26 November 2013

Kinder und Timing

Humor, so sagt man, besteht zu einem großen Teil aus dem richtigen Timing.
Wer das Wort Timing allerdings im Zusammenhang mit Kindern benutzt, kann eigentlich nur die Geschichte eines grandiosen Scheiterns, zu Neudeutsch epic fail, erzählen wollen.
Wir kochen Grießbrei. Das ist etwas Seltenes, denn Lenny mag eigentlich keinen Grießbrei. Aber heute hat er ihn sich gewünscht, und so eine Gelegenheit - ein einmal gemochtes, aber mittlerweile verschmähtes Essen wieder beliebt zu machen - kann ich mir schlecht entgehen lassen. Natürlich helfen beide Kinder mit, Lenny sitzt links vom Herd, Matilda rechts. Glücklicherweise benötigt man zwei Eier, so dass jeder eines aufschlagen darf. Während ich mit einer Hand das Eigelb in einer Schalenhälfte balanciere, halte ich die Eierschachtel mit der anderen Hand außer Reichweite der Kinder, um zu verhindern, dass wir als Nachspeise auch noch Rührei machen müssen. Während Lenny höchst kreativ die Grießpackung öffnet, rührt Matilda den Zucker ins Eigelb. Dabei werden zwei Löffel, eine Gabel und eine saubere Hose benutzt, aber es bleibt tatsächlich ein Rest Ei-Zucker-Mischung in der Schüssel.
Nebenbei entdecke ich einen praktischen Sicherheitsmechanismus: Wenn ich den Mixer auf 'Turbo' schalte, halten sich beide Kinder die Ohren zu, so dass sie nicht in die Quirle greifen können. Ob ich das Konzept an den TÜV weiterverkaufen könnte?
Optimistisch ob dieser heil überstandenen Gefahrenquelle stelle ich den Topf mit der Milch auf den Herd. Jetzt ist größte Aufmerksamkeit gefragt, denn 1. kocht beobachtete Milch ja nicht, d.h. ich muss genau im richtigen Moment wegschauen, um dann blitzschnell wieder hinzuschauen, damit nichts überkocht. Und 2. muss ich die Kinder davon abhalten, den heißen Deckel immer wieder vom heißen Topf zu nehmen und die vorher fröhlich verteilten Grießkörnchen mit den Fingern von der heißen Herdplatte zu picken.
"Aua" sagt Matilda plötzlich und greift sich zwischen die Beine. Sitzt die Windel nicht richtig? Sie bejaht und will die Windel ausziehen. Schnell trage ich sie zum Sessel - ein Erbstück von den Schwiegereltern, aber der einzige Ort, von wo aus ich die Küche noch im Blick habe - und beauftrage Lenny, auf die Milch zu achten.
Die Windel ist nicht besonders voll und sitzt eigentlich einwandfrei. Trotzdem ziehe ich sie vorsichtshalber aus und inspiziere meine Tochter genau.
"Tut's noch weh?"
"Nein."
"Gut. Bleib hier liegen, ich zieh dich gleich wieder an."
Ich hechte zurück in die Küche, um in der Milch zu rühren, werfe aber vorsichtshalber einen Blick über die Schulter zum Sessel.
"Aber bitte jetzt nicht pieseln, Maus." Noch während ich die Worte ausspreche, erkenne ich meinen Fehler. Denn an allen Orten außer auf der Toilette ist das Wort "pieseln" ein unfehlbarer Auslöser genau dieser Handlung. Matilda pieselt auf den Schwiegerelternsessel.
Ich lasse den Kochlöffel fallen, sprinte zu ihr, reiße sie vom Sessel und schleife sie ins Bad, wo ich sie trotz Protest zur gefälligen Verrichtung des Restgeschäfts aufs Klo setze. In dem Moment ertönt lautes Kreischen aus der Küche.
"Mamaaaa, die Milch kocht über!"
Ich renne zurück in die Küche, ziehe den Topf mit der einen Hand vom Herd, während ich Lenny mit der anderen aus der Gefahrenzone schiebe und gleichzeitig tröste, weil er ob der ungehorsamen Milch völlig verzweifelt weint. Nachdem Kind beruhigt und Herd notdürftig gereinigt sind, bin ich gerade dabei, die Restmilch in einen neuen Topf zu füllen, als ich es aus dem Bad laut scheppern höre. Offenbar ist Matilda bei dem Versuch, die Spülung zu betätigen, zumindest teilweise abgestürzt. Zum Glück nicht ins Klo. Sie nimmt es relativ gefasst und rennt wieder ins Esszimmer, um sich erneut ohne Windel auf dem Sessel zu platzieren.
Aus irgendeinem Grund ist meine Hose nass, aber ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern, ich muss den Brei stetig rühren. Kurz überlege ich, wann in meinem Leben zuletzt irgendetwas 'stetig' war, kann den Gedanken aber nicht zuende denken, weil Lenny sich darüber beschwert, dass es in der Küche stinkt.
Ich muss ihm recht geben, die auf der Herdplatte angebrannte Milch verbreitet einen üblen Geruch in der ganzen Wohnung. Besser ich lüfte gleich, damit dann wenigstens beim Essen wieder frische Luft herrscht.
Dazu muss ich aber Matilda erst anziehen.
Viele ungehörte Erklärungsversuche (sowie ohrenbetäubendes Geschrei und ein paar Schläge und Tritte) später steckt das Kind wieder in Windel und Hose, ist aber so verzweifelt, dass sie sich an Mamas Schulter ausweinen muss. Einhändig rühre ich hektisch im Brei, um das misslungene stetig wieder wettzumachen. Lenny beschwert sich, dass ihm zu kalt ist. Mit der mittlerweile nur noch sporadisch schluchzenden Matilda auf dem Arm drehe ich eine Runde durch die Wohnung und schließe alle Fenster.
Dann können wir endlich essen.
Friedlich sitzen wir am Tisch, die Kinder stochern in ihrem Essen. Ich erwähne, dass wir Leo etwas übrig lassen sollten, weil er sicher Hunger hat, wenn er aus der Arbeit kommt.
"Mama, was ist eigentlich Arbeit?", fragt Lenny.
Ich versuche, das mit ein paar anschaulichen Beispielen zu erklären. Weizen anbauen, um daraus Grieß zu machen ist Arbeit. Den Grieß verpacken, in den Supermarkt bringen und verkaufen ist Arbeit. Den Tisch, an dem wir sitzen, zu bauen, ist Arbeit. "Und den Grießbrei kochen ist auch Arbeit", schließe ich.
Lenny lacht. Dabei gleitet ihm das volle Apfelsaftglas aus der Hand, und der gesamte Saft ergießt sich in die Grießbreischüssel.
Humor, so sagt man, besteht zu einem großen Teil aus dem richtigen Timing. Und das stimmt. Denn eines Tages, wenn ganz viel Zeit vergangen ist, werde ich über diese Geschichte auch ganz sicher lachen können.

