29 Juni 2008

Na, geht doch!

Was durfte ich da gestern erleben? Frauen wippten mit den Hüften, Männer nickten mit dem Kopf, manch einer ließ sich gar dazu hinreißen, mitzuklatschen oder zu singen, und fast alle sind die ganze Zeit gestanden!
Was war passiert? Loreena McKennitt hat ein Konzert gegeben. Das hat sie letztes Jahr schon mal getan, aber da war's irgendwie anders. Ein vereinzelter Fan stand zwar am Rand der Sitzreihen rum und schüttelte ab und zu rhythmisch sein Haar, aber alle anderen blieben damals brav sitzen und applaudierten nur zwischen den Songs. Sind diese neuen Begeisterungsausbrüche nur der Tatsache geschuldet, dass das Konzert auf einer Freilichtbühne stattfand? Oder lag es daran, dass die Initiatoren der Tanzbewegung allesamt offensichtliche Randgruppen (ein lesbisches Pärchen, zwei in Pannesamt gekleidete Mittelalterfans und ein betrunkenes Pärchen) angehörten, und sich deswegen ohnehin keine Sorgen mehr um ihren Ruf machen mussten? Oder hat am Ende all mein Geunke etwas bewirkt?
Wie auch immer, das Konzert war genial. Mit Loreenas Worten: Making music is a bit like cooking. If you prepare a fine dinner, it's only half the fun unless you invite all your friends over to share it with you.
Und diesmal hatte ich wirklich das Gefühl, dass alle Beteiligten das Festmahl genauso genossen haben wie ich.

22 Juni 2008

(Hennen und) Eier trennen

Und schon wieder habe ich ein künstlerisches (künstliches?) Thema, das ich schon lange mal in die Runde werfen wollte. Aktueller Anlass, ist ein Buch, das wir im Literaturclub (kein Link, weil ich da schon seit Ewigkeiten nix mehr geschrieben habe) gelesen haben. Darin ging es um einen modernen Opernkomponisten, der evtl. seine Frau ermordet hat. Das Buch lässt das offen, erklärt einem aber auf kategorisch-bevormundende Weise alle anderen Vorgänge und Phänomene dieser Welt, weswegen ich es nicht besonders mochte. Die eigentlich interessante Frage, die es aufwirft, ist, inwieweit man die Kunst von dem, der sie macht, trennen kann. Sprich, wenn ich weiß, der Mann ist ein Mörder, kann ich es dann noch vor mir rechtfertigen, seine Opern zu hören? In diesem Fall stellt sich das Problem nicht, da ich kein besonderer Fan moderner Opern bin; zudem ist nicht klar, ob er überhaupt in irgendeiner Weise Schuld am Tod seiner Frau hat.
Bei anderen aber stellt sich die Frage durchaus. Zum Beispiel besitze ich eine CD Noir Desir. Deren Sänger hat vor ein paar Jahren seine Freundin Marie Trintignant erschlagen. Seit ich das weiß, steht die CD im Regal und guckt mich ab und zu verführerisch an. Aber ich trau mich nicht so recht, sie anzuhören. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich würde dadurch indirekt meine Zustimmung zu jemandem ausdrücken, der zu sowas eben nicht nur fähig ist, sondern es auch tut. Mach ich mir da zu viel Gedanken? Und sollte ich jetzt, wo der Mann seine Haftstrafe verbüßt hat, als gute Bürgerin und Anhängerin unseres Rechtssystems nicht sein Strafregister aus meinem Kopf löschen und ihn nicht mehr als Verbrecher, sondern als geläuterten Menschen
betrachten und bedenkenlos seine Musik hören?
Und wenn ich Noir Desir boykottiere, wie weit erstreckt sich das dann auf andere? Filme mit bekannten Scientologen meiden? Amy Winehouse nicht mehr hören, damit sie irgendwann auch finanziell so abstürzt wie schon seelisch - als letzte Chance zur Besinnung?
Ich geb's zu: Ich möchte gerne die Leute, deren Kunst ich bewundere, auch als Personen bewundern. Oder zumindest respektieren können. Es fällt mir schon schwer zu akzeptieren, dass auch dumme Menschen schön schreiben oder komponieren können. Aber solche, deren Haltung meiner Grundeinstellung zu gewissen Dingen diametral entgegensteht...? Ich tendiere dazu zu sagen, dass mir deren Werke dann auch gestohlen bleiben können. Aber so ganz sicher bin ich mir nicht, ob ich's da nicht übertreibe.
Was meint ihr dazu?

