise!

Es ist dunkel, draußen reflektiert der Schnee winternachtlichtig die Helligkeit aus den Fenstern und ein paar Schneeflocken tanzen unter den Straßenlaternen. Drinnen leuchtet nur der Laptop-Monitor. Alles ist geradezu haarsträubend weihnachtlich-winterlich friedlich und ruhig. Alles was man hört, sind regelmässige Atemgeräusche. Tiefe und langsame von Tanja, schnelle und von zufriedenen Seufzern interpunktierte von Junior sowie knauzig-schnarfelnde von Mu und Kodama. Alle vier liegen erschossen von der Aufregung der letzten Tage und Nächte im Bett und schlafen tief und fest. So süß und friedlich...

... zumindest bis zur nächsten Milchmahlzeit ;)

Euer Leo (sen.)

15 Dezember 2009

Da isser

Hallo. Ich heiße Leonard Albert Braun. Am 9.12.09 bin ich als vorzeitige Weihnachtsüberraschung für meine Eltern auf die Welt gekommen. Ganze 14 Tage zu früh, wenn man dem Kalender glaubt. Keine Minute zu früh, wenn man meiner Mama glaubt, die heilfroh ist, dass ich schon mit 3790 g gekommen bin und nicht versucht habe, die 4000er-Marke zu knacken, was locker hätte passieren können, wenn ich bis Weihnachten gewartet hätte. So bin ich kein dicker Festagsbraten, sondern nur ein kleiner Satansbraten geworden, der seine Eltern von abends bis morgens auf Trab hält. Deswegen schreibe ich jetzt auch, Mama und Papa haben keine Zeit. Ich soll mich aber in ihrem Namen für all die vielen lieben Geschenke, Karten, Anrufe, Besuche und fürs Daumendrücken während der blitzschnellen unter-3-Stunden-Geburt bedanken. Und jetzt muss ich weg - hab das Gefühl, Mama will schon wieder stillen...

P.S. Weitere Neuigkeiten folgen, wenn Mama wieder einigermaßen schmerzfrei sitzen kann.

09 Dezember 2009

Noch ein ganz normaler Tag, oder auch: Waaaaaaahhh!

Heute morgen aufgewacht. In Gedanken den Tag geplant: Bei der Krankenkasse anrufen, endlich meinen Kunden Bescheid sagen, dass sie nach Weihnachten nicht mit mir rechnen sollen, ein paar dringend überfällige Emails schreiben, und es ansonsten ganz langsam angehen lassen.
Dann festgestellt, dass ich irgendwie zu feucht liege. Da wir kein Wasserbett haben und die Katzen i.d.R. relativ stubenrein sind, hat mich das erstmal reichlich überrascht. Nach dem Aufstehen - falscher Fehler! - erkannt, dass ich die Quelle des ganzen bin. Das kann doch jetzt nicht sein?!
Leo angerufen.
Klinik angerufen. Die wollen mich - obwohl ich noch keine Wehen habe - gleich sehen. Ich soll duschen und frühstücken, und dann ganz gemütlich reinkommen.
Gemütlich!?!?
Aber ich hab noch so viel zu erledigen!
Ok, beschränken auf die Basics: Die Kliniktasche mit Zahnbürste etc. vervollständigen.
Adressliste ausdrucken, schließlich weiß ich nicht, ob ich im Krankenhaus das Handy verwenden darf. Ist das Handy aufgeladen? Wo ist das Sch...-Ladegerät? Haben die Katzen noch frisches Wasser? Kamera einstecken. Und dann schnell noch die Mail an meine Kunden verschicken, die ich zum Glück schon vorformuliert habe.
Wenn der Computer schon an ist, kann ich ja auch gleich noch schnell einen Blogeintrag schreiben. Und eigentlich wollte ich doch noch eine CD brennen für den Kreissaal...
Und dann sitze ich hier und schaue mir an, wie sich die Sonnenstrahlen in den Wassertropfen auf der Fensterscheibe brechen und muss daran denken, wie das alles vor fast 10 Jahren begann...
Und dann wird mir plötzlich sehr eindrucksvoll demonstriert, warum Wehen Wehen heißen - auaaaa! - und ich muss los!
Wünscht uns Glück!

