29 Februar 2008

London: It all falls into place

Sorry, eigentlich sollte ich als Super-Profi-Übersetzer diese Überschrift auf Deutsch liefern können, aber nachdem ich grade einen monströsen Übersetzungstest für eine große Firma gemacht habe, für die ich gerne arbeiten würde, ist mein Hirn bereit fürs Wochenende.
Wochenende. Letztes. Da waren wir spontan in London. Anke besuchen. Und Matthias. OK. Telegrammstil Ende. Es war ein geniales Wochenende, wir hatten so viel Spaß, und ein bisschen von allem: Sehenswürdigkeiten, Pubs, Musical, Pubs, altehrwürdige Gebäude (viele davon Pubs), Ausstellungen, Rollenspiel, Pubs, und außerdem mehr Ale/Stout/Lager/Cider, als ich aufzählen kann. Ohnehin ist es ein Wunder, dass ich diese Woche überhaupt in der Lage war, irgendwas zu übersetzen. Eigentlich sollten meine Wort-Ressourcen völlig aufgebraucht sein, so viel wie ich die ganze Zeit geredet habe.
Es gab aber auch so viel zu kommentieren. Allein der ca. 500 Jahre alte Pub, in dem wir am ersten Abend gegessen haben, hat mindestens 20 verschiedene Geschichten inspiriert, natürlich komplett mit Mord, Totschlag, Ehebruch und Kreuzzug. Wer Details wissen will, muss sich gedulden, bis ich es schaffe, ein entsprechendes Buch zu schreiben.
Generell hatte ich das Gefühl, dass sich an dem Wochenende praktisch alles wie von selbst zusammengefügt (= korrekte Übersetzung für 'fall into place') hat. Zum Beispiel: Am ersten Tag sind Leo und ich zuerst in eine Ausstellung über "London at war" gegangen, die die Zustände während der deutschen Luftangriffe darstellte. Sehr eindrucksvoll, und interessant, den zweiten Weltkrieg mal aus einer nicht ausschließlich traurig-entsetzt-schamerfüllten Perspektive zu sehen. Danach spazierten wir ungefähr fünfmal über die Tower Bridge, wobei Leo mir erzählte, dass die Raben im Tower der Legende nach dem Königreich Glück bringen. Wenn sie jemals den Tower verlassen, wird das Königreich untergehen, heißt es. Das ist der Grund, warum die Raben Mitglieder der britischen Armee sind und als solche Sold beziehen. Royal Air Force, nehme ich mal schwer an. Da die Engländer sehr an ihren Sterling-Pfunden hängen, habe ich mich diesmal nicht getraut, danach zu fragen, in welcher Währung - vielleicht Sonnenblumenkernen? - die Vögel bezahlt werden. (Das letzte Mal, als ich im Pub einen Kollegen beiläufig fragte, ob England sich nicht auch irgendwann mal bequemen wollte, zum Euro überzulaufen, wäre ich beinahe von der Wirtin rausgeschmissen worden.)
Hinter dem Tower blieben wir stehen, um die informativen Schilder zu lesen (keineswegs, um das Königreich und sein berühmtestes Gefängnis in irgendeiner fiesen deutschen Weise zu bedrohen), flog schließlich eine Kamikaze-Möwe (Sah jedenfalls nicht nach Rabe aus. Entweder war sie ein bezahlter Söldner, oder ein vom Feuer der WWII-Luftangriffe schrecklich entstellter Veteran.) einen todesmutigen Luftangriff und traf Leo mitten ins Herz. Naja, zum Glück war die Jacke dazwischen und wir konnten die Sauerei unter Einsatz diverser Taschentücher einigermaßen beseitigen. Aber so war das das ganze Wochenende durch: alles passte irgendwie zusammen. Und inspirierte mich, jede Menge Blödsinn zu erzählen, wie ihr grade lesen konntet.
Danke für das schöne Wochenende, liebe Londoner!
London 2008

14 Februar 2008

Angst!

Also, irgendwas mach ich falsch.
Zur Zeit lese ich naturgemäß im Internet recht viel über die Übersetzungsbranche. Diverse Foren halten Tipps für Einsteiger bereit, wie 'lass Dich nicht entmutigen, am Anfang ist das Geschäft immer zäh, rechne damit, dass Du die ersten Aufträge erst nach ein paar Monaten bekommst, bei mir hat's ein Jahr gedauert' uswusf.
Deswegen war ich ja schon erstaunt, dass das mit dem Japanischen Auftrag so ohne weiteres geklappt hat. Hab mich gefreut, das unter Anfängerglück verbucht. Und mir lauter schlaue Marketing-Maßnahmen und Strategien überlegt, wie ich an Kunden rankommen könnte.
Jetzt bin ich grade dabei, den dritten Job an Land zu ziehen, und habe schon zwei cold calls (oder sagt man bei Emails cold mails?) von potentiellen Kunden bekommen, die mich gerne beschäftigen wollen. Außerdem eine Entschuldigung von einem Auftraggeber, bei dem ich mich beworben hatte, der sich für einen anderen Anbieter entschieden hat. Er würde mich gern in Zukunft direkt kontaktieren, wenn er einen Auftrag zu vergeben hat.
Geht's noch? Ich komme vor lauter Kundenanfragen gar nicht dazu, meinen Businessplan aufzustellen (den ich zur Beantragung des Gründerzuschusses vom Arbeitsamt brauche - die Frage ist, brauche ich den Zuschuss noch?).
Da kann doch was nicht stimmen. Irgendwo muss doch da der Haken sein?
Angst...!

11 Februar 2008

10 Dinge, die ich daran hasse

16:21 Uhr. Das ist mit präziser Regelmäßigkeit die Uhrzeit, zu der meine Konzentration beim Übersetzen so stark nachlässt, dass weiterarbeiten keinen Sinn macht. Immerhin ist es schon sehr hilfreich, mein eigenes Privatbüro zu haben, in dem das Telefon nur sehr selten klingelt, und die einzigen, die mich unterbrechen, zwei Fellbälle sind, die auf meinen Schoß wollen.
Trotzdem nehme ich mir kurz die Zeit für eine Pause und eine kurze Bestandsaufnahme. Mein Schreibtisch, stolze 80 x 180 cm, ist bedeckt mit Lexika, Papier, Teetassen und leeren Schokoladenverpackungen. Ich habe keinen Kaffee mehr, und ich meine nicht fertig gekochten, nein, das Pulver ist ausgegangen. Und Japanisch ist bescheuert. Mehr als jede andere Sprache auf dieser Welt. Ganz sicher.
Es geht los mit der Übersetzung des Namens des Autors. Er heißt mit Vornamen Takeshi. Oder Takeru? Isamu wäre auch möglich, genauso wie Takashi oder 5 (!) weitere Lesungen. Für seinen Nachnamen liefert mein Lexikon immerhin nur insgesamt vier Varianten. Wie kann so eine Gesellschaft überleben?
Ich verstehe ja, dass man eine Sprache nicht von vornherein ausländerfreundlich gestaltet. Sprich, es ist zwar lästig für mich, dass ich mindestens drei Lexika (eins zum Nachschlagen der Lesung von Zeichen, die ich nicht kenne, eins zum Nachschlagen ihrer Bedeutung auf Deutsch, und eines von Deutsch nach Japanisch) brauche. Dank fortschrittlicher Technologie hab ich das mittlerweile auch alles elektronisch, so dass ich nicht so viel schleppen muss. Aber diese chinesischen Zeichen können gerade bei maschineller Textverarbeitung manchmal schon ein richtiger Fluch sein. Ein Tippfehler bedeutet nämlich nicht, dass man statt eines anderen Buchstabens, der ähnlich klingt, ein anderes Wort, das gleich gelesen wird, schreibt. Das führt zu so schönen Blüten wie "mehrfaches traditionelles Gedicht in Chlorid" statt "Polyvinylchlorid".
Und nicht nur das. Ähnlich wie im Deutschen zählt es im Japanischen zum guten Schreibstil, Wortwiederholungen zu vermeiden. D.h. für ein und dieselbe Sache werden auch in wissenschaftlichen Texten exzessiv Synonyme verwendet. Was mich als Übersetzer vor die Frage stellt: ist etwas anderes gemeint, oder ist der Autor ein Bildungssnob, der durch die Verwendung möglichst seltener Zeichen glänzen will? Diese sind dann oft nicht in normalen Lexika zu finden. Das Wort 'Wechselstrom' heißt z.B. kouryuu-denatsu (wechselnd fließender Strom). Das kam öfters im Text vor, doch dann war plötzlich von kouban-denatsu. Kouban heißt laut Lexikon 'Polizeistation'. Und nichts anderes. In einem Internet-Glossar habe ich noch die Übersetzung 'alternate' gefunden, und nach langem googlen bin ich auf eine Seite gestoßen, die (natürlich auf Japanisch) erklärte, dass beide Worte synonym zu verwenden sind. Polizeistation-Strom? Na, wenn's poetischer klingt...
Überhaupt sind sich das Deutsche und das Japanische viel zu ähnlich. In beiden Sprachen kann man endlose zusammengesetzte Worte bilden, und beim Thema Bandwurmschachtelsätze (QED) sind uns die Japaner sogar noch überlegen. Deswegen kommt bei meinen Übersetzungen oft ein Ergebnis raus, das man nur verstehen kann, wenn man den Satz systematisch auseinandernimmt (Erinnert euch mit Grausen an den Lateinunterricht, sofern ihr so etwas durchleiden musstet!). Besonders stolz bin ich auf eine Konstruktion, in der, grammatikalisch und inhaltlich korrekt, aber linguistisch grauenvoll, dreimal hintereinander 'der' vorkam. Zwei Sprachen, die so etwas hervorbringen können, sollten strikt getrennt gelagert/gehalten werden.
Und dann sind da noch die Arbeitsmaterialien. Dass mein geliebter Nelson (kein Kotelett, sondern ein Lexikon) mittlerweile fast auseinander fällt, muss ich wohl akzeptieren. Schließlich gibt es adäquaten elektronischen Ersatz. Die meisten im Internet erhältlichen Lexika sind sogar ganz gut. Aber alle Japanisch - Englisch. Und manchmal brauch ich den exakten deutschen Ausdruck, nicht den englischen. Ob dazu allerdings mein ebenso altes Sanseidos Concise Lexikon das richtige ist, wage ich zu bewzweifeln. Das ist von Japanern für Japaner gemacht, und wurde offenbar nie von einem Deutschen lektoriert. Neulich bin ich an einem Beispielsatz hängengeblieben, der auf Japanisch lautete 'Möchten Sie vielleicht einen Tee?'. Auf Deutsch übersetzt wurde daraus bei Sanseido 'Wollen Sie etwa Tee trinken?'. Und dabei sagt man den Japanern so ein feines Gespür für Nuancen nach... Aber was erwarte ich von einem Lexikon, das 'yakiimori' in seinen Wortschatz aufnimmt, und das mit 'verkohlter Wassermolch' übersetzt.
Waren das jetzt zehn Dinge? Egal, der Punkt ist, man wird wirr im Kopf, wenn man sich zu viel mit dieser Sprache beschäftigt. Was zu beweisen war...

