13 April 2007

Wertvoll?

Als ich heute, wie so oft etwas spät dran, mein Fahrrad bei der U-Bahn-Station einsperre, spricht mich ein alter Mann an, offenbar obdachlos, etwas heruntergekommen, aber keineswegs hoffnungslos. Er will mir ein Gedicht vortragen. Ich lächle so freundlich-abweisend wie möglich, keine Zeit, U-Bahn kommt gleich. Er nimmt's gelassen, und erzählt mir statt dessen von seinem Leben, während ich mit dem Schloss rumwurstle. Er hat's versucht, hat halt nicht so geklappt, aber was soll's. Was er versucht hat, kriege ich nicht so genau mit, hat er Schriftsteller gesagt? Jetzt ist er nur noch ein alter Opa der von Ort zu Ort reist. Ich lächle nochmals und wende mich halb ab, um zu signalisieren, dass ich jetzt wirklich los muss. Schade eigentlich, ich hätte das Gedicht gern gehört. Er bittet mich um 10 Cent. Sympathisch, dass er so wenig will. Ich schaue in mein Portemonnaie. Mist, nur noch ein 2 Euro Stück. Was soll's, der Mann wirkt irgendwie nett, und die Sonne scheint, und überhaupt. Er kriegt die zwei Euro. Er bedankt sich mit den Worten: "Sie sind genauso ein Mensch wie ich: ein wertvoller."
Das macht mich einen Moment lang richtig glücklich. Die meisten Leute sind sehr oft nett zu mir, aber sowas kriegt man ja doch irgendwie selten gesagt. Während der Fahrt denke ich darüber nach, warum es mich freut, dass ein Wildfremder, der mich nicht kennt, und den ich nie wiedersehen werde, so etwas über mich sagt.
Und denke dann daran, wie sehr es mich mitnimmt, wenn ein Wildfremder, der mich nicht kennt und den ich nie wiedersehen werde, etwas schlechtes über mich sagt. Wie lange ich darüber nachgrüble, was ich falsch gemacht habe, wenn mir z.B. jemand anders laut hupend die Vorfahrt nimmt. Wie leicht ich mir die Laune verderben lasse, wenn jemand auch nur eine Frage stellt, die implizieren könnte, dass ich eventuell irgendwas falsch gemacht haben könnte.
Genau das versuche ich mir mit aller Kraft abzugewöhnen.
Heißt das im Umkehrschluss, dass ich mich auch nicht über den netten Opa und sein Kompliment freuen darf? Logisch wär's irgendwie.
Mann, manchmal ist dieses Gewurstel im Kopf ganz schön kompliziert! :-/

2 Kommentare:

naiko hat gesagt…

du machst dir schwierige gedanken, aber sehr gut nachvollziehbare. und sicher sind sie auch wichtig. und ich finde mich immer wieder darin wieder... wenn einem egal sein soll, was andere über einen denken,dann sind einem doch auch die sachen egal, die eigntlich gut sind. wenn man sich gegenüber gemeinheiten und unfairem abschotten soll - weil das besser für einen selbst ist/sei - dann schottet man sich doch auch anderen dingen, also zum beipsiel dem elend, den sorgen aber auch der liebe anderer gegenüber ab. das ist jedenfalls meine angst,wenn man mir mla wieder rät, ich solle mal cooler werden, nicht alles so ernst nehmen, mir ein dickes fell zulegen.
eine lösung für das problem hab ich aber auch noch nicht gefunden. wahrscheinlich wäre eine art filter gut, aber woher den nehmen?
ich wünsche dir und allen (auch mir) jedenfalls viel glück bein suchen.
alles liebe
deine n.

Hendrik hat gesagt…

Ich glaube, dass es die Fähigkeit von Menschen, Gefühle auf andere zu übertragen, eine ganz hervorragende Fähigkeit ist, und dass diese Fähigkeit wesentlich zu einem erfolgreichen Sozialverhalten beiträgt (wenn sie denn entsprechend ausgeprägt ist). Im Prinzip ist das ja eine universelle Form der Kommunikation. Und unter diesen Umständen ist es sicherlich nicht falsch, auch Wut, Angst oder Trauer zu kommunizieren.
Dass man darauf negativ reagiert, wenn einem die Vorfahrt genommen wird, oder jemand einen blöd anredet, sollte ja so sein — stell dir mal vor, sowas ließe uns alle kalt. In was für einer Gesellschaft würden wir dann leben?