14 Juli 2013

Warum nicht einfach gehen?

Neulich war ich mit Matilda unterwegs, als ich Zeuge einer seltsamen Szene wurde. Auf dem Parkplatz vor der Kirche lief eine Frau. Ein Mann folgte ihr, legte von hinten den Arm um sie, drehte sie um und führte sie in die andere Richtung davon. Zuerst wollte ich weiterfahren. Aber irgendwas fühlte sich komisch an. Das ganze wirkte entmündigend. Aber ich wollte ja eigentlich weiter. Und hatte außerdem meine kleine Tochter dabei. Was wenn...
Was wenn der Typ gewalttätig würde?
Dieser Gedanke legte einen Schalter in meinem Kopf um.
Ich stieg vom Fahrrad, nahm Matilda auf den Arm und ging zurück.
Das Paar, denn so wirkten sie, stand bei einem Auto. Der Mann gestikulierte, die Frau solle einsteigen. Nicht besonders heftig, es gab keine lauten Worte. Nur diese resignierte Körperhaltung der Frau, die hochgezogenen Schultern, der eingezogene Kopf ... und die Tatsache, dass sie offenbar in ihr Taschentuch weinte.
Hatte ich den Schalter in meinem Kopf erwähnt? Der stand jetzt auf Alarmstufe rot.
Ich ging zu den beiden und sprach die Frau an. So ruhig es mir eben möglich war, denn ganz ehrlich, um so viel Mut aufzubringen, war eine gehörige Portion Wut im Bauch nötig. Trotzdem blieb ich einigermaßen zivilisiert.
Ich fragte sie, ob alles in Ordnung sei und bot ihr an, dass sie, statt ins Auto zu steigen, mit mir kommen könnte.
Natürlich verneinte sie, wie auch der Mann, beide lachten (etwas gezwungen - oder war das Einbildung?), es sei alles ein Missverständnis.
Ich machte mein Angebot nochmal. Sie lehnten nochmal ab. Dann ging ich. Zitternd vor Wut. Auf die Frau.
Auf die Frau? Mir wurde klar, dass ich das nicht gemacht hatte, um einem prügelnden Ehemann die Stirn zu bieten. (Wäre er wirklich gewalttätig geworden, hätte ich ihm nicht viel entgegenzusetzen gehabt, schon gar nicht mit Kind auf dem Arm...) Sondern, um eine in welcher Form auch immer unterdrückte Frau in eine möglichst peinliche Situation zu bringen. Denn das, so weiß ich aus eigener Erfahrung, erhöht den Leidensdruck um ein Vielfaches mehr als ein paar Schläge. Die man schon irgendwie aushält. Aber dass Leute bemerken, dass man selbst so blöd ist, sich das antun zu lassen...
Ich hoffe, es hat ihr irgendwas gebracht.
Und ich hoffe, dass ich irgendwann aufhören kann, dem Opfer - mir - die Schuld zu geben. Empathie mit dem Täter halte ich bei jedem Verbrechen grundsätzlich für etwas Gutes. Solange sie nicht dazu führt, dass das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt wird.
Dazu gibt es hier ein sehr gutes Video, das erklärt, warum wir Opfer alle so blöd sind. Nehmt euch die Zeit und schaut es an, damit ihr mich wieder respektieren könnt. ;)