Alive and kickin'

Was ein Sprachgenie mal mit 'lebendig und heiß auf mehr' übersetzt hat. Ja, und so geht's mir grade. Ich habe eine Woche lang übersetzt wie ein Weltmeister, mir kaum eine Pause gegönnt, meinen Rücken und meine Augen durch ständiges Am-Computer-Sitzen malträtiert wie nichts gutes, und weiß jetzt wieder sehr genau, warum ich die japanische Sprache für eine der bescheuertsten auf dieser Erde halte (dazu folgt ein separater Eintrag).
Aber ich lebe noch. Und nicht nur das: ich habe den wirklich schwierigen Text größtenteils verstanden, fast alle Fachworte gefunden, auch wenn sie in keinem Lexikon standen, habe Fehler im Original entdeckt und korrigiert, und war ein gutes Stück vor dem Abgabetermin fertig. Und was mich besonders gefreut hat: Mein Vater, der so lieb war, das ganze zum Schluss nochmal gründlich durchzukorrigieren und für den Fachmann lesbar zu machen, kommentierte meine Übsetzung mit einem (nicht neu-türk/hip-hop-deutschen, sondern schwäbisch-minimalistischem) "Respekt". Deswegen bin ich jetzt echt stolz auf mich.
Und habe echt Lust, so weiterzumachen. Diese Art von selbständigem Arbeiten ist genau das, was ich will: ich kann mir meine Zeit sehr frei einteilen (mehr oder weniger, Eilaufträge lassen da nicht viel Spielraum, aber ob ich von 8-17 oder von 14-22 h übersetze, macht keinen Unterschied), ich kann im Jogginganzug arbeiten und nebenbei Nase bohren, ich mache eine Arbeit, von der ich was verstehe (ok, Ultraschalloszillatoren war vielleicht etwas gewagt, aber ich werd mich bestimmt nicht regelmäßig auf solche Aufträge einlassen), ich produziere etwas konkretes (ganz anders als Werbung), und vor allem muss ich nicht dauernd irgendwas darstellen, was ich nicht bin (Karrierefrau, vom Produkt begeistert, jung, dynamisch und erfolgreich...).
Jetzt muss ich nur noch drei Sachen hinkriegen:
1. Mit den Formalitäten fürs Finanzamt klarkommen, ohne dabei zur Radikalemanze zu werden. Als Selbständiger brauche ich eine extra Steuernummer. Was mir dort aber niemand gesagt hat, ist dass ich mit meinem (ebenfalls teilselbständigen) Mann gemeinsam veranlagt werde, und deswegen seine Steuernummer benutzen darf. Was bedeutet, dass er meine selbständige Tätigkeit anmelden muss. Ich darf den Antrag nur zusätzlich unterschreiben. Da fühl ich mich doch gleich wahnsinnig selbständig. Ähm. Na gut.
2. Kunden finden. Dazu wusel ich schon ganz eifrig durchs Internet, bewerbe mich hier und da, und hoffe, hoffe, hoffe... Solltet ihr jemanden kennen, der eine Übersetzung Englisch-Deutsch oder Japanisch-Deutsch (ggf. auch Japanisch-Englisch) braucht, immer her damit. Ich lese auch Korrektur oder texte, wenn gewünscht. Ihr kennt ja meine Schreibe und meine Sorgfalt (nein, Du schreibst nicht Pedanterie, nein, das ist nicht werbewirksam, nein!) was Rechtschreibung angeht.
3. Preise richtig einschätzen lernen. Für Japanisch-Übersetzungen hab ich bei der Konkurrenz im Internet eine Preisspanne zwischen 1,10 und 3,80 pro Zeile gefunden. Das verstehe wer will. Ich denke, ich werde mich sicher das eine oder andere Mal durch meine Preisforderungen aus einem Auftrag rauskicken, habe mir aber vorgenommen, nicht zu billig zu arbeiten. Mal sehen, ob ich das durchhalte.
Und überhaupt ist das alles furchtbar aufregend. Was ich natürlich nur sagen kann, weil ich einen Mann habe, der bereit ist, diese Abenteuer mitzumachen und mich finanziell abzusichern. Danke, Leo.

04 Februar 2008

Des Wahnsinns kesse Beute

Seit Januar bin ich ja, wie ich einigen von euch schon vorgejammert habe, wieder für den Arbeitsmarkt zu haben. Eigentlich wollte ich mir was ruhiges suchen, einen Halbtagsjob, als Sekretärin o.ä. Etwas, das mich nicht überfordert, Aufgaben, die ich durchwegs routinemäßig beherrsche, nur nichts weltbewegendes oder gar karriereverdächtiges. Aber natürlich kam es anders...
Ein alter Studienfreund war so nett, mir einen Auftrag als Übersetzer zu vermitteln. Nichts wahnsinnig großes, zwar anspruchsvolle, aber nicht besonders umfangreiche Texte, und nicht mehr als ein paar Seiten pro Woche. Insgesamt habe ich im Januar damit ca. 180 Euro eingenommen (vor Steuern, wohlgemerkt, wobei ich bei diesem Betrag vermute, dass gar keine Steuer anfallen könnten). Wie auch immer, ich bin auf den Geschmack gekommen:
Man sitzt gemütlich mit Tee und Katze auf dem Schoß im Wohnzimmer, wurstelt vor sich hin, und bekommt ein bisschen Geld dafür. Warum das nicht ausbauen. Also beschloss klein-Tanja, sich in die Welt der Selbständigkeit zu wagen.
Obwohl sich auf meinem Tisch sogleich Berge von auszufüllenden Formularen stapelten, begann ich voller Elan, gleich mal ein bisschen Akquise zu betreiben, mir den Markt anzuschauen, was man so für Preise verlangen kann, wieviel Konkurrenz es gibt, und was man eben sonst noch so wissen muss.
Und jetzt sitze ich vor 12 Seiten eines japanischen Fachtextes über Ultraschalloszillatoren (oder sowas? keine Ahnung!?!), den ich bis Montag übersetzt haben muss. Und hatte auch noch die Kühnheit, von meinem ersten selbst akquirierten Auftraggeber im Nachhinein eine Preiserhöhung zu verlangen (die der geschluckt hat, obwohl mein erstes Angebot schon eher hoch war). Und werde wahrscheinlich die nächsten Nächte nicht schlafen, bis die Übersetzung fertig ist, von der ich inhaltlich keine Ahnung haben werde, was sie bedeutet, und dann muss Leo mich prügeln, damit ich sie trotzdem an den Auftraggeber schicke, anstatt einfach auszuwandern und meinen Namen zu ändern...
Ist das hier das, was ich geplant hatte? Hm. Nicht so wirklich.
Ist es etwas, das ich will? Ich bin geneigt zu sagen: Ja.
Fragt mich nächsten Montag nochmal...

