Heute hätte ich meine Flüchtlinge beinahe vergessen. Lag wohl an meiner Erkältung und einer recht unruhig verlaufenen Nacht – und vielleicht auch ein bisschen an dem Gefühl, dass ich mit meinen Schülern nicht so recht vorankomme.
Mit schlechtem Gewissen, laufender Nase und außer Atem bin ich also heute in die Schule gehetzt. Und mir eine Extradosis Frust abgeholt. Mein Unterricht – sofern ich ihn als ‚meinen‘ bezeichnen kann – läuft immer gleich ab. Ich kriege Arbeitsblätter von der Lehrerin, auf denen einzelne Buchstaben vorgeschrieben sind. Die dürfen die Schüler erst nachmalen, dann selber in die Zeilen schreiben. Dann diktiere ich ein paar Buchstaben, dann sollen sie Silben vorlesen. Das ist genauso langweilig, wie es klingt. Ich kann damit umgehen. Aber die Schüler sind Teenager. Sie wirken oft erschöpft. Sie sind zum Teil keinen Schulunterricht gewöhnt. Alle sind momentan erkältet. Man kann ihnen nicht wirklich vorwerfen, dass sie diese Aufgaben nur mit mäßigem Interesse abspulen und nicht viel davon im Kopf behalten.
Seit ich diesen Unterricht mache, denke ich drüber nach, wie man ihn besser machen könnte. Das Domino-Spiel hat ganz gut funktioniert, war aber im Prinzip nur eine kurze Auflockerungsübung. Trotzdem würde ich es gerne wieder einsetzen, einfach um den Schülern zu zeigen, dass man beim Lernen auch Spaß haben kann. Und natürlich gibt es in der Richtung noch viel mehr Möglichkeiten. Ich habe schon jede Menge Sprachspiele rausgesucht, die man mit ihnen machen kann, wenn sie ein bisschen mehr können. Und überlege, ob ich ihnen einfach mal einen Packen Comics mitbringe. Und dann gibt es natürlich einiges an Smartphone-Apps zum Lesen lernen.
Aber all das geht nicht, weil wir ja die Arbeitsblätter durcharbeiten müssen. Die Klassenlehrerin hat heute extra nochmal betont, ich soll nichts anderes mit ihnen machen, man müsse ja schließlich mal weiterkommen. Da ich eh schon zu spät dran war und ihren regulären Unterricht mit den anderen Kindern nicht noch weiter stören wollte, hab ich die Diskussion mit ihr auf später verschoben und brav den Stoff mit meinen Schülern durchgeackert. Die Fortschritte sind sichtbar, aber nur mit einer großzügigen Lupe. Mein Afghane schreibt immer noch lieber von rechts nach links als umgekehrt, und für alle sind Vokale immer noch eine große, sehr verwirrende Herausforderung. Als der Pausengong uns erlöst, mache ich einen kleinen Versuch der Subversion und frage, ob sie ein Smartphone hätten. Alle bejahen. „Gut“, sage ich, „es gibt da nämlich eine App zum …“ Lesen lernen sage ich nur noch zum leeren Zimmer, meine Schüler sind bereits auf dem Weg in die Pause. Verabschiedet haben sie sich auch nicht. Habe ich was Falsches gesagt? Oder haben sie gar nicht verstanden, dass ich ihnen was sagen wollte?
Da ist mein Hauptproblem. Ich weiß nach vier Wochen immer noch kaum etwas über meine Schüler. Weder das genaue Alter, noch wo sie herkommen, geschweige denn, wie gut sie eigentlich Deutsch können. Ich habe keine Zeit, mit ihnen als Menschen zu interagieren. Zusammen sind wir eine Maschine, die das Programm abspult, mit dem sie gefüttert wird, mehr nicht. Ich bin kein Fachmann, aber für mich ist diese Art zu Lernen tiefstes Mittelalter.
Und da ist das zweite Problem: Ich bin tatsächlich kein Fachmann. Ich kann mich nur von meinem Bauchgefühl und dem, was ich mir notdürftig im Internet anlese, leiten lassen. Die Klassenlehrerin ist Grundschullehrerin – sie wird ja schließlich wissen, wie man am besten Lesen und Schreiben lernt. Oder?
Sie fragt mich nach den Fortschritten meiner Schüler und kommentiert, dass sie da null Lernbereitschaft sieht. „Die haben einfach keine Lust.“ Hm. Kann ich mir gut vorstellen, denke ich mir. Vielleicht kann man ihnen ja Lust machen? Ich erzähle ihr von der App, und will sie fragen, wie ich es bewerkstelligen kann, dass die Schüler die kriegen (meinen dreien würde ich sie ohne zu Zögern schenken, vier Euro pro Schüler kann ich mir schon mal leisten, aber wenn das die anderen mitkriegen, gibt’s wahrscheinlich Ärger). Aber so weit komme ich gar nicht. „Sowas hat ja in der Schule nichts verloren“, würgt sie mich ab. Ähm. Nicht? Und warum genau nicht? Natürlich sollen die Schüler nicht während des Unterrichts zocken. Aber sie sind jetzt über die Ferien zwei Wochen nicht in der Schule. Ich bin mir relativ sicher, dass sie sich in der Zeit nicht viel mit ihren drögen Arbeitsblättern beschäftigen werden.
Während ich noch versuche, die Ignoranz dieser Aussage zu verarbeiten, kommt eine Schülerin zu uns. Sie entschuldigt sich bei der Lehrerin, dass sie heute im Test so schlecht war. „Ja, das habe ich gesehen.“ Anklagend hält die Lehrerin ihr ihren Test unter die Nase. „Warum hast du denn hier nichts geschrieben? Und da? Das wird eine Vier. Traurig.“ Das Mädchen schluckt. Ich zwinkere ihr zu und lächle sie aufmunternd an. Mehr fällt mir nicht ein – der Lehrerin vor den Kindern widersprechen kommt wahrscheinlich nicht so gut. Das heißt, eigentlich wäre es das einzig Wahre. Denn ich bin mit der Art, wie sie mit den Kindern umgeht, nicht einverstanden. Aber schließlich muss ich mit ihr zusammenarbeiten. Und sie signalisiert ziemlich eindeutig, dass sie nicht gut damit umgehen kann, wenn man sie in Frage stellt.
Sie schließt das Klassenzimmer ab und beschwert sich, dass man die Kinder in jeder Pause rausscheuchen muss, weil sie immer wieder versuchen, sich davor zu drücken und drin zu bleiben. Sie schimpft über einen Schüler, der unbeherrscht reagiert, wenn er kritisiert wird. Sie ärgert sich über einen Schüler, der sie nicht ansieht, wenn sie mit ihm spricht. Scheinen mir alles ziemlich alltägliche Probleme zu sein. Vielleicht ist diese Alltäglichkeit ja auch tatsächlich gut für die Kinder. Die allgemein negative Haltung allerdings – die sicher nicht. Nicht für meine drei jedenfalls. Ich stecke in dieser Maschine fest und sehe noch nicht so recht, wie ich da rauskomme. Auf keinen Fall will ich meine Schüler hängen lassen. Auch wenn ich mangels Zeit zum Reden noch immer keine besonders persönliche Beziehung zu ihnen habe, ist meine Entschlossenheit, genau diesen Dreien zu helfen, kein bisschen angeknackst. Ich bin mir sicher, dass ich das schaffen kann. (Da ist er wieder, der wichtige Satz.) Ich bin mir nur noch nicht sicher, wie ich meinen Schülern trotz ihrer Lehrerin helfen kann.
21 Dezember 2015
15 Dezember 2015
26 bunte Buchstaben und 22 Liter Wasser
Als ich gestern vor der Klasse auf die Lehrerin wartete, kam einer der Schüler, die schon besser Deutsch können, mit seinem Arbeitsblatt zu mir und deutete auf einen Satz. „Eine Spülmaschine verbraucht durchschnittlich 22 Liter Wasser pro Spülgang.“ Er sah mich fragend an. „22 Liter? Richtig?“ Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Genausowenig, wie ich weiß, wieviel Wasser man in von Dürre bedrohten Gebieten so durchschnittlich pro Tag zur Verfügung hat? Wie lange kann man mit 22 Litern überleben? Zwei Wochen? Länger? Ich fühle mich beschämt. We are poor because you are rich.* Genauso unvorstellbar wie das Leid der Flüchtlinge ist, wie gut es uns im Kontrast zu fast dem ganzen Rest der Welt geht. Aber vielleicht will der Schüler auch nur wissen, ob er die Aufgabe richtig gerechnet hat? „Ja“, sage ich, „stimmt. Ganz schön viel, oder?“ Ich glaube, er versteht meine Antwort ebensowenig wie ich seine Frage.
Seit drei Wochen unterrichte ich ‚meine‘ Flüchtlinge jetzt. Und komme mir vor wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Zwei Stunden die Woche sind nichts, selbst wenn man in der Zeit nur zwei bis fünf Kinder unterrichtet.
Gestern ging ich einigermaßen schlecht gelaunt in den Unterricht. Mein lange und sehnlich erwartetes Spielewochenende mit Freunden ist darmgrippemittelohrentzündungerkältungsbedingt ins Wasser gefallen, meine Arbeit stresst mich zur Zeit mehr als üblich, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Beitrag zur Unterstützung der Flüchtlinge … nicht dramatisch genug ist. Wenn ich Berichte lese und Bilder sehe, wie schrecklich die Situation für die Menschen auf der Flucht ist, was sie mitmachen und entbehren und riskieren, dann möchte ich ins Auto steigen und die gesamte Balkanroute abfahren, um Essen und Kleidung zu verteilen, ich möchte auf einem Schiff übers Mittelmeer fahren und sie aus ihren seeuntauglichen Nussschalen fischen, ich will nicht ein Kind, sondern eine ganze Horde Kinder adoptieren … einfach weil ich es nicht aushalte, wie schlecht es den Leuten geht. Natürlich ist das unmöglich und überzogen. Oder? Kann man überhaupt überzogen empathisch sein? Das Gegenteil scheint ja für viele Leute auch gut zu funktionieren …
Stattdessen sitze ich hier und übe mit zwei Kindern das R, das T und das N. Das Lesen ist für meine Kandidaten anstrengend bis qualvoll. Die Wörter werden in der falschen Richtung geschrieben, und wenn sich die Buchstaben zu Silben zusammenfügen sollen, sind immer die dummen Buchstabier-Vokale (Be, Ce, De …) im Weg. Irgendwann – meist frustrierend schnell – versagt die Konzentration und alles verschwimmt zu einem unleserlichen Brei.
Beim letzten Mal hatte ich als Ergänzung zu den grau bedruckten Arbeitsblättern, auf denen man einzelne Buchstaben ordentlich in Zeilen schreiben lernt, ein paar bunt bebilderte Buchstaben mitgebracht. (Ein Igel war nicht dabei, das I war mit einem Indianer illustriert – für deutsche Kinder sicherlich naheliegend, aber liest man in Syrien oder Afghanistan Indianergeschichten?) Der Lehrerin schien das nicht so recht zu sein, die Kinder würden ja die Vokabeln nicht kennen, also würden die Bilder auch nichts nützen. Ich hatte eher das Gefühl, die Schüler stürzen sich begierig auf alles Konkrete, Praktische, was sie kriegen können, und versuchen auf einmal auch die Wörter zu lesen, zu denen sie noch nicht alle Buchstaben kennen. Trotzdem habe ich heute einen anderen Ansatz versucht. Nicht zuletzt ermutigt durch Gespräche mit einer Bekannten, die als Sozialpädagogin in der Bayernkaserne arbeitet, habe ich meinen Kindern ein Buchstabendomino aus dem Spielzeugschrank geklaut und zur Auflockerung zwischendrin mit den Flüchtlingen gespielt. Und da war es zum ersten Mal: das Gefühl, das etwas zu ihnen durchdringt, dass sie Interesse haben, etwas dankbar aufnehmen. Hinterher hat das Lesen auch besser geklappt, und die Motivation war definitiv größer.
Und ich sehe Fortschritte. Minikleine. Mein Afghane schreibt zwar in etwa auf dem Niveau meiner vierjährigen Tochter (ja, sie ist früh dran). Aber er kriegt immerhin schon einzelne Silben zusammen gelesen. Und der Gesichtsausdruck, als er heute zum ersten Mal seinen Namen entziffert hat, war unbezahlbar. „Name? My name??“
Der Weg, der noch vor meinen Schülern liegt, bis überhaupt irgendeine Verständigung möglich ist, scheint mir fast so lang und mühsam wie die Reise, die sie hinter sich haben. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nach all den Strapazen immer noch so anstrengen müssen, um endlich wirklich hier anzukommen. Aber was bleibt ihnen sonst übrig?
Ich trage meine Dominokarten und mein schlechtes Gewissen nach Hause. Doch irgendwie ist die miese Laune weg. Einen ganz kleinen Schritt sind meine Schüler heute weitergekommen. Während ich mir einen Belohnungskaffee mache, räume ich die Spülmaschine ein.
* Der Film, aus dem dieses Zitat stammt, ist übrigens sehr empfehlenswert. Er stammt aus den frühen 90ern und nimmt praktisch alles vorweg, was gerade passiert. Werde ihn hier sicherlich noch des Öfteren zitieren.
Seit drei Wochen unterrichte ich ‚meine‘ Flüchtlinge jetzt. Und komme mir vor wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Zwei Stunden die Woche sind nichts, selbst wenn man in der Zeit nur zwei bis fünf Kinder unterrichtet.
Gestern ging ich einigermaßen schlecht gelaunt in den Unterricht. Mein lange und sehnlich erwartetes Spielewochenende mit Freunden ist darmgrippemittelohrentzündungerkältungsbedingt ins Wasser gefallen, meine Arbeit stresst mich zur Zeit mehr als üblich, und irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein Beitrag zur Unterstützung der Flüchtlinge … nicht dramatisch genug ist. Wenn ich Berichte lese und Bilder sehe, wie schrecklich die Situation für die Menschen auf der Flucht ist, was sie mitmachen und entbehren und riskieren, dann möchte ich ins Auto steigen und die gesamte Balkanroute abfahren, um Essen und Kleidung zu verteilen, ich möchte auf einem Schiff übers Mittelmeer fahren und sie aus ihren seeuntauglichen Nussschalen fischen, ich will nicht ein Kind, sondern eine ganze Horde Kinder adoptieren … einfach weil ich es nicht aushalte, wie schlecht es den Leuten geht. Natürlich ist das unmöglich und überzogen. Oder? Kann man überhaupt überzogen empathisch sein? Das Gegenteil scheint ja für viele Leute auch gut zu funktionieren …
Stattdessen sitze ich hier und übe mit zwei Kindern das R, das T und das N. Das Lesen ist für meine Kandidaten anstrengend bis qualvoll. Die Wörter werden in der falschen Richtung geschrieben, und wenn sich die Buchstaben zu Silben zusammenfügen sollen, sind immer die dummen Buchstabier-Vokale (Be, Ce, De …) im Weg. Irgendwann – meist frustrierend schnell – versagt die Konzentration und alles verschwimmt zu einem unleserlichen Brei.
Beim letzten Mal hatte ich als Ergänzung zu den grau bedruckten Arbeitsblättern, auf denen man einzelne Buchstaben ordentlich in Zeilen schreiben lernt, ein paar bunt bebilderte Buchstaben mitgebracht. (Ein Igel war nicht dabei, das I war mit einem Indianer illustriert – für deutsche Kinder sicherlich naheliegend, aber liest man in Syrien oder Afghanistan Indianergeschichten?) Der Lehrerin schien das nicht so recht zu sein, die Kinder würden ja die Vokabeln nicht kennen, also würden die Bilder auch nichts nützen. Ich hatte eher das Gefühl, die Schüler stürzen sich begierig auf alles Konkrete, Praktische, was sie kriegen können, und versuchen auf einmal auch die Wörter zu lesen, zu denen sie noch nicht alle Buchstaben kennen. Trotzdem habe ich heute einen anderen Ansatz versucht. Nicht zuletzt ermutigt durch Gespräche mit einer Bekannten, die als Sozialpädagogin in der Bayernkaserne arbeitet, habe ich meinen Kindern ein Buchstabendomino aus dem Spielzeugschrank geklaut und zur Auflockerung zwischendrin mit den Flüchtlingen gespielt. Und da war es zum ersten Mal: das Gefühl, das etwas zu ihnen durchdringt, dass sie Interesse haben, etwas dankbar aufnehmen. Hinterher hat das Lesen auch besser geklappt, und die Motivation war definitiv größer.
Und ich sehe Fortschritte. Minikleine. Mein Afghane schreibt zwar in etwa auf dem Niveau meiner vierjährigen Tochter (ja, sie ist früh dran). Aber er kriegt immerhin schon einzelne Silben zusammen gelesen. Und der Gesichtsausdruck, als er heute zum ersten Mal seinen Namen entziffert hat, war unbezahlbar. „Name? My name??“
Der Weg, der noch vor meinen Schülern liegt, bis überhaupt irgendeine Verständigung möglich ist, scheint mir fast so lang und mühsam wie die Reise, die sie hinter sich haben. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nach all den Strapazen immer noch so anstrengen müssen, um endlich wirklich hier anzukommen. Aber was bleibt ihnen sonst übrig?
Ich trage meine Dominokarten und mein schlechtes Gewissen nach Hause. Doch irgendwie ist die miese Laune weg. Einen ganz kleinen Schritt sind meine Schüler heute weitergekommen. Während ich mir einen Belohnungskaffee mache, räume ich die Spülmaschine ein.
* Der Film, aus dem dieses Zitat stammt, ist übrigens sehr empfehlenswert. Er stammt aus den frühen 90ern und nimmt praktisch alles vorweg, was gerade passiert. Werde ihn hier sicherlich noch des Öfteren zitieren.
02 Dezember 2015
Gibt es in Nigeria eigentlich Igel?
