11 Januar 2016

Another one

Mit gemischten Gefühlen und einer Tasche voll neuer Materialien habe ich heute die Schule betreten. Weil ich mir unsicher war, inwieweit ich die Lehrerin davon überzeugen kann, dass ich diese einsetzen darf. Eigentlich absurd. Aber natürlich kam alles ganz anders.
Der Unterricht dauerte heute nur eine Schulstunde, weil meine Nigerianerin krank ist - und einer meiner Afghanen "jetzt wohl weg". Mehr Info bekam ich dazu nicht. Er war der beste meiner drei Schüler. Ob ihm irgendwas von dem, was er hier gelernt hat, zu Hause etwas nützen wird? (Im Nachhinein frage ich mich auch, ob die Klasse insgesamt so leer aussah, weil viele krank waren, oder weil viele abgeschoben wurden?)
Bis auf Weiteres werde ich also wohl nur noch zwei Kinder unterrichten. Trotz des angeblich anhaltenden Flüchtlingsstroms und neu geschaffener Wohnkapazitäten scheinen hier in unserem verschlafenen Ort nämlich nicht viele Neue anzukommen.
Dafür lief der Unterricht mit meinem verbleibenden Afghanen heute richtig gut: Er sollte erst Silben, dann Wörter entziffern und jeweils aufmalen, was er gerade gelesen hatte. Tomate, Kartoffel, Gabel, Topf... Dann dasselbe mit Worten, die ich ihm diktierte. Das Schreiben lief relativ katastrophal, obwohl er die Buchstaben, wenn man sie einzeln diktiert, schon so gut wie fehlerlos kann. Und ein Künstler wird wohl auch nicht aus ihm werden. Aber der Praxisbezug schien ihm richtig gut zu gefallen.
Sehr geholfen hat uns beim Kommunizieren diesmal das Bildwörterbuch, das ich über Connections von einem Verlag zugeschickt bekommen habe. Damit konnten wir Obst, Gemüse und Essbesteck identifizieren, die ich (ebenfalls künstlerisch unbegabt und nur mit einem Kugelschreiber ausgestattet) sicher nicht eindeutig genug hätte aufmalen können. Und weil der Verlag so großzügig war, mir das und andere Materialien kostenlos zur Verfügung zu stellen, mache ich hier mal etwas Werbung für das Bildwörterbuch.
Gegenstände, die da nicht auf Anhieb zu finden waren, suchten wir über diese Seite hier, auf die mich eine Freundin aufmerksam machte. Die ist ähnlich wie das Buch (leider ohne Text-Suchfunktion), beinhaltet aber z.T. andere Wörter, und der große Vorteil, man kann's sich aufs Handy runterladen.
Bei der Gelegenheit erzählte mir mein Schüler in einer Mischung aus Deutsch, Englisch, Paschto und Händen und Füßen, dass sein Handy geklaut worden ist. So ärgerlich das für ihn ist - es bot uns einen Anlass zu echter Kommunikation. Endlich stellt sich bei mir das Gefühl ein, ich sitze echten Menschen gegenüber statt schlecht funktionierenden Schreibautomaten.
Nach der Schreib- und Malübung sollte ich noch ein paar Worte einfach so diktieren. Als uns der Pausengong unterbrach, blieb mein Schüler sitzen und meinte "another one, just one". Und schrieb ganz tapfer und mit viel Überlegen und Nachfragen und obwohl die Lehrerin reinschaute und uns rauswerfen wollte noch ein weiteres Wort. Ich muss immer noch breit grinsen, wenn ich dran denke. Lektion das Tages für mich: Motivierte Schüler wirken Wunder für die Motivation der Lehrerin.

Dummerweise habe ich dann die Lehrerin nicht mehr gefunden, um über Unterrichtsmaterialien zu sprechen. Also stecke ich meine neu gewonnene Motivation in die Tasche zu den bunten Büchern und Spielen und hoffe auf nächste Woche.

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