27 Januar 2008

Das blöde Appellohr

Eigentlich hatte ich überlegt, dass ich diesen Eintrag mal wieder mit einem Songzitat überschreibe. Da ich dann aber gleich zu Anfang losschimpfen würde, kommt das erst später. Statt dessen erstmal eine Familienszene.
Meine Familie sitzt am Tisch. Meine Eltern, mein Bruder mit Kleinfamilie und Leo und ich als ebenfalls frischgebackene Kleinfamilie. Mein Bruder denkt laut: Ob ich noch ein Bier will? Wohlgemerkt, alle am Tisch (sogar Marlin) können laufen, wissen wo der Kühlschrank ist, können ihn öffnen, ein Bier rausholen und es an den Tisch tragen, so sie sich denn entschließen, eines zu wollen. (Ok, Marlin *sollte* das nicht tun, aber er könnte.) Und was passiert? Meine Mutter steht auf und holt eins, obwohl mein Bruder sie nichtmal angeschaut hat. Aber scheinbar hört sie vieles, was gesagt wird, mit einem speziellen Appellohr, das sie sofort dazu bringt, darüber nachzudenken, ob das gesagte eine Aufforderung an sie war, oder vielleicht zu einer werden könnte, und dieser vorauseilend zu folgen.
Leider habe ich dieses Appellohr geerbt. Das ist mir heute mal wieder bewußt geworden. Anke, Christine und Martin waren übers Wochenende bei uns. Am Sonntag ist Anke als erste aufgestanden, und hat sich selbst eine Tasse Tee gemacht. Als ich in die Küche kam und das merkte, hatte ich sofort ein furchtbar schlechtes Gewissen und habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich keine gute Gastgeberin/Freundin/Person bin. Dabei freue ich mich eigentlich, wenn sich jemand so wohl bei uns fühlt, dass er sich in der Küche selbst bedient. Das bedeutet, dass er mich so versteht, wie ich mich gerne verstanden wissen möchte: unkompliziert und locker und glücklich, wenn andere sich wohlfühlen.
Ich finde dieses Appellohrgehöre genauso blödsinnig, wie ihr Leser wahrscheinlich alle grade meine oben beschriebenen Gewissensbisse findet. Aber es ist verdammt schwer, dagegen anzukämpfen.
Und genau das will ich von meinem Mann verlangen. Sich das Appellohr abzuschneiden.
Ich weiß wie schwer das ist. Aber wenn man das auf Dauer beibehält, dann ist das nicht nur blödsinnig, sondern immens ungesund.
Wir hatten ein wunderbar entspanntes, verratschtes, lustiges Freundeswochenende mit unserem Besuch. Und das obwohl Leo, Martin und sogar ich (dazu mehr in einem anderen Post) arbeiten mussten. Aber trotz einiger Widrigkeiten haben wir uns terminlich irgendwie koordinieren können. Dann musste Leo zum Dienst. Eine Sorte Dienst, die er schon seit Jahren macht, in die er aber nie auch nur die geringste Einweisung bekommen hat. Was für den Ausführenden wie den (in diesem Fall sehr lebendigen) 'Kunden' extrem schädliche Auswirkungen haben kann. Supervision, um das zu verarbeiten gibt's auch nicht. Ich ernte immer nur ein resigniertes Lachen, wenn ich das anspreche, was die Reaktion seines Arbeitgebers auf ein derartiges Ansinnen seiner Mitarbeiter widerspiegeln soll.
Naja, Leo ist ein Naturtalent, er kann sehr gut mit Menschen umgehen, und er hat eh keine Wahl, also geht er zu diesem Termin. Ich fahre in der Zwischenzeit Anke zum Flughafen, während Christine Martin von seinem Arbeits-Termin abholt.
Ich erwarte die beiden zu Hause, um sie dann ebenfalls zum Flieger zu bringen. Kurz bevor sie ankommen, ruft Leo an. Er muss auf einen Aussentermin. Der Dienstwagen, der einzig für das ganze Institut existierende, wird zur Zeit von der Tochter des Chefs privat benutzt. Deswegen muss er - wie eigentlich immer, und zwar ohne die Möglichkeit, das als Spesen abzurechnen - selbes resigniertes Lachen - mit unserem Privatauto fahren. Er hat aber keine Zeit, heimzukommen und es abzuholen. Kann ich es ihm bringen? Klar kann ich, muss nur erst auf die beiden anderen warten, damit die wenigstens ihre Koffer schon mal packen können.
Im Institut stellt sich heraus, dass Leo mich nicht wie geplant gleich wieder heimfahren kann, weil noch Sachen zu tun sind. D.h. ich instruiere Martin und Christine per Telefon, welchen Bus sie nehmen müssen (zum Glück hab ich vorher nochmal nachgeschaut, wann der fährt), und kann mich nur von Ferne per Telefon verabschieden. Während Leo noch letzte Vorbereitungen erledigt, trage ich schon mal seine Gerätschaften in unser Auto. Vielleicht kann ich meinen Mann ja so wenigstens etwas entlasten. Lächerlich wenig. Resigniertes Lachen.
Und das ist genau der Punkt, der mich so rasend macht. Ich kann nichts tun. Unser Leben ist ein Jonglieren mit Terminen, ein Sich-Drumherum-Arrangieren, ein ständiges Kreisen um dieses Institut und die Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten und bescheuerten Ideen seiner Leitung.
Wie kann das funktionieren, wenn Mitarbeiter ihr eigenes Arbeitswerkzeug mitbringen müssen, keine Anleitung und Unterweisung für selbst die diffizilsten, kritischsten Aufgaben bekommen, sich totschuften, zwangsläufig Fehler machen müssen, ihre Krankheiten nur zu Hause auskurieren, wenn in der Arbeit grade keine Termine anstehen, was praktisch nie der Fall ist. Wie kann das funktionieren? Weil alle mitmachen. Weil alle sich gegenseitig einander so solidarisch verhalten, und versuchen, ihre Kollegen nicht noch mehr zu belasten, indem sie sich verweigern. Weil jeder mit dem Appellohr hört. Weil alle damit ständig ihrem Chef den Arsch retten. Und weil sie alle längst resigniert haben?
Ich habe aber keine Lust mehr, mich zu arrangieren. Ich will nicht resignieren. Ich habe genug.
Und... ich kann nichts, absolut nichts tun.
Jetzt kommen wir zum Songzitat: Tanja hört grade von Smoke City I feel in a devil of a mood...
Und da ich mich grade beruflich als Übersetzer versuche, übersetz ich das jetzt mal, literarisch-frei: Ich bin scheiß-wütend.
P.S. Ihr wißt ja alle, wo Leo arbeitet, aber bitte erwähnt das nicht explizit in euren Kommentaren, sonst bekommt er am Ende Schwierigkeiten. Uuups, jetzt hab ich's schon wieder getan. Ich hab seinem Arbeitgeber den Arsch gerettet.