Seit Montag bin ich endgültig unter die Gutmenschen
gegangen: Einmal pro Woche gebe ich ab sofort ein paar Flüchtlingskinder
Sprachunterricht. Und werde versuchen, hier regelmäßig darüber zu berichten.
Vor dem ersten Mal war ich einigermaßen aufgeregt.
Sprachunterricht ist mir vertraut, aber eben nur in der Eigenschaft als
Schüler. Die eigene Sprache, die man als Kind ja völlig ohne theoretischen
Unterbau erworben hat, jemandem beizubringen, mit dem man ggf. nur mit Händen
und Füßen kommunizieren kann, scheint mir eigentlich schon schwierig genug, so dass
ich dafür gern etwas extra Vorbereitung hätte (vorzugsweise ein DaF-Studium,
wenigstens in Kurzform). Ist aber wohl nicht drin. Also muss man sich halt mit
dem bisschen gesunden Menschenverstand, über den man verfügt, sowie möglichst
viel Einfühlungsvermögen begnügen, und das Beste draus machen. Mein Fazit nach
den ersten zwei Stunden: Das wird nicht leicht.
Aus einer von zwei Klassen mit je ca. 25 Kindern zwischen
(geschätzt) 14 und 17 Jahren unterstütze ich diejenigen, die noch gar nicht
oder sehr wenig lesen und schreiben können. Das ganze parallel zum Unterricht,
in einem ca. 2 qm großen Garderobenraum mit einem Tisch und ein paar Stühlen
drin. Dazu ein paar Arbeitsblätter und Stifte. Sonst nix. Die erste Stunde sind
zwei Mädchen dran, die zweite drei Jungs. Ich weiß nichts über die Kinder, und
soll sie auch möglichst nichts fragen – alle sind unbegleitet, keiner weiß, was
mit den Eltern ist, Retraumatisierung ist unbedingt zu vermeiden. Die
einfachsten Wörter, die man schon mit zwei Buchstaben schreiben könnte, fallen
damit aus: Mama und Papa.
Als ich in die Klasse komme (zu spät, denn unsere Schulen
werden nach Unterrichtsbeginn heutzutage offenbar alle abgesperrt, was nichts
mit den Flüchtlingen, sondern mit der allgemeinen Unsicherheit unserer Straßen
zu tun hat, werden ja dauernd Kinder aus der Schule entführt – oder?), werde
ich von den Jugendlichen fröhlich mit „Guten Morgen, Frau Braun“ begrüßt,
einige grinsen, andere blödeln, manche schreiben schon – scheinbar ganz
normaler Schulalltag, nur mit insgesamt etwas dunklerem Hautton. Die Lehrerin
stellt mich kurz vor, drückt mir Arbeitsblätter und zwei Kinder in die Hand und
wirft uns zu dritt ins kalte Wasser.
Die Mädchen sitzen in dem beheizten Zimmer mit Mütze
respektive Kopftuch und scheinen trotz warmer Kleidung zu frieren. Beide
sprechen ein paar Worte Englisch und ebenso wenige Deutsch. Die eine kämpft mit
jedem einzelnen Buchstaben. Die andere schreibt mir nach ein paar Minuten das
ganze Alphabet hin und fragt, ob sie jetzt wieder in den richtigen Unterricht
darf. Offenbar ist die Information der Lehrerin nicht ganz richtig. Bei 25
Kindern hat sie wahrscheinlich auch nicht die Zeit, das vorhandene Wissen bei
jedem einzeln abzuprüfen. Prompt will die Lehrerin sie wieder rauswerfen, bis
sie spontan die Worte an der Tafel vorliest, und uns aufmalt, was sie nicht
kann: 3 + 3. Memo an mich: Für nächstes Mal Mathe vorbereiten.
Nach der Pause sind die Jungs dran. Keine Ahnung, ob die
Geschlechtertrennung beabsichtigt ist. Generell habe ich zu wenig Info: Wo die
Kinder herkommen, welche Sprache sie sprechen, welchen kulturellen/religiösen
Hintergrund sie haben, wo sie wohnen (hier am Ort gibt es insgesamt nur ca. 70
Flüchtlinge, davon wird nicht über zwei Drittel aus unbegleiteten Jugendlichen
bestehen), was sie mit dem Rest des Tages machen. Im Internet findet sich kaum
etwas darüber, wie man mit den sogenannten umF, unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlingen umgeht. Und obwohl einiges an kostenlosem Unterrichtsmaterial vorhanden
ist, findet sich fast nichts zur Alphabetisierung. Ich male dem Mädchen, das
besonders mit dem i zu kämpfen hat, einen Igel auf. Sie erkennt das Tier nicht.
Was durchaus an meiner Zeichnung liegen könnte. Aber gibt es in Nigeria
überhaupt Igel? Selbst wenn, haben die dort bestimmt einen Namen, der nicht mit
i beginnt. Wo fängt man da an?
Die Jungs sind lebhafter als die Mädchen, aber auch sie malen brav die
Buchstaben ab. Bis sich herausstellt, dass auch sie das Alphabet schon
größtenteils können. Nur einer sitzt still da, beschattet die Augen mit der
Hand und scheint sich unwohl zu fühlen. Ich versuche, ihn zu motivieren, ohne
zu drängen, während der andere seinen Bleistiftspitzer mit brutaler Gewalt,
aber in aller Seelenruhe auseinandernimmt, um den Stift dann nur mithilfe der
Klinge zu spitzen. (Später stellt sich heraus, dass der Spitzer einer
Mitschülerin gehörte!) Der Tisch ist voller Plastiksplitter, Bleistiftspäne und
vollgeschriebener Arbeitsblätter, der Gong lässt auf sich warten, und ich weiß
nicht, was ich mit den Jungs noch anfangen soll. Sie erzählen mir, dass sie
alle nicht in der Schule waren, das Alphabet selbständig gelernt haben. Einer
malt mir die Buchstaben nochmal in seiner Sprache auf. Was spricht man
eigentlich in Afghanistan? Ich überlege, was ich fragen darf und was zu heikel
ist. Der Gong kommt immer noch nicht. Ich schaue auf meine Handyuhr, und die
Jungs erhaschen einen Blick auf das Foto von Lenny, das mir als
Bildschirmhintergrund dient. Ich sage, das ist mein Sohn, und zeige noch ein
Bild von Matilda. Sie wollen wissen, was Vater und Mutter auf Deutsch heißt.
Beide deuten auf sich. „Zu Hause kein Vater, kein Mutter.“ Der dritte malt
immer noch stumm und verbissen die Buchstaben ab. Wie reagiert man auf sowas?
Natürlich sind Offenheit und eine ehrliche Reaktion eigentlich immer das Beste.
Aber inwieweit trage ich zur Retraumatisierung bei, wenn ich ihnen zeige, wie
sehr es mir das Herz zerreißt? „Es tut mir so leid“, sage ich. Worthülsen im
Angesicht eines unvorstellbaren Dramas, das für diese Kinder doch Alltag ist.
„Aber jetzt, in Deutschland, gut mit Betreuer“, fahren sie unbekümmert fort.
Können die Betreuer vom Jugendamt, die sich – im Schichtsystem wechselnd – um
mehrere Jugendliche gleichzeitig kümmern, die verlorenen Eltern ersetzen?
Schwer vorstellbar. Aber hier sitzen sie, lümmeln sich auf den Stühlen, unterhalten
sich nebenher und benehmen sich wie ganz normale Schüler. Und das ist
vielleicht das einzig Richtige: Alltag und Normalität.
Die Lehrerin steckt den Kopf ins Zimmer. Ich habe meine Zeit
um eine halbe Stunde überzogen. Nein, hier gibt es keinen Gong zwischen den
Stunden, nur zur Pause. Ich lasse die Jungs ihr letztes Arbeitsblatt
fertigmachen und schicke sie wieder in die Klasse. „Auf Wiedersehen, Frau
Braun“, verabschieden mich alle Kinder im Chor.
Ich fühle mich erschöpft. Unterricht in Kleingruppen ist sehr konzentrationsintensiv. Die Aufgabe ist auf der einen Seite nicht anspruchsvoll, auf der anderen Seite fühle ich mich überfordert, da ich weder weiß, wie ich richtig vorgehen soll, noch was die Lehrerin sich für Ergebnisse von meinem Unterricht erhofft. Das nächste Mal werde ich wohl ein paar eigene Materialien als Ergänzung mitbringen. Und mich darauf verlassen, dass ich den Kindern das Wichtigste schon gesagt habe, und es trotzdem in jeder einzelnen Stunde wiederholen, bis sie es glauben: Wir schaffen das. Du schaffst das.
14 April 2015
Everything that is wrong with society in three little ads
Ok, ich geb's zu, ich neige zu Übertreibungen. Die folgenden drei
Werbespots fassen natürlich nicht sämtliche Probleme unserer
Gesellschaft zusammen. Legen aber sehr pointiert den Finger auf einige
davon.
Zugegebenermaßen habe ich ein gespaltenes Verhältnis zur Werbung. Wobei, gespalten ist falsch. Ein sehr kritisches, würde ich sagen, nach allem, was ich in der Werbebranche so erlebt habe. Und mangels Fernseher sehe ich nicht besonders viele Werbespots, d.h. mir fehlt der Gesamtüberblick. Wahrscheinlich gibt's total viel Werbung, die einfach nur zwischen leicht unterhaltsam und belanglos dahindümpelt und nichts weiter tut, als den Verbraucher auf ein Produkt aufmerksam macht. Anstatt ihn darin zu bestärken, sich in schwachsinnige Verhaltensweisen zu verrennen, wie die folgenden Spots.
Los geht's mit Otto:
Wo fängt man da an? Die eigene Beschränktheit, Fixiertheit auf oberflächliche Nebensächlichkeiten wie Mode und Unfähigkeit, einem Gespräch zu folgen, als anstrebenszwert zu zelebrieren ist schon mutig. Und das auch noch so völlig ohne Witz. Wenn zwischen Gorilla und Kleid wenigstens irgendein entfernter Zusammenhang bestanden hätte. Oder seh ich den bloß nicht? Vielleicht habe ich ja die Ironie des Regisseurs nicht verstanden.
Gelernt habe ich: Beschränkt sein ist ok. Mode ist wichtiger als einzigartige Erlebnisse. Post-Postmodernismus?
Weiter geht's mit Voltaren:
Kann dein Leben einen Tag auf dich verzichten? Natürlich nicht. Bringe nur ein einziges Mal nicht die volle Leistung, sei nur einmal Mensch anstatt funktionierende Maschine, und du bist raus aus dem Spiel. Karriere vorbei. Leben zuende. Liebe Werbeleute von Novartis, ich bin überzeugt, ihr alle arbeitet nach diesem Credo (weil ihr in der Werbung seid). Aber ich wünsche euch allen, dass dieser Spot in fünf Jahren, wenn ihr alle in der Reha-Klinik sitzt oder alkohol- und drogenbedingt arbeitslos zuhause fernseht, noch einmal läuft. Und euch wenigstens ein bisschen erschreckt.
Und zum krönenden Abschluss noch Wick:
Mütter nehmen sich nicht frei. Natürlich nicht. Auch wenn es ja schon lange die Möglichkeit gibt, dass der arbeitende Elternteil sich krankschreiben lässt, wenn der kinderbetreuende Elternteil krank ist. Aber sowas macht man ja nicht als Arbeitnehmer, das ist ja quasi wie Blaumachen. Das bisschen Kind versorgen kriegt man doch auch mit Grippe hin.
Aber darum geht's mir gar nicht primär. Sondern vielmehr um zwei kleine Details: Die Formulierung "nehmen sich nicht frei" - war die Frau im Spot nicht krank? Was hat das mit Freinehmen zu tun? Sind wir jetzt schon in Japan, wo man seine Urlaubstage größtenteils für Krankheitstage verbraucht, aus Rücksicht auf Firma und Kollegen?
Und dann der ganz beiläufige Satz, den man in so einem Fall wohl völlig selbstverständlich zum Chef sagt: "Bin mobil erreichbar." Warum, zum Teufel, wenn du krank bist? Damit du dich auch ja nicht erholst? Aus schlechtem Gewissen, weil du deinem armen Unternehmen solche Probleme machst, wenn du mal einen Tag fehlst? Oder wegen Voltaren, weil dich deine Kollegen sonst auf der Karriereschnellspur überholen, du raus bist aus dem Spiel und durch die Putzfrau ersetzt wirst?
Ich weiß, das Werbung nicht zur Werteerziehung sondern zur Umsatzsteigerung da ist. Werte sprechen aber durchaus aus diesen einminütigen Mini-Geschichten. Und da ich weiß, dass Werber und Leute, die Werbung in Auftrag geben, schon viel drüber nachdenken, wen sie ansprechen wollen (im Zweifel möglichst viele), und ihre Werbung häufig sogar an einer Stichprobe ihrer Zielgruppe testen, bevor sie sie schalten, könnte ich zu dem Schluss kommen, das die enthaltenen Aussagen auf eine breite Masse nicht so abstoßend wirken wie auf mich. Sondern ganz selbstverständlich. Oberflächlichkeit ist gut. Ich darf mir keine Schwäche leisten. Mein Leben gehört meinem Arbeitgeber. Ist das wirklich normal?
Neulich gab es einen interessanten Artikel im Guardian, darüber dass heute alle ständig um unsere Aufmerksamkeit kämpfen und wir pausenlos mit Informationen und Botschaften bombardiert werden. So sehr, dass man nicht mehr zum Nachdenken kommt, wenn man mal eine freie Minute hat, sondern sich sofort mit dem nächsten aufmerksamkeisheischenden Ding beschäftigt, weil die, ähnlich wie Lebensmittel mit Zucker und Geschmacksverstärker, darauf optimiert sind, uns süchtig zu machen. Und uns neben dem Hauptnahrungsbestandteil - Aufmerksamkeit für das Produkt - auch allen anderen Mist schlucken zu lassen, der da so drinsteckt.
Ich glaube, ich entwickle gerade eine neue Geschäftsidee: Einen Bioladen für Werbung. Macht wer mit?
Zugegebenermaßen habe ich ein gespaltenes Verhältnis zur Werbung. Wobei, gespalten ist falsch. Ein sehr kritisches, würde ich sagen, nach allem, was ich in der Werbebranche so erlebt habe. Und mangels Fernseher sehe ich nicht besonders viele Werbespots, d.h. mir fehlt der Gesamtüberblick. Wahrscheinlich gibt's total viel Werbung, die einfach nur zwischen leicht unterhaltsam und belanglos dahindümpelt und nichts weiter tut, als den Verbraucher auf ein Produkt aufmerksam macht. Anstatt ihn darin zu bestärken, sich in schwachsinnige Verhaltensweisen zu verrennen, wie die folgenden Spots.
Los geht's mit Otto:
Wo fängt man da an? Die eigene Beschränktheit, Fixiertheit auf oberflächliche Nebensächlichkeiten wie Mode und Unfähigkeit, einem Gespräch zu folgen, als anstrebenszwert zu zelebrieren ist schon mutig. Und das auch noch so völlig ohne Witz. Wenn zwischen Gorilla und Kleid wenigstens irgendein entfernter Zusammenhang bestanden hätte. Oder seh ich den bloß nicht? Vielleicht habe ich ja die Ironie des Regisseurs nicht verstanden.
Gelernt habe ich: Beschränkt sein ist ok. Mode ist wichtiger als einzigartige Erlebnisse. Post-Postmodernismus?
Weiter geht's mit Voltaren:
Kann dein Leben einen Tag auf dich verzichten? Natürlich nicht. Bringe nur ein einziges Mal nicht die volle Leistung, sei nur einmal Mensch anstatt funktionierende Maschine, und du bist raus aus dem Spiel. Karriere vorbei. Leben zuende. Liebe Werbeleute von Novartis, ich bin überzeugt, ihr alle arbeitet nach diesem Credo (weil ihr in der Werbung seid). Aber ich wünsche euch allen, dass dieser Spot in fünf Jahren, wenn ihr alle in der Reha-Klinik sitzt oder alkohol- und drogenbedingt arbeitslos zuhause fernseht, noch einmal läuft. Und euch wenigstens ein bisschen erschreckt.
Und zum krönenden Abschluss noch Wick:
Mütter nehmen sich nicht frei. Natürlich nicht. Auch wenn es ja schon lange die Möglichkeit gibt, dass der arbeitende Elternteil sich krankschreiben lässt, wenn der kinderbetreuende Elternteil krank ist. Aber sowas macht man ja nicht als Arbeitnehmer, das ist ja quasi wie Blaumachen. Das bisschen Kind versorgen kriegt man doch auch mit Grippe hin.
Aber darum geht's mir gar nicht primär. Sondern vielmehr um zwei kleine Details: Die Formulierung "nehmen sich nicht frei" - war die Frau im Spot nicht krank? Was hat das mit Freinehmen zu tun? Sind wir jetzt schon in Japan, wo man seine Urlaubstage größtenteils für Krankheitstage verbraucht, aus Rücksicht auf Firma und Kollegen?
Und dann der ganz beiläufige Satz, den man in so einem Fall wohl völlig selbstverständlich zum Chef sagt: "Bin mobil erreichbar." Warum, zum Teufel, wenn du krank bist? Damit du dich auch ja nicht erholst? Aus schlechtem Gewissen, weil du deinem armen Unternehmen solche Probleme machst, wenn du mal einen Tag fehlst? Oder wegen Voltaren, weil dich deine Kollegen sonst auf der Karriereschnellspur überholen, du raus bist aus dem Spiel und durch die Putzfrau ersetzt wirst?
Ich weiß, das Werbung nicht zur Werteerziehung sondern zur Umsatzsteigerung da ist. Werte sprechen aber durchaus aus diesen einminütigen Mini-Geschichten. Und da ich weiß, dass Werber und Leute, die Werbung in Auftrag geben, schon viel drüber nachdenken, wen sie ansprechen wollen (im Zweifel möglichst viele), und ihre Werbung häufig sogar an einer Stichprobe ihrer Zielgruppe testen, bevor sie sie schalten, könnte ich zu dem Schluss kommen, das die enthaltenen Aussagen auf eine breite Masse nicht so abstoßend wirken wie auf mich. Sondern ganz selbstverständlich. Oberflächlichkeit ist gut. Ich darf mir keine Schwäche leisten. Mein Leben gehört meinem Arbeitgeber. Ist das wirklich normal?
