08 Juli 2008

Die Rolle des Authentischen

Entgegen meiner guten Vorsätze, sowas nie wieder zu machen, bin ich gerade mit meinem zweiten Schundroman fertig geworden. Diesmal zum Glück ohne kürzen. Obwohl's mich bei diesem Exemplar schon sehr gereizt hätte, mit dem ganz dicken Rotstift ranzugehen. Dem bisschen an Handlung hätten ein paar Worte weniger nicht geschadet. Zumal die englischen Lords und Ladies aus dem 19. Jh. sich in bestem aktuellem amerikanischem Alltagsslang unterhielten. Was das ganze teilweise echt zur Lachnummer machte. Da muss man sich doch wundern, mit wie wenig sich die Leserinnen dieser Bücher zufrieden geben. (Sexszenen gab's übrigens diesmal keine.) Kaufe ich mir nicht einen 'historischen' Roman, um etwas von der Stimmung der damaligen Zeit zu atmen? Um in die Illusion der Authentizität außerhalb meiner Realität einzutauchen? Authentizität ist offenbar anstrengend.
Dabei ist mir eine Szene eingefallen, die ich kürzlich mit meinen Literaturdamen erlebt habe. Wir wollten einen neuen Wochenendausflug (ähnlich dem letzten) planen, und hatten uns Dublin als Ziel ausgesucht. Irgendwer überlegte laut, wo 'man' denn in Dublin übernachten würde. Ich meinte natürlich sofort, dass da nur ein Bed & Breakfast in Frage käme, worauf die Mädels sich vielsagende Blicke zuwarfen und auf mein Nachfragen nur lachend meinten: "Typisch, wir suchen was schönes zum Übernachten, und du willst authentisch wohnen." Ich kam mir ein bisschen doof vor. Aber nur ein bisschen.
Denn es stimmt: Authentizität ist mir wichtig. Nichts gegen Luxus, aber wenn ich in ein Land fahre, will ich etwas sehen, was dafür typisch ist (selbst wenn's nur für Touristen gedacht ist). Und wenn ich ein Buch lese, will ich es nicht leicht gemacht kriegen, sondern mich reinversetzen, auch wenn ich dafür ein bisschen ungewohnte Formulierungen in Kauf nehmen muss.
Warum ist das so?
Spontan würde ich sagen: Weil mir meine Eltern beigebracht haben, was wirklich wichtig und wissenswert ist, und was nur oberflächlich und belanglos. Das mag vielleicht den Nachteil gehabt haben, dass ich in der Schule partout nicht kapiert habe, wie überlebenswichtig eine bestimmte Jeansmarke oder eine bestimmte Frisur sein kann. Dass ich in der Agentur nicht begriffen habe, warum es kriegsentscheidend ist, ob eine Anzeige hellblau oder mittelblassblau ist, und ob sie heute oder morgen erscheint.
Aber wenn ich auch bisher immer mit meinem Schicksal als (Schul-)Mobbingopfer gehadert habe - könnte ich es ungeschehen machen, indem ich einfach auf diese Unterscheidungsfähigkeit verzichte, bin ich geneigt zu sagen, dass ich lieber all das nochmal durchmachen würde.

5 Kommentare:

Britta hat gesagt…

Ich beneide die Leute, die wissen was authentisch ist. Heutzutage bekommt man ja so viel Einheitsbrei serviert, dass man da schon fast gar nicht mehr durchblicken kann.

Anonym hat gesagt…

Es ist katastrophal, wie völlig unbedeutend-gleichförmig die Unterhaltung geworden ist. Es ist ja nicht nur der Mangel an Authentizität, sondern letztlich jeglicher Atmosphäre oder Stimmung, die mich bspw. seit mehr als einem halben Jahr aus jeglicher Filmvorführung raushält.

KErSTiN hat gesagt…

In England haben wir traditionell gefrühstückt. Ich meinte das gehört dazu! Die morgendliche Unterzuckerung führte wohl dazu, dass wir diese Bohnen, Ei auf pfannengebratenem Toast und Speck echt irgendwie mochten...

Und dann noch eine andere Geschichte:

Hihi. Ich habe mal so ein Seminar mitgemacht. Es ging grob darum, wie man mit Kunden kommuniziert, Ebenen und so ein Wurstkram, uiuiui.
Die Seminarleiter, ein Mann und eine Frau, die glaube ich voneinander geschieden waren, betonten wie wichtig es sei authentisch zu sein (zu wirken).

Die beiden waren dabei so erbärmlich einstudiert und unauthentisch, es gibt dafür kein deutsches Wort.
Einfach köstlich bekloppt!

Anonym hat gesagt…

ups, hier sehe ich schwarz auf weiss, wie beschäftigt ich in letzter Zeit war! So viele Deiner einträge verpasst!
so, jetzt schnell nachholen...

naiko hat gesagt…

ich glaube, wir leben in einer art fastfood-zeit, fastfood auch für den kopf, die phantasie, etc. interessanterweise gelten dann leute, die etwas anderes wollen oder gar fordern gerne als freaks. oder quertreiber, je nachdem, wen man fragt. deshalb passen sich dann auch immer mehr leute dem einheitsgeschmack an. wie du selbst erlebt hast, anderssein kann schwierig sein.

auf der anderen seite hält sich jeder für etwas außergewöhnliches. eigwntlich ist das widersprüchlich, finde ich. nun denn. ich habe festgestellt, dass die wirklich ungewöhnlichen jungen leute, denen ich in meinem job begegne, etwas zuspruch manchmal brauchen können und dann insgesamt offenbar ganz gut mit dem querdenken und anderssein leben, und ich hoffe sehrsehrsehr, ich kann auf diese weise dazu betragen, die welt ein klein wenig bunter und tiefsinniger zu erhalten.
(und dies nur am rande: manchmal leuchtet es "kuturelle" ein ganz klein wenig über dem horizont, man muss es nur sehen wollen ;-) )
n.