10 Dezember 2007

Rache - Revolutions

Sorry, aber die Matrix-Filmtitel passen einfach zum Thema, auch wenn die Filme nix damit zu tun haben.
Angeregt durch eure vielen Kommentare und nicht zuletzt aus persönlicher Motivation habe ich mir weiter viele Gedanken zu 'Rache' gemacht.
Mein Kopf sagt mir nach wie vor, dass Rache etwas schlechtes ist. Dass Gerechtigkeit sehr wichtig ist, dass zu ihrer Anwendung aber sehr viel Verstand und möglichst wenig Gefühl notwendig ist.
Mein Gefühl sagt, "Der hat mir weh getan, ich will ihm auch weh tun."
Interessanterweise war das nicht immer so. Die meisten Dinge, die mich verletzt haben, habe ich tatsächlich einigermaßen gut verarbeitet, vergessen oder sogar verziehen. Das Bedürfnis nach Rache war mir vor meiner Therapie (sprich: bevor mir klar wurde, was das alles in mir angerichtet hat) größtenteils fremd. Ich verweise zwar auf einen alten Blogeintrag, in dem der Eindruck entstehen könnte, ich wäre generell rachsüchtig. Aber boshafte Gedanken sind eine Sache, der Wunsch nach Rache eine ganz andere.
Denn in ihm drückt sich - meiner Meinung nach - etwas aus, was in Wirklichkeit die eigene Opferrolle nur bestätigt: Hilflosigkeit. Jemand hat mir etwas getan, und ich konnte es nicht verhindern. Hätte ich doch nur anders reagiert. Könnte ich doch nur hingehen und ihn nachträglich davon abhalten. Weil das nicht möglich ist, wird man nur noch hilfloser, und damit wütender, verzweifelter, im schlimmsten Falle hasst man sich selbst für seine Schwäche.
Der Weg aus dieser scheußlichen Gefühlsspirale heraus hat nichts mit den Leuten zu tun, die mich in der Vergangenheit verletzt haben, sondern mit meinem Verhalten in der Zukunft.
Dazu hat mein Unterbewusstsein mir neulich einen interessanten Traum verpasst:
Ich war im Schwimmbad in der Dusche. Ein Mann kam rein und packte mich von hinten, so wie frau entgegen anderslautender Filme eben nicht von einem Fremden angefasst werden will, und reihte sich damit in eine lange Tradition von Leuten ein, die mich gegen meinen Willen angefasst haben. Normalerweise reagiere ich in solchen Situationen mit völliger Erstarrung. Diesmal drehte ich mich um und schrie ihn an. Das reichte offenbar nicht, also schlug ich zu. Der Depp grinste immer noch, also holte ich den Bademeister. Der war zwar nett und hilfsbereit, brachte es aber auch nicht fertig, den Kerl von mir fernzuhalten. Und der grinste immer noch. Also schnappte ich mir einen Stuhl, der da praktischerweise rumstand, und fing an, den Typen damit zu verprügeln. An dieser Stelle blendete der Traum aus (konträr zum Amerikanischen Kino sind offenbar Szenen mit dürftiger Beklidungssituation erlaubt, Gewalt jedoch wird zensiert). Ich fand mich im Büro meiner Therapeutin wieder, die mich fragte, ob ich nicht etwas übertrieben hätte. Ich verneinte, obwohl ich mich schon etwas über die Pistole in meiner Hand wunderte...
Ok, am Ende hat's der Traum ein bisschen übertrieben, oder mein Unterbewusstsein wollte irgendeinen Film zitieren, an den ich mich grad nicht mehr erinnere. Aber ich habe das Gefühl, die Botschaft ist klar. Es gibt außer meiner üblichen duldsamen Erstarrung andere, funktionalere Handlungsmöglichkeiten. Ich darf, soll, muss mich wehren. Und ich darf so lange zurückschlage, wie der andere nicht aufhört, mich zu verletzen. Meine innere Therapeutin weiß genau, wann Schluss sein muss, ich brauche nicht fürchten, dass ich zu weit gehe. Die Wut, die ich auf Rachegelüste verschwende, könnte ich sinnvoller kanalisieren, wenn ich sie in die Zukunft richte und als Aggressions-Ressource für Situationen verwende, in denen mir geschadet wird.
Das klingt jetzt alles so, als hätte es mir ein schlauer Psychologe erzählt, aber ich bin einigermaßen stolz auf mich, dass ich das selber rausgefunden habe. Natürlich wird die Umsetzung nicht so traumhaft einfach sein. Aber das gute ist, dass mein Unterbewusstsein - der Teil, an den man viel schwieriger rankommt als an den bewussten Verstand - schon realisiert zu haben scheint, dass ich mich anders verhalten kann, als in das eingefahrene Muster zurückzufallen, das ich in der Vergangenheit immer wieder erfolglos angewendet habe, weil ich nichts anderes gelernt hatte. Dass also auch Schluss sein kann mit der Hilflosigkeit.
Und dass damit der Wunsch nach Rache an Bedeutung verliert.
Eine Sache, die mich irritiert, bleibt aber noch: Die ganze Sache impliziert, dass ich mich in Situationen, in denen ich verletzt wurde, falsch verhalten habe. Ja, ich hätte mich wehren müssen. Aber derjenige, der sich eigentlich falsch verhält, ist doch der, der mich angreift. Ich frage mich, ob man viele Gefängnis- und Geldstrafen, viele Gerichtsverhandlungen und viele Therapiesitzungen sparen könnte, wenn der Täter seinem Opfer nur absolut glaubwürdig versichern könnte, dass es keine Mitschuld an der Tat trägt...