Neulich gab es einen interessanten Artikel im Guardian, darüber dass heute alle ständig um unsere Aufmerksamkeit kämpfen und wir pausenlos mit Informationen und Botschaften bombardiert werden. So sehr, dass man nicht mehr zum Nachdenken kommt, wenn man mal eine freie Minute hat, sondern sich sofort mit dem nächsten aufmerksamkeisheischenden Ding beschäftigt, weil die, ähnlich wie Lebensmittel mit Zucker und Geschmacksverstärker, darauf optimiert sind, uns süchtig zu machen. Und uns neben dem Hauptnahrungsbestandteil - Aufmerksamkeit für das Produkt - auch allen anderen Mist schlucken zu lassen, der da so drinsteckt.
Ich glaube, ich entwickle gerade eine neue Geschäftsidee: Einen Bioladen für Werbung. Macht wer mit?
11 Januar 2015
Experiment: Resultate
Fünf Tage lang haben wir die Sache jetzt ausprobiert. Fünf Tage lang haben die Kinder bestimmt, was sie mit ihrer Zeit anfangen wollten, ob sie mit uns Abendessen wollten oder nicht, ob sie sich anziehen oder doch die Kälte lieber nackt genießen wollten, und vieles mehr.
Was hat's gebracht?
- Die ersten zwei Tage setzte bei mir tatsächlich etwas Entspannung ein. Was vielleicht hauptsächlich daran lag, dass ich kaum Berührungspunkte mit meinen Kindern hatten, weil die entweder bei der Oma oder vor dem Fernseher (genauer: Laptop mit DVD) waren. Hauptzweck 2 ist damit etwas näher gerückt.
- Das relativierte sich allerdings mit der Zeit, weil dann das schlechte Gewissen einsetzt. Ist es wirklich ok, die Kinder schon vor dem Frühstück zwei Filme anschauen zu lassen? Ist der relative Frieden beim Abendessen es wert, dass dieser mit der Abwesenheit eines Familienmitglieds erkauft wurde, sprich Lenny einfach nicht mitgegessen hat? Kurzfristig gesehen fand ich es für meine Nerven ganz gut. Auf Dauer aber ist das kein Zustand, der mir gefällt.
- Hauptzweck 1, die Reduzierung von Streit, klappte zunächst auch aus oben genanntem Grund: Wenn man weniger Kontakt hat, hat man weniger Gelegenheit zum Streiten. Bei den Dingen allerdings, wo ich nach wie vor Kooperation von meinen Kindern verlangte, gab es nach wie vor unvermindert heftigen Zoff. Hauptsächlich mit Matilda, die ihre ersten zwei Trotzjahre wohl als Übungsphase für dieses dritte vortrefflich genutzt hat, und jetzt weiß, wie man alle meine Knöpfe gleichzeitig drückt. Und offenbar reichte unser Experiment nicht aus, um mir genügend Nerven und Geduld zurückzugeben.
Im Internet, der Quelle aller Weisheit unserer Zeit, bin ich auf eine schlaue Seite mit Tipps zum Thema Trotz und wie man damit umgeht gestoßen. Ich habe sie alle brav studiert und für furchtbar schlau befunden, und mir fest vorgenommen, sie gleich bei der nächsten Gelegenheit auszuprobieren.
Dann bin ich losgegangen, um Matilda von der Oma abzuholen, und habe sie beim ersten Anzeichen eines beginnenden Wutanfalls gleich wieder angebrüllt und mit Gewalt nach Hause geschleift. Fail 1.
Am nächsten Tag wollte ich es nochmal versuchen. Matilda regte sich über Lenny auf, d.h. ich war emotional nicht beteiligt. Also schnell Schritt 1, dem Kind seine Emotionen spiegeln, sowohl mit Worten als vor allem auch mit Körpersprache und Tonfall, auf dass ihm klar wird, es wird gehört und verstanden. Genausogut hätte ich Grillanzünder in einen bereits loderndes Feuer gießen können. Mein Kind explodierte mir ins Gesicht. Fail 2.
Was habe ich also gelernt? Nicht viel unmittelbar Anwendbares. Aber immerhin hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Dass meine Tochter ein unbändiges Selbständigkeitsbedürfnis hat, ist mir schon lange klar. Aber vielleicht habe ich das in der Vergangenheit zu wenig ernst genommen. (Zum Beispiel denke ich, sie hätte viel früher trocken werden können, wenn ich unsere frühen Versuche nicht aus praktischen Gründen immer wieder abgebrochen hätte, weil immer wieder was dazwischen kam, wo's grad unheimlich schlecht passte, dass das Kind ggf. in die Hose pieselt. So hat sie beim letzten Versuch kurz vor Kindergarten letztlich ewig gebraucht, und in Stressphasen klappt's immer noch nicht zuverlässig.)
Außerdem bin ich zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur jedes Kind unterschiedlich ist, also auch unterschiedliche Lösungs- und Lernstrategien braucht. Sondern eben auch jeder Erwachsene. D.h. selbst wenn es eine optimale Art gibt, mit einen bestimmten Problem umzugehen, kann ich das nicht immer leisten, und muss eben 'nur' so gut ich kann damit umgehen. Dann dauert's halt länger oder ist anstrengender. Diese Erkenntnis allein hat schon für etwas Entspannung gesorgt.
Wir werden unseren Erziehungsurlaub also beenden, Mediennutzung beschränken (am Wochenende nicht mehr ausschlafen), eine Minimalbekleidung vorschreiben (unsere Tochter mit Gewalt anziehen und Schläge und Tritte in Kauf nehmen), Teilnahme am Essen einfordern (auch wenn das Essen dann alles andere als friedlich ist), und all die anderen anstrengenden Pflichten, die man als Eltern so hat, wieder aufnehmen.
Und versuchen, meinen Kindern mehr zuzutrauen und mehr Selbständigkeit zu ermöglichen (unter der Woche noch früher aufstehen, damit Zeit zum selbst anziehen etc. bleibt). Und einfach hoffen, dass diese Phase dann irgendwann bald zu Ende geht. Bevor meine Nerven endgültig zu Ende gehen.
Zur Ablenkung konzentriere ich mich auf die wahren Erkenntnisse dieses Feldversuchs:
- Dreijährige verbluten nicht, wenn man sie ihre Zehennägel selber schneiden lässt. Sie haben hinterher einfach nach wie vor lange Zehennägel.
- So sieht es aus, wenn ein Fünfjähriger sich sein Pausenbrot selber zubereitet:
- Und nicht zuletzt: Mama als gemeinsamer Feind kann für die Geschwisterbeziehung Wunder wirken:
Was hat's gebracht?
- Die ersten zwei Tage setzte bei mir tatsächlich etwas Entspannung ein. Was vielleicht hauptsächlich daran lag, dass ich kaum Berührungspunkte mit meinen Kindern hatten, weil die entweder bei der Oma oder vor dem Fernseher (genauer: Laptop mit DVD) waren. Hauptzweck 2 ist damit etwas näher gerückt.
- Das relativierte sich allerdings mit der Zeit, weil dann das schlechte Gewissen einsetzt. Ist es wirklich ok, die Kinder schon vor dem Frühstück zwei Filme anschauen zu lassen? Ist der relative Frieden beim Abendessen es wert, dass dieser mit der Abwesenheit eines Familienmitglieds erkauft wurde, sprich Lenny einfach nicht mitgegessen hat? Kurzfristig gesehen fand ich es für meine Nerven ganz gut. Auf Dauer aber ist das kein Zustand, der mir gefällt.
- Hauptzweck 1, die Reduzierung von Streit, klappte zunächst auch aus oben genanntem Grund: Wenn man weniger Kontakt hat, hat man weniger Gelegenheit zum Streiten. Bei den Dingen allerdings, wo ich nach wie vor Kooperation von meinen Kindern verlangte, gab es nach wie vor unvermindert heftigen Zoff. Hauptsächlich mit Matilda, die ihre ersten zwei Trotzjahre wohl als Übungsphase für dieses dritte vortrefflich genutzt hat, und jetzt weiß, wie man alle meine Knöpfe gleichzeitig drückt. Und offenbar reichte unser Experiment nicht aus, um mir genügend Nerven und Geduld zurückzugeben.
Im Internet, der Quelle aller Weisheit unserer Zeit, bin ich auf eine schlaue Seite mit Tipps zum Thema Trotz und wie man damit umgeht gestoßen. Ich habe sie alle brav studiert und für furchtbar schlau befunden, und mir fest vorgenommen, sie gleich bei der nächsten Gelegenheit auszuprobieren.
Dann bin ich losgegangen, um Matilda von der Oma abzuholen, und habe sie beim ersten Anzeichen eines beginnenden Wutanfalls gleich wieder angebrüllt und mit Gewalt nach Hause geschleift. Fail 1.
Am nächsten Tag wollte ich es nochmal versuchen. Matilda regte sich über Lenny auf, d.h. ich war emotional nicht beteiligt. Also schnell Schritt 1, dem Kind seine Emotionen spiegeln, sowohl mit Worten als vor allem auch mit Körpersprache und Tonfall, auf dass ihm klar wird, es wird gehört und verstanden. Genausogut hätte ich Grillanzünder in einen bereits loderndes Feuer gießen können. Mein Kind explodierte mir ins Gesicht. Fail 2.
Was habe ich also gelernt? Nicht viel unmittelbar Anwendbares. Aber immerhin hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Dass meine Tochter ein unbändiges Selbständigkeitsbedürfnis hat, ist mir schon lange klar. Aber vielleicht habe ich das in der Vergangenheit zu wenig ernst genommen. (Zum Beispiel denke ich, sie hätte viel früher trocken werden können, wenn ich unsere frühen Versuche nicht aus praktischen Gründen immer wieder abgebrochen hätte, weil immer wieder was dazwischen kam, wo's grad unheimlich schlecht passte, dass das Kind ggf. in die Hose pieselt. So hat sie beim letzten Versuch kurz vor Kindergarten letztlich ewig gebraucht, und in Stressphasen klappt's immer noch nicht zuverlässig.)
Außerdem bin ich zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur jedes Kind unterschiedlich ist, also auch unterschiedliche Lösungs- und Lernstrategien braucht. Sondern eben auch jeder Erwachsene. D.h. selbst wenn es eine optimale Art gibt, mit einen bestimmten Problem umzugehen, kann ich das nicht immer leisten, und muss eben 'nur' so gut ich kann damit umgehen. Dann dauert's halt länger oder ist anstrengender. Diese Erkenntnis allein hat schon für etwas Entspannung gesorgt.
Wir werden unseren Erziehungsurlaub also beenden, Mediennutzung beschränken (am Wochenende nicht mehr ausschlafen), eine Minimalbekleidung vorschreiben (unsere Tochter mit Gewalt anziehen und Schläge und Tritte in Kauf nehmen), Teilnahme am Essen einfordern (auch wenn das Essen dann alles andere als friedlich ist), und all die anderen anstrengenden Pflichten, die man als Eltern so hat, wieder aufnehmen.
Und versuchen, meinen Kindern mehr zuzutrauen und mehr Selbständigkeit zu ermöglichen (unter der Woche noch früher aufstehen, damit Zeit zum selbst anziehen etc. bleibt). Und einfach hoffen, dass diese Phase dann irgendwann bald zu Ende geht. Bevor meine Nerven endgültig zu Ende gehen.
Zur Ablenkung konzentriere ich mich auf die wahren Erkenntnisse dieses Feldversuchs:
- Dreijährige verbluten nicht, wenn man sie ihre Zehennägel selber schneiden lässt. Sie haben hinterher einfach nach wie vor lange Zehennägel.
- So sieht es aus, wenn ein Fünfjähriger sich sein Pausenbrot selber zubereitet:
- Und nicht zuletzt: Mama als gemeinsamer Feind kann für die Geschwisterbeziehung Wunder wirken:
08 Januar 2015
Experiment Erziehungs-Urlaub
(Nein! Mein Blog ist nicht tot! Und ja, ich hab ein schlechtes Gewissen den treuen Lesern gegenüber, die offensichtlich immer noch hoffnungsvoll hier vorbeischauen. Und gelobe Besserung.)
Alle, die mich nicht nur von diesem Blog her kennen, wissen mittlerweile, dass Elternsein in jeder Hinsicht der blanke Wahnsinn ist. Ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen. Das ist kein Gejammere, ich komme bloß meiner Verpflichtung nach, der Welt meine Gefühlslage mitzuteilen, damit sich andere in meiner Lage nicht so allein fühlen.
(Ja, jetzt dürfen sich alle schuldig fühlen, die auch ständig gestresst, übermüdet oder völlig ratlos wegen ihrer Kinder sind, aber den Mund halten, damit ich die einzige bin, die das Gefühl hat, ich bin die Einzige, die nix auf die Reihe kriegt. :P )
Momentan ist gerade wieder so eine Phase. Gestresst, übermüdet und ratlos. Matilda macht das zweite Revival ihrer Trotzphase, die nie so richtig geendet hat, durch, und das mit ganz neuem Elan. Sobald irgendwas nicht genau nach ihrem Kopf geht, rastet sie aus, und man kann nichts mehr richtig machen. Selbst, wenn man ihren oft mehr als absurden, selten verständlichen Anweisungen minutiös genau folgt. Und mit Ausrasten meine ich schreien, sich reinsteigern, ihr Gegenüber schlagen und bevorzugt, wenn wir es eilig haben, alles wieder ausziehen, was man ihr mühsam angezogen hatte.
Lennys aktuelle Trotzphase gestaltet sich etwas milder, aber auch er brüllt aus geringfügigem Anlass los, stürmt in sein Zimmer und knallt die Tür. Wo er den ausnehmend unangenehmen Tonfall her hat, in dem er das tut, kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen. Auch ich schreie meine Kinder ja leider nicht selten an, aber das ist im Vergleich zu seinem Gebrüll geradezu melodiös.
Das habe ich jetzt einige Wochen lang ausgehalten bzw. so gut es ging dagegengehalten - je biestiger meine Kinder sind, desto leichter fällt es mir, auf stur zu schalten, Sanktionen durchzuziehen, Privilegien zu streichen und die ganze schmale Palette, die man heutzutage als aufgeklärtes Elternteil zur Ausübung von Druck auf seinen Nachwuchs zur Verfügung hat, anzuwenden. Natürlich, ihr ahnt es, völlig ohne Erfolg.
Aber steter Trotzanfall höhlt die Nerven. Auch ich raste in letzter Zeit immer häufiger aus. Werde ich angeschrien, schreie ich sofort zurück. Deeskalation steht nicht mehr auf dem Programm. Ich bin am Rande meiner Belastbarkeit angelangt.
Was ist also zu tun?
Verkopfter Akademiker, der ich bin, suche ich in vertrackten Situationen Zuflucht zu einem Buch (oder mehreren). In dem Fall von meinem Lieblingspädagogen Jesper Juul. Der hat schon viele kluge Dinge zur Kinderaufzucht geschrieben, und meint (stark vereinfacht und gekürzt), dass Kinder das meiste, das sie lernen, nicht durch verbale Belehrung, sondern durch Nachahmung lernen. Dass Erziehung im klassischen Sinne also eigentlich gar nicht nötig ist, wenn man sie durch eine gute Beziehung zu seinen Kindern ersetzt, und eben das Verhalten vorlebt, das man sich auch von seinem Nachwuchs wünscht.
Dieser Gedanke, kombiniert mit der Vermutung, dass gerade Matildas Wutanfälle ein Ausdruck eines Mangels an Selbstbestimmung sein könnten - meiner Meinung nach kommt Gewalttätigkeit sehr häufig aus einem Gefühl der Hilflosigkeit - hat mich dazu gebracht, ein Experiment zu versuchen. Ich mache Urlaub von meiner traditionellen Erziehungsarbeit.
D.h. ich unterlasse es ab sofort, meine Kinder mit Anweisungen zu bombardieren. Es gibt ein paar Ausnahmen - beim Fertigmachen für den Kindergarten, beim ins Bett gehen, im Straßenverkehr und bei der Körperhygiene müssen sie spuren. Alles andere - wie sie ihren Tag verbringen, was sie essen oder nicht, ob sie mit uns essen oder nicht, was sie anziehen, ob sie bitte und danke sagen, etc., dürfen sie selbst entscheiden.
Die einzige Grenze bin ich. Da ich koche, bestimme ich, was auf den Tisch kommt. Was sie sich selber zubereiten können (hmmm, hauptsächlich Cornflakes und Gummibärchen - vielleicht sollte ich an diesem Teil des Plans noch etwas arbeiten), können sie gerne statt dessen essen. Wenn ich keine Lust habe, gehen wir nicht ins Schwimmbad. Wenn ich es vorschlage, sie aber keine Lust haben, gehen wir halt aber auch nicht. Wenn ich arbeiten muss, müssen sie sich anderweitig beschäftigen.
Damit möchte ich meine Familie nicht in eine Summerhill-artige Hippiekommune verwandeln, in der alles demokratisch und völlig harmonisch im Konsens beschlossen wird.
(Wahrscheinlich tue ich dem Summerhill-Konzept gerade völlig unrecht. Sorry!)
Ich möchte zwei Sachen erreichen:
1. Meine Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse gehört werden, dass ich ihnen vertraue, und dass ich ihren Wunsch nach Selbständigkeit zu würdigen weiß und fördern will. (Auch wenn das bedeutet, dass wir zu jeder Verabredung zu spät kommen, weil es unendlich lange dauert, bis sie sich allein angezogen haben...)
2. Ich habe Pause und muss nicht ständig rumkommandieren. Entgegen gängiger Auffassung ist das nämlich nicht toll, sondern eigentlich nur anstrengend. Selbst, wenn die derartig Rumkommandierten einem gehorchen.