11 Juli 2013

Meeting minutes. Or rather hours.

So, heute gab's das erste große Business-Meeting in meinem (nicht mehr ganz so) neuen Job. Das erste Mal hochoffiziell mit Kollegen und Konkurrenz zusammen neue potenzielle Partner getroffen.
Habe auf understatement gesetzt und bin in Arbeitskleidung hingegangen. Dafür durften die anderen unsere gesamte Produktionsstätte in Augenschein nehmen. Naja, oberflächlich zumindest, aber ich glaube, das hat einen positiven Eindruck hinterlassen, zumal andere Konkurrenten sich da bedeckter hielten.
Ich war überrascht von der Fülle und Komplexität der Informationen, mit denen wir gefüttert wurden, aber immerhin war das ganze sehr gut aufbereitet. Leider war die Chefin der Gruppe, mit der wir wohl in Zukunft zusammenarbeiten werden, zwar ein alter Hase, aber keine besonders gute Präsentatorin.
Habe die Zeit, in der sie die zuvor ausgeteilte (*kopfschüttel*) Infomappe vorgelesen hat, genutzt, um die Konkurrenz abzuchecken. Insgesamt weniger als erwartet, und nur wenige wirkten richtig auf Zack. Könnte aber sein, dass sich einige bewusst zurückgehalten haben. Bei der allgemeinen Vorstellungsrunde blieb leider nur wenig Zeit und Möglichkeit zu punkten. Dafür habe ich dann die Fragerunde am Schluss genutzt, um subtil ein bisschen added value anzubieten, was von allen Partnern sehr positiv aufgenommen wurde. Und natürlich bin ich nicht, wie die anderen (Anfänger!) sofort nach Ende des Meetings gegangen, sondern habe noch etwas networking betrieben, bin betont bescheiden auf Details meines Produkts eingegangen, und habe nochmal auf die bereits langjährig bestehende, erfolgreiche Partnerschaft mit unserer Schwester-, äh, Brudergesellschaft hingewiesen. Ein paar Pluspunkte habe ich mir fürs nächste Meeting aufgehoben, wo die eigentliche Produktpräsentation stattfindet, damit ich für alle Fälle noch ein paar Asse im Ärmel habe.
Insgesamt gut gelaufen - ich glaube, das mit der Partnerschaft wird was.

Ja, ok. Es war nur ein Infoabend beim Kindergarten. Aber manchmal fühl ich mich einfach geistig unterfordert.
Genau wie früher in 'echten' business meetings...

