Neulich war ich auf dem 20jährigen (!!!) Klassentreffen meines Abijahrgangs. Abgesehen von der astronomisch hohen Anzahl von Jahren, die seit der Schule vergangen zu sein scheinen, erstmal nichts so wahnsinnig Besonderes, sollte man meinen.
Aber ich bin mit sehr gemischten Gefühlen hingegangen. Es ist nicht so, dass ich die Schule und meine Zeit da generell gehasst habe. Meistens war es ganz ok, manches - einiges - hat sogar Spaß gemacht. Aber es gab auch eine Phase, in der ich von meinen Mitschülern extrem gemobbt wurde. Damals gab's das Wort Mobbing noch gar nicht, und es wäre wohl auch keinem eingefallen, von sexueller Belästigung/Nötigung zu sprechen (mir jedenfalls sicher nicht), auch wenn's genau das war. Und viele der Jungs, die sich damals einen Sport daraus machten, mir zwischen die Beine zu grabschen und danach der ganzen Klasse lauthals zu verkünden, ich hätte meine Tage, oder ähnlich Spaßiges, sind mir bis zum Abitur erhalten geblieben. Auch wenn das Interesse an diesem lustigen Spiel mit der Zeit nachließ, musste ich meine Peiniger doch täglich sehen. Und bestätigte mir täglich aufs Neue meine Macht- und Hilflosigkeit. Denn natürlich hatte das ganze für die Jungs keinerlei Konsequenzen, auch wenn manche Lehrer im Nachhinein sagten, sie hätten durchaus mitgekriegt, was da gelaufen ist.
Und jetzt, nach so langer Zeit, und nachdem ich mir in vielen mühsamen Therapiesitzungen erarbeitet hatte, was für fatale Konsequenzen diese Zeit für mein ganzes restliches Leben gehabt hat, sollte ich diesen Leuten gegenübertreten und einfach einen Abend Party mit ihnen machen?
Andererseits gab's ja auch nette Leute. Solche, die mich vielleicht nicht genug interessieren, dass ich aktiv Kontakt halte, von denen ich aber doch irgendwie gern wüsste, was sie jetzt machen.
Bin ich wegen denen hingegangen? Oder weil ich mir beweisen wollte, dass ich mich hintraue? Dass die Mobber keine Macht mehr über mich haben? Ich weiß es nicht.
Aber ich weiß, dass der Abend lange nicht so emotional besetzt war, wie ich mir vorgestellt hatte. Ich habe viele Leute getroffen, deren Gesichter mir stark bis vage bekannt vorkamen, und bei erstaunlich vielen ist mir sogar noch der Name eingefallen. Ich habe viele Lebensgeschichten im Superzeitraffer gehört (wo wohnst du jetzt, was arbeitest du, hast du Familie?) und meistens sofort wieder vergessen, während ich meine eigene Geschichte in ebenso verkürzter Form wiedergegeben habe. Die meiste Zeit habe ich draußen im "Rauchereck" mit anderen Leuten verbracht, die während der Schulzeit selbst nicht so richtig dazugehört habten. (Interessanterweise nicht mit den Streber-Losern, mit denen ich mich damals notgedrungen zusammengetan hatte. Denen hat das stickige Klima drinnen wohl nicht so viel ausgemacht wir mir Schwangerer.) Die einzig relevante Frage des Abends kam ausgerechnet von jemandem, der mir in der Schule total oberflächlich vorkam und der schon damals ziemlich verkorkst zu sein schien. "Bist du glücklich?", fragte der doch glatt meinen Nebenmann. Nicht, dass die Antwort darauf jemanden, mit dem man die letzten 20 Jahre mangels Interesse nichts zu tun hatte, etwas angehen würde. Aber tatsächlich wesentlich wichtiger als Beruf, Wohnort und was man schon alles Tolles erlebt hat.
Und - ich habe meiner Nemesis die Hand gegeben, ihn kurz begrüßt, ihn nach wie vor abstoßend gefunden, und werde ihn weiter fröhlich vor mich hin hassen. Meinetwegen bis an mein Lebensende. (Ich glaube nicht wirklich an die heilende Kraft des Verzeihens.)
Hat dieser Abend irgendetwas verändert? Nein. Aber er hat mir gezeigt, dass ich mutiger sein kann, als ich mir zutraue. Dass ich tatsächlich niemandem etwas beweisen muss. Und dass ich doch mindestens aus einem Grund froh sein kann, nach der großen weiten Welt wieder in G. gelandet zu sein: Weil ich dann den Tag (irgendwann in diesem Herbst) nicht verpassen werde, wo sie die alte Schule abreißen. Das wird für mich definitiv die größere Party. :)
3 Kommentare:
odearodearodear.
Was für Arschlxxxr gibt's auf dieser Welt.
Und A-Lehrer, die sowas "irgendwie mitkriegen" und trotzdem nix tun.
Da kann man sich fast dem Kant'schen Gottespostulat anschliessen.
Gut, sooo schlimm war's dann auch nicht - oder halt, vielleicht doch?!
Ich hoffe jedenfalls gemeinerweise, dass dieser Ex-schüler nicht so ganz glücklich ist...
Heilen... verzeihen... naja... aber mir hat es definitiv geholfen fest zu stellen: Diese Leute, von deren Meinung früher wohl und wehe für mich abhing, sind mir mittlerweile absolut gleichgültig. Das bringt mir Frieden.
... wobei sich immer mal wieder etwas Hähme mit einschleust wenn ich dann doch was von ihnen höre (Soziale Netzwerke... na danke) und die damals aufstrebende Karrierefrau nun Postbankschalterbeamtin ist oder soetwas.
Es bestätigt sich mal wieder meine Theorie, dass die, die es in der Schule schwer hatten zu aussergewöhnlicheren Menschen heranwachsen.
ich stelle auf klassentreffen letztlich immer nur eines fest: einmal außenseiter, immer außenseiter. in meinem fall jedenfalls hat sich an der etwas seltsamen "integrierter außenseiter"-position rein gar nichts geändert, nur dass mir jetzt leute schöntuerisch daher kommen, die damals offenkundig gegen mich waren. viel mehr oberflächlichkeit. geblieben sind fast alle genau das, was sie damals schon waren. (von ganz wenigen ausnahmen abgesehen...)
ich glaube übrigens schon,dass verzeihen inneren frieden bringt, nur glaube ich auch, dass es dinge gibt, die man nicht verzeihen kann, weil man es letztlich vielleicht nicht will. jeder hat doch seine gespenster. und wer weiß, vielleicht braucht man die auch ein bisschen? um in der auseinandersetzung mit ihnen über sich selbst hinaus zu wachsen?
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