15 Mai 2007

Ekel

Warum hat man eine Videokamera eigentlich nie dann bereit, wenn man sie wirklich braucht? Naja, vielleicht schlägt der Zufall ja irgendwann zu, und ihr bekommt ein Video von Mu, die ihren eigenen Schwanz jagt, um ihn dann zum Putzen festzuhalten, nur um ihn dann wieder jagen zu können. Vorläufig müßt ihr euch erstmal mit obiger Besschreibung der Szene begnügen. (Erst das Buch zu lesen und dann den Film zu sehen ist sowieso generell vorzuziehen. ;-))
Aber eigentlich wollte ich über was ganz anderes schreiben. Über mein Lieblingsthema Wahrheit und ihr Nutzen für den Einzelnen habe ich ja hier schon einiges rumphilosophiert. Mein schlauer Bruder hat übrigens eine sehr schöne wissenschaftliche Erklärung zum Thema beigesteuert, zu lesen in den Kommentaren zu Tag der Arbeit. Und da Wissenschaft für mich sozusagen das Opium für Akademiker ist, bin ich geneigt zu glauben (!), dass es tatsächlich gut für mich ist, die Wahrheit zu sagen. Dazu muss ich sie allerdings erstmal kennen. Und mir dann eingestehen. Und dann den Mut aufbringen, sie auch auszusprechen. Letzteres ist seltsam, denn wenn das gut für mich ist, was habe ich dann zu befürchten? Eigentlich ist aber schon der erste Teil - das Kennen - ziemlich befremdlich: wie kann ich meine persönliche, individuelle Wahrheit (von sog. absoluter Wahrheit will ich gar nicht reden, die ist langweilig, weil objektiv, d.h. hat nix mit mir zu tun) denn nicht kennen? Und doch scheine ich sehr gut darin zu sein, meine Wahrheit, meine eigenen Gefühle, vor allen, inklusive mir selbst zu verbergen. Meiner Theorie nach ist das ein Schutzmechanismus. Wenn man seine Gefühle anderen nicht zeigt, sehen sie auch nicht, dass man ggf. verletzt ist (=sie einen überhaupt verletzen können). Und am besten verstecken kann man seine Gefühle, wenn man gar nicht zulässt, dass man sie selber wahrnimmt.
Bis zu einem gewissen Grad ist sowas sicherlich nötig und auch gesund. Aber in der Zeit, in der ich meine Depression wie einen Schutzwall um mich aufgebaut habe, habe ich das wohl bis zum Exzess betrieben. Mit dem Resultat, dass ich jetzt tatsächlich jeden Zugang zu meinen Gefühlen verloren habe. Vergleichbar ist das ganze wohl am ehesten mit einem Schnupfen: man steckt seine verstopfte Nase in einen Blumenstrauß, von dem man genau weiß, dass er intensiv duften müßte, aber man riecht halt nichts. Und, so paradox das klingt, darunter leide ich ziemlich. Paradox, weil Leiden ja eigentlich auch eine Art Gefühl ist. So ganz durchblick ich das noch nicht. Was ich aber wirklich pervers finde, ist die Tatsache, dass ich vor potentiell emotionalen Situationen nicht nur zurückschrecke. Nein, ich empfinde (!) sie regelrecht als ekelhaft. Erinnerungen, Filme, Romane voller intensiver Gefühle stoßen mich ab. Nur einen kurzen Moment, bis ich es geschafft habe, das ganze von mir wegzuschieben. Aber der Ekel ist da, greifbar wie ein achtbeiniges Nutztier, das aus unerfindlichen Gründen die selbe Reaktion hervorruft, wenn man es plötzlich in einer Zimmerecke entdeckt.
Wieder habe ich Zuflucht in der Relig... Verzeihung, Wissenschaft gesucht, und bin auf interessantes zum Thema gestoßen. Der Wikipedia-Artikel zum Thema Ekel ist sehr aufschlussreich, wer das ganze etwas unterhaltsamer, aber nicht weniger seriös amerikanisch aufbereitet haben möchte, kann hier nachlesen. Für alle, die nach diesem Eintrag schon entnervt von so viel Text sind: Ekel ist eine vererbte oder anerzogene (oder beides) Schutzreaktion, einmal vor tatsächlicher physischer Gefahr wie Ansteckung, Vergiftung oder schlicht ungenießbarem, und zum anderen angeblich zum Schutz der eigenen Seele (vor der Erkenntnis, dass wir auch nur Tiere bzw. sterblich sind). Letzteres finde ich ein bisschen abstrakt, aber auch nicht ganz zu verleugnen. Beängstigend ist die Tatsache, dass Ekel mitunter noch schwerer zu überwinden ist als Angst (auch hierzu gibt es interessante wissenschaftliche Experimente). Das heißt wohl, dass ich noch einen sehr langen Weg zurück zu meinen Gefühlen vor mir habe.
Immerhin, auch ein 10.000 Meilen langer Weg beginnt mit einem Schritt. (Japanisches Sprichwort). Also fang ich wohl mal besser mit der - meiner - Wahrheit an. Siehe dieser Post.