27 Juni 2013

Glaubenskrise

Liebe Retortia, Göttin der Schlagfertigkeit. Wie konntest du mich nur so hängen lassen?
Gerade, als ich begann, zu glauben, wir zwei könnten doch noch irgendwann eine funktionierende Anhänger-höheres-Wesen-Beziehung entwickeln?
Denn neulich warst du wirklich mal zur rechten Zeit am rechten Ort bei mir. Neulich, als meine Nachbarin (knapp 70 und Ex-Biolehrerin am Gymnasium!) sich zu der Aussage verstieg, sie sei gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle, weil "kleine Kinder ja alles nachmachen, was die Eltern so tun".
Da standest du neben mir und hast blitzschnell geflüstert: 'Lass dich gar nicht erst auf technische Diskussionen ein. Keine Statistik jetzt, keine Verhaltensbiologie oder -psychologie. Komm einfach zum Punkt.' Und gabst mir die Worte ein: "Na und? Dann werden sie halt schwul. Ist doch nicht schlimm."
Ich war bereit, an dich und deinen Beistand zu glauben.
Aber wo warst du, als ich dich vor einigen Tagen wirklich gebraucht hätte? Als dieser Depp auf dem Spielplatz meinte, mein kleines, noch keine zwei Jahre altes Mädchen in die Schranken dieser so störrisch sexistisch bleibenden Welt verweisen zu müssen.
Du hast bestimmt von Ferne beobachtet, wie ich mit Matilda auf den großen Traktor zuging, auf dem bereits zwei kleine Jungs saßen. Der Vater stand dahinter. Auf dem Traktor war genug Platz, also fragte ich Matilda, ob sie auch rauf will. Woraufhin dieser Idiot doch tatsächlich meinte: "Ach, das ist doch nichts für Mädchen."
Immerhin schaffte ich, ganz ohne Deine Hilfe, ein "Was soll den dieser Schwachsinn?", während ich meine Tochter auf den Traktor hob. Und ja, ich verspüre eine gewisse Befriedigung, dass in diesem Moment offenbar ein niederer Dämon des zusammenhanglosen Unsinns Besitz von ihm ergriff und du es wenigstens nicht verhindert hast, denn er sagte, etwas schuldbewusst: "Ich kenn nur Bauer sucht Frau, nicht Bäuerin sucht Mann."
Ok, das braucht man eigentlich nicht weiter kommentieren. Wer nichts anderes kennt, ist arm genug dran. Aber ich tendiere zu der Vermutung, 'Ich lasse diese Aussage jetzt einfach so für sich stehen' für Fans derartiger Sendungen etwas zu subtil gewesen wäre.
Wo warst du also? Und viel schlimmer, warum kommst du jetzt, Tage später, mit der richtigen Erwiderung - "Na, bei dem Vater werden Ihre Söhne diese Sendung auch bitter nötig haben, wenn sie mal eine Frau finden wollen." -  zu mir?
Das lässt nur zwei Rückschlüsse zu:
1. Es gibt dich gar nicht und ich kehre zu meinem gewohnten Zustand als fröhlich-atheistischer Agnostiker zurück. Und versuche ganz alleine, schlagfertig zu sein, wann immer es geht.
2. Es gibt dich, aber du ist gar nicht die Göttin der Schlagfertigkeit, sondern Malevolentia, die Göttin der Schadenfreude. Und hast grade immensen Spaß, weil ich auch noch alle an meinem Moment scheinbarer Gottverlassenheit teilhaben lasse. Dann schlage ich dir einen Deal vor: Du kommst in Zukunft einfach mit Deiner Schwester Retortia zusammen, und ihr erfreut euch einfach am Elend desjenigen, den ich dank eurer gesammelten Unterstützung zur Schnecke mache.
Ich verspreche auch, dass es nur die trifft, die's verdient haben. Nur für den Fall, dass Iustitia hier auch mitliest...

24 Juni 2013

Rätsel des Alltags

Sicher kennt ihr alle das Rätsel mit dem Mann, der einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf mit einem Boot über den Fluss bringen will. (Falls nicht, hier klicken.) Solltet ihr dieses Szenario für etwas zu weit hergeholt halten (ist es tatsächlich so schwierig, den Kohlkopf unter den Arm zu klemmen...?), kann ich euch versichern, dass derartige Situationen im wirklichen Leben ständig vorkommen. Wenn ihr also für ein Rollenspiel, den Roman, den ihr grade schreibt oder zur Unterhaltung eurer Mitfahrer auf einer langen Autofahrt ein realistisches Rätsel brauchen, nehmt doch einfach folgendes:
Eine Mutter ist mit ihrem Kleinkind einkaufen. Sie muss neben dem Kind auch eine Einkaufstüte sowie zwei Tüten Katzenstreu über den Parkplatz zum Auto transportieren. Auf halbem Weg rutscht ihr der Eierkarton aus der Tüte, ein Ei zerbricht und läuft aus. Die Mutter hat jetzt folgende Optionen:
1. Kind und Tüten zum Auto bringen, die Eier mitten auf dem Parkplatz stehen lassen und riskieren, dass ein Auto drüberfährt.
2. Eier und Kind zum Auto bringen, Tüten stehenlassen, selbes Risiko für die Tüten.
3. Eierkarton erstmal provisorisch saubermachen und wieder in die Tüte stecken, dabei riskieren, dass das nicht festgehaltene Kind über den Parkplatz wuselt und ein Auto drüberfährt.
4. Eier und Tüten zuerst zum Auto bringen, Kind stehenlassen, selbes Risiko.
5. Hemmungslos und kinderuntauglich fluchen, die Eier per Weitwurf zum Auto befördern, Rest dorthin tragen und mies gelaunt nach Hause fahren.

Wer a) errät, was ich gemacht habe, b) schöne kindertaugliche hemmungslose Flüche weiß und c) eine sinnvolle Lösung für das Rätsel findet, bekommt von mir eine Portion Rührei.