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Tanja,

dann musst Du jetzt nur noch von Flucht- auf Kampf-Reflex umschalten, zurückschlagen statt Dich tot zu stellen. Ich weiss nicht, ob man sich das in einem Selbstverteidigungskurs oder beim Boxen antrainieren kann, aber zumindest könntest Du da körperlich aus Dir rausgehen. Das tut Geist und Körper gut. Empfehlen kann ich Dir Anis. Colin trainert das seit einigen Jahren und ist begeistert. Man benutzt Kampfstöcke - oder alles, was in der jeweiligen Situation gerade greifbar ist. Ich denke, wenn Du erst an dem Punkt bist, wo Du WEISST, dass Du den Bösling nach Strich und Faden versohlen KÖNNTEST, dann musst Du es vielleicht gar nicht mehr tun. Es geht dabei nur um Dein Gefühl. Du gibst Dir auf diese Weise mehr Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. Wie Du schon sagst, der eigentliche "Angstgegner" ist die Hilflosigkeit.

Liebe Grüße,
Dein Markus

Anonym hat gesagt…

Sorry, Verschreiberle: "Arnis" ist gemeint.

naiko hat gesagt…

liebe tanja.

ich denke, du hast recht. es würde was nützen, wenn der tätter dem opfer das versichern könnte - aber da liegt der haken: ich fürchte, das wird in den wenigsten fällen funktionieren, denn das opfer muss es auch glauben. und: ja, der täter ist der, der eigentlich was falsches tut, aber man selber macht als opfer eben doch auch einen fehler, wenn man auf einen täter so reagiert, dass er mit dem falschmachen weitermachen kann - nicht, weil ich finde, man ist dafür dann verantwortlich, sondern weil ich finde, dass man für sich selbst verantwortlich ist: und auch dafür,dass man möglichst ungeschoren bleibt: wenigstens finde ich, dass erwachsene das sind .(bei kindern sehe ich das etwas anders.) natürlich ist mir klar, dass das nicht so einfach ist und: wiederholung: ich finde nicht,dass schuld entsteht, oder irgendwas wie "selber-schuld", wenn man es nicht schafft, sich zu wehren: aber um seiner selbst willen sollte man lernen, die grenze des anderen zu überschreiten, wenn der andere die eigene überschreitet.

und übrigens: träume sind was extremes. meine jedenfalls, deine offenbar auch: ich habe kürzlich zum allerersten mal in meinem leben geträumt,dass ich fast gestorben wäre: es war ein seltsamer fast-auto-unfall, bei dem mein auto über einen abgrund zu rutschen drohte. jemand hat mich rausgeholt und dann das auto am abkippen gehindert. ich weiß genau,dass es eine real existierende person war, aber ich kann mich einfach nicht erinnern, wer. das ginge ja noch, aber ich hatte in der darauffolgenden nacht richtig angst einzuschlafen, weil ich solche träume nicht gewohnt bin (anmerkung: ich träume wirklich krasses zeug, kafkaesk bis zum fast nicht mehr aushalten, aber mir passiert nie was...). und heute habe ich mich mit einem schüler darüber unterhalten und der hat mir erzählt,dass er schon oft im traum gestorben ist, beziehungsweise: hätte sterben müssen. und er hat gesagt: man stirbt nicht, auch wenn es eigentlich nicht sein kann: man hat ihm im traum wohl schon gliedmaßen ausgerissen und er wusste genau, dass er hätte tot sein müssen, aber sekunden später hat er festgestellt, dass er's nicht ist. und er hat gesagt, dass der ganze traum dann eigentlich nicht mehr schlimm ist. also werde ich mal sehen, was passiert, wenn ich das nächste mal doch über den rand kippe.

see u then.
gruß.
n.