Weiß ich, was ich da tue? Bin ich davon überzeugt, dass es funktionieren wird?
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich irgendwie Druck rausnehmen muss. Und der Juul'sche Ansatz scheint mir irgendwie plausibel. Oder zumindest so sympathisch, dass mir mein Verstand sagt, er sei plausibel, um zu rechtfertigen, dass ich es versuche.
Ich weiß nicht, wo uns das ganze hinführen wird. Der erste Tag des Experiments verlief bis jetzt harmonischer als die letzten Wochen. Ein beginnender Streit endete nicht in Terror, Schreien und Um-Sich-Schlagen, sondern in Deeskalation. Das kann ein erstes Ergebnis sein, oder einfach nur Zufall.
Es wird sicher einiges an Konzentration erfordern, nicht sofort wieder in bestehende Muster zurückzufallen (Kind: "Ich will einen Apfelsaft!" Mama, wie aus der Pistole geschossen: "Wie sagt man da?"). Es wird einiges an Gelassenheit erfordern, nicht einzugreifen, wenn die Kinder drei Tage am Stück nur Fernsehen wollen. Es wird sicher unerwünschte Nebeneffekte geben, zum Beispiel, dass die Kinder ständig bei der Oma rumhängen. (Sorry, Mami, hiermit spreche ich Dir ebenfalls mein Vertrauen aus - Du wirst sie schon zurückschicken, wenn's Dir zu viel wird.)
Aber wenn schon nichts anderes, wird das ganze mindestens eine gute Übung im Kontrolle abgeben. Was ja, wenn die Welt dann nicht gleich einstürzt, durchaus entspannend wirken kann.
Und einen positiven Effekt wird es auf jeden Fall haben: Ich werde versuchen, hier regelmäßig über Verlauf und Resultate des Experiments zu berichten. Der Blog lebt!
Alle, die mich nicht nur von diesem Blog her kennen, wissen mittlerweile, dass Elternsein in jeder Hinsicht der blanke Wahnsinn ist. Ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen. Das ist kein Gejammere, ich komme bloß meiner Verpflichtung nach, der Welt meine Gefühlslage mitzuteilen, damit sich andere in meiner Lage nicht so allein fühlen.
(Ja, jetzt dürfen sich alle schuldig fühlen, die auch ständig gestresst, übermüdet oder völlig ratlos wegen ihrer Kinder sind, aber den Mund halten, damit ich die einzige bin, die das Gefühl hat, ich bin die Einzige, die nix auf die Reihe kriegt. :P )
Momentan ist gerade wieder so eine Phase. Gestresst, übermüdet und ratlos. Matilda macht das zweite Revival ihrer Trotzphase, die nie so richtig geendet hat, durch, und das mit ganz neuem Elan. Sobald irgendwas nicht genau nach ihrem Kopf geht, rastet sie aus, und man kann nichts mehr richtig machen. Selbst, wenn man ihren oft mehr als absurden, selten verständlichen Anweisungen minutiös genau folgt. Und mit Ausrasten meine ich schreien, sich reinsteigern, ihr Gegenüber schlagen und bevorzugt, wenn wir es eilig haben, alles wieder ausziehen, was man ihr mühsam angezogen hatte.
Lennys aktuelle Trotzphase gestaltet sich etwas milder, aber auch er brüllt aus geringfügigem Anlass los, stürmt in sein Zimmer und knallt die Tür. Wo er den ausnehmend unangenehmen Tonfall her hat, in dem er das tut, kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen. Auch ich schreie meine Kinder ja leider nicht selten an, aber das ist im Vergleich zu seinem Gebrüll geradezu melodiös.
Das habe ich jetzt einige Wochen lang ausgehalten bzw. so gut es ging dagegengehalten - je biestiger meine Kinder sind, desto leichter fällt es mir, auf stur zu schalten, Sanktionen durchzuziehen, Privilegien zu streichen und die ganze schmale Palette, die man heutzutage als aufgeklärtes Elternteil zur Ausübung von Druck auf seinen Nachwuchs zur Verfügung hat, anzuwenden. Natürlich, ihr ahnt es, völlig ohne Erfolg.
Aber steter Trotzanfall höhlt die Nerven. Auch ich raste in letzter Zeit immer häufiger aus. Werde ich angeschrien, schreie ich sofort zurück. Deeskalation steht nicht mehr auf dem Programm. Ich bin am Rande meiner Belastbarkeit angelangt.
Was ist also zu tun?
Verkopfter Akademiker, der ich bin, suche ich in vertrackten Situationen Zuflucht zu einem Buch (oder mehreren). In dem Fall von meinem Lieblingspädagogen Jesper Juul. Der hat schon viele kluge Dinge zur Kinderaufzucht geschrieben, und meint (stark vereinfacht und gekürzt), dass Kinder das meiste, das sie lernen, nicht durch verbale Belehrung, sondern durch Nachahmung lernen. Dass Erziehung im klassischen Sinne also eigentlich gar nicht nötig ist, wenn man sie durch eine gute Beziehung zu seinen Kindern ersetzt, und eben das Verhalten vorlebt, das man sich auch von seinem Nachwuchs wünscht.
Dieser Gedanke, kombiniert mit der Vermutung, dass gerade Matildas Wutanfälle ein Ausdruck eines Mangels an Selbstbestimmung sein könnten - meiner Meinung nach kommt Gewalttätigkeit sehr häufig aus einem Gefühl der Hilflosigkeit - hat mich dazu gebracht, ein Experiment zu versuchen. Ich mache Urlaub von meiner traditionellen Erziehungsarbeit.
D.h. ich unterlasse es ab sofort, meine Kinder mit Anweisungen zu bombardieren. Es gibt ein paar Ausnahmen - beim Fertigmachen für den Kindergarten, beim ins Bett gehen, im Straßenverkehr und bei der Körperhygiene müssen sie spuren. Alles andere - wie sie ihren Tag verbringen, was sie essen oder nicht, ob sie mit uns essen oder nicht, was sie anziehen, ob sie bitte und danke sagen, etc., dürfen sie selbst entscheiden.
Die einzige Grenze bin ich. Da ich koche, bestimme ich, was auf den Tisch kommt. Was sie sich selber zubereiten können (hmmm, hauptsächlich Cornflakes und Gummibärchen - vielleicht sollte ich an diesem Teil des Plans noch etwas arbeiten), können sie gerne statt dessen essen. Wenn ich keine Lust habe, gehen wir nicht ins Schwimmbad. Wenn ich es vorschlage, sie aber keine Lust haben, gehen wir halt aber auch nicht. Wenn ich arbeiten muss, müssen sie sich anderweitig beschäftigen.
Damit möchte ich meine Familie nicht in eine Summerhill-artige Hippiekommune verwandeln, in der alles demokratisch und völlig harmonisch im Konsens beschlossen wird.
(Wahrscheinlich tue ich dem Summerhill-Konzept gerade völlig unrecht. Sorry!)
Ich möchte zwei Sachen erreichen:
1. Meine Kinder sollen das Gefühl bekommen, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse gehört werden, dass ich ihnen vertraue, und dass ich ihren Wunsch nach Selbständigkeit zu würdigen weiß und fördern will. (Auch wenn das bedeutet, dass wir zu jeder Verabredung zu spät kommen, weil es unendlich lange dauert, bis sie sich allein angezogen haben...)
2. Ich habe Pause und muss nicht ständig rumkommandieren. Entgegen gängiger Auffassung ist das nämlich nicht toll, sondern eigentlich nur anstrengend. Selbst, wenn die derartig Rumkommandierten einem gehorchen.
Weiß ich, was ich da tue? Bin ich davon überzeugt, dass es funktionieren wird?
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich irgendwie Druck rausnehmen muss. Und der Juul'sche Ansatz scheint mir irgendwie plausibel. Oder zumindest so sympathisch, dass mir mein Verstand sagt, er sei plausibel, um zu rechtfertigen, dass ich es versuche.
Ich weiß nicht, wo uns das ganze hinführen wird. Der erste Tag des Experiments verlief bis jetzt harmonischer als die letzten Wochen. Ein beginnender Streit endete nicht in Terror, Schreien und Um-Sich-Schlagen, sondern in Deeskalation. Das kann ein erstes Ergebnis sein, oder einfach nur Zufall.
Es wird sicher einiges an Konzentration erfordern, nicht sofort wieder in bestehende Muster zurückzufallen (Kind: "Ich will einen Apfelsaft!" Mama, wie aus der Pistole geschossen: "Wie sagt man da?"). Es wird einiges an Gelassenheit erfordern, nicht einzugreifen, wenn die Kinder drei Tage am Stück nur Fernsehen wollen. Es wird sicher unerwünschte Nebeneffekte geben, zum Beispiel, dass die Kinder ständig bei der Oma rumhängen. (Sorry, Mami, hiermit spreche ich Dir ebenfalls mein Vertrauen aus - Du wirst sie schon zurückschicken, wenn's Dir zu viel wird.)
Aber wenn schon nichts anderes, wird das ganze mindestens eine gute Übung im Kontrolle abgeben. Was ja, wenn die Welt dann nicht gleich einstürzt, durchaus entspannend wirken kann.
Und einen positiven Effekt wird es auf jeden Fall haben: Ich werde versuchen, hier regelmäßig über Verlauf und Resultate des Experiments zu berichten. Der Blog lebt!
26 November 2013
Kinder und Timing
Humor, so sagt man, besteht zu einem großen Teil aus dem richtigen Timing.
Wer das Wort Timing allerdings im Zusammenhang mit Kindern benutzt, kann eigentlich nur die Geschichte eines grandiosen Scheiterns, zu Neudeutsch epic fail, erzählen wollen.
Wir kochen Grießbrei. Das ist etwas Seltenes, denn Lenny mag eigentlich keinen Grießbrei. Aber heute hat er ihn sich gewünscht, und so eine Gelegenheit - ein einmal gemochtes, aber mittlerweile verschmähtes Essen wieder beliebt zu machen - kann ich mir schlecht entgehen lassen. Natürlich helfen beide Kinder mit, Lenny sitzt links vom Herd, Matilda rechts. Glücklicherweise benötigt man zwei Eier, so dass jeder eines aufschlagen darf. Während ich mit einer Hand das Eigelb in einer Schalenhälfte balanciere, halte ich die Eierschachtel mit der anderen Hand außer Reichweite der Kinder, um zu verhindern, dass wir als Nachspeise auch noch Rührei machen müssen. Während Lenny höchst kreativ die Grießpackung öffnet, rührt Matilda den Zucker ins Eigelb. Dabei werden zwei Löffel, eine Gabel und eine saubere Hose benutzt, aber es bleibt tatsächlich ein Rest Ei-Zucker-Mischung in der Schüssel.
Nebenbei entdecke ich einen praktischen Sicherheitsmechanismus: Wenn ich den Mixer auf 'Turbo' schalte, halten sich beide Kinder die Ohren zu, so dass sie nicht in die Quirle greifen können. Ob ich das Konzept an den TÜV weiterverkaufen könnte?
Optimistisch ob dieser heil überstandenen Gefahrenquelle stelle ich den Topf mit der Milch auf den Herd. Jetzt ist größte Aufmerksamkeit gefragt, denn 1. kocht beobachtete Milch ja nicht, d.h. ich muss genau im richtigen Moment wegschauen, um dann blitzschnell wieder hinzuschauen, damit nichts überkocht. Und 2. muss ich die Kinder davon abhalten, den heißen Deckel immer wieder vom heißen Topf zu nehmen und die vorher fröhlich verteilten Grießkörnchen mit den Fingern von der heißen Herdplatte zu picken.
"Aua" sagt Matilda plötzlich und greift sich zwischen die Beine. Sitzt die Windel nicht richtig? Sie bejaht und will die Windel ausziehen. Schnell trage ich sie zum Sessel - ein Erbstück von den Schwiegereltern, aber der einzige Ort, von wo aus ich die Küche noch im Blick habe - und beauftrage Lenny, auf die Milch zu achten.
Die Windel ist nicht besonders voll und sitzt eigentlich einwandfrei. Trotzdem ziehe ich sie vorsichtshalber aus und inspiziere meine Tochter genau.
"Tut's noch weh?"
"Nein."
"Gut. Bleib hier liegen, ich zieh dich gleich wieder an."
Ich hechte zurück in die Küche, um in der Milch zu rühren, werfe aber vorsichtshalber einen Blick über die Schulter zum Sessel.
"Aber bitte jetzt nicht pieseln, Maus." Noch während ich die Worte ausspreche, erkenne ich meinen Fehler. Denn an allen Orten außer auf der Toilette ist das Wort "pieseln" ein unfehlbarer Auslöser genau dieser Handlung. Matilda pieselt auf den Schwiegerelternsessel.
Ich lasse den Kochlöffel fallen, sprinte zu ihr, reiße sie vom Sessel und schleife sie ins Bad, wo ich sie trotz Protest zur gefälligen Verrichtung des Restgeschäfts aufs Klo setze. In dem Moment ertönt lautes Kreischen aus der Küche.
"Mamaaaa, die Milch kocht über!"
Ich renne zurück in die Küche, ziehe den Topf mit der einen Hand vom Herd, während ich Lenny mit der anderen aus der Gefahrenzone schiebe und gleichzeitig tröste, weil er ob der ungehorsamen Milch völlig verzweifelt weint. Nachdem Kind beruhigt und Herd notdürftig gereinigt sind, bin ich gerade dabei, die Restmilch in einen neuen Topf zu füllen, als ich es aus dem Bad laut scheppern höre. Offenbar ist Matilda bei dem Versuch, die Spülung zu betätigen, zumindest teilweise abgestürzt. Zum Glück nicht ins Klo. Sie nimmt es relativ gefasst und rennt wieder ins Esszimmer, um sich erneut ohne Windel auf dem Sessel zu platzieren.
Aus irgendeinem Grund ist meine Hose nass, aber ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern, ich muss den Brei stetig rühren. Kurz überlege ich, wann in meinem Leben zuletzt irgendetwas 'stetig' war, kann den Gedanken aber nicht zuende denken, weil Lenny sich darüber beschwert, dass es in der Küche stinkt.
Ich muss ihm recht geben, die auf der Herdplatte angebrannte Milch verbreitet einen üblen Geruch in der ganzen Wohnung. Besser ich lüfte gleich, damit dann wenigstens beim Essen wieder frische Luft herrscht.
Dazu muss ich aber Matilda erst anziehen.
Viele ungehörte Erklärungsversuche (sowie ohrenbetäubendes Geschrei und ein paar Schläge und Tritte) später steckt das Kind wieder in Windel und Hose, ist aber so verzweifelt, dass sie sich an Mamas Schulter ausweinen muss. Einhändig rühre ich hektisch im Brei, um das misslungene stetig wieder wettzumachen. Lenny beschwert sich, dass ihm zu kalt ist. Mit der mittlerweile nur noch sporadisch schluchzenden Matilda auf dem Arm drehe ich eine Runde durch die Wohnung und schließe alle Fenster.
Dann können wir endlich essen.
Friedlich sitzen wir am Tisch, die Kinder stochern in ihrem Essen. Ich erwähne, dass wir Leo etwas übrig lassen sollten, weil er sicher Hunger hat, wenn er aus der Arbeit kommt.
"Mama, was ist eigentlich Arbeit?", fragt Lenny.
Ich versuche, das mit ein paar anschaulichen Beispielen zu erklären. Weizen anbauen, um daraus Grieß zu machen ist Arbeit. Den Grieß verpacken, in den Supermarkt bringen und verkaufen ist Arbeit. Den Tisch, an dem wir sitzen, zu bauen, ist Arbeit. "Und den Grießbrei kochen ist auch Arbeit", schließe ich.
Lenny lacht. Dabei gleitet ihm das volle Apfelsaftglas aus der Hand, und der gesamte Saft ergießt sich in die Grießbreischüssel.
Humor, so sagt man, besteht zu einem großen Teil aus dem richtigen Timing. Und das stimmt. Denn eines Tages, wenn ganz viel Zeit vergangen ist, werde ich über diese Geschichte auch ganz sicher lachen können.
Wer das Wort Timing allerdings im Zusammenhang mit Kindern benutzt, kann eigentlich nur die Geschichte eines grandiosen Scheiterns, zu Neudeutsch epic fail, erzählen wollen.
Wir kochen Grießbrei. Das ist etwas Seltenes, denn Lenny mag eigentlich keinen Grießbrei. Aber heute hat er ihn sich gewünscht, und so eine Gelegenheit - ein einmal gemochtes, aber mittlerweile verschmähtes Essen wieder beliebt zu machen - kann ich mir schlecht entgehen lassen. Natürlich helfen beide Kinder mit, Lenny sitzt links vom Herd, Matilda rechts. Glücklicherweise benötigt man zwei Eier, so dass jeder eines aufschlagen darf. Während ich mit einer Hand das Eigelb in einer Schalenhälfte balanciere, halte ich die Eierschachtel mit der anderen Hand außer Reichweite der Kinder, um zu verhindern, dass wir als Nachspeise auch noch Rührei machen müssen. Während Lenny höchst kreativ die Grießpackung öffnet, rührt Matilda den Zucker ins Eigelb. Dabei werden zwei Löffel, eine Gabel und eine saubere Hose benutzt, aber es bleibt tatsächlich ein Rest Ei-Zucker-Mischung in der Schüssel.
Nebenbei entdecke ich einen praktischen Sicherheitsmechanismus: Wenn ich den Mixer auf 'Turbo' schalte, halten sich beide Kinder die Ohren zu, so dass sie nicht in die Quirle greifen können. Ob ich das Konzept an den TÜV weiterverkaufen könnte?
Optimistisch ob dieser heil überstandenen Gefahrenquelle stelle ich den Topf mit der Milch auf den Herd. Jetzt ist größte Aufmerksamkeit gefragt, denn 1. kocht beobachtete Milch ja nicht, d.h. ich muss genau im richtigen Moment wegschauen, um dann blitzschnell wieder hinzuschauen, damit nichts überkocht. Und 2. muss ich die Kinder davon abhalten, den heißen Deckel immer wieder vom heißen Topf zu nehmen und die vorher fröhlich verteilten Grießkörnchen mit den Fingern von der heißen Herdplatte zu picken.