18 Juni 2008

Ferndiagnosen

M. Night S. hat Alzheimer. Bin ich ganz sicher. Der Mann hat gute Ideen. Und er kann auch irgendwie Filme machen. Nur in letzter Zeit scheint's, dass er im Lauf der Geschichte vergisst, wo er damit eigentlich hin will. Und den ganzen Witz dann trotzdem erzählt, aber ohne Pointe. Sein neuestes Werk hat wirklich schöne Horrorelemente. Aber keine nennenswerte Verbindung dazwischen. Vielleicht ist es auch BSE?
Ebenso überzeugt bin ich, dass Mike Oldfield unter ADS (ehemals Hyperaktivität genannt) leidet. Der Mann schäumt über vor Ideen, aber keine seiner neueren CDs (so ab 1985?) schafft es, auch nur über 3 Takte bei einem Thema zu bleiben. Mitunter bin ich versucht, die Stücke auf meinen Computer zu laden, und mit Hilfe der passenden Software einfach ein paar Loops einzubauen.
Nicht missverstehen: Ich liebe beide.
Aber seit ich selber zu den Psychos gehöre, liebe ich es, solche Ferndiagnosen zu stellen. Nicht zuletzt, um eine Ausrede zu finden, warum der Betroffene gar kein schlechter Künstler, sondern nur gerade etwas aus dem Takt mit mir/der Welt ist. Und ich weiter ungeniert ihre Werke genießen kann. :)

13 Juni 2008

Urlaubsfotos

So, zur Abwechslung mal kein langer Text, sondern viele schöne Bilder:

Nordirland Mai 2008

Danke, ihr Lieben, dass wir bei euch so eine schöne Zeit hatten!

12 Juni 2008

Romanfledderer

So schön das selbständige Arbeiten von zu Hause auch ist - man hat keine Kollegen, mit denen man mal eben über die Arbeit lästern kann. Also müsst ihr diesen Part übernehmen.
Mittlerweile bin ich mit Übersetzen fertig. Jetzt muss ich den Roman kürzen. Dummerweise um fast ein Drittel, weil die Heftchen einfach nicht mehr als 360.000 Zeichen haben dürfen. Nachdem ich einmal mit dem Seziermesser und einmal mit der Säge über alle Formulierungen drübergegangen bin, jede auch nur andeutungsweise Wiederholung und viele viele Adjektive gestrichen und zwei unwichtige Charaktere komplett gestrichen habe, liege ich immer noch bei 420.000 Zeichen. Die bisherigen Kürzungen konnte man gerade noch so als stilistische Korrektur und notwendige Straffung durchgehen lassen. Was jetzt kommt, ist die brutale Verstümmelung des Originals. Die Heldin hat ein Buch veröffentlicht. Raus damit. Der missgünstige Cousin des Helden versucht mehrfach, sie öffentlich zu demütigen. Er wird zum höflichen Überbringer einer einzelnen Nachricht zusammengestrichen. Auf einem Ball darf die Heldin ausführlich ihre Zeichenkünste demonstrieren und verwickelt sich dadurch in einen Skandal, der Auswirkungen auf das ganze Buch hat. Die ganze Szene fällt komplett dem Rotstift zum Opfer. Dazu muss ich weiter hinten einiges an Dialogen und Beschreibungen ändern oder selbst neu schreiben.
Ich weiß ja, es ist keine große Literatur, die ich hier bearbeite. Aber eine derartige Verstümmelung hat kein Buch verdient. Und kein Übersetzer eine derartige Arbeit! Vom Grammar-Nazi zum Buchstabenverbrenner. :(
Insofern kann ich nur sagen: ihr habt sicher recht, alles, was Kinder zum Lesen bringt, ist gut. Allerdings bitte ich Naiko und alle anderen Lehrer, davon abzusehen, mein Buch und ähnliche zu Unterrichtszwecken zu verwenden. Dann lieber MTV und RTL.
Zum Thema Twilight habe ich es gemacht, wie jeder gute Akademiker: ich habe mich anhand von Sekundärliteratur ausführlich informiert (anstatt das Werk einfach selbst zu lesen und mir ein eigenes Urteil zu bilden - kommt aber noch). Die Autorin ist Mormonin, Mitte dreissig, sieht auf Fotos aus wie 19, und hat nach eigenen Angaben noch nie ein grusliges Buch gelesen oder einen Horrorfilm gesehen. Die Bücher sind ähnliche Bestseller wie Harry Potter, über den ja auch viel geschimpft wurde. Bei beiden ist die Zielgruppe deutlich jünger als der Großteil der Leser dieses Blogs (soweit ich weiß), trotzdem scheinen Unmengen von Erwachsenen die Bücher ebenfalls zu lesen. Sind wir also selber schuld? Vielleicht sagt das einiges über unser Verhältnis zu Teenagern aus - ich zumindest möchte diese Zeit in meinem Leben liebend gern aus meinem Gedächtnis streichen, was mir nicht wirklich dabei hilft, mich in den Durchschnittsteenager hineinzuversetzen. Andererseits kann ich mich der Aussage meines Bruders nur immer wieder anschließen: wir trauen unseren Kindern oft viel zu wenig zu. Vielleicht ist das der Weg: Trivialliteratur to get them hooked on reading, und dann mit anspruchsvolleren Sachen weiterarbeiten. Und für uns selbst: Trivialliteratur ähnlich verwenden wie McDoof, als etwas, dass es gelegentlich mal braucht. Ohne Reue genießen, und dann ebenso genüsslich drüber lästern, den Stoff gnadenlos auseinandernehmen und zerfleddern. Wie gewisse Übersetzer es mit ihren Büchern tun...