4 Kommentare:

naiko hat gesagt…

liebe tanja,
ich glaube, dass es hier um zwei unterschiedliche dinge geht. auch wenn sie sich oft und gerne vermischen - irgendwie.

sich selbst gegenüber wahrheiten einzugestehen, das ist sicher manchmal schwer, oft notwendig, manchmal ungesund, nicht immer besonders sinnvoll, weil es eh nix bringt, schon allein deshalb, weil die eigene wahrheit oft mit der der anderen rein gar nichts zu tun hat, man sich also nur als unkompatibel mit der außenwelt wiederfindet. ich empfinde das als extrem unangenehm und manchmal auch unpraktisch. ich gebe ja zu, dass man sich manchmal auch mit soetwas auseinandersetzen sollte, aber ich gebe zu bedenken: ich tu es zu oft und profitiere vergleichsweise wenig davon. nun ja.

nun aber zu dem anderen: den gefühlen. ich bin mir nicht sicher, ob gefühle mit der wahrheit wirklich viel zu tun haben. den zugang zu den eigenen gefühlen nicht mehr zu finden, ist das nicht letztlich doch eine andere unerträglichkeit als die der wahrheit sich selbst gegenüber? ich habe das gefühl, dass es nicht darum geht, herauszufinden, welche gefühle man hat, wenn man das nicht eh merkt, sondern wie man wieder an sie herankommt. der rest kommt dann von selbst. ich finde, gefühle sind, wenn sie einmal da sind, viel klarer und leichter verständlich als die eigene wahrheit.

ich bin zum beispiel heute in eine situation gekommen, in der ich wirklich wirklich gerne jemandem die faust ins gesicht geschlagen hätte. DASS ich das wollte, war (für mich) recht leicht zu erkennen. die sache mit der wahrheit kommt doch erst dann ins spiel, wenn ich mich damit ausseinander setze, warumwiesoweshalb ich solche gefühle entwickle (die ich selten habe, jedenfalls nicht so physisch!). das gefühl selbst war sehr klar da.

so wie du deine innere situation beschreibst, geht es eher darum, dass du so ein gefühl nicht entwickelst, sei es nun angemessen oder nicht - ganz egal! - es ist einfach nicht da, weil dir die intensität vermutlich so viel angst macht, dass deine psyche sämtliche abwehrmechanismen hochfährt.

dass hat also eher etwas mit der angst vor der wucht von gefühlen zu tun als mit der angst vor der wahrheit, oder?

vermischt es sich, indem du angst davor hast, gefühle zu haben, die dir nicht an dir gefallen? kann man sie dann nicht letztlich vor andern verstecken und sich damit begnügen, dass die anderen sie nicht kennen, man selbst aber schon? hauptsache man hat überhaupt gefühle, die man erreichen kann?

ich kann mich einfach nicht kurz fassen, wenn ich hier schreibe. das liegt wohl daran, dass ich denke WÄHREND ich schreibe...

schlusswort: ich vermute, dass es für dich derzeit eigentlich wichtiger ist, den ekel und die angst vor dem haben von gefühlen zu bekämpfen, nicht aber, die dahinter steckende wahrheit zu erforschen. wenn die gefühle wieder zugänglich sind - denn irgendwo sind sie! - dann ist sicher zu überlegen, wo man damit hin soll. früher waren sie ja auch da und haben nicht wirklich geschadet. so erinnere ich mich.

ob das jetzt alles verständlich ist, weiß ich nicht. ob's stimmt, weiß ich auch nicht. es kam mir nur einfach so vor, als sei die koppelung wahrheit-gefühle irgendwie schief.

ich denk an dich und hoffe, du findet den weg zurück zu deinem innern bald.
viele liebe grüße
sendet dir deine n.

