Ihr ahnt es schon, das ist mal wieder einer von Tanjas komischen Selbstfindungs-Psycho-Blogeinträgen. Und dadurch, dass ich das ganze ein bisschen ins Lächerliche ziehe, demonstriere ich auch gleich schön einen Mechanismus, der mit Scham im Zusammenhang steht: ich tue so, als nähme ich mich selbst nicht ernst, so dass andere über meine Normabweichungen lachen können, und ich mir einbilden kann, dass ich gar nicht so peinlich bin.
Aber von vorn: ich habe mich grade mit einer Freundin darüber unterhalten, warum es vielen von uns - zumindest ihr und mir - so schwer fällt, um Hilfe zu bitten. Warum wir selbst vor guten Freunden eine lächelnde Maske aufsetzen, obwohl wir eigentlich weinen wollen. Bloß keine Schwäche zeigen. Vor jemandem, der einem Böses will, macht das ja durchaus Sinn. Aber vor den Leuten, denen man am meisten vertraut, bei denen man sich sicher und akzeptiert fühlt...? Warum schämen wir uns unserer völlig normalen, verständlichen Gefühle?
Ich habe oft den Impuls zu sagen, so schlecht geht's mir gar nicht, alles halb so wild, wenn ich merke, dass sich jemand Sorgen um mich macht. Dabei sollte man meinen, dass das genau das ist, was ich nötig habe. Statt dessen geniere ich mich.
Wie immer versuche ich die Frage rational anzugehen, und bin dabei im Internet auf einen interessanten Artikel zum Thema Scham gestoßen. Einen richtigen Grund habe ich auch dort nicht gefunden, allerdings ein bemerkenswertes Paradoxon: Menschen mit übersteigertem Schamgefühl leiden oft under einer mangelnden Selbstwahrnehmung. D.h. sie sind abhängig davon, wie andere sie wahrnehmen, und gestalten ihr Leben entsprechend (nehmen nicht ab, weil sie sich zu dick fühlen, sondern weil die Waage ein bestimmtes Gewicht anzeigt u.ä.). Gemeinerweise fehlen zwar Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung, nicht aber Selbstbeobachtung - was das Selbstbewusstsein leider nicht grade stärkt.
Jedenfalls weiß ich jetzt immer noch nicht, warum es so schwer ist zuzugeben, dass man sich schlecht fühlt. Aber ich bin der Antwort auf die Frage, warum ich hier in diesem Blog so einen konsequent-schonungslosen Seelenstriptease betreibe, vielleicht etwas näher gekommen: "Um Schamgefühle zu bewältigen, verhalten sich manche Menschen oft so, dass ihr Verhalten andere beschämt (etwa durch schockierend provozierendes Auftreten). So zwingen sie die Umwelt dazu wegzublicken (statt selbst aus Scham den Blick zu Boden zu richten)." Als Beispiel werden hier u.a. Auftritte in Talkshows zu peinlich-privaten Themen genannt. Den Impuls dazu (zu provozieren, nicht in Talkshows aufzutreten) verspüre ich schon manchmal in mir. Als wäre da eine zweite Tanja, die sich die Verschämtheit der ersten 'ne Weile stirnrunzelnd anschaut, und dann sagt, pah, jetzt erst recht, raus damit! Ich wünschte nur, ich hätte im wirklichen Leben - außerhalb des Internets - auch manchmal den Mut dazu.
Eine andere Theorie, die wir im Gespräch über Scham entwickelt haben, ist dass die Freunde, denen man sich offenbart, einen ja tatsächlich ernst nehmen könnten. Und dann vielleicht nachfragen. Nach Ursachen bohren. Einen auf Dinge stoßen, die man vielleicht nicht sehen will. Klingt plausibel, finde ich. Aber keineswegs unterstützenswert. Können wir einen Deal machen? Ich heule euch was vor, und ihr dürft euch dafür mit unangenehmen Fragen rächen? Und jetzt hab ich's schon wieder getan - mich selbst ins Lächerliche gezogen, nur so aus Vorsicht, bevor's ein anderer tut, dessen Meinung über mich mir wichtiger ist als meine eigene...