"Aua" sagt Matilda plötzlich und greift sich zwischen die Beine. Sitzt die Windel nicht richtig? Sie bejaht und will die Windel ausziehen. Schnell trage ich sie zum Sessel - ein Erbstück von den Schwiegereltern, aber der einzige Ort, von wo aus ich die Küche noch im Blick habe - und beauftrage Lenny, auf die Milch zu achten.
Die Windel ist nicht besonders voll und sitzt eigentlich einwandfrei. Trotzdem ziehe ich sie vorsichtshalber aus und inspiziere meine Tochter genau.
"Tut's noch weh?"
"Nein."
"Gut. Bleib hier liegen, ich zieh dich gleich wieder an."
Ich hechte zurück in die Küche, um in der Milch zu rühren, werfe aber vorsichtshalber einen Blick über die Schulter zum Sessel.
"Aber bitte jetzt nicht pieseln, Maus." Noch während ich die Worte ausspreche, erkenne ich meinen Fehler. Denn an allen Orten außer auf der Toilette ist das Wort "pieseln" ein unfehlbarer Auslöser genau dieser Handlung. Matilda pieselt auf den Schwiegerelternsessel.
Ich lasse den Kochlöffel fallen, sprinte zu ihr, reiße sie vom Sessel und schleife sie ins Bad, wo ich sie trotz Protest zur gefälligen Verrichtung des Restgeschäfts aufs Klo setze. In dem Moment ertönt lautes Kreischen aus der Küche.
"Mamaaaa, die Milch kocht über!"
Ich renne zurück in die Küche, ziehe den Topf mit der einen Hand vom Herd, während ich Lenny mit der anderen aus der Gefahrenzone schiebe und gleichzeitig tröste, weil er ob der ungehorsamen Milch völlig verzweifelt weint. Nachdem Kind beruhigt und Herd notdürftig gereinigt sind, bin ich gerade dabei, die Restmilch in einen neuen Topf zu füllen, als ich es aus dem Bad laut scheppern höre. Offenbar ist Matilda bei dem Versuch, die Spülung zu betätigen, zumindest teilweise abgestürzt. Zum Glück nicht ins Klo. Sie nimmt es relativ gefasst und rennt wieder ins Esszimmer, um sich erneut ohne Windel auf dem Sessel zu platzieren.
Aus irgendeinem Grund ist meine Hose nass, aber ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern, ich muss den Brei stetig rühren. Kurz überlege ich, wann in meinem Leben zuletzt irgendetwas 'stetig' war, kann den Gedanken aber nicht zuende denken, weil Lenny sich darüber beschwert, dass es in der Küche stinkt.
Ich muss ihm recht geben, die auf der Herdplatte angebrannte Milch verbreitet einen üblen Geruch in der ganzen Wohnung. Besser ich lüfte gleich, damit dann wenigstens beim Essen wieder frische Luft herrscht.
Dazu muss ich aber Matilda erst anziehen.
Viele ungehörte Erklärungsversuche (sowie ohrenbetäubendes Geschrei und ein paar Schläge und Tritte) später steckt das Kind wieder in Windel und Hose, ist aber so verzweifelt, dass sie sich an Mamas Schulter ausweinen muss. Einhändig rühre ich hektisch im Brei, um das misslungene stetig wieder wettzumachen. Lenny beschwert sich, dass ihm zu kalt ist. Mit der mittlerweile nur noch sporadisch schluchzenden Matilda auf dem Arm drehe ich eine Runde durch die Wohnung und schließe alle Fenster.
Dann können wir endlich essen.
Friedlich sitzen wir am Tisch, die Kinder stochern in ihrem Essen. Ich erwähne, dass wir Leo etwas übrig lassen sollten, weil er sicher Hunger hat, wenn er aus der Arbeit kommt.
"Mama, was ist eigentlich Arbeit?", fragt Lenny.
Ich versuche, das mit ein paar anschaulichen Beispielen zu erklären. Weizen anbauen, um daraus Grieß zu machen ist Arbeit. Den Grieß verpacken, in den Supermarkt bringen und verkaufen ist Arbeit. Den Tisch, an dem wir sitzen, zu bauen, ist Arbeit. "Und den Grießbrei kochen ist auch Arbeit", schließe ich.
Lenny lacht. Dabei gleitet ihm das volle Apfelsaftglas aus der Hand, und der gesamte Saft ergießt sich in die Grießbreischüssel.
Humor, so sagt man, besteht zu einem großen Teil aus dem richtigen Timing. Und das stimmt. Denn eines Tages, wenn ganz viel Zeit vergangen ist, werde ich über diese Geschichte auch ganz sicher lachen können.
14 Juli 2013
Warum nicht einfach gehen?
Neulich war ich mit Matilda unterwegs, als ich Zeuge einer seltsamen Szene wurde. Auf dem Parkplatz vor der Kirche lief eine Frau. Ein Mann folgte ihr, legte von hinten den Arm um sie, drehte sie um und führte sie in die andere Richtung davon. Zuerst wollte ich weiterfahren. Aber irgendwas fühlte sich komisch an. Das ganze wirkte entmündigend. Aber ich wollte ja eigentlich weiter. Und hatte außerdem meine kleine Tochter dabei. Was wenn...
Was wenn der Typ gewalttätig würde?
Dieser Gedanke legte einen Schalter in meinem Kopf um.
Ich stieg vom Fahrrad, nahm Matilda auf den Arm und ging zurück.
Das Paar, denn so wirkten sie, stand bei einem Auto. Der Mann gestikulierte, die Frau solle einsteigen. Nicht besonders heftig, es gab keine lauten Worte. Nur diese resignierte Körperhaltung der Frau, die hochgezogenen Schultern, der eingezogene Kopf ... und die Tatsache, dass sie offenbar in ihr Taschentuch weinte.
Hatte ich den Schalter in meinem Kopf erwähnt? Der stand jetzt auf Alarmstufe rot.
Ich ging zu den beiden und sprach die Frau an. So ruhig es mir eben möglich war, denn ganz ehrlich, um so viel Mut aufzubringen, war eine gehörige Portion Wut im Bauch nötig. Trotzdem blieb ich einigermaßen zivilisiert.
Ich fragte sie, ob alles in Ordnung sei und bot ihr an, dass sie, statt ins Auto zu steigen, mit mir kommen könnte.
Natürlich verneinte sie, wie auch der Mann, beide lachten (etwas gezwungen - oder war das Einbildung?), es sei alles ein Missverständnis.
Ich machte mein Angebot nochmal. Sie lehnten nochmal ab. Dann ging ich. Zitternd vor Wut. Auf die Frau.
Auf die Frau? Mir wurde klar, dass ich das nicht gemacht hatte, um einem prügelnden Ehemann die Stirn zu bieten. (Wäre er wirklich gewalttätig geworden, hätte ich ihm nicht viel entgegenzusetzen gehabt, schon gar nicht mit Kind auf dem Arm...) Sondern, um eine in welcher Form auch immer unterdrückte Frau in eine möglichst peinliche Situation zu bringen. Denn das, so weiß ich aus eigener Erfahrung, erhöht den Leidensdruck um ein Vielfaches mehr als ein paar Schläge. Die man schon irgendwie aushält. Aber dass Leute bemerken, dass man selbst so blöd ist, sich das antun zu lassen...
Ich hoffe, es hat ihr irgendwas gebracht.
Und ich hoffe, dass ich irgendwann aufhören kann, dem Opfer - mir - die Schuld zu geben. Empathie mit dem Täter halte ich bei jedem Verbrechen grundsätzlich für etwas Gutes. Solange sie nicht dazu führt, dass das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt wird.
Dazu gibt es hier ein sehr gutes Video, das erklärt, warum wir Opfer alle so blöd sind. Nehmt euch die Zeit und schaut es an, damit ihr mich wieder respektieren könnt. ;)
Was wenn der Typ gewalttätig würde?
Dieser Gedanke legte einen Schalter in meinem Kopf um.
Ich stieg vom Fahrrad, nahm Matilda auf den Arm und ging zurück.
Das Paar, denn so wirkten sie, stand bei einem Auto. Der Mann gestikulierte, die Frau solle einsteigen. Nicht besonders heftig, es gab keine lauten Worte. Nur diese resignierte Körperhaltung der Frau, die hochgezogenen Schultern, der eingezogene Kopf ... und die Tatsache, dass sie offenbar in ihr Taschentuch weinte.
Hatte ich den Schalter in meinem Kopf erwähnt? Der stand jetzt auf Alarmstufe rot.
Ich ging zu den beiden und sprach die Frau an. So ruhig es mir eben möglich war, denn ganz ehrlich, um so viel Mut aufzubringen, war eine gehörige Portion Wut im Bauch nötig. Trotzdem blieb ich einigermaßen zivilisiert.
Ich fragte sie, ob alles in Ordnung sei und bot ihr an, dass sie, statt ins Auto zu steigen, mit mir kommen könnte.
Natürlich verneinte sie, wie auch der Mann, beide lachten (etwas gezwungen - oder war das Einbildung?), es sei alles ein Missverständnis.
Ich machte mein Angebot nochmal. Sie lehnten nochmal ab. Dann ging ich. Zitternd vor Wut. Auf die Frau.
Auf die Frau? Mir wurde klar, dass ich das nicht gemacht hatte, um einem prügelnden Ehemann die Stirn zu bieten. (Wäre er wirklich gewalttätig geworden, hätte ich ihm nicht viel entgegenzusetzen gehabt, schon gar nicht mit Kind auf dem Arm...) Sondern, um eine in welcher Form auch immer unterdrückte Frau in eine möglichst peinliche Situation zu bringen. Denn das, so weiß ich aus eigener Erfahrung, erhöht den Leidensdruck um ein Vielfaches mehr als ein paar Schläge. Die man schon irgendwie aushält. Aber dass Leute bemerken, dass man selbst so blöd ist, sich das antun zu lassen...
Ich hoffe, es hat ihr irgendwas gebracht.
Und ich hoffe, dass ich irgendwann aufhören kann, dem Opfer - mir - die Schuld zu geben. Empathie mit dem Täter halte ich bei jedem Verbrechen grundsätzlich für etwas Gutes. Solange sie nicht dazu führt, dass das Täter-Opfer-Verhältnis umgekehrt wird.
Dazu gibt es hier ein sehr gutes Video, das erklärt, warum wir Opfer alle so blöd sind. Nehmt euch die Zeit und schaut es an, damit ihr mich wieder respektieren könnt. ;)
11 Juli 2013
Meeting minutes. Or rather hours.
So, heute gab's das erste große Business-Meeting in meinem (nicht mehr ganz so) neuen Job. Das erste Mal hochoffiziell mit Kollegen und Konkurrenz zusammen neue potenzielle Partner getroffen.
Habe auf understatement gesetzt und bin in Arbeitskleidung hingegangen. Dafür durften die anderen unsere gesamte Produktionsstätte in Augenschein nehmen. Naja, oberflächlich zumindest, aber ich glaube, das hat einen positiven Eindruck hinterlassen, zumal andere Konkurrenten sich da bedeckter hielten.
Ich war überrascht von der Fülle und Komplexität der Informationen, mit denen wir gefüttert wurden, aber immerhin war das ganze sehr gut aufbereitet. Leider war die Chefin der Gruppe, mit der wir wohl in Zukunft zusammenarbeiten werden, zwar ein alter Hase, aber keine besonders gute Präsentatorin.
Habe die Zeit, in der sie die zuvor ausgeteilte (*kopfschüttel*) Infomappe vorgelesen hat, genutzt, um die Konkurrenz abzuchecken. Insgesamt weniger als erwartet, und nur wenige wirkten richtig auf Zack. Könnte aber sein, dass sich einige bewusst zurückgehalten haben. Bei der allgemeinen Vorstellungsrunde blieb leider nur wenig Zeit und Möglichkeit zu punkten. Dafür habe ich dann die Fragerunde am Schluss genutzt, um subtil ein bisschen added value anzubieten, was von allen Partnern sehr positiv aufgenommen wurde. Und natürlich bin ich nicht, wie die anderen (Anfänger!) sofort nach Ende des Meetings gegangen, sondern habe noch etwas networking betrieben, bin betont bescheiden auf Details meines Produkts eingegangen, und habe nochmal auf die bereits langjährig bestehende, erfolgreiche Partnerschaft mit unserer Schwester-, äh, Brudergesellschaft hingewiesen. Ein paar Pluspunkte habe ich mir fürs nächste Meeting aufgehoben, wo die eigentliche Produktpräsentation stattfindet, damit ich für alle Fälle noch ein paar Asse im Ärmel habe.
Insgesamt gut gelaufen - ich glaube, das mit der Partnerschaft wird was.
Ja, ok. Es war nur ein Infoabend beim Kindergarten. Aber manchmal fühl ich mich einfach geistig unterfordert.
Genau wie früher in 'echten' business meetings...
Habe auf understatement gesetzt und bin in Arbeitskleidung hingegangen. Dafür durften die anderen unsere gesamte Produktionsstätte in Augenschein nehmen. Naja, oberflächlich zumindest, aber ich glaube, das hat einen positiven Eindruck hinterlassen, zumal andere Konkurrenten sich da bedeckter hielten.
Ich war überrascht von der Fülle und Komplexität der Informationen, mit denen wir gefüttert wurden, aber immerhin war das ganze sehr gut aufbereitet. Leider war die Chefin der Gruppe, mit der wir wohl in Zukunft zusammenarbeiten werden, zwar ein alter Hase, aber keine besonders gute Präsentatorin.
Habe die Zeit, in der sie die zuvor ausgeteilte (*kopfschüttel*) Infomappe vorgelesen hat, genutzt, um die Konkurrenz abzuchecken. Insgesamt weniger als erwartet, und nur wenige wirkten richtig auf Zack. Könnte aber sein, dass sich einige bewusst zurückgehalten haben. Bei der allgemeinen Vorstellungsrunde blieb leider nur wenig Zeit und Möglichkeit zu punkten. Dafür habe ich dann die Fragerunde am Schluss genutzt, um subtil ein bisschen added value anzubieten, was von allen Partnern sehr positiv aufgenommen wurde. Und natürlich bin ich nicht, wie die anderen (Anfänger!) sofort nach Ende des Meetings gegangen, sondern habe noch etwas networking betrieben, bin betont bescheiden auf Details meines Produkts eingegangen, und habe nochmal auf die bereits langjährig bestehende, erfolgreiche Partnerschaft mit unserer Schwester-, äh, Brudergesellschaft hingewiesen. Ein paar Pluspunkte habe ich mir fürs nächste Meeting aufgehoben, wo die eigentliche Produktpräsentation stattfindet, damit ich für alle Fälle noch ein paar Asse im Ärmel habe.
Insgesamt gut gelaufen - ich glaube, das mit der Partnerschaft wird was.
Ja, ok. Es war nur ein Infoabend beim Kindergarten. Aber manchmal fühl ich mich einfach geistig unterfordert.
Genau wie früher in 'echten' business meetings...
27 Juni 2013
Glaubenskrise
Liebe Retortia, Göttin der Schlagfertigkeit. Wie konntest du mich nur so hängen lassen?
Gerade, als ich begann, zu glauben, wir zwei könnten doch noch irgendwann eine funktionierende Anhänger-höheres-Wesen-Beziehung entwickeln?
Denn neulich warst du wirklich mal zur rechten Zeit am rechten Ort bei mir. Neulich, als meine Nachbarin (knapp 70 und Ex-Biolehrerin am Gymnasium!) sich zu der Aussage verstieg, sie sei gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle, weil "kleine Kinder ja alles nachmachen, was die Eltern so tun".
Da standest du neben mir und hast blitzschnell geflüstert: 'Lass dich gar nicht erst auf technische Diskussionen ein. Keine Statistik jetzt, keine Verhaltensbiologie oder -psychologie. Komm einfach zum Punkt.' Und gabst mir die Worte ein: "Na und? Dann werden sie halt schwul. Ist doch nicht schlimm."
Ich war bereit, an dich und deinen Beistand zu glauben.
Aber wo warst du, als ich dich vor einigen Tagen wirklich gebraucht hätte? Als dieser Depp auf dem Spielplatz meinte, mein kleines, noch keine zwei Jahre altes Mädchen in die Schranken dieser so störrisch sexistisch bleibenden Welt verweisen zu müssen.
Du hast bestimmt von Ferne beobachtet, wie ich mit Matilda auf den großen Traktor zuging, auf dem bereits zwei kleine Jungs saßen. Der Vater stand dahinter. Auf dem Traktor war genug Platz, also fragte ich Matilda, ob sie auch rauf will. Woraufhin dieser Idiot doch tatsächlich meinte: "Ach, das ist doch nichts für Mädchen."
Immerhin schaffte ich, ganz ohne Deine Hilfe, ein "Was soll den dieser Schwachsinn?", während ich meine Tochter auf den Traktor hob. Und ja, ich verspüre eine gewisse Befriedigung, dass in diesem Moment offenbar ein niederer Dämon des zusammenhanglosen Unsinns Besitz von ihm ergriff und du es wenigstens nicht verhindert hast, denn er sagte, etwas schuldbewusst: "Ich kenn nur Bauer sucht Frau, nicht Bäuerin sucht Mann."
Ok, das braucht man eigentlich nicht weiter kommentieren. Wer nichts anderes kennt, ist arm genug dran. Aber ich tendiere zu der Vermutung, 'Ich lasse diese Aussage jetzt einfach so für sich stehen' für Fans derartiger Sendungen etwas zu subtil gewesen wäre.
Wo warst du also? Und viel schlimmer, warum kommst du jetzt, Tage später, mit der richtigen Erwiderung - "Na, bei dem Vater werden Ihre Söhne diese Sendung auch bitter nötig haben, wenn sie mal eine Frau finden wollen." - zu mir?