04 Dezember 2009

A day in the life

Vielleicht bin ich schon zu alt, aber ich hab den Sinn von Twitter nie ganz verstanden. Warum genau muss man minutenaktuell veröffentlichen, dass man grade im Supermarkt an der Kasse steht oder ähnliches? Alltag schön und gut, aber kann man den virtuellen Raum nicht statt dessen besser mit was Interessantem füllen? Wahrscheinlich sollte ich mich einfach mal näher mit dem Medium befassen. Denn heute habe ich laufend das akute Bedürfnis, meine 'Alltäglichkeiten' mitzuteilen. Weil sie mir einfach zu absurd vorkommen. Wie sieht also ein typischer Vorweihnachtstag im Leben der Familie B. aus?
Nach einem frühmorgendlichen Besuch beim Psychotherapeuten wird Tanja von Leo zum Weihnachtseinkaufen abgeholt, wovon allerdings ein großer Teil von der Auswahl passender Windeln eingenommen wird. Nachmittags sitzen wir dann gemütlich beisammen und genießen die idyllische Adventszeit: Der Computer spielt Musik von einem Sänger, der vor Jahren seine Frau erschlagen hat, Leo erschlägt ein paar Zombies und Tanja bastelt (wie immer etwas verspätet) einen Adventskranz, den sie (wie immer) mit Tannenzapfen, Zimtstangen, Mistelzweigen und Schweineknochen dekoriert.
Dazu kann man wohl nur David Lynch zitieren: "The world is wild at heart and something weird on top."
Und vielleicht, nur ganz vielleicht, ist das ja gar nicht immer ganz so schlecht.

03 Dezember 2009

Kind mit Persönlichkeit

Es weihnachtet immer noch => Vorsicht, mehr Dichterei!
Aus aktuellem Anlass diesmal, um euch zu berichten, was unser liebes Kind ("mit Persönlichkeit" = eigensinniger kleiner Tunichtgut) tut, wenn wir beim Arzt versuchen, seine Herztöne aufzuzeichnen:

Ich spür es, wenn du kickst
Ich wach auf, wenn du hickst
Ich merke jeden Tritt
aber ich hör dich nicht

Auf meinem Bauch das CTG
Kind, das tut doch nicht wirklich weh
Lass doch einfach nur mal hören, wie’s dir da drinnen denn so geht

Wenn du dich wegdrehen willst
Das hilft doch wirklich keinem
Und wenn du nach dem Mikro trittst
Hören wir nur deine Beine

Oh bitte gib mir deinen Puls
Bitte gib mir deinen Oh
Bitte gib mir deinen
Bitte bitte gib mir deinen Puls

Es ist verrückt wie schön du schweigst
Wie du dich biegst und drehst und beugst
Und so der ganzen lauten Welt und mir den Mittelfinger zeigst

Dein Herzschlag ist geheim
In dich schaut keiner so leicht rein
Du drehst dich weg und grinst nur stumm, wenn die Sprechstundenhilfe weint

Von deinen Füssen bin ich
grün und blau geschlagen
Nur wie dein Herzschlag klingt, das willst
du mir partout nicht sagen

Oh bitte gib mir deinen Puls

Auf meinem Bauch wirft
das Kontaktgel schon mal Blasen
doch du willst uns nicht zuhören lassen
Das wurmt mich so dermaßen!

Oh bitte gib mir deinen Puls
Bitte gib mir deinen Oh
Bitte gib mir deinen
Bitte bitte gib mir deinen Puls

Eigentlich sollte ich versuchen, das noch vor der Geburt aufzunehmen und dann im Kreissaal zum allgemeinen Amüsement des Personals abzuspielen.
Aber ob das noch was wird... Der Arzt meinte heute, der Muttermund sei schon zwei Zentimeter geöffnet (ich weiß, tmi, aber da müsst ihr jetzt durch), und es würde ihn nicht wundern, wenn das Kind innerhalb der nächsten drei Tage schon kommt. Könnte aber auch sein, dass es noch zwei Wochen oder mehr dauert.
Wenn wir doch noch bis zum Spielewochenende durchhalten, wird's dort (neben sauberen Tüchern und heißem Wasser) einen Buchmacher geben, bei dem ihr auf den genauen Geburtstermin wetten könnt. :)

25 November 2009

Ungeduld

Es weihnachtet, daher fühle ich mich dichterisch.
Deswegen bekommt ihr jetzt einige wirkungslose Rezepte, die leider entgegen hartnäckiger Gerüchte bis jetzt keine Wehen bei mir ausgelöst haben, in Reimform. Zweideutigkeiten am Ende voll beabsichtigt.