23 Januar 2008

Plattform

Jetzt muss ich hier doch auch mal politisch werden. Neulich abend habe ich im Ersten mal wieder eine Diskussionssendung gesehen. Eigentlich mag ich das Ding nicht sonderlich gern, der Moderator ist einfach zu dämlich. Aber oft haben sie interessante Leute da, und dann guck ich's eben doch. Diesmal war das Thema - oh Wunder! - Jugendgewalt und was man dagegen tun kann. Sie hatten die Creme de la Creme des Themas da, unter anderem Koch und Zypries. Außerdem einen Mann von der Kripo, einen türkischstämmigen Grünen-Abgeordneten, und den Leiter eines Jugendhauses. Es wurde heftig und nicht immer sinnvoll, aber durchaus interessant diskutiert, der geschätzte Ministerpräsident ließ die ehrenwerte Justizministerin keinen Satz beenden, und der laut Recherche reformierte, gebesserte jugendliche Vorzeige-Gewalttäter stellte sich köstlicherweise als gar nicht so reformiert heraus. Zum Schluss fragte der Moderator jeden Gast, bei wem der Anwesenden er sich bedanken möchte. Der Grüne bedankte sich bei dem Jugendhausleiter und dem Polizisten für ihre Arbeit. Die Zypries, so wütend, dass sie kaum ein Wort herausbrachte, bedankte sich bei dem Grünen für die aktive Diskussion. Der Jugendhausleiter bedankte sich bei gar niemandem, weil er das Gefühl hatte, die Belange seiner Jugendlichen seien in der Diskussion zu kurz gekommen. Der Polizist bedankte sich beim Jugendhausleiter. Koch bedankte sich beim Moderator - für die Plattform, die er dem Thema verschafft hatte. Muss ich dazu noch was sagen?

19 Januar 2008

Bettnässer

Könnt ihr euch noch erinnern, wie es war, ins Bett zu machen? Nachts aufzuwachen, alles ist nass und kalt, und dann kommt jemand und kümmert sich, gibt einem was frisches zum Anziehen, bezieht das Bett neu, und man krabbelt wohlig, trocken und warm zurück in ein ebenso wohliges, trockenes und warmes Bett...
Ich hab mich nicht erinnert - bis vor kurzem.
Nein, keine Angst, ich hab nicht ins Bett gemacht. Und aufstehen und mich umziehen musste ich auch selber. Und statt das Bett frisch zu beziehen, habe ich meistens nur ein Handtuch untergelegt und die Decke gewendet. Aber das Gefühl hat irgendwie ganz alte Erinnerungen wachgerufen...
Ok, jetzt muss ich wohl erstmal aufklären: Letzte Woche war ich ziemlich erkältet. In Kombination mit meinen lustigen Alles-Egal-Pillen, die mich sowieso nachts in eine Art Mini-Hochofen verwandeln (steht sogar im Beipackzettel, wenn auch anders formuliert), hat mich diese Tatsache so ins Schwitzen gebracht, dass ich jede Nacht klatschnass aufgewacht bin. Nicht im übertragenen Sinne, sondern wirklich so, als käme ich samt Kleidern grade aus der Badewanne.
Jetzt ist die Erkältung vorbei, mein inneres Thermostat nähert sich wieder seiner normalen Funktionsweise an (nachts gemäßigt-trockenes, warmes Klima), und - was soll ich sagen? Ich stehe nachts auf, um ins Bad zu gehen, krieche zurück ins Bett, und vermisse irgendwie dieses geborgene, umsorgte alles-frisch-und-trocken Gefühl...

07 Januar 2008

Ode an die Sprache

Oder vielleicht sollte es eher Kommunikation heißen. Sprache klingt so nach 'Mund auf, Worte kommen raus'. Dabei kommunizieren wir ja mit allem was wir in (echter, virtueller, eingebildeter, zukünftiger...) Interaktion mit anderen tun. Insofern ist doch wieder alles Sprache: Durch unser Verhalten, egal wie geplant oder unbewußt, erzählen wir anderen etwas über uns. Kunst, wie ich sie verstehe, ist eine Ausdrucksform unseres innersten Selbst, eine Reflektion und Mitteilung an andere, wie die Welt auf uns wirkt. Liebe ist eine Art Muttersprache, die wir von allen lernen, die uns lieben, die es vorgeben, oder es eben nicht tun.
Wie schädlich und schmerzvoll es ist, nicht zu sprechen, nicht auszudrücken, was in mir ist, habe ich bewusst erst in der Therapie gelernt. Erfahren hab ich es schon vorher, sonst wäre ich nicht krank geworden. Und seither wundere ich immer wieder über diesen seltsamen Mechanismus, dem die Menschen unterworfen scheinen: Aus irgendeinem (angeborenen? instinktiv verankerten? philosophischen?) Grund ist es für unser Seelenheil immens wichtig, dass wir kommunizieren, was in uns vorgeht. Und aus irgendeinem anderen (anerzogenen? zu wenig geschulten? völlig unsinnigem!) Grund fällt vielen von uns gerade das unheimlich schwer. Etwas zwingt uns, aber etwas lässt uns nicht. Ich habe überlegt, ob das der Widerstreit zwischen Mensch (=sprachbegabtes Wesen) und Tier (=je weniger man von sich kommuniziert/preisgibt, desto überlegener ist man) in uns ist. Aber vielleicht ist das doch ein ausschließlich menschliches Problem, denn Tiere können kommunizieren, aber nicht lügen und nichts vor ihren Artgenossen verbergen (mit Ausnahme der Stabheuschrecke vielleicht, die sich vorsätzlich als Ast ausgibt).
Irgendwann hab ich auf diesem Blog schon mal über dieses Thema philosophiert, find's aber grad nicht. Dafür beim Nochmal-Durchlesen einzelner Einträge erschreckend viele Rechtschreibfehler. Und das mir! Wo es mir doch so wichtig ist, Sprache, dieses sich ständig verändernde, wachsende, unstete, lebende Wesen, in feste Regeln zu pressen und alle dazu zu bringen, sich gefälligst dran zu halten. Warum eigentlich? Wo man doch so schön mit Sprache spielen kann, und spielen ist umso lustiger und kreativer, je weniger Regeln es gibt. Fürchte ich sie am Ende, die Sprache? Und das, weil ich sie zu gut oder zu schlecht beherrsche? Oder weil sie mich beherrscht, mich ausmacht, mich retten und verraten kann?
Dabei spiele ich dauernd damit, und ich selbst bin es, die sie verändert. (Dieser letzte Halbsatz ist ein hervorragendes Beispiel - wer verändert wen?) Und in dieser Veränderung liegt eine wundersame Eigenschaft von Sprache: je mehr, öfter, länger ich mit jemandem kommuniziert habe, desto weniger muss ich sagen, um verstanden zu werden. Das merke ich im Kontakt mit langjährigen, engen Freunden. Ein paar Worte reichen aus, und der andere weiß Bescheid. Wir haben eine gemeinsame Sprache entwickelt, die eine weit über Worte hinausgehende Verbindung zwischen uns schafft. Was ggf. die Notwendigkeit zu sprechen reduziert, die Sprache an sich ebenso wie die Freundschaft aber ungemein bereichert.
Aber selbst, wenn wir allein sind, hört das Bedürfnis zu kommunizieren nicht auf. Momentan fällt mir das vor allem auf, wenn ich, allein in unserer Wohnung, völlig verschnupft, verzweifelt suchend, laut nach den Taschentüchern rufe, als könnten sie mich hören und diensteifrig angehüpft kommen, um aufzunehmen, was meine Nase so dringend loswerden möchte. Aber auch in anderen, ernsteren Situationen. Ich muss an das Reh denken, das eine Ex-Kollegin angefahren hatte, und das eine geschlagene Stunde lang geschrien hat, bevor endlich der Förster kam, um es zu erlösen. Warum schreien Tiere, wenn sie verletzt sind? Ein Überlebensvorteil scheint mir das nicht zu sein. Nur ein Rückfall in kindliches Verhalten? Ich kann mir nicht mehr selbst helfen, also schreie ich und hoffe, dass ein Muttertier kommt und mir hilft? Oder auch hier das unwiderstehliche Bedürfnis, sein innerstes, weil unaushaltbar, nach außen zu kehren und - mit anderen zu teilen, selbst wenn es eine fremde Spezies ist?
Das bringt mich fast wieder zurück zum Thema Warum schreibe ich hier überhaupt?, aber dann muss ich wieder alte Einträge durchlesen und finde am Ende noch mehr Rechtschreibfehler als ich ertragen kann.
Statt dessen führe ich die Frage noch weiter und denke ich an Silvester, an Feuerwerk. Wem wollen wir mit dem Lärm und dem Licht was genau mitteilen? Seht her, ihr Geister, ihr Götter, ihr Galaxien! Wir sind hier! Wir existieren. Wir mögen viel Lärm und Rauch machen und in sekundenschnelle verglühen, aber wir sind laut und hell und wunderschön dabei! Das ist die Botschaft, die bei mir ankommt. Und während ich mir in der kalten Nacht den Hals verrenke, um keine Sekunde dieser bizarren, empfängerlosen, sinnbefreiten Nachricht zu verpassen, während ein kleines Kind weinend das Gesicht abwendet, um dem Lärm und dem Gestank und der Ungeheuerlichkeit des Kommunizierten zu entgehen, während sich zwischen zwei Menschen, die sich alles gesagt haben, ein Schweigen ausbreitet, das herzzerreissender nicht schreien könnte, während Lippenpaare aufeinandertreffen um auf wunderschöne Weise auszudrücken, was sie allein nicht sagen könnten, weiß ich, dass das das einzige ist, was mich rettet, dass es genau das ist, was mich, was uns alle ausmacht: Worte, Sprache, Kommunikation. Ich spreche, also bin ich.