Anke hat gesagt…

"Ekel ist eine vererbte oder anerzogene (oder beides) Schutzreaktion" - zur vererbten Seite hatten MiB und ich ein interessantes Erlebnis: wir haben den schwarzen "Sesampudding" gemacht, den ich im Asien-laden gekauft hatte.
Er war glibbrig-flüssig und schwarz-grau schimmernd. Wie flüssiger Graphit, oder gefärbtes Latex. Geschmeckt hat er eigentlich ganz OK, etwas langweilig. Aber wir haben kaum etwas davon heruntergebracht - wegen der Farbe, nehmen wir an.

MiB hat gesagt…

Eine gute Zeit der letzten Jahre habe ich mich in einer ähnlich grauen Zone befunden, was Gefühlsempfindungen betrifft. Das ging streckenweise so weit, daß ich exzessiv Computer gespielt hatte, da die Erlebnisse dort wenigstens noch etwas davon hervorrufen konnten. Doch es waren "technische" Gefühle und mit dem Ausschalten vergangen.

Ich glaube nicht, daß es um Reflexionsprofit, Ekel oder Angst dabei geht. Ich denke, Gefühle machen uns einen großen Teil menschlich und geben uns unsere Menschlichkeit im Leben. In beide Bereichen, des häßlichen und des schönen. Das anzunehmen denke ich ist ein erster Schritt hin zu sich selbst und die Unvollkommenheit dabei zu akzeptiere.

Wenn das Selbstbildnis die Perfektion wiederspiegelt, die man selbst haben will merkt man (ich?) schnell, wie fehlbar dieser Weg ist. Wenn so ein Weg mit dem ersten Schritt anfängt, vielleicht dann damit, seine Gedanken zu Gefühlen und Wegen auszusprechen sich mitzuteilen und diese Worte an anderen reflektiert zu sehen - nicht aber nach "Wahrheit" zu forschen? Wenn dem so ist, gehst Du den Weg schon...

Britta hat gesagt…

Nun ja, für mich haben Emotionen mit einem Kontrollverlust zu tun. Übernehmen meine Emotionen kann ich nicht mehr klar und logisch denken, meist auch nicht mehr ein vernünftiges Gespräch führen.

Daran habe ich in den letzten Jahren sehr hart gearbeitet. Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn man das, was ich beschreibe, zu weit treibt und dann wieder zurück muss es schwer ist Emotionen wieder zu zu lassen.

Wer gerne Fleisch ist, sich dann für Vegetarismus entscheidet, der beginnt damit sich einen Ekel für etwas anzutrainieren was ihm zuvor gut gefallen hat, einfach um Abstand zu gewinnen. Ich glaube du hast dir einen Ekel antrainiert und den musst du jetzt wieder überwinden und lernen das zuvor verhasste wieder zu mögen. Wie ich als ich vom Vegetarier wieder zum Fleischesser wurde.

Nur ist Fleisch essen oder nicht etwas äußerliches, was leichter zu überwinden ist als eine Verhaltensweise, wie z.B. eine Emotion zuzulassen, die man vorher verpöhnt hat. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei deine Emotionen wieder zu finden und sage dir: "Ich glaube an dich!"

(Und was den Blumenstrauß angeht, du kommst dir vor wie der Schädel aus dem letzten Einhorn.
Schmendrick: "Aber du kannst Wein doch gar nicht mehr schmecken"
Schädel: "Aber ich erinnere mich."
Dies mal kurz von einer Frau, die kaum einen Geruchssinn hat.) ;)