Nelken, Zimt und Kardamom
Ich backe Weihnachtsplätzchen.
Liebes Kindlein, bitte komm,
ich hab sie satt, die Mätzchen.

Chili, Curry, Wasabi
beschleunigen die Wehen,
Liebes Kind, kommst Du denn nie?
Wie lang soll das noch gehen?

Treppensteigen, fleißig sein,
Ich sitze wie auf Kohlen!
Muss Papa denn persönlich rein
-kommen, Dich zu holen?

02 November 2009

Dem Leben (zu) nahe

Wenn man diese Überschrift liest, denkt man vielleicht als erstes, dass ich das Rollenspiel, auf dem wir am Wochenende waren, zu realistisch fand (was nicht der Fall war). Der Titel soll eine Abwandlung von 'dem Tode nahe' sein. Was mich jetzt literarisch völlig disqualifiziert, weil Wortspiele/Anspielungen, die man erst erklären muss, nicht als solche funktionieren. Aber ein Zweck dieses Blos ist ja, dass ihr mich richtig versteht. Oder, aber das sag ich euch nicht, dass ich mich selbst richtig verstehe.
Und momentan gelingt mir das nicht recht, also schreibe ich jetzt so lange drauflos, bis ich mir klarer werde.
Am Samstag haben wir (am Rande des Rollenspiels) in einem hohlen Baum drei winzige Katzenjunge entdeckt. Da war's schon recht kalt, aber sie wuselten noch ganz munter in ihrer Höhle rum, so dass ich, vernünftiger, kindchenschema-resistenter Mensch, der ich bin, mir dachte, die Natur wird schon wissen, was sie tut, lassen wir sie einfach mal in Ruhe, Katzenmutter ist sicher bald wieder da.
Am Sonntag morgen machte mich eine Mitspielerin (nur Zufall, dass es sich ebenfalls um eine Schwangere handelt?) darauf aufmerksam, dass eins der Kleinen fehlte und die Katzen nicht mehr wirklich fit wirkten. In der Nacht hatte es immerhin -5 Grad gehabt. Von der Katzenmamma offenbar keine Spur. Also schauen wir halt mal hin. Wenn ein anderer einen auffordert, hat man ja quasi eine Ausrede, seinen unangebrachten Fremdspeziesmuttergefühlen nachzugeben.
Die zwei Kätzchen liegen leblos in ihrer Höhle. Der eine sieht schon ganz steif aus, das Fell ist verklebt, als ich ihn rausnehmen will, ist er ganz kalt. Ich hab schon geholfen, tote Menschen rumzuheben, aber tote Tierbabys sind dann doch irgendwie zu viel. Ich versuche, das tote Kätzchen mit einem Stock beiseite zu schieben, um an sein kläglich maunzendes Geschwisterchen ranzukommen. Da gibt es dann doch tatsächlich noch ein Geräusch von sich. Also schnappen wir uns die zwei und tragen sie so schnell wie möglich rein ans warme Feuer.
Und dann sitzen wir da und versuchen, die Kleinen wieder ins Leben zurückzuholen. Einer macht ab und zu die Augen auf und maunzt. Der andere liegt nur da und ist kalt. So kalt, dass seine Flöhe die Wärme meiner Haut vorziehen und fluchtartig den Wirt wechseln. Ich schere mich nicht darum, denn die Situation ist mir schon unter die Haut gekrochen. Ich sitze da und halte zwei Wesen im Arm, eines krallt sich am Leben fest, das andere wartet reglos auf den Tod, und ich bin genauso hilflos wie die beiden, kann nichts tun außer warm sein und von ganzem Herzen hoffen. Kann ich? Wann habe ich zuletzt etwas von ganzem Herzen getan?