26 Dezember 2007

A life less ordinary

Es ist Weihnachten. Die Straßen sind ungewöhnlich still, die Luft riecht nach Kälte und nach Kaminfeuer. Überall funkeln Lichter in Bäumen und Fenstern. Die Menschen feiern, verbringen Zeit mit ihren Familien, packen Geschenke aus. Die Menschen springen aus dem Fenstern, töten einander, oder sterben einfach so. Ohne Rücksicht auf Feiertage.
Am 24. hatten wir nette Freunde da, haben es uns (unkonventionell) mit ein paar Videos gemütlich gemacht und zwei (konventionell-köstliche) Karpfen verspeist.
Am 25. habe ich Leo in der Arbeit geholfen, weil er sonst aufgrund krankheitsbedingter Ausfälle komplett allein gearbeitet hätte. Wir haben Sachen ausgepackt, neu verpackt und dafür vorbereitet, dass sie jemand anderem schon bald eine sehr große Freude bereiten werden, größer als jedes teuer gekaufte Geschenk. Und weil Weihnachten ist, habe ich der edlen Spenderin noch ein ganz leises "Schlafe in himmlischer Ruh" gesungen.
Heute, am 26., haben wir lange ausgeschlafen und im Fernsehen Drei Nüsse für Aschenbrödel geguckt.
Alles ganz normal. Es ist Weihnachten.

23 Dezember 2007

Die Würde des Biers

Es mag ja sein, dass ich in letzter Zeit ein bisschen empfindlich bin, was Werbung betrifft. Der Nackte-Haut-Faktor ist zur Zeit wieder extrem hoch, colafarbene Weihnachtsmänner und komplett aus Konsumprodukten zusammengesetzte Weihnachtsbäume (grün wie das Paillettenkleid, äh, wie der Navi-Bildschirm, äh, ach ja, wie die Hoffnung, das war's) erinnern uns, dass es etwas zu kaufen, pardon, feiern gibt, und selbst Dittsche kann die Blöd-Kampagne nicht vor bodenloser Niveaulosigkeit bewahren.
Was ich aber vorgestern an einer Litfasssäule gesehen habe, weckt wieder mal den Bombenbastler in mir.
"Die Würde des Biers ist unantastbar" steht da.
Ok. Ich als Bayer sollte dieser Aussage nicht ganz ablehnend gegenüberstehen, selbst wenn ich kein großer Biertrinker bin. Und wer kann schon sagen, dass es sich bei Hefekulturen tatsächlich nur um niedere Lebensformen handelt.
Aber jetzt mal im Ernst. Geht's noch?
In Zeiten, wo ein Land, das wir mal für einen großen Verteidiger der Demokratie gehalten haben, die Folter wieder einführt, wo Leute, die ich persönlich kenne vorschlagen, dass Sozialhilfeempfänger bei Wahlen keine Stimme haben sollten, wo Menschen, die einen Beruf wählen, der der Gesellschaft dient, dafür mit Finanznot und Burnout bestraft und solche, die nur in ihre eigene Tasche wirtschaften belohnt werden, in solchen Zeiten bildet ihr Werber euch ein, so etwas schreiben zu können? Ihr nehmt den wichtigsten Grundsatz, den sich zumindest ein Teil der Menschheit seit der Einführung der 10 Gebote gegeben hat, und macht daraus einen flapsigen Spruch über Bier?
Mag sein, dass ich keinen Spaß verstehe. Ich komme mir grade tatsächlich ein bisschen spießig vor. Vielleicht macht es mich einfach nur traurig zu sehen, dass über die Würde des Menschen nicht mehr allzu viel nachgedacht wird. Ich habe das Gefühl, dass der Mensch vielfach - im Widerspruch zu Kant - eben doch nur als Mittel zu einem Zweck angesehen wird, nicht als Zweck an sich. Und dass wir zu leichtfertig mit dem umgehen, was wir haben. Unsere eigene Würde nicht zu würdigen wissen, und viel zu wenig dafür eintreten. Sie zugunsten anderer 'Werte' - warum nur muss ich da hauptsächlich an Geld denken?, aber auch an Bequemlichkeit und scheinbare Sicherheit - vernachlässigen. Klar kann man von Würde nicht leben. Aber ohne?
Naja, vielleicht wenn wir genug Bier trinken... :-(

Wir sind alle Individuen?

Und trotzdem Mitglieder diverser Solidargemeinschaften, im Volksmund als Versicherungen bekannt. Der nette Mann, der uns diesbezüglich sehr individuell berät, hat uns neulich Karten für ein Weihnachtskonzert im Michel (der Michaeliskirche, *dem* Hamburger Wahrzeichen schlechthin, und nebenbei vor allem von innen eine der schönsten Kirchen, die ich kenne) geschenkt. Nachdem wir dieses Ereignis schon letztes Jahr aufgrund eines Außeneinsatzes von Leo verpasst hatten, haben wir uns dieses Jahr besondere Mühe gegeben und es tatsächlich geschafft hinzugehen. Und bekamen sogar den perfekten Zweier-Kuschelplatz auf der Empore mit bester Akkustik und guter Aussicht. Die Musik, das Weihnachtsoratorium von J.S. Bach, war denn auch sehr schön, Orgel, Sänger und Orchester alle toll, nicht mal der Countertenor hat sich zum Knödeln (oder sagt man da auf Norddeutsch Klößen?) hinreißen lassen, sondern hatte eine wunderbar klare Stimme. Jetzt sind wir beide keine Klassik-Experten, aber immerhin wissen wir, dass man im Konzert nur am Ende eines Satzes applaudiert, nicht nach jedem Stück.
Vielleicht ist das bei Oratorien anders, vielleicht auch bei Konzerten in der Kirche. Jedenfalls wurde hier gar nicht applaudiert, außer nach der Ansprache des Pfarrers und des Veranstalters. Also haben wir vorsichtshalber nicht mitgeklatscht, man will ja nicht peinlich auffallen.
Aber trotz der geringfügig unterschiedlichen Wetterlage musste ich an die wenigen Opernaufführungen in der Arena von Verona denken, die ich gesehen habe. Da wurde oft leise und voller Andacht mitgesungen, und bei besonders gelungenen Arien konnten sich die Italiener mit ihren "Brava"- und "Bravo"-Rufen oft nicht bis zum letzten Ton beherrschen, sondern haben einfach reingerufen.
Wir dagegen saßen still da, haben ab und zu ein Husten unterdrückt, und höchstens mal miteinander geflüstert, wenn jemand vor Ende des Konzerts gegangen ist. Und das waren nicht wenige. Vielleicht war's ja total mies, und wir sind nur so ahnungslos, dass wir's nicht gemerkt haben - wir haben tatsächlich angefangen, an uns zu zweifeln. Aber siehe Titel dieses Eintrags, also haben wir nur unseren eigenen Ohren geglaubt und sind bis zum Ende geblieben, wo wir schließlich dann auch applaudieren durften.
Sich von etwas so mitreißen zu lassen, dass man sich nicht mehr beherrschen kann und der Welt einfach seine Begeisterung mitteilen muss, egal ob das peinlich ist oder stört, ist eine Gabe. Unter erwachsenen Deutschen offenbar keine allzu weit verbreitete, leider. Warum haben wir uns diese einfache Lebensfreude abgewöhnt? Wird es tatsächlich als Schwäche gewertet, wenn man sein Glück nach außen trägt? Sollte man überlegen, ob man das Wort 'peinlich' aus der Sprache streicht, und ähnlich wie gewisse F*-Wörter durch ein hässliches Piiiep ersetzt?
Ich fasse jedenfalls hiermit schon mal einen Vorsatz fürs neue Jahr (Sollte der nicht eigentlich Vornehm heißen, weil ich ihn mir vornehme? Schließlich setze ich ihn mir ja nicht vor?): Bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit werde ich mich bemühen, vor Glück laut zu quieken.

