05 Juli 2016

Not about me

Der Ramadan liegt in den letzten Zügen. Oder vielmehr die Fastenden, habe ich das Gefühl. Meine Kids sind müde, erschöpft und seltsam aufgekratzt. Der Lärmpegel in der Klasse ist deutlich höher, die Konzentration lässt zu wünschen übrig. Manche haben das Fasten tatsächlich abgebrochen – geht Assimilierung so schnell? Oder sind sie wie ich zu dem Schluss gekommen, dass sie noch als Reisende zählen und deshalb nicht am Fasten teilnehmen müssen? Die anderen halten tapfer durch, schlafen nachts kaum, weil sie ja nicht nur essen müssen, sondern dann auch noch die Küche in der Unterkunft aufräumen und putzen, abends ebenso wie morgens vor der Schule. Da bleibt nicht viel Energie für Perfekt und Präpositionen übrig.

Nur heute noch, denke ich mir, als ich am Montag vor der Klassenzimmertür stehe. Und überlege, was ich mit der Tüte voller Süßigkeiten mache, die ich mitgebracht habe. Am Wochenende war Festumzug hier im Ort, und meine Kinder haben den besten Platz zum Süßkram einsammeln erwischt. Natürlich haben sie sich alles gegriffen, was sie kriegen konnten, auch Sachen, die sie gar nicht mögen. (Ja, es gibt Süßigkeiten, die meine Kinder nicht mögen.) Die und ein paar wenige andere haben sie dann aussortiert, um sie an die Flüchtlinge weiterzugeben. Echte Großzügigkeit wäre es natürlich, auch von den Sachen was abzugeben, die man mag. Aber irgendwie will ich sie dazu nicht zwingen, denn was bringt schon erzwungene Großzügigkeit, außer das Gefühl, dass man Teilen nicht mag? Zumal ich sie ja schlecht in die Schule mitnehmen kann, damit sie den Lohn für ihr Teilen – die Freude der anderen Kinder – miterleben können. Das ist glaube ich für den Lerneffekt immens wichtig.

Für mich hingegen darf es eigentlich nicht wichtig sein. Klar, das Helfen ist befriedigend, ich fühle mich besser, wenn ich am Montag vom Unterricht heimkomme, ich schreibe Blogeinträge, damit alle wissen, was für ein toller Mensch ich doch bin. ;) Aber in der Schule geht es nur um die Kinder. Ich habe mich mittlerweile an den Gedanken gewöhnt, dass ich ihnen nicht annähernd so viel helfen kann, wie ich es eigentlich für wichtig und nötig hielte – sonst hätte ich mittlerweile mindestens 8 – 12 von ihnen adoptiert. Und dass ich selten den ‚Lohn‘ meiner Arbeit zu sehen bekomme. Ich bin eben nur einmal die Woche da, das reicht für etwas Grammatik, aber nicht, um einen substanziellen Unterschied in jemandes Leben zu machen. Ich gehe hin, gebe zwei Stunden lang, was ich zu geben habe, und hoffe einfach, dass es für die Kinder alles ein kleines bisschen besser macht. Und muss mit der Tatsache leben, dass ich viele schon im nächsten Schuljahr nicht mehr wiedersehen werde. Einige sind in andere Unterkünfte verlegt worden, andere schließen die Schule ab.

Etwas kriege ich aber doch zurück. Seit ich meine Schüler habe, hat sich mein eigenes Verhalten verändert. Wenn ich auf der Straße jemandem begegne, der ‚anders‘ aussieht – dunkelhäutig, fremdländisch, mit Kopftuch … - schaue ich ihn/sie direkt an und lächle freundlich. Früher habe ich das nicht getan. Auch wenn ich mich nicht wirklich für rassistisch halte, schwang doch bisher immer die Angst mit, durch zu offen zur Schau getragene Freundlichkeit zu irgendwas einzuladen. Möglicherweise eine Altlast aus meiner Schulzeit, oder aber einfach Zeichen meiner nach jahrelanger harter Arbeit immer noch nicht ganz überwundenen Schüchternheit … und der grundlegenden Furcht vor dem Fremden, die jeder Mensch mehr oder weniger stark in sich trägt. Die ist jetzt völlig verpufft. Das hat nur ein paar Wochen gedauert. Ich wünschte, viel mehr Menschen hätten die Gelegenheit zu so einer Erfahrung ...

Also habe ich trotz aller Flüchtigkeit meiner Bemühungen doch sehr viel gewonnen. In mittlerweile guter alter Tradition muss ich hierzu wieder mal ein Literaturzitat bemühen, diesmal sogar eines meiner liebsten überhaupt (hätte gerne, dass das mal auf meinem Grabstein steht): „Ich habe die Farbe des Weizens gewonnen.“ Dieser Satz (zugegebenermaßen ohne Kontext nicht zu verstehen, also ruhig das ganze verlinkte Kapitel lesen) drückt eigentlich alles aus, was man sich vom Leben erwarten kann.

Und so verstecke ich die Süßigkeitentüte hinter meinem Rücken, als ich das Klassenzimmer betrete, und drücke sie in der Pause der Klassenlehrerin in die Hand, damit sie sie den Kindern nach Ende des Ramadans weitergibt. Ich werde die Freude der Kinder nicht zu sehen bekommen. Aber ich bin sicher, dass sie sich freuen werden. Das reicht.

2 Kommentare:

Leo und Tanja hat gesagt…

P.S. Dieser Eintrag kommt mir extrem selbstbeweihräuchernd vor. "Guckt mal, sie hilft den Kindern, und bescheiden ist sie auch noch." Zugegebenermaßen ist das Teil des Zwecks meiner Schreiberei. Ein anderer, wenn nicht der Hauptzweck, ist schlicht Selbsterkenntnis. Beim Schreiben merke ich am ehesten, was eigentlich so in meinem Kopf vorgeht. (Anderen Leuten geht es beim Sprechen so - woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage? ;) )
Ich hoffe also, ihr findet mich trotzdem nicht allzu angeberisch.
@Birgit: Danke für Deine netten Kommentare - kennen wir uns irgenddwoher, oder bist Du per Zufall hier gelandet? :)

Birgit hat gesagt…

Hallo Tanja!

Ja, wir kennen uns. Vielleicht hätte ich aus "Teutoburg" dazu schreiben sollen.

Viele Grüße aus Löhne
Birgit