4 Kommentare:
Hi Tanja,
ich kenne das ein wenig, doch scheint bei mir der Exibitionismus in der Realität zu überwiegen. Häufig komme ich mir so vor als ginge ich in eine Talkshow, wenn ich Leute mit meinem Kram zugequatscht habe. Danach schäme ich mich um so mehr für mich selbst und denke "mann muß ich denen auf den Geist gegangen sein, wie können die mich noch ertragen."
Ich kann dann ja auch die Zeit nicht wieder zurück drehen und mich gesellschaftlich angenehmer verhalten, z.B. stiller und nicht so viel Redezeit an mich reißen. Solche Momente sind immer sehr übel. Als wäre ich betrunken und hätte mich selbst nich unter kontrolle.
Du siehst, alles hat 2 Seiten und selbst solltest du häufiger mit Leuten reden, dann heißt das nicht, dass sofort die Scham verschwindet.
Es gibt aber auch Ausnahmemomente, da redet ich einfach mit Freunden, es ist egal wer was wann sagt, alle haben einfach Spaß. Wenn dieses Vertrauen da ist und die Entspannung, dann weiß ich, die Leute um mich herum sind meine Freunde, vor ihnen brauche ich mich nicht zu verstellen. Sie mögen mich. Egal was ich sage oder ob ich mal plappere. Das sind die Momente, die das Leben lebenswert machen und einige davon hast du mir schon beschert.
Ich hoffe du findest genau diese Momente auch immer wieder.
Hi,
ja, das kenn ich. Ich selbst hab mich soweit gebracht, dass ich inzwischen auch sagen kann, wenn es mir nicht gut geht. Also kann ich mich jedesmal "frei entscheiden", ob ich eine ehrliche Antwort auf die Frage "wie geht's?" geben will oder nicht. Das gibt Freiheit.
Aber ich denke mir dann auch manchmal "ich will gerne ehrlich antworten, UND den anderen wissen lassen, dass mir nicht so gut geht. Aber ich will dnach weder weitere Fragen beantworten, noch den anderen vor dem Kopf stossen, indem ich sage "will nicht drueber reden". Dann ist ist der andere auch in ner bloeden Situation, wenn er weiss, mir gehts nicht so gut, aber ich erklaere es weder noch gebe ihm irgend ne Chance, zu versuchen mir zu helfen.
Da muss ich noch ueben - aber was soll man da sagen? "Nee, geht mir nicht so doll, aber ich will nicht drueber reden, und mach dir keine Sorgen"?
Also Tanja: ueben. Sag uns ganz ehrlich wie's Dir geht. Wenn du willst.
Ueberwinde deine Scham vielleicht mit Gegenschmerz, bzw -scham: mit dem Gedanken "mir gehts so-und-so schlecht, also will ich das auch sagen, denn sonst wuerd ich meine Freunde anluegen"?
Sei einfach ein bisschen egoistischer. Tu das, was gut fuer Dich ist. Warum in aller Welt solltest du dich schaemen??
Don't think about how WE feel about it - this is about YOU.
"Jedenfalls weiß ich jetzt immer noch nicht, warum es so schwer ist zuzugeben, dass man sich schlecht fühlt."
