Ich glaube, wenn man sich lebhaft an eine Zeit vor 25 Jahren erinnert, ist man tatsächlich alt genug, um solche Phrasen verwenden zu dürfen.
Und es erstaunt mich, wie lebhaft diese Erinnerungen gerade zurückkommen. Damals war ich 14, ein beeindruckbares Alter zugegebenermaßen. Aber beeindruckend - im negativen Sinne - war die Atmosphäre damals schon seit Jahren. Die Möglichkeit eines Atomkriegs war etwas, das uns allen ständig im Hinterkopf herumspukte. Und jeder wusste über die schrecklichen Folgen einer solchen Katastrophe Bescheid. Nicht nur aus der Schule und aus diversen Dokumentationen, sondern, emotional viel stärker besetzt, auch durch diverse mehr oder weniger realistische Filme, die sich den Zeitgeist zunutze machten und das Thema ausführlich breitwalzten.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich regelmäßig Albträume hatte, die nach dem Atomkrieg spielten.
Und dann kam auch noch Tschernobyl.
Das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her. Der Kalte Krieg ist lange vorbei, Atombomben sind nur noch eine Ausrede für Präventivschläge, keine real empfundene Bedrohung mehr. Also alles vorbei und vergessen, sollte man meinen?
Aber jetzt ist es auf einmal, als sei keine Zeit vergangen. Da ist sie wieder, die unterschwellige, ständige Bedrohung, der man nichts entgegenzusetzen hat. Es spielt überhaupt keine Rolle, dass die Katastrophe am anderen Ende der Welt passiert, denn mittlerweile haben wir ja das Internet, um die Panik nach Bedarf zu jeder Tageszeit in jedes Haus zu tragen. (Noch dazu fühle ich mich schon persönlich betroffen. Meine Gastfamilie wohnt knapp 150 km von Fukushima entfernt, und eine langjährige Freundin lebt in Tokyo. Solange sie noch Strom hat, schreibt sie hier ein eindrucksvolles Erdbebentagebuch.)
Und wieder habe ich Albträume.
Schon erstaunlich, wie tief sich die Angst ins Unterbewusstsein einbrennt (no pun intended), wenn man ihr nur lang genug ausgesetzt ist. Und mit welcher Heftigkeit sie zurückkommen kann.
Vielleicht ist es ja ganz gut, dass man manche Dinge nicht wirklich vergessen kann, auch wenn sie zeitweise in den Hintergrund treten. Ich wünschte nur, ich könnte daran glauben, dass wir diesmal daraus lernen.
Zumindest diejenigen von uns, die dazu noch Gelegenheit haben. Wie sang David Bowie damals? I dread to think of when the wind blows...
Und für alle, die zu jung sind, um sich an den Film zu erinnern, und alle, die sich so gern mit Erinnerung quälen wie ich, hier die Schlüsselszene:
9 Kommentare:
was mich gerade besonders erstaunt, ist, dass ich sehr deutliche emotionale erinnerungen an den film habe, aber diese szene nicht im gedächtnis hatte... gar nicht. nur den schluss. für mich war - so erinnere ich - all das, was danach kam, wohl noch viel erschreckender - auch im zusammenhang mit dem buch "die lezten kinder von schewenborn", das mich bis heute zutiefst erschreckt.
Den Film kenne ich leider nicht. Aber es gibt dafür einen anderen Film, der mich in den 80igern nachhaltig verstörte und mir über Wochen hinweg Alpträume bescherte: The day after (http://www.youtube.com/watch?v=7VG2aJyIFrA).
Und heute ist alles genau so präsent wie damals. Mein Besuch in Tschernobyl war äusserst eindrücklich. Nicht im Sinne eines Abenteuers, sondern emotional eindrücklich. Man fährt mit dem Bus durch Pripyat und alles wirkt so friedlich. Und unter der Oberfläche schlummert ein Teufel, der jederzeit die Hand ausstrecken kann.
Für mich ist die atomare Belastung von Tschernobyl alltäglich aber nicht gewöhnlich. Vor Weihnachten wird gewarnt, Christbäume nur bei speziellen Händlern zu kaufen, da man sonst nicht weiss, ob sie in der Todeszone geschlagen wurden. Wir essen nur Salzwasserfische, da die Gefahr bei Süsswasserfischen zu gross ist. Sie könnten aus dem radioaktiv verseuchten Fluss kommen, der durch Kiev fliesst. Pilze und Beeren essen wir so gut wie nicht und wenn dann nur solche, wo wir die Herkunft kennen. Und so weiter. Die Liste an Gewohnheiten, die wir uns wegen Tschernobyl zugelegt haben, ist lang ...
Aber ich bin ja so froh, dass unsere Atomkraftwerke in Europa und insbesondere in Deutschland und in der Schweiz so sicher sind, dass bei uns nicht so etwas wie in Japan passieren kann. Oder lügen uns etwa die Politiker an? Es ist so ein Trauerspiel ...
jedes, wirklich jedes atomkraftwerk kann kaputt gehen - egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. und wenn was passiert, dann ist's zu schlimm, als dass man das riskieren dürfte. finde ich. und man weiß das doch - schon sehr lang.
und politiker lügen - das ist wohl beruflich bedingt.
@naiko: Mein letzter Absatz war eher sarkastisch gemeint. Mir ist sehr bewusst, dass die Technik sehr frgil ist. Mich nervt diese Beteuerungen, dass bei uns alles sicher ist, denn wir haben keine Tsunamis und keine Erdbeben der Stärke neun... Nein, sicher nicht. Ein AKW in Deutschland wird sicher nicht wegen eines Tsunamis kaputt gehen. Das stimmt. aber dann erwarte ich von den Politikern, dass sie weiter denken. Was ist bei einem Flugzeugabsturz? Gewollt oder als Unfall? Was ist, wenn die Sicherungssysteme, auch die redundanten ausfallen? Etc. aber ich schwanke zwischen Aufregen und Resignation :-(
The day after hat mich damals auch nachhaltig beeindruckt und das Szenario für so manchen Albtraum geliefert.
Und ich kann MIBs Sarkasmus nur teilen. Zu sagen, Atomkraft sei sicher, weil ja bis jetzt nie was Schlimmes passiert sei, ist ähnlich wie zu sagen "Meine 38jährige Lebenserfahrung lehrt mich, dass ich nie sterben werde." :-/
Liebe L&T! Michael ist nicht MiB, sondern Michael aus Kiew.
ich kann die haltung zwischen aufregen und resignation sehr, sehr gut verstehen. man kann sich ja nicht ununterbrochen aufregen... dabei sollte man wahrscheinlich. :-( aber dann wäre das leben ununterbrochen unerträglich - und vermutlich hätte trotzdem niemand etwas davon.
Ach, Mensch, schon wieder. Tut mir leid ihr beiden, dass ich euch hier dauernd verwechsle!
where the wind blows - an den film musste ich in letzter zeit auch dauernd denken... :,-(
hugs, sandra
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