10 Juni 2008

You can't unthink it

Man, vielmehr frau, lernt nie aus. Gerade liege ich in den letzten Zügen einer speziellen Übersetzung. Dabei handelt es sich um einen sog. Schundroman, die Sorte, die man nur am Bahnhof kaufen kann. Im Prinzip ist das eine lustige Sache, die Arbeit ist nicht besonders anstrengend und geringfügig weniger langweilig als irgendwelche Patentschriften. Nur sind da dummerweise auch Sexszenen drin. Und da muss ich immer wieder feststellen, dass mir offenbar das Vokabular fehlt. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich kenne die anatomisch korrekten Bezeichnungen für die wichtigsten beteiligten Körperteile, und bin auch mit zahlreichen mehr oder weniger lustig-obszönen Bezeichnungen vertraut, die dafür so kursieren. Beides ist aber dummerweise für die Zielgruppe des Buches nicht passend. Also muss ich mir so furchtbar verklemmt-peinliche Halbzweideutigkeiten wie 'Liebesstab' oder 'Wölbung' oder andere Grässlichkeiten einfallen lassen, um die schönste Nebensache der Welt zu beschreiben. Danach wünsche ich mir regelmäßig eine Dusche. Keine kalte, sondern eine mit viel Desinfektionsmittel, am besten inklusive Hirnspülung.
Von zweifelhaftem Vokabular abgesehen lerne ich aber beim Übersetzen auch wirklich interessante Dinge. Z.B., dass auch in Frauenromanen Frauen sofort willenlos werden, wenn ein Mann sie küsst. (Dachte, dieser raffinierte Plottwist wäre Männerfilmen vorbehalten.) Was ich aber viel beängstigender finde: offenbar zerspringen Männer beim Höhepunkt in Tausend Stücke. Und schlimmer noch, danach schwingt sich die Seele auf in himmlische Höhen des Friedens. So steht's da. Da fragt man sich unwillkürlich, was man falsch macht, denn bisher scheine ich noch auf niemanden diesen Effekt gehabt zu haben. Oder verheimlicht ihr Männer uns das irgendwie? Pflückt eure Seele vom Himmel, klaubt die Scherben auf und klebt euch in mühevoller Kleinstarbeit wieder zusammen?
Das alles wäre noch irgendwie zu ertragen, wenn nicht am Ende neben dem zu erwartenden Heiratsantrag auch noch der Bösewicht auf einmal geläutert, jede im Roman auch nur einmal erwähnten Personen zugegen und die Karriere des Helden auf wundersame, völlig unerwartete Weise gerettet wären. Und auch das würde ich noch aushalten. Wenn nicht jeder dann auch noch mit Blumen werfen würde. Was sag ich, Blumen! Flieder! Yuk!
Uh. Ich glaub, ich brauch noch 'ne Dusche.

