25 November 2009

Ungeduld

Es weihnachtet, daher fühle ich mich dichterisch.
Deswegen bekommt ihr jetzt einige wirkungslose Rezepte, die leider entgegen hartnäckiger Gerüchte bis jetzt keine Wehen bei mir ausgelöst haben, in Reimform. Zweideutigkeiten am Ende voll beabsichtigt.

Nelken, Zimt und Kardamom
Ich backe Weihnachtsplätzchen.
Liebes Kindlein, bitte komm,
ich hab sie satt, die Mätzchen.

Chili, Curry, Wasabi
beschleunigen die Wehen,
Liebes Kind, kommst Du denn nie?
Wie lang soll das noch gehen?

Treppensteigen, fleißig sein,
Ich sitze wie auf Kohlen!
Muss Papa denn persönlich rein
-kommen, Dich zu holen?

02 November 2009

Dem Leben (zu) nahe

Wenn man diese Überschrift liest, denkt man vielleicht als erstes, dass ich das Rollenspiel, auf dem wir am Wochenende waren, zu realistisch fand (was nicht der Fall war). Der Titel soll eine Abwandlung von 'dem Tode nahe' sein. Was mich jetzt literarisch völlig disqualifiziert, weil Wortspiele/Anspielungen, die man erst erklären muss, nicht als solche funktionieren. Aber ein Zweck dieses Blos ist ja, dass ihr mich richtig versteht. Oder, aber das sag ich euch nicht, dass ich mich selbst richtig verstehe.
Und momentan gelingt mir das nicht recht, also schreibe ich jetzt so lange drauflos, bis ich mir klarer werde.
Am Samstag haben wir (am Rande des Rollenspiels) in einem hohlen Baum drei winzige Katzenjunge entdeckt. Da war's schon recht kalt, aber sie wuselten noch ganz munter in ihrer Höhle rum, so dass ich, vernünftiger, kindchenschema-resistenter Mensch, der ich bin, mir dachte, die Natur wird schon wissen, was sie tut, lassen wir sie einfach mal in Ruhe, Katzenmutter ist sicher bald wieder da.
Am Sonntag morgen machte mich eine Mitspielerin (nur Zufall, dass es sich ebenfalls um eine Schwangere handelt?) darauf aufmerksam, dass eins der Kleinen fehlte und die Katzen nicht mehr wirklich fit wirkten. In der Nacht hatte es immerhin -5 Grad gehabt. Von der Katzenmamma offenbar keine Spur. Also schauen wir halt mal hin. Wenn ein anderer einen auffordert, hat man ja quasi eine Ausrede, seinen unangebrachten Fremdspeziesmuttergefühlen nachzugeben.
Die zwei Kätzchen liegen leblos in ihrer Höhle. Der eine sieht schon ganz steif aus, das Fell ist verklebt, als ich ihn rausnehmen will, ist er ganz kalt. Ich hab schon geholfen, tote Menschen rumzuheben, aber tote Tierbabys sind dann doch irgendwie zu viel. Ich versuche, das tote Kätzchen mit einem Stock beiseite zu schieben, um an sein kläglich maunzendes Geschwisterchen ranzukommen. Da gibt es dann doch tatsächlich noch ein Geräusch von sich. Also schnappen wir uns die zwei und tragen sie so schnell wie möglich rein ans warme Feuer.
Und dann sitzen wir da und versuchen, die Kleinen wieder ins Leben zurückzuholen. Einer macht ab und zu die Augen auf und maunzt. Der andere liegt nur da und ist kalt. So kalt, dass seine Flöhe die Wärme meiner Haut vorziehen und fluchtartig den Wirt wechseln. Ich schere mich nicht darum, denn die Situation ist mir schon unter die Haut gekrochen. Ich sitze da und halte zwei Wesen im Arm, eines krallt sich am Leben fest, das andere wartet reglos auf den Tod, und ich bin genauso hilflos wie die beiden, kann nichts tun außer warm sein und von ganzem Herzen hoffen. Kann ich? Wann habe ich zuletzt etwas von ganzem Herzen getan?