Zu lange her und viel zu gefährlich. Also sitze ich nur da und bin warm. Und erleichtert, als der Aktivere von beiden sich endlich mit einer Spritze voller Sahne-Wasser-Gemisch füttern lässt. Auf mir rumkrabbelt und nach mehr schreit und mich voller Begeisterung in Handflächen, Hals und Ohr beißt. Er hat's geschafft. Der andere liegt immer noch da und atmet flach und ist kalt.
Wo der dritte wohl ist? Wir haben ihn in der Umgebung der Höhle gesucht, aber nicht gefunden. Wenn er nur rausgekrabbelt wäre, hätte er es in der Kälte wohl nicht lange gemacht und wäre irgendwo in der Nähe gestorben. Vielleicht hat ihn ein anderes Tier gefressen? Oder die Mutter hat versucht, wenigstens eines ihrer Jungen ins Warme zu bringen? Ich versuche, mich von dieser albernen Hoffnung abzubringen, indem ich mir vor Augen halte, dass zu dieser Jahreszeit kein vernünftiger Mensch irgendwo eine Tür oder ein Fenster offenstehen lässt, und dass andere warme Orte als Häuser in dieser Gegend wohl nicht verfügbar sind.
Statt dessen massiere ich dem schwächeren der beiden Überlebenden lieber die Pfötchen und Ohren, um die Durchblutung anzuregen. Und endlich, nach über einer Stunde, reagiert auch er mit Schluckbewegungen auf unsere Spritzenfütterung, anstatt alles einfach wieder aus dem Mäulchen herauslaufen zu lassen. Öffnet Minuten später die Augen und krächzt kläglich nach Nachschub.
Und schließlich schlafen sie beide erschöpft und warm auf meinem Bauch und ich weiß, dass das Schlimmste überstanden ist.
Ist es?
Klar, die beiden Kätzchen werden überleben, wenn sie nicht noch an etwas anderem als Unterernährung und Unterkühlung leiden.
Und ich?
Die Zeit meiner eigenen emotionalen Unterernährung und Unterkühlung scheint überwunden. Aber in dieser Situation, wo alles auf einige wenige, essentielle Fragen reduziert wird - warm oder kalt, fressen oder nicht, Leben oder Tod - wird mir bewusst, dass ein sehr großer, sehr dominanter Teil von mir damals, als ich hungerte und fror, beschlossen hat, mich nie wieder Hunger und Kälte spüren zu lassen. Die entsprechenden Sensoren abgeschaltet hat. Mit allen Konsequenzen und Nebenwirkungen. Ohne Kälte kein Aufwärmen, ohne Hunger kein Durst nach Leben. Locked-out-Syndrom - alles funktioniert an der Oberfläche noch, nur innerlich nicht mehr, das dafür aber bei vollem Bewusstsein.
Und jetzt sitze ich hier an der Grenze zwischen Leben und Tod, und auch wenn es nur zwei kleine Kätzchen sind, kann ich nicht anders als bewegt sein und mit-fühlen.
Und kann es doch nicht. Weil es nicht zu ertragen ist. Selbst als klar wird, dass die beiden überleben, ist das Potential an möglichen Gefühlen, das da draußen lauert, zu beängstigend, als dass ich ihnen die Tür öffnen könnte. So sehr ich es auch will.
Also setze ich die Kätzchen irgendwann in eine Kiste, überlasse sie anderen fähigen Händen und versuche, nicht mehr an sie zu denken, auch wenn sie und dieses Un-Gefühl mich nicht loslassen. Und frage mich, wo ich die nächste Nahtoderfahrung herbekomme, um diese Übung, vielleicht etwas erfolgreicher, wiederholen zu können.