12 Dezember 2007

Schießerei im Schweinske

Manchmal muss ich mich doch sehr wundern.
Nicht so sehr darüber, dass hierzulande scheinbar immer häufiger Schüsse fallen. (Das ist eher was zum traurig-entsetzt-nachdenklich-sein.) Sondern über die Berichterstattung darüber. Reißerisch ist man ja gewöhnt. Gnadenlos die Privatsphäre und die Gefühle der Beteiligten missachtend ist zwar schlimm, aber leider auch nicht ungewöhnlich. Aber was Radio Hamburg zur Zeit für einen Fokus auf das oben genannte hat, verwundert mich doch sehr.
Zum Hintergrund: Vor ein paar Tagen kam es in einer Filiale einer Hamburger Restaurantkette (Marke mäßig gutes, aber reichliches und billiges Essen) zu einer Art Banden-Streit, bei dem drei Leute Schussverletzungen davontrugen. Die Berichterstattung von Radio HH dazu hörte sich in etwa wie folgt an: "Das Schweinske in Jenfeld hat geschlossen. Bei einer Schießerei, die dort stattgefunden hatte, waren drei Männer verletzt worden. Die Kellnerin fand das Restaurant heute morgen mit rot-weißem Band abgesperrt vor. Wann das Schweinske wieder öffnet ist unklar."
Aha. Ich wundere mich, hoffe aber, dass diese Prioritätenverdrehung nur aus dem Versuch entstanden ist zu kaschieren, dass noch nicht mehr Informationen vorliegen, und man die Nachricht ihrer Wichtigkeit entsprechend etwas länger gestalten wollte. Dem folgte aber heute die zweite Meldung: "Das Schweinske in Jenfeld ist nach der Schießerei von vorgestern wieder geöffnet. Nachdem die Polizei ihre Ermittlungsarbeiten vor Ort abgeschlossen hat, hat das Lokal seit heute morgen wieder seinen normalen Betrieb aufgenommen."
Ähm. Werden hier aus ermittlungstaktischen Gründen die eigentlich wichtigen Informationen (Wie geht es den Verletzten? Handelt es sich um einen Bandenkrieg oder einen Familienstreit? Gab es schon Festnahmen?) zurückgehalten? Wohl nicht, man kann die Geschehnisse überall im Internet oder in der Zeitung nachlesen.
Das lässt ja fast nur noch einen Schluss zu: Diese Nachricht wurde Ihnen gesponsort von Ihrem freundlichen Restaurant S. Bei uns wird zwar scharf geschossen, aber hey, wie praktisch, so vergisst uns wenigstens keiner.
Ich muss das nicht verstehen, oder?

10 Dezember 2007

Rache - Revolutions

Sorry, aber die Matrix-Filmtitel passen einfach zum Thema, auch wenn die Filme nix damit zu tun haben.
Angeregt durch eure vielen Kommentare und nicht zuletzt aus persönlicher Motivation habe ich mir weiter viele Gedanken zu 'Rache' gemacht.
Mein Kopf sagt mir nach wie vor, dass Rache etwas schlechtes ist. Dass Gerechtigkeit sehr wichtig ist, dass zu ihrer Anwendung aber sehr viel Verstand und möglichst wenig Gefühl notwendig ist.
Mein Gefühl sagt, "Der hat mir weh getan, ich will ihm auch weh tun."
Interessanterweise war das nicht immer so. Die meisten Dinge, die mich verletzt haben, habe ich tatsächlich einigermaßen gut verarbeitet, vergessen oder sogar verziehen. Das Bedürfnis nach Rache war mir vor meiner Therapie (sprich: bevor mir klar wurde, was das alles in mir angerichtet hat) größtenteils fremd. Ich verweise zwar auf einen alten Blogeintrag, in dem der Eindruck entstehen könnte, ich wäre generell rachsüchtig. Aber boshafte Gedanken sind eine Sache, der Wunsch nach Rache eine ganz andere.
Denn in ihm drückt sich - meiner Meinung nach - etwas aus, was in Wirklichkeit die eigene Opferrolle nur bestätigt: Hilflosigkeit. Jemand hat mir etwas getan, und ich konnte es nicht verhindern. Hätte ich doch nur anders reagiert. Könnte ich doch nur hingehen und ihn nachträglich davon abhalten. Weil das nicht möglich ist, wird man nur noch hilfloser, und damit wütender, verzweifelter, im schlimmsten Falle hasst man sich selbst für seine Schwäche.
Der Weg aus dieser scheußlichen Gefühlsspirale heraus hat nichts mit den Leuten zu tun, die mich in der Vergangenheit verletzt haben, sondern mit meinem Verhalten in der Zukunft.
Dazu hat mein Unterbewusstsein mir neulich einen interessanten Traum verpasst:
Ich war im Schwimmbad in der Dusche. Ein Mann kam rein und packte mich von hinten, so wie frau entgegen anderslautender Filme eben nicht von einem Fremden angefasst werden will, und reihte sich damit in eine lange Tradition von Leuten ein, die mich gegen meinen Willen angefasst haben. Normalerweise reagiere ich in solchen Situationen mit völliger Erstarrung. Diesmal drehte ich mich um und schrie ihn an. Das reichte offenbar nicht, also schlug ich zu. Der Depp grinste immer noch, also holte ich den Bademeister. Der war zwar nett und hilfsbereit, brachte es aber auch nicht fertig, den Kerl von mir fernzuhalten. Und der grinste immer noch. Also schnappte ich mir einen Stuhl, der da praktischerweise rumstand, und fing an, den Typen damit zu verprügeln. An dieser Stelle blendete der Traum aus (konträr zum Amerikanischen Kino sind offenbar Szenen mit dürftiger Beklidungssituation erlaubt, Gewalt jedoch wird zensiert). Ich fand mich im Büro meiner Therapeutin wieder, die mich fragte, ob ich nicht etwas übertrieben hätte. Ich verneinte, obwohl ich mich schon etwas über die Pistole in meiner Hand wunderte...
Ok, am Ende hat's der Traum ein bisschen übertrieben, oder mein Unterbewusstsein wollte irgendeinen Film zitieren, an den ich mich grad nicht mehr erinnere. Aber ich habe das Gefühl, die Botschaft ist klar. Es gibt außer meiner üblichen duldsamen Erstarrung andere, funktionalere Handlungsmöglichkeiten. Ich darf, soll, muss mich wehren. Und ich darf so lange zurückschlage, wie der andere nicht aufhört, mich zu verletzen. Meine innere Therapeutin weiß genau, wann Schluss sein muss, ich brauche nicht fürchten, dass ich zu weit gehe. Die Wut, die ich auf Rachegelüste verschwende, könnte ich sinnvoller kanalisieren, wenn ich sie in die Zukunft richte und als Aggressions-Ressource für Situationen verwende, in denen mir geschadet wird.
Das klingt jetzt alles so, als hätte es mir ein schlauer Psychologe erzählt, aber ich bin einigermaßen stolz auf mich, dass ich das selber rausgefunden habe. Natürlich wird die Umsetzung nicht so traumhaft einfach sein. Aber das gute ist, dass mein Unterbewusstsein - der Teil, an den man viel schwieriger rankommt als an den bewussten Verstand - schon realisiert zu haben scheint, dass ich mich anders verhalten kann, als in das eingefahrene Muster zurückzufallen, das ich in der Vergangenheit immer wieder erfolglos angewendet habe, weil ich nichts anderes gelernt hatte. Dass also auch Schluss sein kann mit der Hilflosigkeit.
Und dass damit der Wunsch nach Rache an Bedeutung verliert.
Eine Sache, die mich irritiert, bleibt aber noch: Die ganze Sache impliziert, dass ich mich in Situationen, in denen ich verletzt wurde, falsch verhalten habe. Ja, ich hätte mich wehren müssen. Aber derjenige, der sich eigentlich falsch verhält, ist doch der, der mich angreift. Ich frage mich, ob man viele Gefängnis- und Geldstrafen, viele Gerichtsverhandlungen und viele Therapiesitzungen sparen könnte, wenn der Täter seinem Opfer nur absolut glaubwürdig versichern könnte, dass es keine Mitschuld an der Tat trägt...