Zu lange her und viel zu gefährlich. Also sitze ich nur da und bin warm. Und erleichtert, als der Aktivere von beiden sich endlich mit einer Spritze voller Sahne-Wasser-Gemisch füttern lässt. Auf mir rumkrabbelt und nach mehr schreit und mich voller Begeisterung in Handflächen, Hals und Ohr beißt. Er hat's geschafft. Der andere liegt immer noch da und atmet flach und ist kalt.
Wo der dritte wohl ist? Wir haben ihn in der Umgebung der Höhle gesucht, aber nicht gefunden. Wenn er nur rausgekrabbelt wäre, hätte er es in der Kälte wohl nicht lange gemacht und wäre irgendwo in der Nähe gestorben. Vielleicht hat ihn ein anderes Tier gefressen? Oder die Mutter hat versucht, wenigstens eines ihrer Jungen ins Warme zu bringen? Ich versuche, mich von dieser albernen Hoffnung abzubringen, indem ich mir vor Augen halte, dass zu dieser Jahreszeit kein vernünftiger Mensch irgendwo eine Tür oder ein Fenster offenstehen lässt, und dass andere warme Orte als Häuser in dieser Gegend wohl nicht verfügbar sind.
Statt dessen massiere ich dem schwächeren der beiden Überlebenden lieber die Pfötchen und Ohren, um die Durchblutung anzuregen. Und endlich, nach über einer Stunde, reagiert auch er mit Schluckbewegungen auf unsere Spritzenfütterung, anstatt alles einfach wieder aus dem Mäulchen herauslaufen zu lassen. Öffnet Minuten später die Augen und krächzt kläglich nach Nachschub.
Und schließlich schlafen sie beide erschöpft und warm auf meinem Bauch und ich weiß, dass das Schlimmste überstanden ist.
Ist es?
Klar, die beiden Kätzchen werden überleben, wenn sie nicht noch an etwas anderem als Unterernährung und Unterkühlung leiden.
Und ich?
Die Zeit meiner eigenen emotionalen Unterernährung und Unterkühlung scheint überwunden. Aber in dieser Situation, wo alles auf einige wenige, essentielle Fragen reduziert wird - warm oder kalt, fressen oder nicht, Leben oder Tod - wird mir bewusst, dass ein sehr großer, sehr dominanter Teil von mir damals, als ich hungerte und fror, beschlossen hat, mich nie wieder Hunger und Kälte spüren zu lassen. Die entsprechenden Sensoren abgeschaltet hat. Mit allen Konsequenzen und Nebenwirkungen. Ohne Kälte kein Aufwärmen, ohne Hunger kein Durst nach Leben. Locked-out-Syndrom - alles funktioniert an der Oberfläche noch, nur innerlich nicht mehr, das dafür aber bei vollem Bewusstsein.
Und jetzt sitze ich hier an der Grenze zwischen Leben und Tod, und auch wenn es nur zwei kleine Kätzchen sind, kann ich nicht anders als bewegt sein und mit-fühlen.
Und kann es doch nicht. Weil es nicht zu ertragen ist. Selbst als klar wird, dass die beiden überleben, ist das Potential an möglichen Gefühlen, das da draußen lauert, zu beängstigend, als dass ich ihnen die Tür öffnen könnte. So sehr ich es auch will.
Also setze ich die Kätzchen irgendwann in eine Kiste, überlasse sie anderen fähigen Händen und versuche, nicht mehr an sie zu denken, auch wenn sie und dieses Un-Gefühl mich nicht loslassen. Und frage mich, wo ich die nächste Nahtoderfahrung herbekomme, um diese Übung, vielleicht etwas erfolgreicher, wiederholen zu können.

P.S. Wenn jetzt irgendwer schreibt 'Wenn das Kind erstmal da ist, wird das schon', bewerfe ich ihn mit toter Katze (von der wir, wie hinlänglich bekannt ist, noch einen Vorrat im Schrank haben).