23 Dezember 2007

Die Würde des Biers

Es mag ja sein, dass ich in letzter Zeit ein bisschen empfindlich bin, was Werbung betrifft. Der Nackte-Haut-Faktor ist zur Zeit wieder extrem hoch, colafarbene Weihnachtsmänner und komplett aus Konsumprodukten zusammengesetzte Weihnachtsbäume (grün wie das Paillettenkleid, äh, wie der Navi-Bildschirm, äh, ach ja, wie die Hoffnung, das war's) erinnern uns, dass es etwas zu kaufen, pardon, feiern gibt, und selbst Dittsche kann die Blöd-Kampagne nicht vor bodenloser Niveaulosigkeit bewahren.
Was ich aber vorgestern an einer Litfasssäule gesehen habe, weckt wieder mal den Bombenbastler in mir.
"Die Würde des Biers ist unantastbar" steht da.
Ok. Ich als Bayer sollte dieser Aussage nicht ganz ablehnend gegenüberstehen, selbst wenn ich kein großer Biertrinker bin. Und wer kann schon sagen, dass es sich bei Hefekulturen tatsächlich nur um niedere Lebensformen handelt.
Aber jetzt mal im Ernst. Geht's noch?
In Zeiten, wo ein Land, das wir mal für einen großen Verteidiger der Demokratie gehalten haben, die Folter wieder einführt, wo Leute, die ich persönlich kenne vorschlagen, dass Sozialhilfeempfänger bei Wahlen keine Stimme haben sollten, wo Menschen, die einen Beruf wählen, der der Gesellschaft dient, dafür mit Finanznot und Burnout bestraft und solche, die nur in ihre eigene Tasche wirtschaften belohnt werden, in solchen Zeiten bildet ihr Werber euch ein, so etwas schreiben zu können? Ihr nehmt den wichtigsten Grundsatz, den sich zumindest ein Teil der Menschheit seit der Einführung der 10 Gebote gegeben hat, und macht daraus einen flapsigen Spruch über Bier?
Mag sein, dass ich keinen Spaß verstehe. Ich komme mir grade tatsächlich ein bisschen spießig vor. Vielleicht macht es mich einfach nur traurig zu sehen, dass über die Würde des Menschen nicht mehr allzu viel nachgedacht wird. Ich habe das Gefühl, dass der Mensch vielfach - im Widerspruch zu Kant - eben doch nur als Mittel zu einem Zweck angesehen wird, nicht als Zweck an sich. Und dass wir zu leichtfertig mit dem umgehen, was wir haben. Unsere eigene Würde nicht zu würdigen wissen, und viel zu wenig dafür eintreten. Sie zugunsten anderer 'Werte' - warum nur muss ich da hauptsächlich an Geld denken?, aber auch an Bequemlichkeit und scheinbare Sicherheit - vernachlässigen. Klar kann man von Würde nicht leben. Aber ohne?
Naja, vielleicht wenn wir genug Bier trinken... :-(

1 Kommentar:

naiko hat gesagt…

wir können uns solche werbesprüche wohl schlicht nur leisten, weil es uns zu gut geht!
ich kann deine empörung sehr gut verstehen und teile sie.
leute, die sowas schreiben, haben entweder keine würde, also stört es sie auch nicht, wenn sie angetastet wird, oder sie sind noch nie in die verlegenheit geraten, dass letzteres geschah, was ihnen ja zu gönnen wäre, würden sie nicht unentwegt die würde anderer antasten.
ich glaube, manche leute leben ihr leben dermaßen unbewusst,dass es ihnen nicht auffällt, wenn jemand auf ihnen rumtrampelt, und genauso tun sie's dann mit anderen, vorzugsweise solchen, die schwächer sind. da störts ja dann keinen...
arme, kranke, alte, kinder, schüler, leute, die jobs haben, die keiner versteht, leute, die keinen job haben, etc. also: leute ohne macht und geld, oder umgekehrt. wie du schon sagst...
und ehrlich: jemand, der mir erklärt, ohne bier nicht leben zu wollen/können, ist entweder unter 20 oder sollte mal in die wüste gehen, da lernt er's dann hoffentlich. es gibt so viele dinge, ohne die nicht leben zu können wir uns einbilden. und im notfall gehts dann doch. und es gibt dinge, ohne die so viele leben müssen, obwohl es eigentlich nicht geht: liebe, freundschaft, anerkennung, nähe, sicherheit, zuversicht, etc.
ich habe weihnachten in gesellschaft einer jungen frau aus der ukraine verbracht, die kommt nun nicht gerade aus einer gegend ohne zivilisation, trotzdem merkt man da erst, wie unendlich dekadent wir "westler" inzwischen sind.
so, ende des vortrags.
"vornahmen" können wir ja dann silvester noch persönlich austauschen!
deine/eure n.