Anke hat gesagt…

Liebe Tanja,

also. Ich denke, in früheren Situationen, wo du "gedultsam erstarrt" bist anstatt Dich zu wehren, hast du NICHT "falsch" gehandelt.
Ja, es wäre besser gewesen, sich zu wehren. Na klar. Besser sich wehren als falsches Verhalten (des anderen) ertragen.
Aber deshalb hast du nix "falsch" gemacht. Du /Niemand kann dir vorwerfen, so reagiert zu haben - es war die Reaktion, die du gelernt hattest, die einzige, die die wohl wirklich zur Auswahl stand.
(Andere Reaktionsmöglichkeiten wie "sich wehren" waren Dir natürlich theoretisch bekannt. Aber diese Möglichkeit stand Dir wohl nicht zur Verfügung, rein praktisch, weil Du nur die andere Möglichkeit als "das kannst DU tun" gelernt hattest).

Und es ist ein Lernprozess.
Ich denke, in unserer Gesellschaft lernen immernoch die Mädchen "brav und gut zu sein" und die Jungs "raufen und Draufgänger sein".
Das wird nicht so zugespitzt ausgesprochen, aber es unterliegt fast allem, wie fast alle Leute mit Kindern umgehen. Bewusst (wer würde einem Mädchen khaki-farbene Hosen anziehen?!) als auch unbewusst (z.B. wird mit weiblichen Babys viel mehr geredet, und männl Babys werden mehr dinge in die Hand geggeben.)
(Ich hatte "Geschlechtsspezifische Erziehung" als eines meiner Magister-prüfungsthemen - interessant und schockierend)

Auch ich habe es erst gelernt, mehr auf mich zu schauen und mich zu wehren - z.B. während meines Auslandsstudiums hier in England lernte ich "Mehr auf mich schauen", d.h. auch mal "egoistisch" zu reagieren - zu schaun, was ICH will, anstatt sofort zu überlegen, was wohl andere wollen könnten. MiB erinnert sich wohl noch gut an die Zeit danach, wo er mich etwas schwerer zu ertragen fand - weil ich eben egoistischer als vorher war. Laut seinen Berichten hat sich das dann wieder auf ein gutes Mittelmass eingependelt, I'm happy to say.
Und der zweite Schritt war wohl in Bremen, wo ich mich (jetzt immernoch) von meiner Chefin ungerecht behandelt fühl(t)e. Da hab ich mich nur ein bisschen gewehrt (weil mir mein Verstand sagte, mehr wehren bringt nix als nur mehr Schweirigkeiten), und erst nachdem der Schock etwas abgeklungen und die Sache etwas verdaut war, fielen mir konkretere Punkte ein, die ihr meiner Chefin hätte vorwerfen können. Da war es aber schon zu spät.
Also ein Lernprozess, der mir dafür nix mehr bringt, aber hoffentlich was für die Zukunft...

Also Tanja: übe, Dich zu wehren :-)
und in Deinen Träumen ist ein guter Startpunkt.

Anke hat gesagt…

@ Nina:

ich hab auch ein paarmal geträumt, dass ich (fast?) gestorben bin; z.B. ich war irgendwo unter Wasser und in Schlingpflanzen verwickelt. Ich dachte: Jetzt ist's vorbei, ich hab schon so lange nciht mehr geatmet - und dann hab ich festgestellt, dass ich gar nicht atmen brauchte.
Oder ich fiel von irgendwas sehr hohem runter, und anstatt unten aufzuschlagen, stand ich vollkommen unverletzt irgendwo anders und wunderte mich, wie ich dort hingekommen war.

In der Regel endete der Traum mit der Erkenntnis, daß ich noch lebe. Gestorben bin ich nie.
Also keine Angst :-)