Schon wieder werde ich an die "gute" alte Zeit erinnert, und schon wieder von einem zerstörten Gebäude. Aber hier enden die Parallelen auch schon, denn die Erschütterung, die das bei mir ausgelöst hat, ist im Grunde nicht mal mit einem leichten Erdbeben zu vergleichen.
(Ich hoffe, keine von euch versteht das als Zynismus den Opfern des echten Erdbebens gegenüber. Bitte nicht, ist nicht so gemeint!)
Gestern bin ich an dem Haus vorbeigefahren, in dem mein erster Freund eine Zeitlang gewohnt hat. Oder vielmehr dort, wo es stand, denn jetzt existiert es nicht mehr. Hinter einem Bauzaun ragen noch einzelne dünne Pfeiler hervor wie abgerissene Nervenenden. Die Ampel ist rot und ich habe lange Zeit, den leeren Fleck anzustarren, wo ich so viel Zeit in einer schäbigen Wohnung im zweiten Stock verbracht habe. Wo ich alles darüber gelernt habe, wie eine Beziehung nicht sein darf. Wo ich geschrieen, geheult und gekämpft habe, für eine hoffnungslose Sache die alle Beteiligten nur unglücklich gemacht hat. Wo ich Lügen, Betrug, Ohrfeigen und andere Prügel ebenso über mich habe ergehen lassen wie die tiefsten Niederungen einer Beziehung, die sich kein Seifenoperautor ausdenken kann.
Kann es wirklich sein, dass ich, gerade 17 und in meiner Funktion als Teenager entsprechend verklemmt, mich nach einem Streit plötzlich mit nichts als Unterwäsche bekleidet im Hausflur wiederfand, inständig hoffend, dass niemand vorbeikommt oder wenigstens bald das Licht ausgeht?
Sowas passiert doch im wirklichen Leben nicht? Oder war es genau das: Das wirkliche Leben, das mir bis dahin so gnadenlos gnädig vorenthalten worden war, das ich es mir damals mit aller Gewalt (pun intended) selbst suchen musste?
Schwer zu sagen, ob diese unsinnige Übung von irgendeiner Form von Erfolg gekrönt war. Mit meinem wirklichen Leben scheint sie mir heute nicht mehr viel zu tun zu haben. Wenn ich die Zeit damals beschreibe, kommt es mir vor, als ginge es um eine fiktive Person. Sie scheint mir genauso ungreifbar wie die Fassade des nicht mehr vorhandenen Hauses. Nur noch ein paar wenige Nervenenden sind von damals übrig, die heute nicht mehr Schmerz empfinden, als wenn ich beim Lesen mit einer Romanfigur mitleide. Die Bauarbeiten an meinem neuen Haus sind längst erfolgreich abgeschlossen. So gut wie nichts erinnert mehr an das alte Gebäude. Nur der Boden, auf dem ich stehe, ist noch derselbe.
Die Ampel wird grün, ich fahre weiter. Und stelle erstaunt fest, dass ich nur mäßig erschüttert bin.
1 Kommentar:
ich finde die vorstellung/erfahrung faszinierend, dass man sich selbst in seiner erinnerung als eine fiktiv anmutende "figur" ansieht - es fühlt sich ja so an - denn so geht es mir auch. deshalb fällt es mir wohl auch relativ leicht, aus meiner vergangenheit eine unterhaltsame anekdotensammlung für alle möglichen gelegenheiten zu machen.
das hat aber zugleich nicht zur folge, dass das, was man erfahren und gelernt hat, bedeutungslos oder gleichgültig wird. es ist das, was einen zu dem gemacht hat, was man ist. oder? es ist eben doch der boden, auf dem man steht (wie du sagst) - zum glück inzwischen recht stabil. meistens.
zum thema "erinnerungen, und wie das funktioniert" könnte man bücher schreiben - wurden bücher geschrieben - kein wunder!
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