P.S. Wenn jetzt irgendwer schreibt 'Wenn das Kind erstmal da ist, wird das schon', bewerfe ich ihn mit toter Katze (von der wir, wie hinlänglich bekannt ist, noch einen Vorrat im Schrank haben).

22 Oktober 2009

Mein Hirn, das unbekannte Wesen

Heute Nacht habe ich geträumt, ich wäre mitten in einen Schwarm Schmetterlinge geraten. Das meinte mein Unterbewusstsein aber nicht als Hinweis auf meine zarte, wunderschöne Seele oder so'n Kram, sondern als Warnsignal: Ich lag zu lange auf der falschen Seite, und da kann es in der Schwangerschaft passieren, dass eine Vene eingeklemmt wird und die Blutversorgung des Gehirns nicht mehr richtig funktioniert. Dies wiederum liegt nicht im Interesse aller Beteiligten (Hirn, Unterbewusstsein, Kind und Mutter) und erfordert zügige Notfallmaßnahmen, aka Umdrehen. Dazu muss ich in meinem Zustand aber mittlerweile halbwegs wach werden, weil meine überstrapazierten Bauchmuskeln es mir nicht mehr ermöglichen, mich einfach nur zu wenden, nein, ich muss mich aufsetzen, umdrehen und diverse Kissen und Decken in neue Positionen stopfen. Eine liebevolle Hebamme hat in einem schlauen Babybuch dazu geschrieben, es sei doch wundervoll, dass das Baby einen schon mal so rücksichtsvoll auf die Zeit nach seiner Geburt vorbereitet. Ich fürchte, sie hat das nicht mal so ironisch gemeint, wie das bei mir klingt.
Immerhin habe ich mittlerweile schon einige Übung im Schnell-Wieder-Einschlafen. Nur so kann ich mir erklären, dass ich diese Gleichgewichts-Schwindelig-Sache sofort in meinen nächsten Traum einbaute. Und versuchte, das Problem auf logische Weise zu lösen. Gleichgewicht, so dachte sich mein schlaues Hirn, hat doch was mit Schwerkraft zu tun. Könnte man dieses lästige Problem also aus der Welt schaffen, wenn man die Schwerkraft irgendwie verändert? Experimentierlustig baute ich in unser Universum daraufhin ein neues Sternensystem ein, auf dass sich die Verhältnisse hier ändern sollten, um es werdenden Müttern zu erleichtern, wenigstens vor der Geburt noch nachts durchzuschlafen. Das ganze natürlich von der Brücke eines coolen Raumschiffs aus, schließlich ist mein Hirn nicht doof und weiß auch im Schlaf, dass man nicht einfach so ins Weltall rausspazieren und neue Sterne basteln kann, sondern dazu schon die richtige Spezialausrüstung benötigt. Danach war alles gut und ich schlief tief und fest, bis der Wecker klingelte.
Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass das Gehirn einer Schwangeren durchschnittlich um 4% kleiner ist als das einer Nichtschwangeren. Verschiedene Indizien lassen mich allerdings glauben, dass das ein Tippfehler war, und es in Wirklichkeit 40% sind. Und dass diese Vene eigentlich ständig eingeklemmt ist, so dass der klägliche Rest davon die meiste Zeit kaum mit Sauerstoff versorgt wird. Nur dass tagsüber keine Schmetterlinge da sind zum Warnen...

12 Oktober 2009

This is your child

Aus gegebenem Anlass eine leicht umgedichteter Liedtext zum objektiven Wahnsinn. Original zum dazu Anhören findet sich hier.

and you open the door and you step inside
we're inside our bellies
now imagine your child is a white ball of healing light
that's right, feel your child, the child itself,
is a white ball of healing light

i don't think so

this is your child
and all that makes him special is your love
he is no tool for your success
this is his life, and it's gonna be
just as screwed up as yours
this isn't a prize contest
and this isn't emergency rule
where you are now, you can't even imagine
what breastfeeding will be like

only with a diaper
can we be useful parents
it's only after you've let him go
that he’s free to love you truly

nothing is by the book,
everything is chaotic,
everything is just like real life

he may be a beautiful and unique snowflake
but he is the same flawed human being as everyone else
we are all a part of the same compost heap
we are the all-singing, all-dancing crap of the world
he is not your saviour,
he is not the clothes he wears
he is not his chinese-speaking nanny
he is not his kindergarten
he is not your folic acid
he is not your water birth
he is not his fucking buggy

you have to give birth

you have to realize that he is just a child,
until you know that you are useless
i say let him never be complete
i say may he never be content
i say deliver me from children’s yoga class
i say deliver me from prodigies
i say deliver me from ritalin and parenting guidebooks
i say you have to give birth, let him evolve
and let the chips fall where they may