Das lässt nur zwei Rückschlüsse zu:
1. Es gibt dich gar nicht und ich kehre zu meinem gewohnten Zustand als fröhlich-atheistischer Agnostiker zurück. Und versuche ganz alleine, schlagfertig zu sein, wann immer es geht.
2. Es gibt dich, aber du ist gar nicht die Göttin der Schlagfertigkeit, sondern Malevolentia, die Göttin der Schadenfreude. Und hast grade immensen Spaß, weil ich auch noch alle an meinem Moment scheinbarer Gottverlassenheit teilhaben lasse. Dann schlage ich dir einen Deal vor: Du kommst in Zukunft einfach mit Deiner Schwester Retortia zusammen, und ihr erfreut euch einfach am Elend desjenigen, den ich dank eurer gesammelten Unterstützung zur Schnecke mache.
Ich verspreche auch, dass es nur die trifft, die's verdient haben. Nur für den Fall, dass Iustitia hier auch mitliest...
Gerade, als ich begann, zu glauben, wir zwei könnten doch noch irgendwann eine funktionierende Anhänger-höheres-Wesen-Beziehung entwickeln?
Denn neulich warst du wirklich mal zur rechten Zeit am rechten Ort bei mir. Neulich, als meine Nachbarin (knapp 70 und Ex-Biolehrerin am Gymnasium!) sich zu der Aussage verstieg, sie sei gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle, weil "kleine Kinder ja alles nachmachen, was die Eltern so tun".
Da standest du neben mir und hast blitzschnell geflüstert: 'Lass dich gar nicht erst auf technische Diskussionen ein. Keine Statistik jetzt, keine Verhaltensbiologie oder -psychologie. Komm einfach zum Punkt.' Und gabst mir die Worte ein: "Na und? Dann werden sie halt schwul. Ist doch nicht schlimm."
Ich war bereit, an dich und deinen Beistand zu glauben.
Aber wo warst du, als ich dich vor einigen Tagen wirklich gebraucht hätte? Als dieser Depp auf dem Spielplatz meinte, mein kleines, noch keine zwei Jahre altes Mädchen in die Schranken dieser so störrisch sexistisch bleibenden Welt verweisen zu müssen.
Du hast bestimmt von Ferne beobachtet, wie ich mit Matilda auf den großen Traktor zuging, auf dem bereits zwei kleine Jungs saßen. Der Vater stand dahinter. Auf dem Traktor war genug Platz, also fragte ich Matilda, ob sie auch rauf will. Woraufhin dieser Idiot doch tatsächlich meinte: "Ach, das ist doch nichts für Mädchen."
Immerhin schaffte ich, ganz ohne Deine Hilfe, ein "Was soll den dieser Schwachsinn?", während ich meine Tochter auf den Traktor hob. Und ja, ich verspüre eine gewisse Befriedigung, dass in diesem Moment offenbar ein niederer Dämon des zusammenhanglosen Unsinns Besitz von ihm ergriff und du es wenigstens nicht verhindert hast, denn er sagte, etwas schuldbewusst: "Ich kenn nur Bauer sucht Frau, nicht Bäuerin sucht Mann."
Ok, das braucht man eigentlich nicht weiter kommentieren. Wer nichts anderes kennt, ist arm genug dran. Aber ich tendiere zu der Vermutung, 'Ich lasse diese Aussage jetzt einfach so für sich stehen' für Fans derartiger Sendungen etwas zu subtil gewesen wäre.
Wo warst du also? Und viel schlimmer, warum kommst du jetzt, Tage später, mit der richtigen Erwiderung - "Na, bei dem Vater werden Ihre Söhne diese Sendung auch bitter nötig haben, wenn sie mal eine Frau finden wollen." - zu mir?
Das lässt nur zwei Rückschlüsse zu:
1. Es gibt dich gar nicht und ich kehre zu meinem gewohnten Zustand als fröhlich-atheistischer Agnostiker zurück. Und versuche ganz alleine, schlagfertig zu sein, wann immer es geht.
2. Es gibt dich, aber du ist gar nicht die Göttin der Schlagfertigkeit, sondern Malevolentia, die Göttin der Schadenfreude. Und hast grade immensen Spaß, weil ich auch noch alle an meinem Moment scheinbarer Gottverlassenheit teilhaben lasse. Dann schlage ich dir einen Deal vor: Du kommst in Zukunft einfach mit Deiner Schwester Retortia zusammen, und ihr erfreut euch einfach am Elend desjenigen, den ich dank eurer gesammelten Unterstützung zur Schnecke mache.
Ich verspreche auch, dass es nur die trifft, die's verdient haben. Nur für den Fall, dass Iustitia hier auch mitliest...
24 Juni 2013
Rätsel des Alltags
Sicher kennt ihr alle das Rätsel mit dem Mann, der einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf mit einem Boot über den Fluss bringen will. (Falls nicht, hier klicken.) Solltet ihr dieses Szenario für etwas zu weit hergeholt halten (ist es tatsächlich so schwierig, den Kohlkopf unter den Arm zu klemmen...?), kann ich euch versichern, dass derartige Situationen im wirklichen Leben ständig vorkommen. Wenn ihr also für ein Rollenspiel, den Roman, den ihr grade schreibt oder zur Unterhaltung eurer Mitfahrer auf einer langen Autofahrt ein realistisches Rätsel brauchen, nehmt doch einfach folgendes:
Eine Mutter ist mit ihrem Kleinkind einkaufen. Sie muss neben dem Kind auch eine Einkaufstüte sowie zwei Tüten Katzenstreu über den Parkplatz zum Auto transportieren. Auf halbem Weg rutscht ihr der Eierkarton aus der Tüte, ein Ei zerbricht und läuft aus. Die Mutter hat jetzt folgende Optionen:
1. Kind und Tüten zum Auto bringen, die Eier mitten auf dem Parkplatz stehen lassen und riskieren, dass ein Auto drüberfährt.
2. Eier und Kind zum Auto bringen, Tüten stehenlassen, selbes Risiko für die Tüten.
3. Eierkarton erstmal provisorisch saubermachen und wieder in die Tüte stecken, dabei riskieren, dass das nicht festgehaltene Kind über den Parkplatz wuselt und ein Auto drüberfährt.
4. Eier und Tüten zuerst zum Auto bringen, Kind stehenlassen, selbes Risiko.
5. Hemmungslos und kinderuntauglich fluchen, die Eier per Weitwurf zum Auto befördern, Rest dorthin tragen und mies gelaunt nach Hause fahren.
Wer a) errät, was ich gemacht habe, b) schöne kindertaugliche hemmungslose Flüche weiß und c) eine sinnvolle Lösung für das Rätsel findet, bekommt von mir eine Portion Rührei.
Eine Mutter ist mit ihrem Kleinkind einkaufen. Sie muss neben dem Kind auch eine Einkaufstüte sowie zwei Tüten Katzenstreu über den Parkplatz zum Auto transportieren. Auf halbem Weg rutscht ihr der Eierkarton aus der Tüte, ein Ei zerbricht und läuft aus. Die Mutter hat jetzt folgende Optionen:
1. Kind und Tüten zum Auto bringen, die Eier mitten auf dem Parkplatz stehen lassen und riskieren, dass ein Auto drüberfährt.
2. Eier und Kind zum Auto bringen, Tüten stehenlassen, selbes Risiko für die Tüten.
3. Eierkarton erstmal provisorisch saubermachen und wieder in die Tüte stecken, dabei riskieren, dass das nicht festgehaltene Kind über den Parkplatz wuselt und ein Auto drüberfährt.
4. Eier und Tüten zuerst zum Auto bringen, Kind stehenlassen, selbes Risiko.
5. Hemmungslos und kinderuntauglich fluchen, die Eier per Weitwurf zum Auto befördern, Rest dorthin tragen und mies gelaunt nach Hause fahren.
Wer a) errät, was ich gemacht habe, b) schöne kindertaugliche hemmungslose Flüche weiß und c) eine sinnvolle Lösung für das Rätsel findet, bekommt von mir eine Portion Rührei.
26 September 2012
Autorität und Macht und deren -losigkeit
Das ist wiedermal so ein Post, bei dem ich nicht weiß, was ich denke, bis ich lese, was ich geschrieben habe.
Seit meine Kinder alt genug sind, um mehr zu wollen, als Essen, Schlafen und frische Windeln - also auch mitunter Dinge, die ich ihnen verweigern muss oder will - stehe ich oft vor der Frage: Autorität, was ist das eigentlich?
Manchmal reicht ein einfaches (oder vier-, fünf- oder sechsfaches) Nein, um unerwünschtes Verhalten zu beenden. Oft sogar mit einem Augenzwinkern, Lächeln oder, im Fall von sich auf den Tisch verirrenden Füßen, etwas Kitzeln. Das ist der Idealzustand, den ich mir wünsche. Mein Kind versteht, was ich will, und tut das, weil es mich respektiert, weil ich es darum bitte, und weil es weiß, dass ich in der Regel nichts Unerfüllbares, Unvernünftiges oder Unerträgliches von ihm verlange. Und mit etwas gut zureden funktioniert sogar scheinber Unerträgliches häufig.
Manchmal müssen auch Grenzen ausgetestet werden. Das gehört zum Leben Lernen dazu, und ich kann meistens ganz gut damit umgehen. Bei Schimpfwörtern zum Beispiel "empöre" ich mich schon bei solchen, die ich eigentlich weniger schlimm finde. So kann Lenny grinsend seine Zehen über eine Grenzlinie strecken, die eigentlich gar keine ist, und wir haben beide unsere Spaß dabei.
Aber gelegentlich hüpfen meine Kinder auch mit beiden Beinen weit über die rote Linie hinweg. Vorzugsweise, wenn sowieso alles stressig ist und ich rein Eltern-Multitasking-Jonglier-Alltags-technisch überfordert bin. Wenn dann noch Matilda zum hundertsten Mal die Finger in die Steckdose steckt, während Lenny beschließt, dass es lustig ist, Mama auf dem Wickeltisch liegend in den Bauch zu treten und dabei den Inhalt der Windel in maximalem Radius überall zu verteilen, dann fehlt sie mir, die Souveränität, die man wohl haben sollte, um Autorität auszustrahlen.
Meistens fällt mir dann nichts besseres ein als schreien, und dann nochmal lauter schreien. Was selten wirkt. (Vor allem Matilda an der Steckdose ist nicht im mindesten beeindruckt.) Und bei mir nur das Gefühl von Hilflosigkeit hinterlässt.
Oder, wie es der Protagonist in einem Lehrerfilm, den ich neulich übersetzt habe, ausdrückte: Of course I send the kids to the headmaster for caning, but never without a sense of defeat.
Soll das so sein? Sind Kinder dazu da, dass man sich hilflos fühlt? Woher nimmt man Autorität, und wie drückt man sie angemessen aus? Auch im Umgang mit Erwachsenen. Wo ich ja in letzter Zeit gefühlt immense Fortschritte gemacht habe. Aber auch, wenn ich mich bei (scheinbaren oder tatsächlichen) Angriffen mittlerweile tapfer zur Wehr setze, bleibt immer dieses Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit.
Vielleicht ziehe ich aus der Tatsache, dass ich überhaupt "angegriffen" werde, immer noch den Schluss, dass auf meiner Stirn in großen Lettern "Opfer" steht. Wobei es in einer auf engem Raum zusammenlebenden Gemeinschaft kaum vermeidbar ist, dass man das ein oder andere Mal dumm angeredet wird, und das wahrscheinlich jedem passiert. Oder gibt es tatsächlich Leute, die - jenseits von körperlichen Merkmalen - genug Autorität, Macht, Unangreifbarkeit ausstrahlen, dass sich keiner traut?
Wenn ja - wie machen die das? Was ist das Geheimnis? Unendliches Selbstbewusstsein hilft sicher. Die Überzeugung, dass einem so etwas nicht passiert? Woher nimmt man die, wenn es schon passiert ist? Neulich habe ich gelesen, dass, wer schon einmal von einem Hund gebissen wurde, sehr wahrscheinlich wieder gebissen wird. Weil er die entsprechenden Signale ausstrahlt.
Das Schlimme ist, nicht nur beim Hund drücken diese Signale die evolutionären Beißknöpfe.
Auch beim Menschen löst die Opferroutine automatische Verhaltensweisen aus. Je hilfloser man sich fühlt, desto lauter schreit man, desto wilder schlägt man um sich. Und desto hilfloser wirkt man.
Teufelskreis? Oder einfach nur eine Tatsache des Lebens, die es zu akzeptieren gilt, mit oder ohne sense of defeat?
Vielleicht finde ich ja irgendwann mal ein gutes Buch zum Thema...
Seit meine Kinder alt genug sind, um mehr zu wollen, als Essen, Schlafen und frische Windeln - also auch mitunter Dinge, die ich ihnen verweigern muss oder will - stehe ich oft vor der Frage: Autorität, was ist das eigentlich?
Manchmal reicht ein einfaches (oder vier-, fünf- oder sechsfaches) Nein, um unerwünschtes Verhalten zu beenden. Oft sogar mit einem Augenzwinkern, Lächeln oder, im Fall von sich auf den Tisch verirrenden Füßen, etwas Kitzeln. Das ist der Idealzustand, den ich mir wünsche. Mein Kind versteht, was ich will, und tut das, weil es mich respektiert, weil ich es darum bitte, und weil es weiß, dass ich in der Regel nichts Unerfüllbares, Unvernünftiges oder Unerträgliches von ihm verlange. Und mit etwas gut zureden funktioniert sogar scheinber Unerträgliches häufig.
Manchmal müssen auch Grenzen ausgetestet werden. Das gehört zum Leben Lernen dazu, und ich kann meistens ganz gut damit umgehen. Bei Schimpfwörtern zum Beispiel "empöre" ich mich schon bei solchen, die ich eigentlich weniger schlimm finde. So kann Lenny grinsend seine Zehen über eine Grenzlinie strecken, die eigentlich gar keine ist, und wir haben beide unsere Spaß dabei.
Aber gelegentlich hüpfen meine Kinder auch mit beiden Beinen weit über die rote Linie hinweg. Vorzugsweise, wenn sowieso alles stressig ist und ich rein Eltern-Multitasking-Jonglier-Alltags-technisch überfordert bin. Wenn dann noch Matilda zum hundertsten Mal die Finger in die Steckdose steckt, während Lenny beschließt, dass es lustig ist, Mama auf dem Wickeltisch liegend in den Bauch zu treten und dabei den Inhalt der Windel in maximalem Radius überall zu verteilen, dann fehlt sie mir, die Souveränität, die man wohl haben sollte, um Autorität auszustrahlen.
Meistens fällt mir dann nichts besseres ein als schreien, und dann nochmal lauter schreien. Was selten wirkt. (Vor allem Matilda an der Steckdose ist nicht im mindesten beeindruckt.) Und bei mir nur das Gefühl von Hilflosigkeit hinterlässt.
Oder, wie es der Protagonist in einem Lehrerfilm, den ich neulich übersetzt habe, ausdrückte: Of course I send the kids to the headmaster for caning, but never without a sense of defeat.
Soll das so sein? Sind Kinder dazu da, dass man sich hilflos fühlt? Woher nimmt man Autorität, und wie drückt man sie angemessen aus? Auch im Umgang mit Erwachsenen. Wo ich ja in letzter Zeit gefühlt immense Fortschritte gemacht habe. Aber auch, wenn ich mich bei (scheinbaren oder tatsächlichen) Angriffen mittlerweile tapfer zur Wehr setze, bleibt immer dieses Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit.
Vielleicht ziehe ich aus der Tatsache, dass ich überhaupt "angegriffen" werde, immer noch den Schluss, dass auf meiner Stirn in großen Lettern "Opfer" steht. Wobei es in einer auf engem Raum zusammenlebenden Gemeinschaft kaum vermeidbar ist, dass man das ein oder andere Mal dumm angeredet wird, und das wahrscheinlich jedem passiert. Oder gibt es tatsächlich Leute, die - jenseits von körperlichen Merkmalen - genug Autorität, Macht, Unangreifbarkeit ausstrahlen, dass sich keiner traut?
Wenn ja - wie machen die das? Was ist das Geheimnis? Unendliches Selbstbewusstsein hilft sicher. Die Überzeugung, dass einem so etwas nicht passiert? Woher nimmt man die, wenn es schon passiert ist? Neulich habe ich gelesen, dass, wer schon einmal von einem Hund gebissen wurde, sehr wahrscheinlich wieder gebissen wird. Weil er die entsprechenden Signale ausstrahlt.
Das Schlimme ist, nicht nur beim Hund drücken diese Signale die evolutionären Beißknöpfe.
Auch beim Menschen löst die Opferroutine automatische Verhaltensweisen aus. Je hilfloser man sich fühlt, desto lauter schreit man, desto wilder schlägt man um sich. Und desto hilfloser wirkt man.
Teufelskreis? Oder einfach nur eine Tatsache des Lebens, die es zu akzeptieren gilt, mit oder ohne sense of defeat?
Vielleicht finde ich ja irgendwann mal ein gutes Buch zum Thema...
06 August 2012
10 Dinge...
Neulich bin ich auf eine dieser beliebten Internet-Listen gestoßen: 10 Dinge, von denen du nie gedacht hättest, dass du sie mal tun würdest, bevor du Kinder bekommen hast.
Darauf stehen so schöne Dinge wie "Jemandem mit der Hand die Nase putzen" (bereits mehrfach geschehen) oder "Etwas essen, worauf ein anderer schon ausführlich rumgekaut hat" (passiert mir fast täglich).
Bevor ich Kinder bekam, dachte ich, das Ekligste, was ich tun müsste, wäre Windeln wechseln. Man wird einfach nicht darauf vorbereitet, dass man nachts schlaftrunken und brillenlos blind ins Kinderzimmer stolpert und das weinende Kleine tröstend in den Arm nimmt, nur um dann festzustellen, dass kein Alptraum, sondern ein Noro-Virus der Anlass des Geschreis war, und man gerade das Abendessen von gestern umarmt.