Jean Liedloff schreibt in ihren Beobachtungen an Indianervölkern ("The continuum concept", deutsch: "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück"), dass es Schamgefühle in der gleichen Art bei diesen Völkern nicht gibt und führt diese Tatsache auf die Art zurück, wie wir unsere Kinder behandeln. Aus dem Internet-Artikel: "Wer sich abgelehnt fühlt, reagiert daher häufig mit Scham." Wenn Kinder schreien, etwas haben wollen oder in die Hose kacken, führt das oft zu "Erziehungsmaßnahmen" (Schreien lassen, Wegnehmen und Schimpfen) – also zu Ablehnung ihres Verhaltens. Weinen und Schreien sind bei Kindern unerwünscht, deswegen machen es Erwachsene nicht, auch wenn es manchmal gut täte. Unsere verkorkste Art der Sexualerziehung führt laut Liedloff ebenfalls zu einem von Scham geprägten Körpergefühl. Daneben hat die Autorin die Begabung, so ziemlich alle sozialen Probleme unserer Gesellschaft darauf zurückzuführen, dass wir als Kinder nicht ausreichend getragen worden sind.
Für alle, die jetzt zwischen den Zeilen lesen: es liegt mir fern, mit dieser Aussage unseren Eltern Vorwürfe zu machen, sie hätten uns mit Ablehnung behandelt. Es geht beim Schamgefühl um ein kulturelles Phänomen, dass nicht nur in bestimmten Familien auftaucht, sondern in der Gesamtheit unserer Gesellschaft.
ich glaube, dass scham sehr viel damit zu tun hat, was einem von andren mitgeteilt wird. wenn man zu lange hört,dass ein verhalten,das einem eigentlich selbst nah liegt, nicht in ordnung ist, dann schämt man sich dafür, obwohl man dasselbe verhalten bei anderen vielleicht sogar ganz ok findet. aber selbst darf man's dann nicht mehr tun, weil man ja gelernt hat,dass gewisse leute es nicht ok finden. und das verallgemeinert man dermaßen, dass man's irgendwie glaubt. und schon schämt man sich.
und das ist scheußlich, weil es so wenig mit einem selbst zu tun hat. besonders schlimm finde ich die scham, die mit verhalten zu tun,das unvermeidbar ist oder scheint, weil es so in einem drin steckt. das,was britta beschreibt, wenn man einfach gewisse eigenschaften hat. und dann schämt man sich für etwas,was man ist. eine scham, die aus einer art "verhaltens-panne" hervorgeht, ist, denke ich, in manchen fällen ganz gesund, um solches verhalten um seiner selbst willen zukünftige zu vermeiden, aber wenn das vermeiden nicht klappt, weil man ist wie man ist, dann wird's schlimm.
und ich habe die ehrfahrung gemacht,dass es entsetzlich schwer ist, diese scham in den griff zu kriegen. ich kann denken soviel ich will, vergleichen,feststellen,dass ich das verhalten bei niemandem verachtenswert finde außer bei mir selbst, es als unsinn erkennen, philosophieren und therapieren, und ich schäme mich trotzdem. toll.
das ist zwar nicht gerade optimitisch, aber ich habe kürzlich folgenden schluss aus meinem unerfolgreichen kampf gezogen:
vielleicht hilft es, sich dieser scham immer mal wieder auszusetzen, sich gewissermaßen abzuhärten, und zwar, indem man dinge tut, die man im kopf völlig ok findet, im "ich" also, wo nur das "über-ich" garstig reagiert. vielleicht kann man sich so irgendwie umpolen. ich sehe nämlich nicht ein,dass wir unserem über-ich für immer und ewig ausgeliefert sein sollen. wir werden damit nicht geboren, also muss man es ändern können - bis zu einem gewissen grade wenigstens.
und wenn ich und über-ich sich ein bisschen besser verstehen,dann sind wir doch auch näher bei und und all die winkelzüge unser psyche - von verharmlosung, ausweichendem scherzen und sogar depressionen, selbsthass, etc. wären dann weniger wichig für's ich, um zu überleben. das ist es, was ich denke.
fazit:
lass uns auf den tischen tanzen und leuten nötige wahrscheiten ins gesicht schreien und uns nachher dafür schämen. wenn wir drüber reden, dann kriegen wir die über-ichs irgendwann klein, füttern sie neu und lieben uns selbst dann wieder ein bisschen mehr. hoffentlich.
alles liebe
deine n.
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