31 März 2011

Tage wie dieser

Eigentlich wollte ich heute mal einen Eltern-Angeber-Eintrag darüber schreiben, wie viele Worte Lenny schon sagen kann. Aber aus aktuellem Anlass kommt jetzt keine stolze Sammlung von Mama, Papa, Wauwa(u), Nein und Konsorten. Statt dessen sammle ich heute Unfälle und Missgeschicke.
Nach einer dank Dauerhusten sehr unruhigen Nacht - Jaaa, die nächste Erkältung ist da! - durfte ich erstmal feststellen, dass wir heute um 10 Uhr gleich zwei Termine ausgemacht haben. Also hektisch einen vorverlegt und es dann unvorsichtigerweise gewagt, mir noch schnell die Haare zu waschen. Über dem Waschbecken natürlich, für gleichzeitig Duschen und Haarewaschen ist keine Zeit, restliche Körperpflege ist auf später verschoben. Irgendwann fängt das Kind an zu schimpfen und steht einen Augenblick später mit einem halbvollen Wasserglas in der Badezimmertür. Vielleicht sollte ich besser sagen "halbleerem", denn der Rest des Inhalts befindet sich in Lennys Kleidung. Und im Esszimmer. Und im Gang. Und in der Küche. Also Klamotten runter und neu angezogen, wir haben ja Zeit. Äh.
Als nächstes werfe ich beim Tisch decken dann mindestens 2 Müslischalen runter. (Selbst als forensisch durch lange Ehe geschulte Rechtsmedizinerfrau gelingt es mir anhand der Scherben nicht, die tatsächliche Anzahl zu rekonstruieren.) Billige Glasschälchen zerbrechen übrigens ähnlich wie Autoscheiben in sehr sehr viele Minischerben. Allerdings im Gegensatz zu Autoscheiben in messerscharfe. Arbeitsfläche, Küchenboden und im Weg stehende Mikrowelle sind damit bestreut wie Krapfen mit Puderzucker. Also staubsaugen, wir haben ja Zeit.
Auf dem Weg nach draußen noch schnell einen Brief fürs Finanzamt fertiggemacht und dabei festgestellt, dass mir der Steuerberater sogar noch seine Fehler in Rechnung stellt (wenn dieses Geschäftsmodell Schule macht, kenne ich einige Firmen, die bald stinkreich sind). Den dringenden Brief habe ich übrigens vergessen einzuwerfen.
Nach erfolgreichem Unpünktlichsein zu beiden Terminen bringe ich es dann fertig, genau die eine Sekunde nicht hinzuschauen, die Lenny braucht, um auf einen Mauervorsprung zu klettern und, zusätzlich beschwert durch zwei große Steine in beiden Händen, von dort aus ungebremst mit dem Gesicht auf den Asphalt zu fallen. Trotz aufgeschlagener Lippe, aufgeschürfter Augenbraue und fiesem Bluterguss auf der ganzen Backe nimmt er's aber tapfer.
Dafür kriege ich dann noch eine Beinahe-Absage von meiner Traumtagesmutter. Und weil der Tag bis dahin noch viel zu positiv verläuft, erfahre ich dann noch, dass der Kater meines Bruders überfahren wurde.
Jetzt ist es 1 Uhr mittags. Wenn wir uns weiter so steigern, könnte es meiner vorsichtigen Schätzungen nach gegen Spätnachmittag gefährlich für Leib und Leben werden. Solltet ihr also hier längere Zeit nichts von mir hören, wisst ihr, woran's liegt - an einem Tag wie diesem...

23 März 2011

Semmelnknödeln

Dialog zwischen zwei mittelalten, sehr bayrischen Frauen in der Trambahn (zwecks besserer Lesbarkeit weitgehend Dialektbereinigt).

Frau 1: Am Freitag hab ich a Meeting, ganztags. Da brauchst mich gar nicht anrufen.
Frau 2: Ich ruf dich ja eh net an.
Frau 1: Ja, brauchst gar nicht, da bin ich nicht zum Erreichen.
Frau 2: Ja, wann ruf ich dich denn schon mal an? Ich stör dich doch net.
Frau 1: Kannst mich gar net stören, weil ich bin ja eh net da.
Frau 2: Warum sollt ich dich denn anrufen.
Frau 1: Sollst ja gar net.
Frau 2: Ich ruf dich ja eh net an.

Karl Valentin lebt und schreibt Dialoge für Trambahnfahrgäste!