i just want to love him as hard as i can

welcome to parenthood
if this is your first child
you have to fight

07 Oktober 2009

Der objektive Wahnsinn

Das ist ein Ausdruck, den mein Therapeut gebraucht, um die Haltung unserer zivilisierten Welt zum Thema Kinderkriegen und Elternsein zu beschreiben. Neben meinen subjektiven Schwangerschaftsbeschwerden und -ängsten nervt mich der schon lange (weder der Therapeut noch der Ausdruck, sondern der Wahnsinn). Und gleichzeitig kann ich mich ihm doch nicht ganz entziehen.
Neulich habe ich beschlossen, mich mal so richtig aktiv und bewusst auf unser Baby zu freuen, indem ich mit Leo einen Einkaufsausflug unternehme, bei dem wir hemmungslos alles besorgen, was wir fürs Baby brauchen könnten oder auch nicht. Und just gestern, auf der Heimfahrt vom Geburtsklinik-Infoabend (mehr Wahnsinn), fiel uns ein Plakat für eine Babymesse auf.
Nachdem der Besuch einer Hochzeitsmesse vor ein paar Jahren schon durchschlagende Erfolge gebracht hat (=Leo hat sich günstige Schuhe gekauft und ich habe konventionell-langweilige Hochzeiten by the book noch abschreckender gefunden als schon vorher), überlegen wir uns tatsächlich, die Einkaufstour auf diese Messe zu verlegen. Und jetzt gucke ich mir deren Homepage an.
Da kann man sich zu Seminaren wie "Jetzt können auch schon Babys riestern" anmelden, oder lernen, wie man sein Kind mithilfe einer Spielkonsole zu mehr Sport motiviert (ob ich die Wiege einfach auf das Balance Board stellen sollte?) oder Rückenschmerzen und Ängest mit Chakrablütenessenz bekämpft. Was immer letzteres sein mag. Außerdem kann man Still-Lounges und Wickeloasen besuchen und sein Baby für das Cover einer Elternzeitschrift fotografieren, Verzeihung, shooten lassen. Wie die angekündigte Modenschau abläuft, will ich mir gar nicht erst vorstellen. Rollen knochendürre Models die aufgestylten Babys im Markenkinderwagen auf den Laufsteg, heben sie zur Begutachtung raus und staksen dann mit ihnen im dramatischen Bruce-Schritt davon?
Ihr seht, mein Einkaufsvorsatz gerät bereits ins Wanken.
Vielleicht sollte ich andere Methoden in Erwägung ziehen, um mehr Vorfreude zu entwickeln? Einfach mal alles über Wassergeburt nachlesen? Ein Buch über den Einfluss der Namensgebung auf die soziale Stellung des Kindes im späteren Leben kaufen? Versuchen, auf die Warteliste des Montessori-Kindergartens zu kommen? Meine Ernährung auf genfreien Mais umstellen und aus der Nähe des Atomreaktors wegziehen?
Aaaaargh, ich will doch einfach nur ein Kind kriegen!

02 Oktober 2009

Schwangerschaftsbeschwerde(n)

So das Thema meines letzten Geburtsvorbereitungskurses. (Die Klammern sind von mir.) Die Hebamme betonte zwar immer wieder: "Wir sind nicht krank, nur schwanger", fuhr dann aber fort, zahllose Mittelchen aufzuzählen, die gegen die Symptome helfen. Sollen.
Beschwert hat sich im Kurs keiner, also muss ich das wohl an dieser Stelle nachholen: Schwangerschaft ist eine komplexe Krankheit mit einer Vielzahl an z.T. sehr befremdlichen Symptomen.
Nicht alle davon sind zwingend bekämpfenswert. Zum Beispiel finde ich es eigentlich ganz niedlich, dass das Muttermal in meinem Bauchnabel mittlerweile außerhalb von selbigem liegt. Und auch die Tatsache, dass man sich jetzt über zugelegte Kilos freuen darf, ist ja recht nett.
Andere Dinge - Dinge, vor denen einen keiner warnt - allerdings sind durchaus lästig bis nervig. Das berühmte Treten, das Mütter wie Väter ja angeblich so glücklich macht, ist keineswegs "hauchzart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings", wie mein schlaues Buch behauptet. Manchmal kickt mich der kleine regelrecht durch die Gegend, und wenn er in die falsche Richtung tritt, fühlt sich das an wie eine Mischung aus Blasenentzündung und einem Scheidenabstrich mit einem stumpfen Haken.
Auch die Behauptung vieler ehemaliger Schwangerer, sie seien die ganze Schwangerschaft furchtbar viel Spazieren gegangen, weil sie das gebraucht hätten, halte ich für eine extreme (hormonell bedingte?) Erinnerungsverzerrung. Bei jedem Schritt, den man als werdende Mutter tut, federt das Kleine auf der Blase auf und ab. Selbst wenn man gerade auf dem Klo war und einen Schließmuskel aus Stahl hat, kann mir keine weismachen, dass sie sich mit so einem Gefühl im Bauch länger als unbedingt nötig vom nächsten Klo entfernt.
Den Gipfel der Gemeinheiten musste ich aber heute erleben, als ich im Versuch, meiner Erkältung beizukomen, beschloss, ein Bad zu nehmen. Die Hebamme hatte übrigens empfohlen, dass das eine gute Möglichkeit sei, sich zu entspannen und die Schmerzen zu lindern, wenn die Wehen einsetzen. ("Im Krankenhaus können Sie zwar auch noch Duschen, aber zu Hause in der Wanne ist es doch viel gemütlicher.") Da lag ich dann, bis zur Nasenspitze untergetaucht, und zwischen Hügeln aus Schaum erhob sich das Bergmassiv meines Bauches aus dem Wasser, das Nabel-Muttermal quasi als Parodie eines Gipfelkreuzes weithin sichtbar. Da hilft es dann auch nicht viel zu wissen, dass die Plazenta das Baby warmhält, auch wenn der Bauch die Temperatur der Zugspitze annimmt.
Also, liebe Mütter, Hebammen und Buchautoren: Etwas weniger hormonverklärte Rosa-Brillen-Sicht bitte, es wird Zeit für Realismus in der Schwangerschaft! Und für eine größere Badewanne!

