Neugeborene beherrschen noch keine Gesichtsausdrücke. Jedenfalls nicht willentlich. Das Gesichtchen verziehen, schielen, eine Schnute machen oder die Zunge rausstrecken können sie schon. Aber ohne, dass damit die für uns jeweils gängige Bedeutung verknüpft ist. Und manchmal huscht eben auch ein verirrtes Lächeln über das Gesicht der Kleinen. Unwillkürlich - d.h. ohne bewussten Willen - ohne Kontrolle und ohne jeden Zweck. Das nennt man ganz altmodisch Engelslächeln.
Eine Geburt ist ein einschneidendes Erlebnis. Ich weiß, das an sich ist eine Platitüde, aber ich versuch's mal näher zu beschreiben: Irgendwie ist man trotz aller Hilfe auf sich selbst reduziert. So ungemein beruhigend es auch ist, die Hand seines Mannes zu halten, die Anleitung der Hebamme zu haben, zu wissen, dass notfalls ein Arzt in der Nähe ist - man muss es doch irgendwie selbst hinkriegen. Kann keine Pause machen, wenn man denkt, man kann nicht mehr, oder gar abbrechen. Und hat gleichzeitig so gut wie keine Kontrolle über seine eigene Situation. Jedenfalls nicht im bisher gewohnten Sinne. Man kann pressen, wenn einem jemand die Anweisung gibt, oder atmen, wenn man dran denkt. Aber die ganzen Dinge, die man sonst so gerne kontrolliert - wie wirke ich auf andere, bin ich auch tapfer genug, oder darf ich jetzt weinen/schreien/um Narkose betteln, habe ich mich genügend vorbereitet und bin entsprechend kompetent, oder sollte ich mich lieber noch etwas mehr informieren, bevor ich weitermache, und falle ich auch niemandem über Gebühr zur Last? - treten sehr weit in den Hintergrund. Man hat nur eine Wahl: Man akzeptiert, was geschieht und lässt es geschehen, oder man akzeptiert es nicht - und es geschieht trotzdem.
Eigentlich stelle ich mir Sterben ein bisschen ähnlich vor, zumindest, wenn man es bewusst mitbekommt. Vielleicht noch etwas beängstigender, aber wohl nicht viel.
Nach fünf Tagen verlassen wir die Klinik, in der dieses einschneidende Erlebnis stattgefunden hat. Ich trete zum ersten Mal mit meinem Kind ins Freie, und irgendwie hat das etwas ähnlich Endgültiges und Befreiendes wie die Geburt selbst. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, unwillkürlich, ohne Kontrolle und ohne jeden Zweck. Ein Lächeln aus den tiefsten Tiefen meiner Seele, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr habe lächeln können. Es hält die ganze Fahrt nach Hause über an, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit fühle ich mich wieder wie ein vollständiger Mensch.
Ist das ein Happy End? Sicher nicht, schon weil es gar kein Ende ist, sondern eher ein Anfang. Mein Leben hat eine neue Ebene (zurück-?)gewonnen, eine Ebene ohne Nachdenken und ohne ständige Selbstkontrolle. Es wird mir sicher auch in Zukunft nicht ohne weiteres und jederzeit gelingen, diese Ebene zu erreichen. Aber ich wurde daran erinnert, dass es sie gibt und kann mir wieder sicher sein, dass ich mir nichts einrede, wenn ich sie vermisse und das Gefühl habe, dass es mich krank macht, wenn mir der Zugang dazu fehlt. Dass ich nicht verrückt bin, wenn ich mich genau danach sehne: nach einem Engelslächeln.
4 Kommentare:
und man muss nicht mal ein kind kriegen, um diese lächeln zu finden - es geht auch auf dem rücken eines schimmels im glitzernden tiefschnee in einer fast geräuschlosen ebene an einem dienstagnachmittag. wie im märchen.
ich glaube, es gibt tausende solcher momente - und ich bin sicher, du wirst immer mehr davon sehen - im gesicht deines sohnes und überall sonst. irgendwann - bald - wieder!
Wann kommt endlich das Buch raus???
Viele liebe Grüße ich hoffe es geht euch gut, Bine
is es doch schon - geht der trend nicht eh richtung e-book? ;-)
Oh Mann, liebe Tanja, du hast mich glücklich gemacht! Wie schön!! Es tut richtig gut, das zu lesen.
wenn man ein bisschen die Augen offenhält, findet man immer wieder Dinge, über die man engelslächeln kann...
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