20 März 2011

Persönliches Erdbeben

Schon wieder werde ich an die "gute" alte Zeit erinnert, und schon wieder von einem zerstörten Gebäude. Aber hier enden die Parallelen auch schon, denn die Erschütterung, die das bei mir ausgelöst hat, ist im Grunde nicht mal mit einem leichten Erdbeben zu vergleichen.
(Ich hoffe, keine von euch versteht das als Zynismus den Opfern des echten Erdbebens gegenüber. Bitte nicht, ist nicht so gemeint!)
Gestern bin ich an dem Haus vorbeigefahren, in dem mein erster Freund eine Zeitlang gewohnt hat. Oder vielmehr dort, wo es stand, denn jetzt existiert es nicht mehr. Hinter einem Bauzaun ragen noch einzelne dünne Pfeiler hervor wie abgerissene Nervenenden. Die Ampel ist rot und ich habe lange Zeit, den leeren Fleck anzustarren, wo ich so viel Zeit in einer schäbigen Wohnung im zweiten Stock verbracht habe. Wo ich alles darüber gelernt habe, wie eine Beziehung nicht sein darf. Wo ich geschrieen, geheult und gekämpft habe, für eine hoffnungslose Sache die alle Beteiligten nur unglücklich gemacht hat. Wo ich Lügen, Betrug, Ohrfeigen und andere Prügel ebenso über mich habe ergehen lassen wie die tiefsten Niederungen einer Beziehung, die sich kein Seifenoperautor ausdenken kann.
Kann es wirklich sein, dass ich, gerade 17 und in meiner Funktion als Teenager entsprechend verklemmt, mich nach einem Streit plötzlich mit nichts als Unterwäsche bekleidet im Hausflur wiederfand, inständig hoffend, dass niemand vorbeikommt oder wenigstens bald das Licht ausgeht?
Sowas passiert doch im wirklichen Leben nicht? Oder war es genau das: Das wirkliche Leben, das mir bis dahin so gnadenlos gnädig vorenthalten worden war, das ich es mir damals mit aller Gewalt (pun intended) selbst suchen musste?
Schwer zu sagen, ob diese unsinnige Übung von irgendeiner Form von Erfolg gekrönt war. Mit meinem wirklichen Leben scheint sie mir heute nicht mehr viel zu tun zu haben. Wenn ich die Zeit damals beschreibe, kommt es mir vor, als ginge es um eine fiktive Person. Sie scheint mir genauso ungreifbar wie die Fassade des nicht mehr vorhandenen Hauses. Nur noch ein paar wenige Nervenenden sind von damals übrig, die heute nicht mehr Schmerz empfinden, als wenn ich beim Lesen mit einer Romanfigur mitleide. Die Bauarbeiten an meinem neuen Haus sind längst erfolgreich abgeschlossen. So gut wie nichts erinnert mehr an das alte Gebäude. Nur der Boden, auf dem ich stehe, ist noch derselbe.
Die Ampel wird grün, ich fahre weiter. Und stelle erstaunt fest, dass ich nur mäßig erschüttert bin.

13 März 2011

Die gute alte Zeit

Ich glaube, wenn man sich lebhaft an eine Zeit vor 25 Jahren erinnert, ist man tatsächlich alt genug, um solche Phrasen verwenden zu dürfen.
Und es erstaunt mich, wie lebhaft diese Erinnerungen gerade zurückkommen. Damals war ich 14, ein beeindruckbares Alter zugegebenermaßen. Aber beeindruckend - im negativen Sinne - war die Atmosphäre damals schon seit Jahren. Die Möglichkeit eines Atomkriegs war etwas, das uns allen ständig im Hinterkopf herumspukte. Und jeder wusste über die schrecklichen Folgen einer solchen Katastrophe Bescheid. Nicht nur aus der Schule und aus diversen Dokumentationen, sondern, emotional viel stärker besetzt, auch durch diverse mehr oder weniger realistische Filme, die sich den Zeitgeist zunutze machten und das Thema ausführlich breitwalzten.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich regelmäßig Albträume hatte, die nach dem Atomkrieg spielten.
Und dann kam auch noch Tschernobyl.
Das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her. Der Kalte Krieg ist lange vorbei, Atombomben sind nur noch eine Ausrede für Präventivschläge, keine real empfundene Bedrohung mehr. Also alles vorbei und vergessen, sollte man meinen?
Aber jetzt ist es auf einmal, als sei keine Zeit vergangen. Da ist sie wieder, die unterschwellige, ständige Bedrohung, der man nichts entgegenzusetzen hat. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass die Katastrophe am anderen Ende der Welt passiert, denn mittlerweile haben wir ja das Internet, um die Panik nach Bedarf zu jeder Tageszeit in jedes Haus zu tragen. (Noch dazu fühle ich mich schon persönlich betroffen. Meine Gastfamilie wohnt knapp 150 km von Fukushima entfernt, und eine langjährige Freundin lebt in Tokyo. Solange sie noch Strom hat, schreibt sie hier ein eindrucksvolles Erdbebentagebuch.)
Und wieder habe ich Albträume.
Schon erstaunlich, wie tief sich die Angst ins Unterbewusstsein einbrennt (no pun intended), wenn man ihr nur lang genug ausgesetzt ist. Und mit welcher Heftigkeit sie zurückkommen kann.
Vielleicht ist es ja ganz gut, dass man manche Dinge nicht wirklich vergessen kann, auch wenn sie zeitweise in den Hintergrund treten. Ich wünschte nur, ich könnte daran glauben, dass wir diesmal daraus lernen.
Zumindest diejenigen von uns, die dazu noch Gelegenheit haben. Wie sang David Bowie damals? I dread to think of when the wind blows...
Und für alle, die zu jung sind, um sich an den Film zu erinnern, und alle, die sich so gern mit Erinnerung quälen wie ich, hier die Schlüsselszene: