22 Juni 2008

(Hennen und) Eier trennen

Und schon wieder habe ich ein künstlerisches (künstliches?) Thema, das ich schon lange mal in die Runde werfen wollte. Aktueller Anlass, ist ein Buch, das wir im Literaturclub (kein Link, weil ich da schon seit Ewigkeiten nix mehr geschrieben habe) gelesen haben. Darin ging es um einen modernen Opernkomponisten, der evtl. seine Frau ermordet hat. Das Buch lässt das offen, erklärt einem aber auf kategorisch-bevormundende Weise alle anderen Vorgänge und Phänomene dieser Welt, weswegen ich es nicht besonders mochte. Die eigentlich interessante Frage, die es aufwirft, ist, inwieweit man die Kunst von dem, der sie macht, trennen kann. Sprich, wenn ich weiß, der Mann ist ein Mörder, kann ich es dann noch vor mir rechtfertigen, seine Opern zu hören? In diesem Fall stellt sich das Problem nicht, da ich kein besonderer Fan moderner Opern bin; zudem ist nicht klar, ob er überhaupt in irgendeiner Weise Schuld am Tod seiner Frau hat.
Bei anderen aber stellt sich die Frage durchaus. Zum Beispiel besitze ich eine CD Noir Desir. Deren Sänger hat vor ein paar Jahren seine Freundin Marie Trintignant erschlagen. Seit ich das weiß, steht die CD im Regal und guckt mich ab und zu verführerisch an. Aber ich trau mich nicht so recht, sie anzuhören. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich würde dadurch indirekt meine Zustimmung zu jemandem ausdrücken, der zu sowas eben nicht nur fähig ist, sondern es auch tut. Mach ich mir da zu viel Gedanken? Und sollte ich jetzt, wo der Mann seine Haftstrafe verbüßt hat, als gute Bürgerin und Anhängerin unseres Rechtssystems nicht sein Strafregister aus meinem Kopf löschen und ihn nicht mehr als Verbrecher, sondern als geläuterten Menschen
betrachten und bedenkenlos seine Musik hören?
Und wenn ich Noir Desir boykottiere, wie weit erstreckt sich das dann auf andere? Filme mit bekannten Scientologen meiden? Amy Winehouse nicht mehr hören, damit sie irgendwann auch finanziell so abstürzt wie schon seelisch - als letzte Chance zur Besinnung?
Ich geb's zu: Ich möchte gerne die Leute, deren Kunst ich bewundere, auch als Personen bewundern. Oder zumindest respektieren können. Es fällt mir schon schwer zu akzeptieren, dass auch dumme Menschen schön schreiben oder komponieren können. Aber solche, deren Haltung meiner Grundeinstellung zu gewissen Dingen diametral entgegensteht...? Ich tendiere dazu zu sagen, dass mir deren Werke dann auch gestohlen bleiben können. Aber so ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich's da nicht übertreibe.
Was meint ihr dazu?

5 Kommentare:

naiko hat gesagt…

mein erster gedanke ist, dass ich es für einen großen unterschied halte, ob jemand sich selbst oder andere zerstört. amy winehouse zerstört sich selbst, genau wie kurt cobain es gemacht hat, oder janis joplin.

wenn man der meinung ist, selbstzerstörung sei ein verbrechen (das gibt es ja durchaus und soll hier auch erstmal gar nicht diskutiert werden), dann sollte man sich, finde ich, deren musik auch nicht anhören.

ich aber finde, dass es letztlich das recht eines jeden ist, mit sich und seinem leben zu tun, was er/sie möchte... und dass ich letztlich auch nicht für deren glück oder unglück moralisch verantwortlich bin - wenigstens nicht für das von cobain, winehouse oder joplin, und dann kann ich mir auch deren musik anhören.

wenn aber ein künstler - und genau das sprichst du ja an - meiner geisteshaltung diametral widerspricht, also zum beispiel gewalt propagiert oder sogar gegen andere ausübt, dann habe ich auch eine abneigung gegen die von diesen leuten produzierte kunst. irgendwie ist es mir unheimlich, da fühle ich wohl mit dir. und ich finde es auch in bisschen unmoralisch, sich über solches wissen hinweg zu setzen.