15 September 2009

Hamburg - Alternative Realität

Ich sitze in der Hochbahn vom Flughafen, und entgegen der Vorhersage herrscht strahlender Sonnenschein. Alles ist grün, um mich herum die herrlichen Altbauten Eppendorfs, die Fleete, die zahllosen Brücken. Die schönste Stadt der Welt zeigt sich von ihrer besten Seite.
Und ich schaffe es, fast alle lieben Leute, die wir in unserer Zeit hier oben kennengelernt haben, wiederzutreffen. Was eigentlich in Stress ausarten könnte, aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Hamburg ist sonnig, locker und entspannt.
Als ich zwischen zwei Verabredungen tatsächlich mal 5 Minuten Pause habe, setze ich mich an die Alster und schaue den Ausflugsbooten beim Ablegen zu. Und breche beim Klang der Schiffshörner spontan in Tränen aus. Denn es hätte alles so schön sein können.
Aber die Umstände, auf die wir in dieser Stadt getroffen sind, haben mich bis weit über meine Grenzen hinaus belastet, meine psychische Gesundheit ruiniert, meine Beziehung gefährdet und mir das Herz zerrissen. Das hat nichts mit Hamburg an sich zu tun. Es einfach nur Pech zu nennen, verleiht dem Ganzen eine Profanität, die der Dramatik meiner Gefühle nicht angemessen scheint. Aber genau das war es wohl. Pech.
Ich wische mir die Tränen weg, verabschiede mich mental von den Alsterdampfern und breche auf. Zeit, noch ein paar weitere Leute zu treffen, die mir, wie schon so viele an dem Wochenende, bestätigen: Es hätte alles so schön sein können.

Gemühsam

Korrekturlesen ist einer der langweiligeren Teile meiner Arbeit. Es gibt weniger Geld als fürs Übersetzen, die kreative Arbeit hat jemand anders gemacht, und manchmal muss man um fünf Ecken denken, um die Fehler des Vorgängers zu verstehen. Pluspunkt: Ich kann meine Grammar-N*zi-Veranlagung ausleben. Weiterer Pluspunkt: Die kreativen Tippfehler mancher Übersetzer.
Zuletzt durfte ich eine Menge Kochrezepte korrekturlesen, und worüber ich da gestolpert bin, würde Freud hellauf begeistern.
Relativ weit unten im Text zum Beispiel signalisierte mir mein Vorgänger mit dem Wort Gemühse, dass er so langsam erschöpft sei und genug von langen Listen mit Ingredenzien hatte, die er als Zutanten übersetzte, wobei er wohl an unliebsame Verwandschaft dachte. Irgendwann beschloss er, die Sache zu vereinfachen und wenigstens die Basics, die sich sowieso jeder denken kann - Salz und Pfeffer - in vielen Rezepten schlicht wegzulassen. Da machte ihm aber wohl sein schlechtes Gewissen einen Strich durch die Rechnung, denn das gelegentlich vorkommende sea salt übersetzte er im folgenden Text mit Mehrsalz. Nach knapp 300 Rezepten jedoch hatte er endgültig genug, oder jedenfalls sein Unterbewusstsein, das ihm, wohl in der Hoffnung, die Sache zu beschleunigen, diktierte: mit Mehr bestreuen.
Wer meinen letzten Kuchenversuch, aka Zuckerauflauf probiert hat, weiß, dass das ein Grundsatz ist, nach dem auch ich gerne koche.