11 Januar 2015

Experiment: Resultate

Fünf Tage lang haben wir die Sache jetzt ausprobiert. Fünf Tage lang haben die Kinder bestimmt, was sie mit ihrer Zeit anfangen wollten, ob sie mit uns Abendessen wollten oder nicht, ob sie sich anziehen oder doch die Kälte lieber nackt genießen wollten, und vieles mehr.
Was hat's gebracht?
- Die ersten zwei Tage setzte bei mir tatsächlich etwas Entspannung ein. Was vielleicht hauptsächlich daran lag, dass ich kaum Berührungspunkte mit meinen Kindern hatten, weil die entweder bei der Oma oder vor dem Fernseher (genauer: Laptop mit DVD) waren. Hauptzweck 2 ist damit etwas näher gerückt.
- Das relativierte sich allerdings mit der Zeit, weil dann das schlechte Gewissen einsetzt. Ist es wirklich ok, die Kinder schon vor dem Frühstück zwei Filme anschauen zu lassen? Ist der relative Frieden beim Abendessen es wert, dass dieser mit der Abwesenheit eines Familienmitglieds erkauft wurde, sprich Lenny einfach nicht mitgegessen hat? Kurzfristig gesehen fand ich es für meine Nerven ganz gut. Auf Dauer aber ist das kein Zustand, der mir gefällt.
- Hauptzweck 1, die Reduzierung von Streit, klappte zunächst auch aus oben genanntem Grund: Wenn man weniger Kontakt hat, hat man weniger Gelegenheit zum Streiten. Bei den Dingen allerdings, wo ich nach wie vor Kooperation von meinen Kindern verlangte, gab es nach wie vor unvermindert heftigen Zoff. Hauptsächlich mit Matilda, die ihre ersten zwei Trotzjahre wohl als Übungsphase für dieses dritte vortrefflich genutzt hat, und jetzt weiß, wie man alle meine Knöpfe gleichzeitig drückt. Und offenbar reichte unser Experiment nicht aus, um mir genügend Nerven und Geduld zurückzugeben.

Im Internet, der Quelle aller Weisheit unserer Zeit, bin ich auf eine schlaue Seite mit Tipps zum Thema Trotz und wie man damit umgeht gestoßen. Ich habe sie alle brav studiert und für furchtbar schlau befunden, und mir fest vorgenommen, sie gleich bei der nächsten Gelegenheit auszuprobieren.
Dann bin ich losgegangen, um Matilda von der Oma abzuholen, und habe sie beim ersten Anzeichen eines beginnenden Wutanfalls gleich wieder angebrüllt und mit Gewalt nach Hause geschleift. Fail 1.

Am nächsten Tag wollte ich es nochmal versuchen. Matilda regte sich über Lenny auf, d.h. ich war emotional nicht beteiligt. Also schnell Schritt 1, dem Kind seine Emotionen spiegeln, sowohl mit Worten als vor allem auch mit Körpersprache und Tonfall, auf dass ihm klar wird, es wird gehört und verstanden. Genausogut hätte ich Grillanzünder in einen bereits loderndes Feuer gießen können. Mein Kind explodierte mir ins Gesicht. Fail 2.

Was habe ich also gelernt? Nicht viel unmittelbar Anwendbares. Aber immerhin hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Dass meine Tochter ein unbändiges Selbständigkeitsbedürfnis hat, ist mir schon lange klar. Aber vielleicht habe ich das in der Vergangenheit zu wenig ernst genommen. (Zum Beispiel denke ich, sie hätte viel früher trocken werden können, wenn ich unsere frühen Versuche nicht aus praktischen Gründen immer wieder abgebrochen hätte, weil immer wieder was dazwischen kam, wo's grad unheimlich schlecht passte, dass das Kind ggf. in die Hose pieselt. So hat sie beim letzten Versuch kurz vor Kindergarten letztlich ewig gebraucht, und in Stressphasen klappt's immer noch nicht zuverlässig.)
Außerdem bin ich zu dem Schluss gekommen, dass nicht nur jedes Kind unterschiedlich ist, also auch unterschiedliche Lösungs- und Lernstrategien braucht. Sondern eben auch jeder Erwachsene. D.h. selbst wenn es eine optimale Art gibt, mit einen bestimmten Problem umzugehen, kann ich das nicht immer leisten, und muss eben 'nur' so gut ich kann damit umgehen. Dann dauert's halt länger oder ist anstrengender. Diese Erkenntnis allein hat schon für etwas Entspannung gesorgt.

