14 April 2015

Everything that is wrong with society in three little ads

Ok, ich geb's zu, ich neige zu Übertreibungen. Die folgenden drei Werbespots fassen natürlich nicht sämtliche Probleme unserer Gesellschaft zusammen. Legen aber sehr pointiert den Finger auf einige davon.
Zugegebenermaßen habe ich ein gespaltenes Verhältnis zur Werbung. Wobei, gespalten ist falsch. Ein sehr kritisches, würde ich sagen, nach allem, was ich in der Werbebranche so erlebt habe. Und mangels Fernseher sehe ich nicht besonders viele Werbespots, d.h. mir fehlt der Gesamtüberblick. Wahrscheinlich gibt's total viel Werbung, die einfach nur zwischen leicht unterhaltsam und belanglos dahindümpelt und nichts weiter tut, als den Verbraucher auf ein Produkt aufmerksam macht. Anstatt ihn darin zu bestärken, sich in schwachsinnige Verhaltensweisen zu verrennen, wie die folgenden Spots.

Los geht's mit Otto:




Wo fängt man da an? Die eigene Beschränktheit, Fixiertheit auf oberflächliche Nebensächlichkeiten wie Mode und Unfähigkeit, einem Gespräch zu folgen, als anstrebenszwert zu zelebrieren ist schon mutig. Und das auch noch so völlig ohne Witz. Wenn zwischen Gorilla und Kleid wenigstens irgendein entfernter Zusammenhang bestanden hätte. Oder seh ich den bloß nicht? Vielleicht habe ich ja die Ironie des Regisseurs nicht verstanden.
Gelernt habe ich: Beschränkt sein ist ok. Mode ist wichtiger als einzigartige Erlebnisse. Post-Postmodernismus?

Weiter geht's mit Voltaren:


Kann dein Leben einen Tag auf dich verzichten? Natürlich nicht. Bringe nur ein einziges Mal nicht die volle Leistung, sei nur einmal Mensch anstatt funktionierende Maschine, und du bist raus aus dem Spiel. Karriere vorbei. Leben zuende. Liebe Werbeleute von Novartis, ich bin überzeugt, ihr alle arbeitet nach diesem Credo (weil ihr in der Werbung seid). Aber ich wünsche euch allen, dass dieser Spot in fünf Jahren, wenn ihr alle in der Reha-Klinik sitzt oder alkohol- und drogenbedingt arbeitslos zuhause fernseht, noch einmal läuft. Und euch wenigstens ein bisschen erschreckt.

Und zum krönenden Abschluss noch Wick:


Mütter nehmen sich nicht frei. Natürlich nicht. Auch wenn es ja schon lange die Möglichkeit gibt, dass der arbeitende Elternteil sich krankschreiben lässt, wenn der kinderbetreuende Elternteil krank ist. Aber sowas macht man ja nicht als Arbeitnehmer, das ist ja quasi wie Blaumachen. Das bisschen Kind versorgen kriegt man doch auch mit Grippe hin.
Aber darum geht's mir gar nicht primär. Sondern vielmehr um zwei kleine Details: Die Formulierung "nehmen sich nicht frei" - war die Frau im Spot nicht krank? Was hat das mit Freinehmen zu tun? Sind wir jetzt schon in Japan, wo man seine Urlaubstage größtenteils für Krankheitstage verbraucht, aus Rücksicht auf Firma und Kollegen?
Und dann der ganz beiläufige Satz, den man in so einem Fall wohl völlig selbstverständlich zum Chef sagt: "Bin mobil erreichbar." Warum, zum Teufel, wenn du krank bist? Damit du dich auch ja nicht erholst? Aus schlechtem Gewissen, weil du deinem armen Unternehmen solche Probleme machst, wenn du mal einen Tag fehlst? Oder wegen Voltaren, weil dich deine Kollegen sonst auf der Karriereschnellspur überholen, du raus bist aus dem Spiel und durch die Putzfrau ersetzt wirst?

Ich weiß, das Werbung nicht zur Werteerziehung sondern zur Umsatzsteigerung da ist. Werte sprechen aber durchaus aus diesen einminütigen Mini-Geschichten. Und da ich weiß, dass Werber und Leute, die Werbung in Auftrag geben, schon viel drüber nachdenken, wen sie ansprechen wollen (im Zweifel möglichst viele), und ihre Werbung häufig sogar an einer Stichprobe ihrer Zielgruppe testen, bevor sie sie schalten, könnte ich zu dem Schluss kommen, das die enthaltenen Aussagen auf eine breite Masse nicht so abstoßend wirken wie auf mich. Sondern ganz selbstverständlich. Oberflächlichkeit ist gut. Ich darf mir keine Schwäche leisten. Mein Leben gehört meinem Arbeitgeber. Ist das wirklich normal?

Neulich gab es einen interessanten Artikel im Guardian, darüber dass heute alle ständig um unsere Aufmerksamkeit kämpfen und wir pausenlos mit Informationen und Botschaften bombardiert werden. So sehr, dass man nicht mehr zum Nachdenken kommt, wenn man mal eine freie Minute hat, sondern sich sofort mit dem nächsten aufmerksamkeisheischenden Ding beschäftigt, weil die, ähnlich wie Lebensmittel mit Zucker und Geschmacksverstärker, darauf optimiert sind, uns süchtig zu machen. Und uns neben dem Hauptnahrungsbestandteil - Aufmerksamkeit für das Produkt - auch allen anderen Mist schlucken zu lassen, der da so drinsteckt.

Ich glaube, ich entwickle gerade eine neue Geschäftsidee: Einen Bioladen für Werbung. Macht wer mit?