05 Dezember 2007

Vom Amt zur Agentur

Seit ich das letzte Mal arbeitslos war (2004), hat sich beim Arbeitsamt so einiges verändert. Die nennen sich jetzt Agentur, haben einen mit tatsächlichen lebenden Mitarbeitern besetzten Empfangstresen, einen neuen Teppich, und viel viel mehr Papier.
Ok, um der Gerechtigkeit genüge zu tun: es scheint sich wirklich was verbessert zu haben. Bevor man ein Gespräch mit seinem Vermittler hat, muss man erstmal vollständige Bewerbungsunterlagen abgeben. Damals musste ich nur eine Seite Fragebogen ausfüllen, auf dem so Sachen wie Erscheinungsbild und Denkvermögen (mit den Antwortmöglichkeiten ja oder nein) aufgeführt waren. Zumindest wird also differenzierter mit der Qualifikation der Bewerber umgegangen. Und man kann auf dem vierseitigen Fragebogen, den man zusätzlich zu den Bewerbungsunterlagen abgeben muss, auch noch spezielle Fragestellungen angeben, die man mit dem Vermittler besprechen möchte. Das klingt echt nach ziemlich gutem Service. Wenn der Vermittler a) den Fragebogen auch durchlesen und sich entsprechend vorbereiten würde, b) nicht 90% des Gesprächs damit verbringen müsste, meine Daten in den Computer zu hacken und c) er bereit wäre, über die Probleme zu sprechen, die beim Bewerben auf mich zukommen werden. Statt dessen hat er mich die ganze Zeit nur ermutigt, ich solle mich doch auf meine Stärken konzentrieren.
Im Prinzip ja nett, aber ich fühlte mich, als wäre ich wegen Rückenschmerzen zum Arzt gegangen, und der hätte mir erzählt, ich solle mich doch lieber freuen, dass meine Zähne so wunderbar in Ordnung seien.
In Übereinstimmung mit dem, was ich in der Therapie gelernt habe, habe ich das nicht einfach runtergeschluckt, sondern nochmal angesprochen, dass ich gerne etwas mehr Beratung hätte, weil ich nicht weiß, wie ich mein Krankheitsjahr in einer Bewerbung formulieren soll. Was den Mann doch tatsächlich zu der Aussage verleitete, das würde er auch gern wissen, ich solle doch mal ein Bewerbungsschreiben zum nächsten Termin (im März!) mitbringen, damit er sehen kann, was mir eingefallen ist. Ich weiß nicht, was mein Gesicht in dem Moment ausdrückte, aber er fügte dann noch ganz schnell hinzu, dass er gerne was mit mir zusammen formulieren würde, wenn er noch 'ne halbe Stunde länger Zeit hätte.
Tja, dann warten wir mal beide gespannt, was mir so einfällt. Kreative Vorschläge eurerseits sind jederzeit willkommen.
Und weil ich eine Zielvereinbarung unterschreiben musste, in der steht, dass ich alle möglichen und denkbaren Kanäle zur Stellensuche nutzen muss, fange ich gleich mal an: Wenn jemand von euch zufällig von einer freien Stelle erfährt, möglichst halbtags, natürlich hier in Hamburg, am besten irgendwelche Sekretariatsarbeiten o.ä., nur nicht zu anspruchsvoll, und keinesfalls in einer Werbeagentur - sagt Bescheid!

Rundum-Sorglos-Tanja

Erstaunlich, wie viele Firmen ihre Produkte mit diesem Zusatz verkaufen.
Ich will mich in diesem Fall nicht verkaufen, sondern nur mal wieder über meinen derzeitigen Geisteszustand philosophieren. Oder vielleicht sollte ich es eher meinen Neurotransmitter-Zustand nennen? Ich habe das Gefühl, ich habe in der Therapie große Fortschritte gemacht. Und dummerweise gleichzeitig das Antidepressivum gewechselt, so dass ich wieder mal nicht sagen kann, ob meine allgemeine Entspanntheit daher kommt oder eben doch von einer fortschreitenden Heilung. In letzter Zeit habe ich den Verdacht, dass ein großer Teil an dem Medikament (Trevilor) liegt.
Das Gefühl an sich ist toll: ich mache mir generell kaum noch Sorgen wegen irgendwas, tatsächlich ist mir jetzt im Nachhinein erst aufgefallen, wie leicht mich alles Mögliche in Stress bzw. unterschwellige Panik versetzt hat. Viele dieser Situationen kann ich jetzt realistischer bewerten und damit ganz entspannt angehen.
Aber. (Natürlich habt ihr gewusst, dass ein Aber kommt, oder?) Es gibt Situationen, von denen ich weiß, dass ich mir deswegen Sorgen machen sollte. Entweder, weil mich etwas schon immer gestört hat, oder weil jeder einigermaßen 'normale' Mensch sich deswegen aufregen würde. Meine Reaktion darauf ist aber durchwegs 'Naja, auch egal'.
Wenn ihr jetzt den Eindruck habt, ich würde mir deswegen Sorgen machen, kann ich nur sagen: wahrscheinlich sollte ich das, aber es gelingt mir nicht so recht. Ich betrachte das jetzt erstmal als Erholungsphase nach einer langen Zeit des zu-viel-Sorgen-machens und genieße es. Im Januar ist der nächste Arzttermin, und ich verlass mich jetzt einfach mal drauf, dass mein Psychiater mir dann sagt, ob das ok ist - oder dass mein Liebster mich nicht mehr aushält und meine Tabletten gegen Placebos austauscht... ;-)
P.S. Ganz so schlimm kann's doch nicht sein, immerhin hatte ich noch genug Energie, um mich über die Arbeitsagentur aufzuregen - wenn das nicht mehr geht, lasst mich bitte irgendwo einliefern!

03 Dezember 2007

Die volle Wahrheit

Eine Parodie ist die überspitzte und übertriebene Darstellung eines Werkes, einer Person oder eines Sachverhalts; durch die Übertreibung soll auf (mehr oder weniger) humorvolle Weise auf Schwachstellen aufmerksam gemacht werden.
Wie aber nennt man eine Darstellung der reinen Wahrheit, ohne Übertreibung, die einen statt zum Lachen nur zum Weinen bringt? Tragödie? Nachrichten? Und ist dann die Wirklichkeit die Parodie?
Die Macher des Films, den uns Felix neulich geschickt hat, haben es einfach The Truth in Advertising genannt. In 12 Minuten stellen sie die klassischen Abläufe der Branche klar analysiert und realistisch dar, nicht wie sie sind, sondern wie sie wären, wenn alle Beteiligten sagen würden, was sie tatsächlich denken. Jeder, der nicht in der Werbung arbeitet, wird sich wahrscheinlich schieflachen. Ich konnte nur hinstarren wie auf einen besonders blutigen Unfall. Den meisten Personen konnte ich auf Anhieb Namen aus meinem früheren beruflichen Umfeld geben, und sogar Büros und Studios sahen ähnlich aus wie die Orte, an denen ich gearbeitet habe. Wenn ich meinen Kalender von 2005 noch hätte, könnte ich den einzelnen Situationen sogar konkrete Daten zuordnen.
Ich wünschte nur, ich könnte dieses Video mitnehmen zu meinem Termin beim Arbeitsamt, und an meine Versicherung schicken, um denen ein für allemal klarzumachen, dass ich sowas nicht mehr machen kann.

22 November 2007

Geheilt entlassen

Die sechs Wochen sind rum, und ich bin wieder in freier Wildbahn. Auf meinem vorläufigen Entlassungsbericht steht 'arbeitsfähig'.
Dem stimme ich durchaus zu. Ich fühle mich in der Lage, wieder zu arbeiten, nicht in der Form wie vorher, sondern in vernünftigem Rahmen, und gelegentlich habe ich sogar richtig Lust dazu.
Aus Sicht der Rentenversicherung war die Reha-Maßnahme also ein voller Erfolg.
Und aus meiner Sicht?
Bin ich definitiv einen großen Schritt weiter. Ich habe einiges an zum Teil überraschenden Einsichten über mich selbst und die Welt im allgemeinen gewonnen, bin durch wochenlange Gehirnwäsche darauf getrimmt, besser auf mich selbst aufzupassen, und konnte mich ausführlich in Geduld und Toleranz üben, was mich zu der Überzeugung gebracht hat, dass ich meinen Mitmenschen durchaus sehr viel zu geben habe. Eigentlich sollte letztere Erkenntnis nicht neu sein. Aber erst durch diese Wiederentdeckung ist mir bewußt geworden, wie viel von meinem (ohnehin nicht wahnsinnig ausgeprägten) Selbstbewußtsein mir die Depression genommen hatte.
Ich verlasse die Kur zuversichtlich. (Auch ein lange vergessenes Gefühl.) Ich entdecke neuerdings immer wieder kleine Anzeichen, dass die alte Tanja noch da ist, dass sie gelegentlich die Nase aus dem Fenster steckt, unter der Bettdecke hervorlinst, die Ohren spitzt oder einfach nur breit grinst. Willkommen zurück!