ich denke gar nicht, dass es darum geht, einen verurteilten totschläger aus prinzip für immer als verbrecher zu sehen. wenn ich nun wüsste, dass dieser mann es aufrichtig bereut hat und seine strafe irgendwie bewusst abgesessen hat,dann fände ich es wahrscheinlich auch ok, seine musik wieder zu hören, aber wenn er letztlich seine geisteshaltung nicht geändert hat, dann nicht. das kann man natürlich nie wisen, aber ein gefühl dafür haben, vielleicht? oder automatisch?

zuletzt glaube ich, dass du nicht übertreibst, sondern ein in meinen augen ganz gesundes gefühl des zweifels hast bei diesem thema. jedenfalls kann ich mich dem anschließen.

liebe grüße
n.

Hendrik hat gesagt…

Das erinnert mich an unsere Schulaufführung des Musicals „Hair“. Nachdem unsere Musiklehrerin erst mal verstanden hatte, dass es in dem Hippie-Musical auch um Drogenkonsum geht, wurden gleich mal einige Lieder wegzensiert… also offenbar wird hier die Musikaufführung mit einer Identifikation mit den Werten der Hippies gleichgesetzt. Wir fanden diese Vorstellung damals wie heute ziemlich albern.

Ich finde das Thema aber auch ein bisschen zweischneidig. Musik wurde oft instrumentalisiert, um bestimmte Ideale zu verkörpern, wie z.B. Richard Wagner im Nationalsozialismus. Sowas halte ich für Missbrauch, egal, ob Wagner nun ein Nationalist war oder nicht – es geht hier um seine historisch bedeutenden Kunstwerke, die mit Nazi-Idealen nichts zu tun haben. Da fällt mir die Trennung leicht.

Auf der anderen Seite heißt Kunstgenuss oft, sich mit dem Künstler zu identifizieren, und das fällt mir schwer mit einem Mörder. Im Fall von Scientologen unterstützt man außerdem mit jedem Kauf einer Platte das Unternehmen Scientology.

Da wir heute meist Musik von Tonträgern hören, sind wir ohnehin ziemlich weit von den eigentlichen Künstlern und ihren Leben entfernt. Wenn wir Curt Cobain erst persönlich hätten kennenlernen müssen, um seine Musik zu hören, wären wir vielleicht nie auf die Idee gekommen, sie zu mögen.

Britta hat gesagt…

Ich hatte ein ähnliches Thema mit meinem Psychotherapeuten. Er erzählte mir, dass er (Ein Mann, der aussieht als sei er schon über 60) mal ordentlich ausgeschimpft wurde, was ihm denn einfiele, als er gegenüber einem Bekannten erwähnt habe, dass er das Gebäude des Flughafen Tempelhofs eine schöne Architektonische Arbeit finde.
Daraufhin bekam er die schockierte Antwort, "Aber das wurde doch von Hittlers Architekten Gebaut und der hat doch auch KZs entworfen, wie kannst du das dann nur schön finden?!"

Ich glaube man kann etwas, ab von dem was es bedeutet schön finden. Meine Illustrationslehrerin sagte immer ein Hundehaufen auf der Straße ist ekelhaft, das Bild eines Hundehaufens kann ein Kunstwerk sein.

Wir können uns nicht entschließen etwas nicht schön zu finden, nur mit der Vernunt dagegen entscheiden etwas zu kaufen oder zu unterstützen.

Ich lasse es mir nicht nehmen Kritik, an Bildern zu üben, die beispielsweise Humanisten gemalt haben zur Unterstützung Behinderter Kinder. Wenn die Bilder schlecht aussehen, dann tun sie das, wenn nicht, dann nicht.
Die Idee heiße ich dennoch gut, spende vielleicht etwas aber kaufe keines der Bilder, da ich ein solches Machwerk keinesfalls ständig vor Augen haben möchte.

Was z.B. die Filme gewisser Sientologen angeht, da hoffe ich darauf, dass sie immer weniger Erfolg haben und ich bin der Meinung, der Erfolg eines Filmes hängt bei weitem nicht nur von dem Hauptdarsteller ab, sondern auch vom Drehbuchautor, Regisseur, Maske, Sound...
Ich spekuliere darauf, dass es hilft bessere, andere Machwerke zu unterstützen, die mehr Wert auf den Film, als diese eine Indiviualperson gelegt haben, so dass irgendwann man einfach nicht mehr auf die Sientologenperson zurückgreift, da es gute Alternativen gibt, die dazu einem noch moralisches Wohbefinden liefern und einen nicht in Dilemma werfen in die man andernfalls kommt wenn man genau über solche moralischen Probleme nachdenken muss.