07 Juni 2008

Nachtrag

Mann, ich habe noch so viele Posts im Kopf, die ich eigentlich dringend schreiben müsste, aber irgendwie komm ich weder dazu, euch richtig von unserem Urlaub oder von der Einlaufparade zum Hafengeburtstag zu berichten, noch meine philosophischen Gedanken zur Kunst im Allgemeinen und Verbrechen im Besonderen mitzuteilen oder meine lang geplante Rubrik 'Tanja erklärt die Welt' einzuführen. (Praktisch, dieser Post ist gleichzeitig ein Memo an mich selbst.) Ich verspreche, ich werde das nachholen.
Momentan aber nur ein kleiner Nachtrag zum letzten Post: Ich habe ein neues Idol, nämlich Dub die depressive Schildkröte auf Paraplüsch. Sehr geniales Spielkonzept, mit Sachverstand und viel Gefühl gemacht, finde ich. Dub zu helfen, braucht sehr viel Geduld und Taschentücher, und ist ebenso rührend wie herzzerreissend, genauso wie bei allen anderen Patienten. Jedes Mal, wenn ich spiele, schwöre ich mir, ein Heim für misshandelte Stofftiere aufzumachen. Dieser Vorsatz ist allerdings ein bisschen ins Wanken geraten, als ich heute Nacht geträumt habe, ich hätte ein Baby bekommen, und das dann zwei Wochen in einer Schublade vergessen. Keine Ahnung, was mir mein Unterbewusstsein damit sagen will. Hinweise und Theorien werden gerne angenommen, ich bitte nur von der Anwendung von Eletroschocktherapie abzusehen (im Spiel unterm Bett zu finden). ;-)

04 Juni 2008

1 Monat ohne

Ok, eine Quelle für Badewannen und Herde hab ich jetzt - dankeschön! - fehlt nur noch das Haus und die S-Bahn. Denn Naiko hat recht, am wichtigsten am Wohnen ist, dass man nah an den Leuten wohnt, die man gerne und oft sieht. Klingt zu schön, um wahr zu sein. Aber seit ich mit Leo zusammen bin, weiß ich, dass Wunder möglich sind, und dass man sich in den wichtigen Dingen im Leben auf keinen Fall mit einem mäßigen Kompromiss zufrieden geben darf. :)
So, aber jetzt zum eigentlichen Thema: Gestern vor einem Monat habe ich meine letzte Egal-Tablette genommen. Seither bin ich clean. Der Schwindel hat sich mit der Zeit gelegt, ganz ganz selten glaube ich noch, einen Anflug zu spüren, aber das kann auch Einbildung sein. Ein Phänomen aus der Anfangszeit meiner Antidepressiva-Phase hatte ich schon wieder verdrängt, jetzt ist's leider wieder da: das Friteusen-Gefühl. D.h. ich fühle mich oft, als hätte ich einen kräftigen Schluck aus der Friteuse bei McDo zu vor-Wallraff-Zeiten genommen (sprich, als das Fett in den Dingern noch alle 6 Monate statt jeden Tag gewechselt wurde). Bisschen ekliges Gefühl, aber wenn man nicht bewusst drüber nachdenkt, kann man's aushalten. Außerdem weckt das tatsächlich gelegentlich den Wunsch, nicht mehr so fett zu essen, und das ist ja nicht schlecht.
Was aber ist mit dem Egal-Gefühl? Das ist so ziemlich verschwunden. Vielen Dingen kann ich immer noch recht gelassen gegenüber stehen, vermutlich aber nicht wesentlich mehr als vor der Depression. Dem 'Druck' der Arbeit kann ich ganz gut standhalten, hauptsächlich, weil es mir gelingt, selbigen gering zu halten - toi, toi, toi.
Manchmal fühle ich mich unbeschwert und froh und durchwegs positiv - fast so wie früher.
Aber manchmal, wenn ich nicht aufpasse, steht auf einmal ein Gespenst in der Ecke, sieht mich an und flüstert "Ich bin tot, aber ich bin noch hier." Dann spüre ich wieder, wie es war, und die Angst, die das auslöst, fühlt sich so verdammt nach Depression an, dass ich überzeugt bin, alles fängt wieder von vorne an...
Aber es ist tatsächlich nur ein Gespenst, denn es hält sich an Geisterstunden und lässt mich den größten Teil des Tages in Ruhe. Wahrscheinlich muss ich einfach noch eine Weile durchhalten, bis ich überzeugt bin, dass das Gespenst mir nichts tun kann, mich dann mit ihm anfreunden und dann einen Weg finden, es zu erlösen...
Und da sag noch einer, aus Gruselgeschichten lernt man nix fürs Leben. ;)