10 November 2007

Micro-Utopie

So, hier bin ich wieder. Ich habe das Gefühl, dass ich mittlerweile mindestens fünfmal auseinandergepuzzelt und wieder zusammengesetzt wurde; keine Ahnung, ob alle Teile noch am richtigen (oder angestammt falschen?) Platz sind. Jedenfalls kann es ganz schön anstrengend sein, sechs Wochen lang ausschließlich um sich selbst zu Kreisen, und alles, was man sagt, tut und denkt gleich zu analysieren und zu überprüfen... Und auch noch von 26 anderen Irren umgeben zu sein, die genau das gleiche tun. Ich schwanke ein bisschen zwischen "Jetzt langt's dann auch mal wieder" und "Kann ich noch mal sechs Wochen mehr haben". Naja, ich denke, in knapp zwei Wochen bin ich hier raus, und dann könnt ihr die neue verbesserte Tanja begutachten. Wahrscheinlich hat sich gar nicht so viel geändert. Außer der Frisur. Und der Haarfarbe. Und den Fingernägeln. Und Stricken kann ich jetzt auch...
Aber eigentlich wollte ich ja gar nicht von mir sprechen, sondern von einer Besonderheit hier in der Klinik. Auf jeder Station gibt es hier nämlich eine Sofaecke. Da kann man sich treffen, Kaffee trinken, sich unterhalten, Spiele spielen, Musik hören, Stricken, einfach nur rumhängen, und den Patienten mit Schlafstörungen abends das Leben schwer machen.
ich finde das eine ungemein praktische Einrichtung. Wenn man sich langweilt oder Lust auf Gesellschaft hat, geht man aus dem Zimmer, und schon hat man Leute um sich. Und wenn man seine Ruhe haben will, zieht man sich einfach aufs Zimmer zurück.
Wäre das nicht eine sehr schöne Form des Zusammenlebens? Ein großes Haus mit vielen separaten Wohneinheiten, wo jeder alles hat, was fürs Privatleben nötig ist (sprich eigene Küche, Bad, etc.). Plus ein großes Wohnzimmer und vielleicht eine Küche, wo man immer hingehen kann. Und wenn genug Leute in dem Haus wohnen, ist auch immer jemand da. Wenn man Lust hat, kann man gemeinsam Kochen, und ansonsten hängt man einfach so zusammen rum. Natürlich müßten entsprechend nette Leute in dem Haus wohnen. Für Leute mit Kindern wär's auch klasse, man hätte gleich Spielkameraden und immer jemanden zum Aufpassen. Sozusagen die Rückkehr zur klassischen Großfamilie, aber mit ausgewählten Leuten, und etwas weniger Zwang zur Nähe.
Ich sehe ein, dass dieses Modell an der Realität scheitern muss, gerade in Zeiten, wo von Arbeitnehmern maximale Flexibilität in Sachen Wohnort verlangt wird. Aber eine schöne Vorstellung ist es doch irgendwie...

26 Oktober 2007

Positives

Bis jetzt hab ich ja in diesem Blog immer nur gejammert und gemeckert, seit ich hier in der Klinik bin. Das ist sicherlich größtenteils auf einen gruppendynamischen Prozess zurückzuführen, denn auf meiner Station ist Meckern ein Volkssport. Da mir das ziemlich auf die Nerven geht (*mecker*), will ich dem Einhalt gebieten, indem ich euch mal alles erzähle, was mir hier gut gefällt.
- Die Umgebung. Hier ist ziemlich viel Wald mit vielen Spazierwegen, ein Bach, ein paar Tümpel, sumpfige Wiesen und überhaupt ganz viel Natur, und bis jetzt ist das Wetter meistens sonnig, und wenn nicht dann doch wenigstens trocken. Hinter dem Haus gibt es einen versteckten Pfad, der zu einer idyllischen Holzbrücke führt, wo man wunderbar beinebaumelnd dem Wasser beim Fließen und den Mücken beim Tanzen (und manchmal den Golfern beim Abschlagen) zuschauen kann. Hab sogar schon eine Bisamratte getroffen. Allein in der Sonne durch die Natur spazieren ersetzt mindestens 1/4 meiner Medikamentendosis.
- Die Therapeuten. 90% sind sehr nett, trotz ausfallbedingter großer Arbeitsbelastung. Wenn man fragt, bekommt man in der Regel was man will, sei es Soziales Kompetenztraining oder Rückengymnastik.
- SKT. Zu Deutsch: Rollenspiel. Ich hatte bis jetzt zwei Sitzungen, und durfte schon viermal den Bösewicht (Chef/Mutter/ehrgeizige Ehefrau/Personalleiter) spielen. Ist nicht das gleiche wie zu Hause, aber es macht einen Heidenspaß, meine Rollenspiel-unerfahrenen Mitpatienten mit immer neuen Einfällen und Persönlichkeiten zu überraschen.
- Bewegungstherapie. Jawohl. Abgesehen von meinem Totalausfall nach dem Volleyballspielen ist der Sport wirklich mit das Aufschlussreichste, was ich hier mache. Man könnte vermuten, dass es an der gesteigerten Durchblutung des Gehirns liegt, aber da steckt noch mehr dahinter: ich komme jedesmal mit dem Gefühl raus, wieder etwas neues über mich erfahren zu haben. Sport macht nachdenklich.
- Expo-Situationen. Das ist überhaupt mein neues Lieblingswort: Exposition. Alles, was den Patienten aufgrund ihrer Krankheit schwer fällt, was die Therapeuten oder irgendwelche Situationen sie aber trotzdem zu tun veranlassen, wird hier so bezeichnet. (Z.B. wenn ein Mensch mit Waschzwang etwas schmutziges anfassen muss und sich hinterher nicht die Hände waschen darf.) Meine Lieblings-Expo-Situation der letzten Woche: in ein Autogeschäft gehen und dem Verkäufer mitzuteilen, dass ein Schmetterling in seinem Schaufenster sitzt und nicht raus kann, und dass ich möchte, dass er ihn befreit, und trotzdem kein Auto kaufen werde. Ich musste zweimal hingehen und sehr hartnäckig sein, aber der Schmetterling ist jetzt frei (oder wenigstens in Freiheit vor Kälte statt in Gefangenschaft vor Hunger gestorben).
- Meine Teekanne. Ohne die würde ich den Aufenthalt hier nicht überleben. Sehr hilfreich ist auch die Tatsache, dass es von 6h morgens bis halb 11h abends immer kochendes Wasser gibt, so viel man will.
- Blue Tack. Nur dadurch war ich in der Lage, meine Zimmerwände mit Fotos von euch, von unserer Hochzeit, unseren Katzen und allem möglichen anderen angenehmen zu tapezieren, ohne den Putz zu beschädigen.
- Tanzen. Es gibt nebenann eine Dorfdisko der schlimmsten Sorte. Dienstags legt dort ein DJ auf, der nicht ausschließlich Udo Jürgens spielt, und es so gelegentlich fertigbringt, dass ich meine Umgebung vergesse und einfach nur tanze.
- Am Wochenende nach Hamburg fahren und dort ganz normal verrückte Leute treffen.
- Halswirbelsäulengymnastik. Der Termin könnte blöder nicht sein: Samstags von 11 bis 12. Und ich freu mich drauf wie ein Schnitzel.
- Mit 'Krieg und Frieden' durch sein und noch über drei Wochen Zeit für die nächsten fünf Bücher haben.
- Internet. Trotz Abgeschiedenheit und ständiger Nabelschau immer noch mit euch allen kommunizieren zu können ist ungefähr das beste, was es gibt. :)
- Wochenende!!!!