Aber meine Kinder wären nicht meine Kinder, wenn sie die Messlatte nicht noch etwas höher legen würden.
Matilda ist im Gegensatz zu Lenny kein großer Esser, aber sie füttert gern Leute. Nicht nur mit Essen, auch mit Spielzeug. Wenn keins verfügbar ist, steckt sie einem einfach den eigenen Finger in den Mund.
Ich lutsche dann genüsslich darauf rum und tue so, als würde er furchtbar gut schmecken.
Heute Morgen schmeckte er aber irgendwie komisch.
Ich zog ihn aus dem Mund und schaute nach: Unter dem Fingernagel war ein kleiner schwarzer Rand.
Ich guckte, wo sie vorher gewesen sein könnte, und entdeckte auf dem Wohnzimmerboden eine Spur aus Katzenstreu, die von dem Punkt, wo ich sie aufgehoben hatte, direkt zum Katzenklo führte (dessen letzte Reinigung natürlich schon etwas zurücklag).
Seither versuche ich, die Erinnerung daran mit viel Mineralwasser zu ertränken und mir einzureden, dass es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen kann. Und zu vergessen, dass Leo seine Kinder irgendwann mit in die Arbeit nehmen wird...
Darauf stehen so schöne Dinge wie "Jemandem mit der Hand die Nase putzen" (bereits mehrfach geschehen) oder "Etwas essen, worauf ein anderer schon ausführlich rumgekaut hat" (passiert mir fast täglich).
Bevor ich Kinder bekam, dachte ich, das Ekligste, was ich tun müsste, wäre Windeln wechseln. Man wird einfach nicht darauf vorbereitet, dass man nachts schlaftrunken und brillenlos blind ins Kinderzimmer stolpert und das weinende Kleine tröstend in den Arm nimmt, nur um dann festzustellen, dass kein Alptraum, sondern ein Noro-Virus der Anlass des Geschreis war, und man gerade das Abendessen von gestern umarmt.
Aber meine Kinder wären nicht meine Kinder, wenn sie die Messlatte nicht noch etwas höher legen würden.
Matilda ist im Gegensatz zu Lenny kein großer Esser, aber sie füttert gern Leute. Nicht nur mit Essen, auch mit Spielzeug. Wenn keins verfügbar ist, steckt sie einem einfach den eigenen Finger in den Mund.
Ich lutsche dann genüsslich darauf rum und tue so, als würde er furchtbar gut schmecken.
Heute Morgen schmeckte er aber irgendwie komisch.
Ich zog ihn aus dem Mund und schaute nach: Unter dem Fingernagel war ein kleiner schwarzer Rand.
Ich guckte, wo sie vorher gewesen sein könnte, und entdeckte auf dem Wohnzimmerboden eine Spur aus Katzenstreu, die von dem Punkt, wo ich sie aufgehoben hatte, direkt zum Katzenklo führte (dessen letzte Reinigung natürlich schon etwas zurücklag).
Seither versuche ich, die Erinnerung daran mit viel Mineralwasser zu ertränken und mir einzureden, dass es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen kann. Und zu vergessen, dass Leo seine Kinder irgendwann mit in die Arbeit nehmen wird...
13 April 2012
Freitag der 13. Reloaded With A Vengeance
(Wer zum Lesen einen passenden Soundtrack hören will: Bitteschön.)
Mutter sitzt mit Baby am Frühstückstisch. Aus dem Wohnzimmer hört man die Stimme eines Kindes.
Lenny (klagend): Hab des ausgeschüttet.
Die Mutter nimmt ihr Baby hoch, steht auf und geht nachsehen.
Mutter: Was denn?
Lenny: Mit dem Kabel.
Die Mutter erreicht das Wohnzimmer. Zoom auf den Tisch, wo ein halbvolles Wasserglas steht, in dem ein Laptop-Stromkabel hängt. Kamerafahrt am Kabel entlang bis zur Steckdose - es ist eingesteckt!
Totale. Die Mutter legt das Baby auf dem Sofa ab, reisst das Kabel aus dem Glas und lässt es achtlos beiseite fallen, wendet sich ihrem Sohn zu und hält ihm eine lange, ausführliche Standpauke zum Thema "Kabel sind kein Spielzeug".
Zoom auf das betretene Gesicht des Sohnes, dann auf das besorgte der Mutter. Die Kamera zoomt aus. Stück für Stück wird im Hintergrund das auf dem Sofa liegende Baby sichtbar, das genussvoll an dem immer noch eingesteckten Kabel nuckelt.
Schnitt.
Zeit für die Badewanne. Geruchszoom auf Matilda: Die Windel ist voll. Geruchszoom auf Lenny. (Für das verbleibende Publikum, das offenbar seinen Geruchssinn verloren hat und darum nicht spontan geflüchtet ist: Die Windel ist voll.)
Aufnahme eines laufenden Wasserhahns, die Kamera fährt zurück: Eine Badewanne läuft ein, lustige Schaumblasen bilden sich. Eine Kinderhand, die sich nach dem Wasserhahn ausstreckt, kommt ins Bild.
Die Mutter betritt das Bad, sie hat das Baby auf dem Arm und ermahnt das größere Kind, "keinen Blödsinn zu machen", während sie das Baby wickelt. Die Mutter verlässt das Bad, die Kamera folgt ihr ins Kinderzimmer. Eine Weile erfolgt friedliches Babywickeln. Im Hintergrund hört man das Rauschen des Wasserhahns, der auf- und wieder zu- und wieder aufgedreht wird.
Dann ein Aufschrei.
Lenny: Nass!
Der Sohn kommt ins Kinderzimmer. Er hat den Zustand seiner Oberbekleidung akkurat beschrieben. Die Mutter wendet sich vom Baby ab, das die Gelegenheit nutzt, sämtliche auf dem Wickeltisch befindlichen Gegenstände nach und nach herunterzuwerfen.
Mit ein paar gepresst-verständnisvollen Worten zieht die Mutter dem Sohn das Oberteil aus, er läuft nur mit Hose und Windel bekleidet wieder los. Mit ein paar Handgriffen hat die Mutter das Baby ausgezogen, es ist bereit für die Badewanne. Der Sohn kommt wieder herein.
Lenny: Ich hab ein Kaka!
Mutter (im Umwenden): Ja, ich weiß, du... (hält entsetzt inne)
Nahaufnahme auf den nackten Sohn, der seine volle Windel vor sich herträgt.
Mutter (gezwungen positiv): Du hast ja deine Hose ausgezogen. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst. Und die Windel auch!
Sie schnappt sich die Windel. Der Rest der Szene spielt sich im Zeitraffer ab.
Mutter angelt mit freier Hand nach einer Unterlage, auf der sie Baby - ohne Windel - ablegen kann, um zu verhindern, dass es den Teppich vollpieselt. Baby wird abgelegt, Sohn hochgehoben, wieder abgestellt, Mutter rennt in die Küche, ruft ihrem Sohn über die Schulter zu: Rühr dich nicht vom Fleck!, was dieser selbstverständlich nicht verfolgt, sie holt Küchenpapier, mit dem sie den Wickeltisch bedeckt, bevor sie ihren verschmierten Sohn darauf ablegt, beginnt, ihn abzuputzen, streckt die Hand aus, um das erste schmutzige Feuchttuch in den Müll zu werfen - Zwischenschnitt auf den Mülleimer, der auf dem Balkon steht (Achtung: hier auf keinen Fall Geruchszoom einsetzen!). Mutter rennt wieder in die Küche, holt eine neue Mülltüte. Zurück am Wickeltisch greift sie nach einem frischen Feuchttuch, doch die Packung ist leer. Das immer noch verschmierte Kind mit einer Hand festhaltend schafft es die Mutter nach mehrmaligen Versuchen, die neue Packung Tücher zu öffnen, während das Baby zu schreien beginnt.
Zu den beruhigenden Klängen eines Kinderlieds, das die Mutter nur ein ganz kleines bisschen zu schnell zu singen beginnt, fährt die Kamera langsam vom Kinderzimmer zurück ins Bad, wo die Wanne gerade anfängt, überzulaufen...
Langsame Abblende.
Mutter sitzt mit Baby am Frühstückstisch. Aus dem Wohnzimmer hört man die Stimme eines Kindes.
Lenny (klagend): Hab des ausgeschüttet.
Die Mutter nimmt ihr Baby hoch, steht auf und geht nachsehen.
Mutter: Was denn?
Lenny: Mit dem Kabel.
Die Mutter erreicht das Wohnzimmer. Zoom auf den Tisch, wo ein halbvolles Wasserglas steht, in dem ein Laptop-Stromkabel hängt. Kamerafahrt am Kabel entlang bis zur Steckdose - es ist eingesteckt!
Totale. Die Mutter legt das Baby auf dem Sofa ab, reisst das Kabel aus dem Glas und lässt es achtlos beiseite fallen, wendet sich ihrem Sohn zu und hält ihm eine lange, ausführliche Standpauke zum Thema "Kabel sind kein Spielzeug".
Zoom auf das betretene Gesicht des Sohnes, dann auf das besorgte der Mutter. Die Kamera zoomt aus. Stück für Stück wird im Hintergrund das auf dem Sofa liegende Baby sichtbar, das genussvoll an dem immer noch eingesteckten Kabel nuckelt.
Schnitt.
Zeit für die Badewanne. Geruchszoom auf Matilda: Die Windel ist voll. Geruchszoom auf Lenny. (Für das verbleibende Publikum, das offenbar seinen Geruchssinn verloren hat und darum nicht spontan geflüchtet ist: Die Windel ist voll.)
Aufnahme eines laufenden Wasserhahns, die Kamera fährt zurück: Eine Badewanne läuft ein, lustige Schaumblasen bilden sich. Eine Kinderhand, die sich nach dem Wasserhahn ausstreckt, kommt ins Bild.
Die Mutter betritt das Bad, sie hat das Baby auf dem Arm und ermahnt das größere Kind, "keinen Blödsinn zu machen", während sie das Baby wickelt. Die Mutter verlässt das Bad, die Kamera folgt ihr ins Kinderzimmer. Eine Weile erfolgt friedliches Babywickeln. Im Hintergrund hört man das Rauschen des Wasserhahns, der auf- und wieder zu- und wieder aufgedreht wird.
Dann ein Aufschrei.
Lenny: Nass!
Der Sohn kommt ins Kinderzimmer. Er hat den Zustand seiner Oberbekleidung akkurat beschrieben. Die Mutter wendet sich vom Baby ab, das die Gelegenheit nutzt, sämtliche auf dem Wickeltisch befindlichen Gegenstände nach und nach herunterzuwerfen.
Mit ein paar gepresst-verständnisvollen Worten zieht die Mutter dem Sohn das Oberteil aus, er läuft nur mit Hose und Windel bekleidet wieder los. Mit ein paar Handgriffen hat die Mutter das Baby ausgezogen, es ist bereit für die Badewanne. Der Sohn kommt wieder herein.
Lenny: Ich hab ein Kaka!
Mutter (im Umwenden): Ja, ich weiß, du... (hält entsetzt inne)
Nahaufnahme auf den nackten Sohn, der seine volle Windel vor sich herträgt.
Mutter (gezwungen positiv): Du hast ja deine Hose ausgezogen. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst. Und die Windel auch!
Sie schnappt sich die Windel. Der Rest der Szene spielt sich im Zeitraffer ab.
Mutter angelt mit freier Hand nach einer Unterlage, auf der sie Baby - ohne Windel - ablegen kann, um zu verhindern, dass es den Teppich vollpieselt. Baby wird abgelegt, Sohn hochgehoben, wieder abgestellt, Mutter rennt in die Küche, ruft ihrem Sohn über die Schulter zu: Rühr dich nicht vom Fleck!, was dieser selbstverständlich nicht verfolgt, sie holt Küchenpapier, mit dem sie den Wickeltisch bedeckt, bevor sie ihren verschmierten Sohn darauf ablegt, beginnt, ihn abzuputzen, streckt die Hand aus, um das erste schmutzige Feuchttuch in den Müll zu werfen - Zwischenschnitt auf den Mülleimer, der auf dem Balkon steht (Achtung: hier auf keinen Fall Geruchszoom einsetzen!). Mutter rennt wieder in die Küche, holt eine neue Mülltüte. Zurück am Wickeltisch greift sie nach einem frischen Feuchttuch, doch die Packung ist leer. Das immer noch verschmierte Kind mit einer Hand festhaltend schafft es die Mutter nach mehrmaligen Versuchen, die neue Packung Tücher zu öffnen, während das Baby zu schreien beginnt.
Zu den beruhigenden Klängen eines Kinderlieds, das die Mutter nur ein ganz kleines bisschen zu schnell zu singen beginnt, fährt die Kamera langsam vom Kinderzimmer zurück ins Bad, wo die Wanne gerade anfängt, überzulaufen...
Langsame Abblende.
14 März 2012
Kernschmelze im Schwimmbad
Statistisch gesehen begehen Frauen angeblich am häufigsten Morde, wenn sie ihre Tage haben. Diese kleine Tatsache nur am Rande, damit ihr wisst, in welcher Grundstimmung ich meinen Tag heute begonnen habe.
Trotzdem stimmte ich dem Vorschlag, meine Neffen zusammen mit meinen beiden Kleinen ins Schwimmbad zu begleiten, relativ begeistert zu - endlich mal wieder Abwechslung von den eigenen vier Wänden bzw. dem Spielplatz vor der Haustür.
Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Wenn Lenny plötzlich beschließt, ins tiefe Becken zu hüpfen, muss ich Matilda erstmal vorsichtig irgendwo sicher ablegen, bevor ich ihn retten kann. Aber ich stellte mich geistig darauf ein, mich in der Luft zu zerreissen, das würde schon gehen.
Gute Lust, irgendwas zu zerreissen, hatte ich ohnehin. Matilda zahnt, d.h. die Nacht war anstrengend, und auch tagsüber ist sie recht quengelig. Lenny dagegen beschränkte sich darauf, zu jeder passenden Gelegenheit loszuheulen: Beim Abholen von der Tagesmutter (weil wir erst nach Hause fuhren, um etwas zu essen, statt sofort ins Schwimmbad), beim Essen (weil es Schinkennudeln gab statt Nudeln mit Pesto), beim Aufbrechen (weil wir ins Schwimmbad fahren wollten, statt daheim zu bleiben).
Im Schwimmbad angekommen stellte ich fest, dass es für die ca. 12 gerade ankommenden Familien genau eine große Kabine gab. (Die war natürlich schon besetzt.) Der Rest war auf den sich allein umziehenden Erwachsenen ausgelegt. Sammelkabinen sind offenbar out. Also musste ich mich halt bei offener Tür umziehen, weil sich diese mit 2 Kindern, Sporttasche und Babyschale in der Kabine einfach nicht mehr schließen ließ.
Nachdem wir also mit Anreise und Umziehen ca. 1,5 Stunden verbracht hatten, folgte eine halbwegs harmonische halbe Stunde im Wasser. Lenny hatte großen Spaß, also ist unschwer zu erwarten, wie er auf meine Ankündigung reagierte, dass wir jetzt wieder gehen müssten. Aber das Wasser im Babybecken war um einiges kälter als das im großen Becken, und ich habe keine Lust, dass Matilda sich zu ihren Zähnen auch noch erkältet.
Ich versuchte also, die Kleine abzutrocknen, während ich mit halbem Auge den heulenden Großen überwachen musste, der sich standhaft weigerte, das tiefe Becken zu verlassen. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass jemand offenbar Wasser in meine (oben auf einer Bank weit weg von den Becken stehende) Babyschale geschüttet hatte. Während ich Lenny in seinen Bademantel (den er hasst, was er laut kundtat) steckte, fiel Matilda ein, dass Schwimmen hungrig macht, was sie ihrerseits auf babytypische Weise kommunizierte.
In der Kabine wurde wenigstens Lenny kurzzeitig ruhig, nachdem ich die beiden laut angeschrien hatte, dass sie die Klappe halten sollten. So schnell es ging, zog ich die beiden und mich selbst an, um Matilda draußen dann endlich stillen zu können. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das bei meinem Adrenalinlevel wirklich zu ihrer Beruhigung beigetragen hätte.
Als wir die Kabine verließen, streckte ein älterer Mann seinen Kopf aus seiner Kabine und wagte es zu sagen: "Sie gehen wohl zum Schreien ins Schwimmbad."
Ich sah ihn an, in der Annahme, mich verhört zu haben, doch sein Gesichtsausdruck bestätigte seine Worte.
Ich weiß nicht, was er in meinem Gesicht gesehen hat, aber es hat ihn wohl gerettet, denn er schaffte es, seine Tür zu schließen, bevor ich bei ihm war, und mit etwas Kraftaufwand gelang es ihm sogar, sie zuzuhalten, bis er sie versperren konnte. Andere Kabinentüren öffneten sich, um zu sehen, was es mit der schreienden Furie auf sich hatte, die da an die Tür hämmerte und brüllte: "Ich will, dass Sie sich sofort bei mir entschuldigen, Sie blödes Arschloch!"
Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er die Tür nicht zugemacht hätte. Vermutlich hätte ich ihn nicht tätlich angegriffen. Vielleicht hätte ich ihn beim Kragen gepackt, wenn er angezogen gewesen wäre. Vielleicht hätte ich ihm nur ins Gesicht gebrüllt. Fakt ist: Dieser leicht überzogene, aber durchaus berechtigte Wutausbruch war nicht ausschließlich meiner Überforderung und meiner Hormonlage geschuldet. Sondern auch einer inneren Stimme, die mir immer öfter sagt, ich soll mir nichts gefallen lassen. Und diese Stimme sorgt dafür, dass ich mich trotz Kontrollverlust, trotz der Peinlichkeit der Situation (ich glaube, ich habe ein paar von den verschreckt aus ihren Kabinen guckenden Unbeteiligten auch noch angeschnauzt), trotz des neuen (?) Schimpwortes, das meine Neffen jetzt gelernt haben und trotz der schmerzenden Hand kein bisschen schlecht bei der Sache fühle. Ganz im Gegenteil: So entspannt war ich schon lange nicht mehr.
