27 Juni 2007

Wut

Nein, diesmal ist nicht die Schreibwut gemeint, die mich offenbar immer noch reitet. Sondern ganz normale Wut. Aber wann ist Wut eigentlich normal?
Als Kind war ich oft wütend. So mit 5 oder 6 Jahren war ich so richtig jähzornig, habe rumgeschrien, Sachen geworfen, ganze Regalbretter leergefegt (das hatte ich im Fernsehen gesehen und fand es unheimlich effektvoll). Außerdem war ich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit furchtbar beleidigt. Irgendwann habe ich mitbekommen, dass das bei Gleichaltrigen nicht so gut ankommt, und mich keiner mehr so richtig ernst nahm. Also habe ich mich zusammengerissen und mir das abgewöhnt.
Später, als Teenager, hatte ich nochmal eine Phase, in der ich meine Wut so richtig ausgelebt habe. Obwohl, "richtig" in dem Zusammenhang kein gutes Wort ist, denn ich steckte in einer Beziehung, an der einfach alles grundfalsch war. Entsprechend viel haben wir gestritten, das volle Programm mit Schreien, Szenen in der Öffentlichkeit, und gelegentlich auch Gewalttätigkeiten (von beiden Seiten). Alles sehr hässlich. Aber mit dem Ende der Beziehung ist das völlig verschwunden. Mangels Gelegenheit, und auch weil ich mir geschworen hatte, sowas nie wieder durchzumachen, und mir nichts sehnlicher wünschte als Ruhe und Frieden.
Seither gibt es wenige Gelegenheiten, wo ich meine Wut nach außen dringen lasse. Was keineswegs bedeutet, dass ich nicht wütend bin. Ich habe den Verdacht, dass ich meine Wut (aus verschiedenen Gründen) so gut unterdrücken gelernt habe, dass ich sie oft selber nicht mehr wahrnehme. Und selbst wenn, es oft nicht wage, sie zu zeigen. Was zum einen feige und unehrlich ist, und zum anderen furchtbar ungesund. Seit ich in Therapie bin, arbeite ich daran, meine Wut, und alle abgeschwächten Varianten wie Unmut, Verletztsein oder Empörung (in hoffentlich sozialverträglicher Form) auszudrücken. Aber wie sehr ich diese Gefühle vor mir selber verstecken gelernt habe, hat mir erst ein Gespräch mit meiner Schwägerin Bine klargemacht. Sie hat mir ein paar schlaue Fragen gestellt, von denen ich überhaupt nicht kapiert habe, worauf sie abzielten, von denen ich aber im Nachhinein glaube, dass es darauf nur eine richtige Antwort gibt: Wut.
In so vielen Situationen, in denen mir jemand Unrecht tut, denke ich nicht einmal daran, wütend zu werden. Ich ärgere mich, klar, aber das führt nie soweit, dass ich den anderen wissen lasse, dass er was falsch macht. Im Gegenteil, je wütender ich bin, desto weniger will ich mir die Blöße geben, dem anderen zu zeigen, dass er mich verletzt. Dann würde ich ihn ja an mich ranlassen, und das geht nicht, weil ich ja wütend auf ihn bin. Eigentlich eine sehr kindische Form von Stolz.
Da sitzt meine Wut dann also in mir drin, und anstatt dem ins Gesicht zu springen, der sie verursacht hat, bleibt sie eingesperrt und verwüstet mein Innenleben, komplett mit Sachen werfen und Regalbretter leerfegen. Und ich merk nicht mal was davon, weil ich sie ja so gut verdrängt habe.
Und auch noch nach einem Jahr Therapie komme ich nicht mal auf die Idee, dass ich mit Fug und Recht und völlig legitim über so vieles stinkwütend sein müßte. Hm. Kennt vielleicht jemand einen guten Amok-Läufer o.ä., bei dem ich in die Lehre gehen könnte?

4 Kommentare:

naiko hat gesagt…

hi tanja,
danke erstmal für das schöne telefonat heute! und dann:

oh, wie ich dieses gefühl kenne, und den weg aus dem jahzorn - weil sozial inkompatibel - rein in die innere wut inklusive selbstzerstörungstendenzen. und dann keinen weg finden, mit der wut adäquat umzugehen, sich selbst und anderen gegenüber. letztlich dann doch nur anderen gegenüber, die habens gut, weil sie ihren mist, mit dem sie die wut auslösen, nie ausbaden müssen. und schon findet man sich in der allerschönsten punching-ball-position wieder. (ich glaube, so duldsam wie die eigentlich wütenden, verletzten mit überkandidelter beherrschung, ist sonst kaum jemand.)
gott, würde ich manchnal gerne um mich schlagen. und tus dann nicht. logischerweise. nur leider hat diese logik auch keine gute idee, wie damit sonst umzugehen wäre.
manchmal jammert man stattdessen. und fühlt sich weiter mies.
lass uns weiter nach einem weg suchen! wenn einer von uns einen gefunden hat, kann er den anderen einweihen, ok?
viele liebe grüße
sendet dir
deine n.

Anonym hat gesagt…

*meld* ...ich bin ein prima amokläufer, und nehme noch adepten an ;-)

nein, im ernst: meine antwort auf leute, die mich wütend machen heisst: rausgeben. sofort.

möglichst unter vermeidung von niveaulosigkeiten, da ich mich ja nicht auf die tiefere stufe stellen will. aber sagen tu ich was. meist nicht viel, und relativ normal, aber oft sitzt's dann schon, hihi.

Weil man ja manchmal sehr perplex ist, habe ich mir ein paar entgegnungen zurecht gelegt, die ganz gut in vielen situationen passen... zb: ich schau etwas verwundert-mitleidig und sage dann:
"machen sie das immer so?"

wenn mir gar nichts einfällt, dann drehe ich um, was der andere gasagt hat und schicke es ihm so zurück.
passt meistens sowieso.

also, mir tut es sehr gut :-)

und wenn gar nichts mehr hilft, dann pfeffer ich halt was in die ecke! (zuhause)

schönen tag und viele hugs!
sandra

Hendrik hat gesagt…

Du hast noch nicht erzählt, was du bei betreffenden Gelegenheiten mit deinem kleinen Bruder gemacht hast. ;-)

Seit Marlin etwa 6 Monate alt ist, zeigt er auch, wenn er wütend ist. Dann pfeffert er auch ganz gerne Sachen in die Ecke. Das passiert vor allem, wenn man sich seinem Willen widersetzt. Wenn er sich dagegen mit Hannah streitet fängt sie meistens an, aus Protest zu quietschen und zu kreischen und er zerfließt weinend am Boden. Alles in allem sind das nicht die schönsten Erlebnisse der Kindheit.

Wenn ich wütend bin, mag ich meistens erst mal allein sein. Da hilft dann Reden (zunächst) recht wenig. Wenn sich dann der Staub etwas gelegt hat, kann man mit mir wieder drüber reden und die Sache verbal klären.

Aber ich glaube, Wut ist ein Zeichen, dass irgendetwas nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte, und daher muss man sie ernst nehmen.

Hendrik hat gesagt…

Da fällt mir noch was zum Thema Wut ein: Da gibt's eine tolle Band namens Panzerballett. Da steckt neben musikalischer Finesse und Sensibilität auch sehr viel Wut drin.