Wir werden unseren Erziehungsurlaub also beenden, Mediennutzung beschränken (am Wochenende nicht mehr ausschlafen), eine Minimalbekleidung vorschreiben (unsere Tochter mit Gewalt anziehen und Schläge und Tritte in Kauf nehmen), Teilnahme am Essen einfordern (auch wenn das Essen dann alles andere als friedlich ist), und all die anderen anstrengenden Pflichten, die man als Eltern so hat, wieder aufnehmen.
Und versuchen, meinen Kindern mehr zuzutrauen und mehr Selbständigkeit zu ermöglichen (unter der Woche noch früher aufstehen, damit Zeit zum selbst anziehen etc. bleibt). Und einfach hoffen, dass diese Phase dann irgendwann bald zu Ende geht. Bevor meine Nerven endgültig zu Ende gehen.

Zur Ablenkung konzentriere ich mich auf die wahren Erkenntnisse dieses Feldversuchs:

- Dreijährige verbluten nicht, wenn man sie ihre Zehennägel selber schneiden lässt. Sie haben hinterher einfach nach wie vor lange Zehennägel.

- So sieht es aus, wenn ein Fünfjähriger sich sein Pausenbrot selber zubereitet:


- Und nicht zuletzt: Mama als gemeinsamer Feind kann für die Geschwisterbeziehung Wunder wirken:


1 Kommentar:

naiko hat gesagt…

zunächst hatte ich beim lesen des eintrags das gefühl, dass du alles auf anfang drehen wirst. das hätte ich sehr schade gefunden.im endeffekt klingt es aber doch eher nach einem sinnvollen kompromiss: du setzt gewisse limits. find ich sehr wichtig. du lässt sie mehr selber bestimmen. find ich sehr wichtig!

vor allem fände ich aber eines wichtig: erinnere dich an deinen satz: "ich bin die grenze." - vergiss bei der ganzen kindersache dich selbst nicht. ich glaube nicht daran, dass man etwas so emotionales wie kindererziehung allein über den kopf steuern kann. also musst du unbedingt noch besser werden darin, deine grenzen zu erkennen und zu respektieren - egal wer sie durchbricht, ob das erwachsene sind oder eben deine kinder! DU bist die grenze - egal wo die liegt! darauf hast du ein menschen-recht!

ich hab das ganze heute in der soft-core-variante gehabt. einer meiner schüler, der mir recht am hezren liegt, hat mich so wütend gemacht, dass ich nur noch geschrien habe, weil er jemanden ausgelacht hat, zum gefühlt 2000sten mal, trotz gefühlten 2000 erklärugnen zu diesem thema. ich hab also ziemlich überreagiert. warum? weil ICH es absolut unerträglich finde, wenn leute ausgelacht werden, wenn sie fehler machen. er hat also MEINE persönliche grenze zum x.ten mal überschritten. ich habe mich wegen meines ausbruchs entschuldig und der ganzen klasse erklärt, dass da MEINE grenze ist und ich das nicht ertrage. wenn sie die grenze überschreiten, müssen sie damit rechnen, dass ich ausflippe. dazu stehe ich, obwohl ich meinen wutanfall nicht so gut fand. trotzdem.
ich bin überzeugt,dass kinder grenzen dringend brauchen. aber diese grenzen dürfen nicht erdacht, sie müssen erfühlt sein. nur dann kommen sie beim kind als unverrückbar an. egal wo genau sie liegen.