Vielleicht wird ja doch nochmal ein Kämpfer aus mir. :)
Trotzdem stimmte ich dem Vorschlag, meine Neffen zusammen mit meinen beiden Kleinen ins Schwimmbad zu begleiten, relativ begeistert zu - endlich mal wieder Abwechslung von den eigenen vier Wänden bzw. dem Spielplatz vor der Haustür.
Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Wenn Lenny plötzlich beschließt, ins tiefe Becken zu hüpfen, muss ich Matilda erstmal vorsichtig irgendwo sicher ablegen, bevor ich ihn retten kann. Aber ich stellte mich geistig darauf ein, mich in der Luft zu zerreissen, das würde schon gehen.
Gute Lust, irgendwas zu zerreissen, hatte ich ohnehin. Matilda zahnt, d.h. die Nacht war anstrengend, und auch tagsüber ist sie recht quengelig. Lenny dagegen beschränkte sich darauf, zu jeder passenden Gelegenheit loszuheulen: Beim Abholen von der Tagesmutter (weil wir erst nach Hause fuhren, um etwas zu essen, statt sofort ins Schwimmbad), beim Essen (weil es Schinkennudeln gab statt Nudeln mit Pesto), beim Aufbrechen (weil wir ins Schwimmbad fahren wollten, statt daheim zu bleiben).
Im Schwimmbad angekommen stellte ich fest, dass es für die ca. 12 gerade ankommenden Familien genau eine große Kabine gab. (Die war natürlich schon besetzt.) Der Rest war auf den sich allein umziehenden Erwachsenen ausgelegt. Sammelkabinen sind offenbar out. Also musste ich mich halt bei offener Tür umziehen, weil sich diese mit 2 Kindern, Sporttasche und Babyschale in der Kabine einfach nicht mehr schließen ließ.
Nachdem wir also mit Anreise und Umziehen ca. 1,5 Stunden verbracht hatten, folgte eine halbwegs harmonische halbe Stunde im Wasser. Lenny hatte großen Spaß, also ist unschwer zu erwarten, wie er auf meine Ankündigung reagierte, dass wir jetzt wieder gehen müssten. Aber das Wasser im Babybecken war um einiges kälter als das im großen Becken, und ich habe keine Lust, dass Matilda sich zu ihren Zähnen auch noch erkältet.
Ich versuchte also, die Kleine abzutrocknen, während ich mit halbem Auge den heulenden Großen überwachen musste, der sich standhaft weigerte, das tiefe Becken zu verlassen. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass jemand offenbar Wasser in meine (oben auf einer Bank weit weg von den Becken stehende) Babyschale geschüttet hatte. Während ich Lenny in seinen Bademantel (den er hasst, was er laut kundtat) steckte, fiel Matilda ein, dass Schwimmen hungrig macht, was sie ihrerseits auf babytypische Weise kommunizierte.
In der Kabine wurde wenigstens Lenny kurzzeitig ruhig, nachdem ich die beiden laut angeschrien hatte, dass sie die Klappe halten sollten. So schnell es ging, zog ich die beiden und mich selbst an, um Matilda draußen dann endlich stillen zu können. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das bei meinem Adrenalinlevel wirklich zu ihrer Beruhigung beigetragen hätte.
Als wir die Kabine verließen, streckte ein älterer Mann seinen Kopf aus seiner Kabine und wagte es zu sagen: "Sie gehen wohl zum Schreien ins Schwimmbad."
Ich sah ihn an, in der Annahme, mich verhört zu haben, doch sein Gesichtsausdruck bestätigte seine Worte.
Ich weiß nicht, was er in meinem Gesicht gesehen hat, aber es hat ihn wohl gerettet, denn er schaffte es, seine Tür zu schließen, bevor ich bei ihm war, und mit etwas Kraftaufwand gelang es ihm sogar, sie zuzuhalten, bis er sie versperren konnte. Andere Kabinentüren öffneten sich, um zu sehen, was es mit der schreienden Furie auf sich hatte, die da an die Tür hämmerte und brüllte: "Ich will, dass Sie sich sofort bei mir entschuldigen, Sie blödes Arschloch!"
Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn er die Tür nicht zugemacht hätte. Vermutlich hätte ich ihn nicht tätlich angegriffen. Vielleicht hätte ich ihn beim Kragen gepackt, wenn er angezogen gewesen wäre. Vielleicht hätte ich ihm nur ins Gesicht gebrüllt. Fakt ist: Dieser leicht überzogene, aber durchaus berechtigte Wutausbruch war nicht ausschließlich meiner Überforderung und meiner Hormonlage geschuldet. Sondern auch einer inneren Stimme, die mir immer öfter sagt, ich soll mir nichts gefallen lassen. Und diese Stimme sorgt dafür, dass ich mich trotz Kontrollverlust, trotz der Peinlichkeit der Situation (ich glaube, ich habe ein paar von den verschreckt aus ihren Kabinen guckenden Unbeteiligten auch noch angeschnauzt), trotz des neuen (?) Schimpwortes, das meine Neffen jetzt gelernt haben und trotz der schmerzenden Hand kein bisschen schlecht bei der Sache fühle. Ganz im Gegenteil: So entspannt war ich schon lange nicht mehr.
Vielleicht wird ja doch nochmal ein Kämpfer aus mir. :)
29 Februar 2012
In Frieden fallen
(Gleich wird's ein bisschen kitschig, aber ich kann nichts dafür, mein Unterbewusstsein ist schuld.)
Träume vom Fallen sind für mich mit die allerschlimmsten, von der Sorte, wo man schweißgebadet aufwacht, oder schlimmer, kurz vor dem Fallen endlos am Abgrund balanciert und nicht aufwachen kann. Wenn es mir Träume vom Fallen schickt, will mein Unterbewusstsein mir wohl sehr eindrücklich etwas kommunizieren. (Dass es um mich fürchtet, weil ich irgendein zu großes Risiko eingehe? Dass ich verlassen werden könnte? Oder mich selbst im Stich lasse?)
Schon lange habe ich nicht mehr vom Fallen geträumt, aber neulich war es wieder soweit: Ich war mit Leo zusammen in einem sehr hohen Gebäude. Wir waren auf der Flucht, und wie in jedem schlechten Horrorfilm rannten wir nach oben. Auf dem Dach angekommen fanden wir einen Außenaufzug - einen baufälligen Käfig, der gerade außerhalb unserer Reichweite hing. Ich machte mich für einen Sprung über den Abgrund bereit, und das übliche Ich-werde-gleich-fallen-Ziehen im Bauch stellte sich ein. Aber was für eine Wahl hat man, wenn einen fiese Traum-Feinde verfolgen?
Da legte mir Leo den Arm um die Schulter, führte mich weg vom Aufzug an den Rand des Daches und sagte: "Wir kommen hier auch anders runter."
Er klang sehr entschlossen, so entschlossen, dass ich mir nicht sicher war, ob er einen Plan B hatte, oder ob er nur meinte, bevor die uns kriegen, springen wir lieber in den Tod.
Ich war erst skeptisch, dachte mir dann aber: Wenn es keinen Plan B gibt, sterbe ich eben in seinen Armen, und das ist ok.
Und wir sprangen, ohne Zögern und ohne jede Spur von Angst.
(Und ja, es gab einen Plan B, wir sind nicht gestorben, aber das war gar nicht mehr so wichtig.)
Ich könnte jetzt lange darüber spekulieren, was dieser Traum bedeutet, was mir mein Unterbewusstsein damit alles sagen will. Kontrolle abgeben, loslassen, Vertrauen und Vertrautheit, die Freiheit von Angst. Aber ich glaube, eigentlich will es mir nur eines mitteilen: Ich fühl mich gut.
Ungefähr so: Optimist
Träume vom Fallen sind für mich mit die allerschlimmsten, von der Sorte, wo man schweißgebadet aufwacht, oder schlimmer, kurz vor dem Fallen endlos am Abgrund balanciert und nicht aufwachen kann. Wenn es mir Träume vom Fallen schickt, will mein Unterbewusstsein mir wohl sehr eindrücklich etwas kommunizieren. (Dass es um mich fürchtet, weil ich irgendein zu großes Risiko eingehe? Dass ich verlassen werden könnte? Oder mich selbst im Stich lasse?)
Schon lange habe ich nicht mehr vom Fallen geträumt, aber neulich war es wieder soweit: Ich war mit Leo zusammen in einem sehr hohen Gebäude. Wir waren auf der Flucht, und wie in jedem schlechten Horrorfilm rannten wir nach oben. Auf dem Dach angekommen fanden wir einen Außenaufzug - einen baufälligen Käfig, der gerade außerhalb unserer Reichweite hing. Ich machte mich für einen Sprung über den Abgrund bereit, und das übliche Ich-werde-gleich-fallen-Ziehen im Bauch stellte sich ein. Aber was für eine Wahl hat man, wenn einen fiese Traum-Feinde verfolgen?
Da legte mir Leo den Arm um die Schulter, führte mich weg vom Aufzug an den Rand des Daches und sagte: "Wir kommen hier auch anders runter."
Er klang sehr entschlossen, so entschlossen, dass ich mir nicht sicher war, ob er einen Plan B hatte, oder ob er nur meinte, bevor die uns kriegen, springen wir lieber in den Tod.
Ich war erst skeptisch, dachte mir dann aber: Wenn es keinen Plan B gibt, sterbe ich eben in seinen Armen, und das ist ok.
Und wir sprangen, ohne Zögern und ohne jede Spur von Angst.
(Und ja, es gab einen Plan B, wir sind nicht gestorben, aber das war gar nicht mehr so wichtig.)
Ich könnte jetzt lange darüber spekulieren, was dieser Traum bedeutet, was mir mein Unterbewusstsein damit alles sagen will. Kontrolle abgeben, loslassen, Vertrauen und Vertrautheit, die Freiheit von Angst. Aber ich glaube, eigentlich will es mir nur eines mitteilen: Ich fühl mich gut.
Ungefähr so: Optimist
25 Februar 2012
Fröhlich-therapeutisches Rumgezicke
Szene vor dem Supermarkt: Auf dem Eltern-Kind-Parkplatz stehen zwei typische Familienkutschen und, schön in der Mitte dazwischen, ein dottergelber Sportwagen, in den garantiert kein Kindersitz passt.
Während wir unsere Einkäufe einladen, kommt die Besitzerin des Wagens - etwa Ende 50 und offensichtlich ohne Kind - und legt ihre kleine Einkaufstüte in den Kofferraum. Als ich gerade Lenny ein seinen Sitz packe, will sie an mir vorbei - und klappt meine Wagentür, in der ich gerade stehe, etwas weiter zu, so dass ich mich nicht mehr bewegen kann.
Ich: Entschuldigung, ich muss hier noch mein Kind anschnallen.
Sie: Macht nichts, ich komm schon vorbei.
Ich: Das ist ja schön für Sie, aber ich habe keinen Platz mehr.
Sie: Ja, da haben Sie wohl etwas zu weit drüben geparkt.
Ich (deren Auto perfekt in der Mitte der Parkplatzmarkierung stand): Eigentlich ist das hier sowieso ein Eltern-Kind-Parkplatz.
Sie: Äh, ich hab einen Hund dabei.
Schlägt die Autotüre zu und fährt mit wummerndem Motor davon.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre ich in dieser Situation spätestens nach ihrem 'Macht nichts' verstummt, hätte mich aber die ganze Autofahrt nach Hause lang geärgert. Aufgeregt habe ich mich heute natürlich auch über so viel Unverschämtheit auf einem Haufen. War aber dabei trotz allem seltsam gut gelaunt. Weil mindestens drei bis vier Therapeuten auf der Rückbank saßen, sich gegenseitig gratulierend die Hände schüttelten und mir auf die Schulter klopften.
Oberflächlich gesehen habe ich mit diesem Wortwechsel ja überhaupt nichts erreicht. Ich bin sicher, die Frau hat sich nicht mehr als drei Sekunden darüber Gedanken gemacht. Wenn ich aber über den unbezahlbaren Reichtum nachdenke, den ich gewonnen habe - meine Würde, meinen eigenen Raum, den sie mir gedankenloserweise zu nehmen versucht hat, mein Selbstbewusstsein - dann scheint mir der Preis für so ein Sportwagenei dagegen geradezu lächerlich.
Und nicht zuletzt ist da der kleine, schadenfrohe Triumph, das letzte sinnvolle Argument in einem Streitgespräch gehabt zu haben. Mal ehrlich: "Ich habe einen Hund dabei"? Wie hilflos ist das denn? Höchstens einen Vogel hast du, dämliche Sumpfdotterkuh! :)
Während wir unsere Einkäufe einladen, kommt die Besitzerin des Wagens - etwa Ende 50 und offensichtlich ohne Kind - und legt ihre kleine Einkaufstüte in den Kofferraum. Als ich gerade Lenny ein seinen Sitz packe, will sie an mir vorbei - und klappt meine Wagentür, in der ich gerade stehe, etwas weiter zu, so dass ich mich nicht mehr bewegen kann.
Ich: Entschuldigung, ich muss hier noch mein Kind anschnallen.
Sie: Macht nichts, ich komm schon vorbei.
Ich: Das ist ja schön für Sie, aber ich habe keinen Platz mehr.
Sie: Ja, da haben Sie wohl etwas zu weit drüben geparkt.
Ich (deren Auto perfekt in der Mitte der Parkplatzmarkierung stand): Eigentlich ist das hier sowieso ein Eltern-Kind-Parkplatz.
Sie: Äh, ich hab einen Hund dabei.
Schlägt die Autotüre zu und fährt mit wummerndem Motor davon.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre ich in dieser Situation spätestens nach ihrem 'Macht nichts' verstummt, hätte mich aber die ganze Autofahrt nach Hause lang geärgert. Aufgeregt habe ich mich heute natürlich auch über so viel Unverschämtheit auf einem Haufen. War aber dabei trotz allem seltsam gut gelaunt. Weil mindestens drei bis vier Therapeuten auf der Rückbank saßen, sich gegenseitig gratulierend die Hände schüttelten und mir auf die Schulter klopften.
Oberflächlich gesehen habe ich mit diesem Wortwechsel ja überhaupt nichts erreicht. Ich bin sicher, die Frau hat sich nicht mehr als drei Sekunden darüber Gedanken gemacht. Wenn ich aber über den unbezahlbaren Reichtum nachdenke, den ich gewonnen habe - meine Würde, meinen eigenen Raum, den sie mir gedankenloserweise zu nehmen versucht hat, mein Selbstbewusstsein - dann scheint mir der Preis für so ein Sportwagenei dagegen geradezu lächerlich.
Und nicht zuletzt ist da der kleine, schadenfrohe Triumph, das letzte sinnvolle Argument in einem Streitgespräch gehabt zu haben. Mal ehrlich: "Ich habe einen Hund dabei"? Wie hilflos ist das denn? Höchstens einen Vogel hast du, dämliche Sumpfdotterkuh! :)
08 Februar 2012
Mama, der organisierte Clown
Heute Morgen hat Lenny darauf bestanden, mir die Nase mit Penatencreme einzucremen. Ist so ein Spiel, das er normalerweise mit Nivea macht. Ich verteile die Creme dann auf Nase und Lippen und wir finden's lustig. Das Penaten allerdings viel langsamer einzieht als Nivea, fiel mir erst im Auto auf dem Weg zur Tagesmutter ein. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigte meine Befürchtung: Ich sah aus wie ein Clown.
Mein erster Gedanke bei diesem Anblick galt aber nicht dem nahenden Fasching, sondern lautete ungefähr so: Prima, wenn ich so der Tagesmutter gegenübertrete, hält sie mich für organisiert genug, dass ich Zeit habe, Kosmetika zu benutzen und klar genug denken kann, mir ob der Kälte die Lippen einzucremen.
Und habe mich einen Moment lang ehrlich und ernsthaft darüber gefreut. o_0
Mein erster Gedanke bei diesem Anblick galt aber nicht dem nahenden Fasching, sondern lautete ungefähr so: Prima, wenn ich so der Tagesmutter gegenübertrete, hält sie mich für organisiert genug, dass ich Zeit habe, Kosmetika zu benutzen und klar genug denken kann, mir ob der Kälte die Lippen einzucremen.
Und habe mich einen Moment lang ehrlich und ernsthaft darüber gefreut. o_0
21 Januar 2012
The essence of it
Ich: Lenny, komm mal her, ich heb dich hoch, dann siehst du den Sonnenaufgang.
Lenny (auf meinem Arm aus dem Fenster schauend): Oh, hell.
Ich (schnüffelnd): Äh, ja schön, aber jetzt sollten wir schnell Windeln wechseln...
Wenn das keine treffende Jobbeschreibung fürs Elternsein ist. Wir zeigen unseren Kindern, wie schön die Welt ist, und machen ihren Dreck weg.
:)
Lenny (auf meinem Arm aus dem Fenster schauend): Oh, hell.
Ich (schnüffelnd): Äh, ja schön, aber jetzt sollten wir schnell Windeln wechseln...
Wenn das keine treffende Jobbeschreibung fürs Elternsein ist. Wir zeigen unseren Kindern, wie schön die Welt ist, und machen ihren Dreck weg.
:)
19 Dezember 2011
Winter
Heute Morgen: Gute Musik im Radio, ein friedlich schlafendes Kind neben mir, ein einzelner Sonnenstrahl, der sich in einer einzelnen, langsam auf der Windschutzscheibe zerschmelzenden Schneeflocke bricht. Und da ist es wieder, dieses unwillkürliche, unwiderstehliche, sich unaufhaltsam in mir ausbreitende Tanja-Grinsen, das mich daran erinnert, dass mein persönlicher Winter vorbei ist. Was nicht heißt, dass er nie wieder kommen kann. Aber hier und jetzt - ist er nicht.
:)
:)
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