(Nicht missverstehen, einiges kann man fernab des Künstlers betrachten, doch nicht alles. Ich werde Tom Cruis nie mit Bewunderung sondern eher immer mit Misstrauen begegnen, auch wenn er noch so tolle Filme macht. Das wird mich aber nicht aufhalten manche dieser Filme zu gucken, wenn ich auch denke, dass z.B. das Drehbuch gut ist.)
- AAhhh, zu viel Geschrieben und immer noch nicht das Gefühl da sich klar ausgedrückt zu haben, AAAhhh, Kompliziertes Thema!-

naiko hat gesagt…

ich finde den umkehrschluss sehr interessant: muss ich etwas gut finde, weil der mensch,der es geschaffen hat, mir gefällt? ich stimme da britta zu: nein, keineswegs. umegekehrt kann mir auch etwas gefallen, was einer gemacht hat, dem ich ablehenend gegenüber stehe. aber wie du schon sagst, ich kann per vernunft entscheiden, diese person nicht zu unterstützen, indem ich das werk kaufe.
bei filmen finde ich das nicht so einfach, weil es ja meist nicht nur ein aushängeschild gibt, anders bei einer band oder einem einzelnen musiker.

ach ja, und was hendrik sagt, finde ich auch interessant. was ist, wenn jemand musik oder bilder für etwas missbraucht hat,was eigentlich nicht hinter dem kunstwerk steht? wobei ich mir bei wagner schwer tue: ich finde all diese germanicshen sachen ansich anziehend, genau wie auch bei pagan metal bands und solchen musikrichtungen: irgendwie hat diese art der mystischen heroenromantik ebene doch was, aber es steht doch auch sehr im vordergrund, dass gewisse (nichtmehrganzso) randgruppen unserer gesellschaft solches eben gerade auch cool finden. ich finde, da hilft nur, sich sehr kritisch mit sich selbst und dieser musik und den bildern und motiven auseinander zu setzen. und dann finde ich kann man das kunstwerk auch einfach schön finden.
reflektiert politisch unkorrekt, sozusagen ;-)
liebe grüße
n.

Birgit hat gesagt…

Hallo Tanja,
eine wirklich interessante Frage. Meiner Meinung nach kann man ein Kunstwerk wirklich nur dann objektiv betrachten, wenn man absolut nichts über den Künstler weiß. Ob man es aber gleich boykottieren muß, wenn man die Ansichten/Taten des Künstlers inakzeptabel findet......?
Ich muß gestehen, ich bin in dieser Hinsicht relativ politisch unkorrekt; in den meisten Fällen höre ich trotzdem die Stück und sehe die Filme die mir gefallen, auch wenn ich mit dem Leben des Künstlers nicht einverstanden bin. Damit gebe ich aber nicht meine Zustimmung zu seinem Leben, sondern nur zu seiner Kunst! Geld für einen Liveauftritt würde ich allerdings niemals ausgeben. Ist vielleicht ein bißchen schizophren, funktioniert aber für mich.
Was dein "Noir Desir"-Beispiel betrifft - ich bin dem link gefolgt, habe mir den Fall durchgelesen und ....oh man, wie sage ich das jetzt....ich will nicht sagen, daß das, was der Sänger getan hat, nicht schlimm ist, denn es ist schrecklich, aber es war Totschlag und kein kaltblütig geplanter Mord. Und das ist zumindest für mich ein himmelweiter Unterschied. Ich denke auch, daß diese Tat durchaus bereut wurde. Nicht nur, weil sie eine lange Haftstrafe nach sich gezogen hat, sondern weil dieser Mensch sein Leben lang mit dem Wissen um seine Tat weiterexistieren muß. Und das wäre zumindest für mich die schlimmste Strafe.

Aber wie Britta schon schrieb - das Thema ist kompliziert und läßt sich von vielen Seiten aus betrachten.