16 Juni 2010

Grausiger Kellerfund

Neulich stieß ich im elterlichen Keller auf eine Posterrolle. Diese enthielt neben einigen grässlichen 80er-Jahre-Postern mit weichgezeichneten Tauben vor rosa Sonnenuntergängen noch etwas Schlimmeres (ja, das geht): ein großes Foto von mir und meinem ersten Freund. Jetzt habe ich mir gelegentlich schon überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich den mal wiedersehen würde. Einmal, vor Jahren, kam mir auf der Straße jemand entgegen, der ihm sehr ähnlich sah, und ich hätte fast meine Tasche fallenlassen und auf dem Absatz kehrt gemacht.
Meine Reaktion darauf, ihn so ganz real, in ca. 20% seiner Lebensgröße, mit mir im Arm wiederzusehen, war ungefähr - gar nichts. (Gefolgt von einem "oh Gott, was für Klamotten!")
Das hat mich irgendwie erstaunt.
Heißt das, es ist tatsächlich möglich, mit den Ungeheuer(lichkeite)n seiner Vergangenheit abzuschließen? Nicht nur vom Kopf her, sondern auch vom Bauchgefühl, das ja für spontane Reaktionen eher das Ausschlaggebende ist?
Und ich meine jetzt nicht das übliche "man kann ja Freunde bleiben und sich mit etwas Abstand wieder gut verstehen", sonder eher die Verarbeitung einer Beziehung mit einem kaputten, gewalttätigen Psychomonster bar jeder emotionalen Intelligenz.
Ich muss an ein Lied denken, dass ich früher (nicht nur musikalisch) reichlich schwachsinnig fand: Return to Innocence. Unschuld, so dachte ich, kann man nur einmal verlieren, aber nie wiedergewinnen. Analog zu "can't unthink": Can't unfeel, can't unknow, can't unlive.
Offenbar geht das aber doch irgendwie. Vielleicht reicht es zur tatsächlichen Aussöhnung mit der Vergangenheit, zwischendrin mal die richtige Gegenwart zu erwischen.
Lässt sich so jede scheußliche Vergangenheit emotional ausradieren? Sicher nicht. (Hab da gerade nochh einen Post zum Thema Unschuld im Kopf, den ich mal tippe, wenn Lenny wieder so lang schläft.) Aber allein der Gedanke, dass sowas möglich ist, ist doch irgendwie tröstlich.

7 Kommentare:

Leo und Tanja hat gesagt…

Und weil mein Kind immer noch schläft, hab ich dem Blog mal eben ein neues Design verpasst. Weiß noch nicht, ob ich dabei bleibe. Wenn ich's morgen genauso schlimm finde wie die 80er-Jahre-Tauben und es gleich wieder ändere: Please unremember...

naiko hat gesagt…

ich glaube schon, dass es dinge gibt, die man irgendwann ablegt, vielleicht sogar einfach dadurch, dass sie lange genug nicht mehr relevant sind. sie werden dann wohl ersetzt.
manches aber bleibt einem bestimmt in der einen oder anderen art. das sind dann die narben, die einen zu dem machen, was bzw. wer man ist. und ich finse, das ist irgendwie auch richtig so. schließlich müssen narben ja nicht unendlich lange spannen und weh tun, sie verschwinden nur einfach nie mehr ganz. es gibt erinnerungen, die möchte ich gar nicht "unremembern", obwohl sie weh tun.

trotzdem: es tut gut festzustellen, das unvergessliches manchmal so unvergesslich nicht ist. alle wunden heilt die zeit also sicher nicht, aber viele. :-)

schöner post!
lg

Tine hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Tine hat gesagt…

Der neue Look gefällt mir udn ist recht interssant.

Und zum Thema: manchmal braucht alles einfach seine Zeit - kenne ich von mir zur genüge :)

Britta hat gesagt…

Hi,

vergessen hast du anscheinend nicht, sonst würdest du dir nicht mehr die Gedanken machen. Ich würde eher sage, du hast dich emotional davon emanzipiert.

Jörn sagte mir immer wenn ich mal wieder unbändig sauer auf jemanden war, dass der damit Macht über mich habe. Mein Wohl und Wehe hinge davon ab ob die andere Person da sei und wie es dieser ginge. Ich hab lang drüber nachgedacht und es stimmt. Eine der besten/schlimmsten Sachen, die man einer Person, die mal in negativer Weise Macht über einen hatte, an tun kann ist, sie einem egal werden zu lassen.
Du bist nicht mehr abhängig von ihm. Du kannst ihm neu begegnen. Wenn du ihm jetzt begegnen würdest weißt du, dass du dich besser nicht in eine Abhängigkeit oder ähnliches begiebst. Du bist über ihn hinaus gewachsen. Das hat nichts mit Vergessen zu tun (zumindest für mich) sondern mit wachsen.

Um es mit einem Bild zu beschreiben... es gibt so viele Filme wo der Held am Ende den Bösewicht NICHT umbringt, denn dann wäre er nicht besser als der, sondern ihm einfach den Rücken kehrt... ich würde eher sagen, dass ist da gerade geschehen.

Anke hat gesagt…

Hmmm... es ist ja nochmal was anderes, jemanden in persona auf der Strasse zu treffen, oder nur ein altes Foto zu sehen.
Ich wünsche Dir jedenfalls, dass du Dich bei einer live Begegnung genauso gelangweilt-gelassen fühlst, wie beim Fund des Fotos. Ich denke, das zeigt, dass man wirklich mit der Vergangenheit abgeschlossen hat - und sie nicht nur weggeschoben hat.

PS - was für eine grässliche Vorstellung! Ein Fotos von einem selbst, in scheusslichen Klamotten, mit dem Ex-freund von vor x Jahren, und wahrscheinlich beide mit furchtbaren Frisuren! Gottseidank gibt es solche Fotos von mir nur in klein...

PPS cooles background-pic im neuen Layout; aber ich finde es verwirrend, dass es beim Scrollen nicht mit-scrollt, sondern die Textboxen free darüber floaten. (Kann man das auch auf Deutsch sagen?!)

Makkun hat gesagt…

Ich denke man kann so manches "ablegen". Aber nicht wenn man nur versucht hat zu vergessen oder zu verdrängen. Manchmal wächst man über solche Dinge hinaus - und gewinnt irgendwo für sich am Ende doch.

Freut mich, dass es vielleicht ein solcher Moment war.

Ahoi
Makkun