Eigentlich hatte ich überlegt, dass ich diesen Eintrag mal wieder mit einem Songzitat überschreibe. Da ich dann aber gleich zu Anfang losschimpfen würde, kommt das erst später. Statt dessen erstmal eine Familienszene.
Meine Familie sitzt am Tisch. Meine Eltern, mein Bruder mit Kleinfamilie und Leo und ich als ebenfalls frischgebackene Kleinfamilie. Mein Bruder denkt laut: Ob ich noch ein Bier will? Wohlgemerkt, alle am Tisch (sogar Marlin) können laufen, wissen wo der Kühlschrank ist, können ihn öffnen, ein Bier rausholen und es an den Tisch tragen, so sie sich denn entschließen, eines zu wollen. (Ok, Marlin *sollte* das nicht tun, aber er könnte.) Und was passiert? Meine Mutter steht auf und holt eins, obwohl mein Bruder sie nichtmal angeschaut hat. Aber scheinbar hört sie vieles, was gesagt wird, mit einem speziellen Appellohr, das sie sofort dazu bringt, darüber nachzudenken, ob das gesagte eine Aufforderung an sie war, oder vielleicht zu einer werden könnte, und dieser vorauseilend zu folgen.
Leider habe ich dieses Appellohr geerbt. Das ist mir heute mal wieder bewußt geworden. Anke, Christine und Martin waren übers Wochenende bei uns. Am Sonntag ist Anke als erste aufgestanden, und hat sich selbst eine Tasse Tee gemacht. Als ich in die Küche kam und das merkte, hatte ich sofort ein furchtbar schlechtes Gewissen und habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich keine gute Gastgeberin/Freundin/Person bin. Dabei freue ich mich eigentlich, wenn sich jemand so wohl bei uns fühlt, dass er sich in der Küche selbst bedient. Das bedeutet, dass er mich so versteht, wie ich mich gerne verstanden wissen möchte: unkompliziert und locker und glücklich, wenn andere sich wohlfühlen.
Ich finde dieses Appellohrgehöre genauso blödsinnig, wie ihr Leser wahrscheinlich alle grade meine oben beschriebenen Gewissensbisse findet. Aber es ist verdammt schwer, dagegen anzukämpfen.
Und genau das will ich von meinem Mann verlangen. Sich das Appellohr abzuschneiden.
Ich weiß wie schwer das ist. Aber wenn man das auf Dauer beibehält, dann ist das nicht nur blödsinnig, sondern immens ungesund.
Wir hatten ein wunderbar entspanntes, verratschtes, lustiges Freundeswochenende mit unserem Besuch. Und das obwohl Leo, Martin und sogar ich (dazu mehr in einem anderen Post) arbeiten mussten. Aber trotz einiger Widrigkeiten haben wir uns terminlich irgendwie koordinieren können. Dann musste Leo zum Dienst. Eine Sorte Dienst, die er schon seit Jahren macht, in die er aber nie auch nur die geringste Einweisung bekommen hat. Was für den Ausführenden wie den (in diesem Fall sehr lebendigen) 'Kunden' extrem schädliche Auswirkungen haben kann. Supervision, um das zu verarbeiten gibt's auch nicht. Ich ernte immer nur ein resigniertes Lachen, wenn ich das anspreche, was die Reaktion seines Arbeitgebers auf ein derartiges Ansinnen seiner Mitarbeiter widerspiegeln soll.
Naja, Leo ist ein Naturtalent, er kann sehr gut mit Menschen umgehen, und er hat eh keine Wahl, also geht er zu diesem Termin. Ich fahre in der Zwischenzeit Anke zum Flughafen, während Christine Martin von seinem Arbeits-Termin abholt.
Ich erwarte die beiden zu Hause, um sie dann ebenfalls zum Flieger zu bringen. Kurz bevor sie ankommen, ruft Leo an. Er muss auf einen Aussentermin. Der Dienstwagen, der einzig für das ganze Institut existierende, wird zur Zeit von der Tochter des Chefs privat benutzt. Deswegen muss er - wie eigentlich immer, und zwar ohne die Möglichkeit, das als Spesen abzurechnen - selbes resigniertes Lachen - mit unserem Privatauto fahren. Er hat aber keine Zeit, heimzukommen und es abzuholen. Kann ich es ihm bringen? Klar kann ich, muss nur erst auf die beiden anderen warten, damit die wenigstens ihre Koffer schon mal packen können.
Im Institut stellt sich heraus, dass Leo mich nicht wie geplant gleich wieder heimfahren kann, weil noch Sachen zu tun sind. D.h. ich instruiere Martin und Christine per Telefon, welchen Bus sie nehmen müssen (zum Glück hab ich vorher nochmal nachgeschaut, wann der fährt), und kann mich nur von Ferne per Telefon verabschieden. Während Leo noch letzte Vorbereitungen erledigt, trage ich schon mal seine Gerätschaften in unser Auto. Vielleicht kann ich meinen Mann ja so wenigstens etwas entlasten. Lächerlich wenig. Resigniertes Lachen.
Und das ist genau der Punkt, der mich so rasend macht. Ich kann nichts tun. Unser Leben ist ein Jonglieren mit Terminen, ein Sich-Drumherum-Arrangieren, ein ständiges Kreisen um dieses Institut und die Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten und bescheuerten Ideen seiner Leitung.
Wie kann das funktionieren, wenn Mitarbeiter ihr eigenes Arbeitswerkzeug mitbringen müssen, keine Anleitung und Unterweisung für selbst die diffizilsten, kritischsten Aufgaben bekommen, sich totschuften, zwangsläufig Fehler machen müssen, ihre Krankheiten nur zu Hause auskurieren, wenn in der Arbeit grade keine Termine anstehen, was praktisch nie der Fall ist. Wie kann das funktionieren? Weil alle mitmachen. Weil alle sich gegenseitig einander so solidarisch verhalten, und versuchen, ihre Kollegen nicht noch mehr zu belasten, indem sie sich verweigern. Weil jeder mit dem Appellohr hört. Weil alle damit ständig ihrem Chef den Arsch retten. Und weil sie alle längst resigniert haben?
Ich habe aber keine Lust mehr, mich zu arrangieren. Ich will nicht resignieren. Ich habe genug.
Und... ich kann nichts, absolut nichts tun.
Jetzt kommen wir zum Songzitat: Tanja hört grade von Smoke City
I feel in a devil of a mood...Und da ich mich grade beruflich als Übersetzer versuche, übersetz ich das jetzt mal, literarisch-frei: Ich bin scheiß-wütend.
P.S. Ihr wißt ja alle, wo Leo arbeitet, aber bitte erwähnt das nicht explizit in euren Kommentaren, sonst bekommt er am Ende Schwierigkeiten. Uuups, jetzt hab ich's schon wieder getan. Ich hab seinem Arbeitgeber den Arsch gerettet.